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Open Access 2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

7. Die Macht der Bergbauunternehmen – der Fall Tierra Amarilla

verfasst von : Anna Landherr

Erschienen in: Die unsichtbaren Folgen des Extraktivismus

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Von Pabellón aus liegt Tierra Amarilla etwas über 20 Kilometer flussabwärts im selben Tal und befindet sich fast genau zwischen Pabellón und der Regionalhauptstadt Copiapó. Die Kleinstadt ist zudem die Hauptstadt der gleichnamigen Gemeinde zu der auch Pabellón gehört. Anders als Pabellón und Chañaral liegt Tierra Amarilla inmitten eines derzeit noch aktiven Abbaugebietes.
Hinweise
Kollektive lokale Risikowahrnehmung – lokaler Widerstand –latenter Konflikt– territoriale und informelle Macht der Unternehmen– Interessenskonflikte – Streben nach einer peripheren imperialen Lebensweise

7.1 Einleitung

Von Pabellón aus liegt Tierra Amarilla etwas über 20 Kilometer flussabwärts im selben Tal und befindet sich fast genau zwischen Pabellón und der Regionalhauptstadt Copiapó.1 Die Kleinstadt ist zudem die Hauptstadt der gleichnamigen Gemeinde zu der auch Pabellón gehört. Anders als Pabellón und Chañaral liegt Tierra Amarilla inmitten eines derzeit noch aktiven Abbaugebietes. Die Stadt wurde 1891 gegründet und bestand schon vorher aus einer Siedlung von größtenteils selbstständig arbeitenden BergarbeiterInnen.2 In der Volkszählung von 1865 wurden bereits 4100 Personen in Tierra Amarilla gezählt (Hernández 1932: 362). Ab 1854 stellte Tierra Amarilla, wie Pabellón, eine der wichtigsten Stationen der Zugstrecke zwischen Pabellón und Caldera dar, über die die gewonnen Metalle und Mineralien an den Hafen transportiert wurden (Álvarez 2000). Tierra Amarilla und Pabellón waren damit nicht nur direkt in globale Güterketten eingebunden, sondern lagen auch an der ersten Zugstrecke Chiles und dritten Lateinamerikas.
Die Gemeinde hat heute eine Bevölkerung von 15.725 EinwohnerInnen, von denen 67,4 Prozent in der Stadt wohnen.3 Werden die SaisonarbeiterInnen mitgezählt, schätzt die Gemeinde die Bevölkerung von Tierra Amarilla auf knapp 35.000. Im Gegenteil zu Pabellón ist der Bergbau in Tierra Amarilla omnipräsent. Rund um die Kleinstadt wurden mehrere große Bergwerke errichtet. Neben der Großen Mine Candelaria, die mehrheitlich dem Großkonzern Lundin Mining gehört, sind direkt in Tierra Amarilla noch vier weitere mittlere bis größere Kupferminen anzutreffen: Ojos del Salado, Atacama Kozan, Pucobre (Punta del Cobre) und Minera Carola. Diese aktiven Bergwerke befinden sich in den Bergen rund um das Tal in unmittelbarer Stadtnähe verteilt. Hinzu kommen noch eine Reihe weitere mittlerer und kleiner Unternehmen, sowie eine starke lokale Präsenz von unabhängigen selbstständigen BergarbeiterInnen (pirquineros), die die ursprüngliche handwerkliche Form des Bergbaus betreiben. Am Rande der Stadt Tierra Amarilla befindet sich die große Kupferschmelzanlage Paipote (Hernán Videla Lira) des staatlichen Unternehmens ENAMI (Empresa Nacional de Minería), die vor allem von den mittleren und kleinen Unternehmen sowie von den pirquineros genutzt wird, um die von ihnen gesammelten und weiterverarbeiteten Erze zu verfeinern. 79,6 Prozent dieser Erze stammen von den oben genannten mittleren Unternehmen (alle außer Candelaria) und von den Unternehmen Trafigura, Las Luces, San Andrés und Nutram. 16,8 Prozent stammen von ENAMI selbst und 3,6 Prozent vom sogenannten kleinen Bergbau (Pequeña Minería).4 Die Gießerei von Paipote ist vor allem aufgrund ihrer regelmäßig auftretenden Umweltskandale bekannt (siehe unten). In ihr arbeiten 553 direkt Angestellte sowie über 600 Angestellte durch Subunternehmen. Neben dem Bergbau ist die Landwirtschaft im Tal Copiapó rund um Tierra Amarilla ein weiterer wichtiger Wirtschaftssektor. Dabei werden insbesondere Tafeltrauben für den Export angepflanzt. Dieser Sektor benötigt wenige direkt Angestellte, dafür aber besonders in den Erntezeiten viele SaisonarbeiterInnen, was die schwankende Bevölkerungszu- und -abwanderung in der Gemeinde verursacht. Der Bergbausektor ist mit Blick auf die Wertschöpfung allerdings der mit Abstand wichtigste Wirtschaftssektor in der Gemeinde und fungiert gleichzeitig als größte Einkommensquelle der ganzen Region.
Das Bergwerk Candelaria, das aufgrund seiner Größe und seiner Präsenz in Tierra Amarilla im Mittelpunkt dieser Forschung steht, gehört zu 80 Prozent dem kanadischen Bergbauunternehmen Lundin Mining und zu 20 Prozent dem japanische Unternehmen Sumitomo Corporation. Es stellt sich aus mehreren mittleren Minen, einem großen Tagebau und einem komplexen Untertagebau zusammen.5 Seine Produktionskapazität liegt – nach Unternehmensangaben – bei rund 75.000 Tonnen am Tag (Lundin Mining 2020). Neben dem Tagebau, der – auf Satellitenbildern betrachtet – flächenmäßig alleine schon deutlich größer ist als die gesamte Kleinstadt, besteht der Untertagebau aus einem komplexen Tunnelsystem aus Schächten und Stollen, die teilweise direkt unter Tierra Amarilla verlaufen. Zur genauen Ausdehnung des Untertagebaus liegen den staatlichen Behörden keine genauen Pläne oder Informationen seitens des Unternehmens vor (siehe Italo Pacual, Mitarbeiter des Ministeriums für Stadtplanung PS03). Gleichzeitig hat es das Unternehmen geschafft, seine Kupferproduktion in den letzten drei Jahren um 30 Prozent zu steigern, wofür das Bergwerk Candelaria besonders ausschlaggebend war.6 Candelaria beschäftigt derzeit 1536 direkt angestellte ArbeiterInnen sowie 3676 ArbeiterInnen von Subunternehmen (insgesamt 5212).7
Fast alle interviewten BewohnerInnen hatten mindestens ein Familienmitglied, das in einem der Bergbauunternehmen tätig ist oder war. Allerdings sind nur wenige davon bei Lundin Mining angestellt. „Die (Candelaria) stellen kaum Leute aus Tierra Amarilla direkt an, kaum. Das sind, wenn dann, die kleinen Unternehmen, die die Leute aus Tierra Amarilla anstellen“, erklärt Bernardo (TB02). „Generell ist es so, dass sie lieber Leute aus dem Süden nehmen. Das ist teilweise richtig unfair, weil wir hier ein Leben lang mit all dem Dreck und der Umweltverschmutzung leben und dann kriegen andere die Jobs“, meinen Francisca und Elena (TB21). Dennoch hängen viele Arbeitsplätze vom Großunternehmen ab, berichtet Margarita: „Die Leute von hier arbeiten in so Sachen wie im Bau. Zurzeit wird hier viel neu gebaut, ein Fußballstadium, ein Park, da gibt es dann auch Jobs. Das gehört alles Candelaria, die arbeiten also für Candelaria“ (TB19). Eine Festanstellung als BergarbeiterIn bei Candelaria sei für die meisten allerdings so gut wie unmöglich. „Die meisten Leute hier arbeiten in sehr prekären temporären Jobs z. B. in der Landwirtschaft oder kleinen Bergbauunternehmen. Um bei Candelaria einen Fuß in die Tür zu kriegen, braucht man einen Schwager oder so der dort arbeitet […] von hier sind es dann gar nicht so viele, die es ins Unternehmen schaffen“ (Rocío TB16). Dies bestätigen auch die drei festangestellten Arbeiter Jaime (TA01), Andrés (TA02) und Danilo (TA03) aus Copiapó „Candelaria funktioniert wie ein Familienunternehmen und das, obwohl es eine ausländische Firma ist […]. Man kriegt einen Job dort, weil man jemanden kennt, der da arbeitet. Sie gucken sehr genau, wen sie einstellen, meistens nur jemanden, der von einem anderen Mitarbeiter empfohlen wird“, erklärt Jaime (TA01). Genaro Leiva, der Präsident des Gremiums der mittleren Bergbauunternehmen ist, beschwert sich zudem darüber, dass sie von dem großen Unternehmen als Ausbildungsstädte ihrer ArbeiterInnen genützt würden. Nachdem sie ihre ArbeiterInnen ausgebildet hätten, würden diese oft in kurzer Zeit bessere Angebote von Großunternehmen bekommen und dann wieder gehen. Der Zeit und Geldaufwand der Ausbildung würde dann auf den mittleren Unternehmen doppelt lasten, da sie anschließend wieder eine neue Arbeitskraft ausbilden müssten (PU05).
Carlos (TB01), ein 73-jähriger Anwohner, berichtet darüber, wie sich die Arbeitsverhältnisse im Bergbau geändert hätten. Während die meisten BergarbeiterInnen – wie auch sein Vater – früher selbständig gearbeitet hätten und direkt in die Bergwerke gegangen seien (pirquineros), um dann einmal in der Woche das gesammelte Material in die Gießerei zu bringen und sich dafür auszahlen zu lassen, würden heutzutage die großen Unternehmen und vor allem die Subunternehmen den lokalen Bergbau für sich beanspruchen. Letztere würden die ArbeiterInnen immer nur für 15 Tage anstellen, danach müssten sie dann hoffen, wieder angestellt zu werden, schildert er (TB01). Guillermo, der selbst in einem Subunternehmen im Untertagebau von Candelaria arbeitet, erzählt: „Die Arbeit und das Gehalt reichen oft nicht. Obwohl ich aus Tierra Amarilla komme und hier rundherum alles voller Bergbauunternehmen ist, muss ich immer wieder außerhalb nach Arbeit im Untertagebau suchen. Vor allem weil das Gehalt nicht reicht, muss ich außerhalb der Stadt nach Arbeit suchen“ (TB12). Die Arbeit als selbstständiger Bergarbeiter (pirquinero) wiederum sei sehr schwierig geworden, da die rentablen Vorkommen alle in den Händen der großen Unternehmen seien, erklären Carlos und Guillermo (TB01, TB12). Dazu würden immer wieder unangekündigte Entlassungen stattfinden. „Sie setzten die Menschen einfach auf die Straße, aber eben nur die von hier. Die von außerhalb kriegen dann weniger Gehalt, aber dürfen bleiben. Aber mein Sohn musste gehen“, so Ester (TB07). Durch die hohe Arbeitslosigkeit in Tierra Amarilla gibt es sehr viele, teilweise auch gut ausgebildete Arbeitskräfte, auf die die Unternehmen jederzeit auch für sehr schlecht bezahlte Tätigkeiten zurückgreifen können.

7.2 Der Ursprung einer Opferzone und die von den Betroffenen wahrgenommenen Kosten

„Das Asthma bei Kleinkindern und Krebs allgemein sind hier so üblich wie sonst wo eine Erkältung […] alle die bisher in meiner Familie gestorben sind, sind an Krebs gestorben. Ich weiß also, dass ich wahrscheinlich eines Tages auch daran sterben werde“ (Alejandra TB08).

7.2.1 Die Omnipräsenz des Bergbaus

Das Stadtbild von Tierra Amarilla ist stark geprägt von den Bergbauaktivitäten der direkt anliegenden Bergwerke.8 Die Stadt nimmt – bedrängt durch die umliegenden Berge – eine langgezogene Form an und erstreckt sich entlang der großen Landstraße, die das Tal mit der Regionalhauptstadt verbindet. Diese Straße wird auch von allen Bergbauunternehmen genutzt, um ihre Produkte ins Landesinnere und an die westlich gelegenen Häfen zu transportieren. Den ganzen Tag über rollen große LKW mit Kupferkonzentraten, Kupfer und anderen Bergbaumaterialien in Richtung Meer. Überall sieht man zudem die roten Pickups, die von den VorarbeiterInnen, AufseherInnen und dem technischen Personal für die Arbeit in den Minen genutzt werden. Morgens und abends werden die ArbeiterInnen in Bussen in die Bergwerke transportiert. Überall hängen Werbeplakate des großen Bergbauunternehmens Candelaria, der Name prangert auch an Schulen, Schwimmbädern, Sportclubs und kulturellen Zentren. „Wir hören eigentlich nur von Candelaria, ständig“, bestätigt Margarita (TB19). In den Geschäften und Taxis laufen die lokalen Radio- und Fernsehsender (darunter sind auch einige im Besitz des Unternehmens), in denen die Bergbauaktivitäten zentrales Thema sind. Jedes Mal, wenn es Abweichungen von den üblichen Sprengungszeiten gibt, werden diese mehrmals dort angesagt. Mindestens zwei Mal am Tag werden die großen Sprengungen in Candelaria durchgeführt. Nach einer kurzen, kaum wahrnehmbaren Sirene bebt die Erde für einige Sekunden, vereinzelt springen die Alarmanlagen der parkenden Autos an. Die BewohnerInnen allerdings reagieren kaum darauf, sie sind laut eigenen Aussagen daran gewöhnt. Das sei ihr Alltag, meinen sie. Nach kurzer Zeit kommt die durch die Sprengung entstandene Staubwolke nach und trübt die sowieso schon schwere Luft (siehe Abbildung 7.1). Wie mir Silvia Marín (PS05), die regional Verantwortliche für Tailings des Sernageomin erzählte, ist der Untergrund des gesamten Stadtgebiets Tierra Amarillas konzessioniert. Sie zeigte mir die konzessionierten Flächen während unseres Interviews an ihrem Computer. Die einzelnen quadratischen sich überlappenden Felder, lassen keinen Millimeter frei. Außer ein kleiner Bereich rund um das Rathaus ist das ganze Gebiet potenzielles Abbaugebiet privater Unternehmen. Das wissen auch die BewohnerInnen. „Dieses Grundstück gehört uns, aber schon 2–3 Meter weiter unten ist es konzessioniert und gehört Candelaria“, erklären mir Francisca und Elena – BewohnerInnen der Stadt – während des Interviews (TB21).
Nicht nur die lokale Wirtschaft und der Arbeitsmarkt sind vom Bergbau geprägt, auch die Umgebung und die Lebensqualität ihrer BewohnerInnen sind stark davon gezeichnet. Viele der Berge, die das Tal rund um Tierra Amarilla bilden, sind in Wirklichkeit aufgehäufte giftige Abfallprodukte und Tailings (siehe Abbildung 7.2), Feinstaubpartikelmessgeräte schlagen regelmäßig durch den Rauch der nahegelegenen Kupfergießerei Paipote Alarm und alle paar Stunden bringen die bereits erwähnten Sprengungen in der Mine Candelaria die Erde zum Beben. Die großen Risse in den Wänden der meisten Häuser lassen das Tunnellabyrinth unter der Stadt erahnen, in dem seit Jahren – teils legal, teils illegal – Kupfer abgebaut wird (größtenteils von Candelaria). Experten, wie der Geologe Osvaldo Alfaro der Universidad de Concepción, sprechen von einer großen Einsturzgefahr ganzer Stadtteile, die durch die hohe Erdbebenfrequenz in Chile noch verstärkt wird (PE04). Dazu kommen die „kleineren“ Probleme, wie etwa die Verbreitung des Staubs durch den Transport, der hohe Lärmpegel und die Zerstörung der Straßen durch die vielen schweren LKW der Bergbauunternehmen.
In den mit den BewohnerInnen geführten Interviews drückt sich die Allgegenwärtigkeit der Bergwerke und ihrer Konsequenzen unterschiedlich aus. Die Stadt sei umgeben von Tailings aus giftiger Industrieschlacke und Altlasten, stellen viele fest. „Tailings gibt es hier eine Menge, egal wo sie hinschauen, der Berg hinter Ihnen z. B. das ist sind Tailings, das da gegenüber auch“, erklärt Juan (TB24). In fast jedem der geführten Interviews wird dieses Problem geschildert. Francisca und Elena (TB21) erklären beispielsweise: „All das da hinten sind Tailings, wenn Sie mal von hier schauen, sehen Sie das? Wissen Sie, was Tailings sind? Das sind die giftigen Rückstände vom Bergbau, die Abfälle davon. Das da drüben sind natürliche Berge und der ganze Rest sind Tailings. Sehen Sie den Unterschied?“. Sie zeigen auf die einzelnen sichtbaren Tailings und zählen die dazugehörigen Unternehmen auf. Dann erklären sie genau, wie diese entstehen und wie während des Produktionsprozesses und des Transports zusätzlich der Feinstaub entsteht, der in Tierra Amarilla in der Luft hängt und sich im Laufe der Zeit überall absetzt. „Die Tailings kommen dann hier über den Wind an. Sie halten sie zwar feucht, aber das reicht nicht. Viel kommt auch an den Reifen der LKW mit“, meint Daniela (TB06). Genau wie sie haben viele andere BewohnerInnen detaillierte Kenntnisse über den Entstehungsprozess und die möglichen Konsequenzen von Tailings für die Gesundheit und die Umwelt. Welche wissenschaftlich nachgewiesenen Folgen dies für sie haben kann und inwiefern sie selbst davon betroffen sind, wissen sie allerdings nicht „Ich denke, dass sie (die Tailings) einen starken Einfluss auf unsere Gesundheit haben, aber ich weiß es nicht. Wir wurden noch nie darauf untersucht. An anderen Orten wurde im Blut z. B. Blei gemessen, ich denke hier ist es so ähnlich. Und es sind sehr viele Tailings, dort die von Candelaria, weiter hinten von einem anderen Unternehmen, wir werden von überall vergiftet“, erzählt Rocío (TB16). Laut Bernardo (TB02) wiederum hätten sehr wohl Untersuchungen stattgefunden. „Die meisten Kinder in Tierra Amarilla haben Schwermetalle im Blut, dafür gibt es Untersuchungen. Sie haben Studien durchgeführt, aber dann haben sie die Ergebnisse verschwiegen, das können die einfach so machen […]. Wir haben nie wieder etwas darüber erfahren, aber wir können uns ja denken warum“, erzählt Bernardo über eine Untersuchung, die vor 12 Jahren durchgeführt wurde (TB02). Während Rocío auf die Tailingdeponie von Candelaria zeigt, erzählt sie, dieser „Vorhang“9 sei in ihrer Kindheit noch nicht dort gewesen, das Tal sei offen gewesen, wodurch der Wind seinen freien Lauf nehmen konnte. Seit das Unternehmen das Tal geschlossen habe, würde die Luft nicht mehr zirkulieren. Das würde auch erheblich dazu beitragen, dass der Feinstaub der Bergbauunternehmen und die Luftverschmutzung von Paipote in Tierra Amarilla „hängen bleiben“ würden. Außerdem habe die frühere Vegetation des Tals als „grüne Lunge“ fungiert (TB16). „Das ist das, was uns hier in ganz Tierra Amarilla verseucht, die Tailings verbreiten sich überall hin, das ganze Arsen und alles kommt hier unten an. Bürgermeister, Stadträte, sie alle spielen Blinde Kuh. Die haben nichts für die Leute gemacht […]. Da bringt es nichts ein paar Bäumchen zu pflanzen, die Bäume können das Gift nicht fressen“ (Bernardo TB02). Viele der BewohnerInnen nehmen die Tailings als ein besonders großes Risiko für ihre Gesundheit wahr, wobei sie sich vor allem auf die große Tailingdeponie von Candelaria und teilweise auf die der anderen aktiven Unternehmen beziehen. Rund um Tierra Amarilla befinden sich allerdings, wie schon erwähnt, laut Sernageomin (2020) insgesamt 37 Tailingdeponien, die teilweise weder gekennzeichnet noch als solche erkennbar sind.
Als ein weiteres, besonders schwerwiegendes Umwelt- und Gesundheitsproblem wird, sowohl von den BewohnerInnen als auch von staatlichen Behörden, die Luftverschmutzung durch die Gießereianlage in Paipote genannt. Die Umweltbeauftragte der Gemeinde, Alejandra Castillo (TB08), erzählt, dass die Feinstaubpartikelmessgeräte regelmäßig Alarm schlagen würden, zeitweise sogar täglich. „Die Umweltverschmutzung hier ist stark, besonders der Rauch, der von ENAMI kommt“ erzählt auch Camilo (TB23), ein Bewohner aus Tierra Amarilla. „Wenn Paipote wieder den Feinstaubalarm auslöst, wacht man mit einem ganz bitteren Geschmack im Mund auf und man merkt das sofort beim Atmen“ (TB16). Die Gießerei sei das, was ihr am meisten Probleme bereite, erzählt Rocío (TB16). Paipote ist auch der Hauptgrund dafür, dass Tierra Amarilla vom Umweltministerium zusammen mit Copiapó neuerdings als „Zona Saturada“ eingestuft wird.10 Die Anlage überschreitet trotz Modernisierungsmaßnahmen die Richtwerte der nationalen Luftqualitätsnormen weiterhin um 500 Prozent.11 Zudem ist vor kurzem bekannt geworden, dass das nationale Unternehmen jahrelang niedrigere Werte an die staatlichen Behörden weitergegeben habe, als es tatsächlich ausgestoßen hat. Auch das Centro de Salud Familiar und die lokale Krankenstation aus Tierra Amarilla bestätigen die hohe Umweltverschmutzung.
Was viele der BewohnerInnen zudem beschäftigt, ist die physische Instabilität der Stadt. In Abständen von wenigen Stunden bringen die Sprengungen in der Mine Candelaria die Erde zum Beben. Die ganze Stadt sei unterhöhlt, nachts könne man „[…] die Maschinen unter Tage arbeiten hören, direkt unter uns“, berichtet Juan, der am Rande von Tierra Amarilla wohnt (TB24). Wie viele andere BewohnerInnen erzählt auch Rocío von ihrem Haus, dessen Wände voller Risse seien, und gibt den Sprengungen unter Tage die Schuld: „Jede Sprengung fühlt sich an wie ein Erdbeben“, erzählt sie (TB16). Auch Daniela teilt diese Beschreibung: „Meine Kleine rennt immer zu mir und will auf den Arm, weil sie denkt es sei ein Erdbeben. Dann schau ich auf die Uhr und weiß, dass es nur eine Sprengung war. Meine Antonia hat besonders Angst vor Erdbeben, sie hat das große Erdbeben miterlebt, für sie ist es jeden Tag eine Qual“(TB06). Die Größe der Risse in den Wänden der meisten Häuser und auf den Straßen lassen auch das Tunnellabyrinth des Untertagebaus unter der Stadt erahnen. Der Regionaldirektor des Umweltministeriums (FS06) und die Umweltbeauftragte der Gemeinde Tierra Amarilla (TB08) bestätigen die hohe Einsturzgefahr ganzer Stadtteile, die durch die hohe Erdbebenfrequenz in Chile noch verstärkt werde. Immer wieder sinken ganze Gebiete ab. Ester und viele andere BewohnerInnen teilen diese Bedenken: „Irgendwann geht diese Stadt unter, spätestens beim nächsten Erdbeben bricht alles ein“ (TB07). Die MitarbeiterInnen vom Sernageomin, des Umweltministeriums (FS06, PS01) und des Bergbauministeriums geben an, selbst keine genauen Angaben und Informationen über das tatsächliche Ausmaß und den genauen Verlauf der Tunnelsysteme zu besitzen. Während die ersten beiden die durch den Untertagebau verursachte Problematik bestätigen, bestreitet der regionale Repräsentant des Bergbauministeriums, dass ein Tunnelsystem unter der Stadt verlaufen würde. Er gibt an, dafür auch wissenschaftliche Beweise zu besitzen und verweist auf eine nicht veröffentlichte Studie (Sergio Cornejo PS09). Ureta und Contreras (2021) haben die Kontroversen rund um das Tunnelsystem unter Tierra Amarilla genauer untersucht und ein über Jahrzehnte hinweg chaotisches und unübersichtliches, stark konzentriertes und überausgebeutetes Vorkommen unter der Stadt vorgefunden. Während das tatsächliche Risiko des Untertagebaus, der aus einem komplexen Tunnelsystem aus alten und neuen Schächten und Stollen besteht, also schwer abzuschätzen ist, zeigen Satellitenbilder deutlich, wie hoch das Risiko im Falle einer physischen (und chemischen) Instabilität der Tailingdeponien für die Kleinstadt wäre. Allein die Grube des Tagebaus von Candelaria ist deutlich größer als die Fläche der gesamten Stadt. Die Schlacke- und Tailingdeponien haben ein noch größeres Ausmaß und grenzen teilweise direkt an den Stadtrand an. Die Möglichkeit eines Dammbruchs durch ein Erdbeben, wie es in Las Palmas geschehen ist, oder durch andere Phänomene, wie die immer häufiger auftretenden schweren Überschwemmungen, erscheinen für viele BewohnerInnen bedrohlich.

7.2.2 Die Gesundheitsbelastung durch Tailings

Besonders die gesundheitlichen Konsequenzen des Bergbaus für die EinwohnerInnen werden schon seit Jahren – teilweise auch öffentlich – verurteilt. Nahezu alle Interviewten erzählen von eigenen Krankheiten oder den Krankheiten ihrer Kinder und Verwandten. Die häufigsten seien Atemwegserkrankungen, Laryngitis, Krämpfe, Allergien und Krebs (TB01, TB02, TB06, TB07, TB19, TB23). „Was hier fast alle haben, ist Krebs“, betont Carlos, der als Straßenfeger arbeitet, und fügt hinzu: „Viele haben das hier, auch junge Menschen. Bei mir nebenan wohnt eine junge Frau, die hat auch Krebs […] und meine einzige Schwester, die hatte auch Krebs, aber die ist vor zwei Monaten gestorben“ (TB01). Die Verbreitung der Krebserkrankungen bestätigt auch Ester „Wenn Sie mal nachfragen, hier haben alle Krebs, tausende Leute sind an Krebs erkrankt“ und fügt hinzu: „Ich bin 67 Jahre alt und hier geboren und aufgewachsen, ich habe alles, was Sie sich vorstellen können: Krebs, Diabetes, Bluthochdruck, Allergien. Allen hier geht es gleich“ (TB07). Auch Camilo klagt über seine eigene Gesundheit: „Ich selbst sehe zu, wie mein Haus zerbricht, aber nicht nur das, meine Gesundheit auch, ich habe Herzprobleme und starke Atembeschwerden“. Er erklärt: „die (Unternehmen) wissen ganz genau, dass sie uns vergiften und dass die Verschmutzung tödlich ist“ und fügt hinzu: „Ein Mensch, der hier geboren wird, hat mit 15 oder 18 Jahren schon Atembeschwerden“ (TB23).
Bei den angeführten Zitaten handelt es sich nur um einige Auszüge aus einer langen Liste genannter Krankheiten, die von den BewohnerInnen mit dem Bergbau und ganz besonders mit den Tailings und der Gießereianlage in Paipote in Verbindung gebracht werden. Die Schädlichkeit der Bergbauaktivitäten für die Gesundheit wird von allen Interviewten ausnahmslos als hoch eingestuft. Davon am schlimmsten betroffen seien die Kinder und die Älteren, erzählen die meisten. Diese Alltagserfahrung wird sehr gut daran deutlich, was uns Daniela im Interview mitteilt:
„Es ist fürchterlich. Schau mal, ich habe fünf Töchter und zwei davon haben schwere chronische Krankheiten. Sie haben eine akute Laryngitis und ständige Krämpfe. Bei den anderen kommt das auch häufig vor. Sie (sie zeigt auf ihre kleinste Tochter) ist heute z. B. krank aufgewacht, mit einem schweren Husten. Man spürt die Erde und den Staub in der Luft an den Zähnen und in der Lunge. Ich lasse meine Mädchen kaum noch raus gehen, weil die Luft zu schwer ist. Heute Morgen konnte man kaum atmen, der giftige Staub war besonders schlimm […] Außerdem wohnen wir hier ja wirklich direkt neben Candelaria. Wenn die Sprengungen losgehen, kriegen die Kleinen das direkt ab, sie Husten und nießen. Du wischst mit der Hand über die Oberflächen und alles ist voller Staub. Du putzt und in fünf Minuten ist wieder alles voll, überall, auch hier im Laden, auf den Maschinen, den Eiern, dem Brot. Schau dir das an (sie zeigt auf ein Brot) und das kommt grade frisch aus dem Ofen […] Das kommt alles vom Bergbau. Wer erzählt, der Bergbau sei nicht schädlich, kommt sicher nicht von hier […]. Meine Tochter, die so starke Probleme hat, habe ich ein Jahr nach La Serena geschickt, dort war sie kein einziges Mal krank […]. Sie kam zurück und sofort ging es wieder los, jetzt geht es nur noch mit Medikamenten“, Daniela (TB06).
Aber nicht nur der Staub und die Luftverschmutzung sind ein Problem für die Kinder (und Erwachsenen). Das Regionalbüro des Gesundheitsministerium hat in einer Untersuchung stark erhöhte Blei-, Arsen- und Quecksilberkonzentrationen bei Schulkindern nachgewiesen (andere Bestandteile wurden nicht untersucht), erzählt die Epidemiologin Valentina Castillo (FS04). Die Daten wurden allerdings nicht veröffentlicht. Für eine Erweiterung der Stichprobe oder Folgeuntersuchungen würde zudem die Finanzierung fehlen, meint Castillo. In den öffentlichen Medien wurden wiederum die Daten einer anderen Studie des Umweltministeriums preisgegeben, die nach den starken Überschwemmungen 2015 durchgeführt wurde, durch die die Tailings durch die Wassermassen in die Täler gespült wurden. In El Salado (diese Fallstudie betrifft auch Chañaral), Diego de Almagro und Tierra Amarilla wurden besonders hohe Schwermetallkonzentrationen in den Böden nachgewiesen. Die Ergebnisse wurden aber von der Regierung als harmlos für die Gesundheit der dort lebenden Bevölkerung eingestuft. In einem Fernsehinterview mit CNN Chile12 äußerte sich daraufhin der Toxikologe Dr. Andrei Tchernitchin (Präsident der Umweltabteilung der chilenischen Ärztekammer) zu dem Thema und widersprach dieser Einschätzung kategorisch. Er schätzt, die Regierung habe die Bevölkerung nicht erschrecken wollen, allerdings sei es in solchen Fällen sehr wichtig, die Wahrheit zu sagen, damit die Betroffenen sich besser gegen die Verseuchung schützen können. Besonders bei Kindern seien auch kurze Expositionen schon ausschlaggebend für schwere langfristige gesundheitliche Folgen. Dabei gäbe es sogenannte Fensterperioden (Periodos Ventana) die je nach Schadstoff in unterschiedlichen Momenten der kindlichen Entwicklung (zwischen 0 bis 5 Jahre, aber besonders in den ersten zwei Lebensjahren) zu einem imprinting, also einer hormonellen Störung führen können, die dann je nach Schadstoff langfristig wiederum unterschiedliche Organe oder Systeme betreffe. Das gleiche gelte auch für eine Exposition ungeborener Kinder während der Schwangerschaft, wodurch die Wahrscheinlichkeit der Entstehung bestimmter Krankheiten im Erwachsenenalter erheblich erhöht sei. Die Konsequenzen, der in Tierra Amarilla vorgefundenen Schwermetalle, seien laut Tchernitchin vielerlei: bei Arsen seien es typischerweise eine erhöhte Sterberate durch Bronchiektasie, geistige Behinderungen, eine verlangsamte kognitive Entwicklung und Immunschwäche. Bei Blei seien es starke intellektuelle Einschränkungen, stark verschlechterte schulische Leistungen, neuronal bedingte Verhaltensveränderungen und eine höhere Tendenz für kriminelles Verhalten sowie Unfruchtbarkeit. Dr. Tchernitchin erzählt zudem, er habe zusammen mit einem Team des Colegio Médico auch Proben in Copiapó, Tierra Amarilla und Chañaral genommen (siehe auch Cortés et. Al 2015), sowie eine jeweilige Vergleichsprobe an Stellen, an denen die Überschwemmung nicht stattgefunden hat, um einen Vergleichswert zu haben. Anschließend wurden diese Proben nicht nur auf ihre Konzentrationsmenge untersucht, sondern auch auf ihre Bioverfügbarkeit (dies zeigt an, welcher Anteil davon sich in der Magensäure auflösen würde und somit schnell in den Organismus gelangen kann). Die Ergebnisse seien sehr beunruhigend. Er könne sich nicht erklären, wie die staatlichen Behörden diese als unbedenklich eingestuft haben. Auf die Frage der Moderatorin hin, ob er denke, es handle sich um politische Interessen hinter diesen Ergebnissen, meint er, es seien parteiübergreifende Interessen, weil eine Lösung dieses Problems viel zu teuer sei: „sie denken sich, wir können ja nicht die Hälfte der chilenischen Haushaltsgelder in die Lösung eines einzigen Problems stecken und versuchen dann auf diese Weise Geld einzusparen“, so Dr. Tchernitchin im Fernsehinterview. Wenn es wiederholt zu einer derartig großflächigen Ausbreitung der Schadstoffe käme, seien die Sanierungskosten allerdings langfristig viel höher. Je später der Eingriff, desto größer die späteren Behebungskosten. Eine baldige Lösung und eine lückenlose Regulierung der Tailings seien deshalb essenziell, so Tchernitchin.
Interviewanfragen an MitarbeiterInnen staatlicher lokaler Gesundheitseinrichtungen und Behörden zu dem Thema der Folgen der Überschwemmungen im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden allesamt verweigert. In unterschiedlichen Interviews mit MitarbeiterInnen des Regionalbüros des Gesundheitsministeriums in Copiapó (FS02, FS03, FS04) wurde die Verseuchung von Tierra Amarilla allerdings mehrmals bestätigt (meistens unter Vorbehalt). Dies sei laut Bernardo auch unter den BewohnerInnen bekannt: „Alle wissen was hier los ist, das ist im Bewusstsein der meisten. Manche verstehen es aber nicht. Sie sagen, ich werde in Tierra Amarilla leben, weil ich hier mehr Geld verdienen kann, aber sie haben nicht ausgerechnet, wie viel weniger sie dadurch leben werden, das ist doch die Wahrheit […]. Das wissen sie auch in den Arztpraxen, aber sie dürfen nicht darüber reden“ (Bernardo TB02).

7.2.3 Die ökologischen und ökonomischen Konsequenzen des Bergbaus

Der Bergbau hat nicht nur auf die Gesundheit der Menschen, sondern auch auf die umliegenden Ökosysteme und andere wirtschaftliche Aktivitäten erhebliche Auswirkungen. So ist der Namensgeber des Tals – der Fluss Copiapó – seit einigen Jahren unter anderem aufgrund des hohen Wasserbedarfs des Bergbaus und der Landwirtschaft zu einem kleinen Bach geschrumpft, der im Sommer gänzlich verschwindet. Viele der Interviewten erzählen von dem großen Fluss, der üppigen Vegetation und der florierenden Landwirtschaft, die bis vor einigen Jahren in Tierra Amarilla vorzufinden gewesen seien. Bei heutigem Anblick scheint dies unvorstellbar. Soweit das Auge reicht, ist die Landschaft gleichmäßig braun, trocken und staubig. Der Wassermangel hat im Laufe der Zeit dazu geführt, dass die Wasserrechte auf Kosten der Land- und Subsistenzwirtschaft sowie des Haushaltskonsums größtenteils von Bergbauunternehmen, die in Tierra Amarilla oder talaufwärts aktiv sind, aufgekauft wurden.
„Hier gibt es kein Wasser, deswegen wird hier auch kaum selbst angebaut“, erzählt Margarita (TB19), das sei früher ganz anders gewesen. Es gab neben der großen Landwirtschaft auch noch viele Kleinbauern, die im nördlichen Bereich der Stadt ihre Anbauflächen hatten. Vor einigen Jahren seien allerdings Tailings in das Gießwasser der lokalen Kleinbauern eingedrungen und hätten es gänzlich kontaminiert. Das Gießwasser sei plötzlich schwarz und voller Bergbauschlacke gewesen, berichtet Guillermo, ein Anwohner und Bergbauarbeiter, und beteuert: „Die Kleinbauern und die Landbesitzer dort hat es schwer getroffen“, viele Flächen seien heute noch kontaminiert (TB12). Aber auch die große Landwirtschaft habe Probleme, so Margarita: „Hier ist die Tailingdeponie und direkt daneben die Trauben […] da kommt viel von der Verschmutzung bei den Traubenanbauten an“ (TB19). Erschwerend komme hinzu, dass die durch Tailingdeponien neu entstandenen „Berge“ der Stadt viele Sonnenstunden nehmen (Juan TB24, siehe Abbildung 7.3). Das habe auch Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Das Leitungswasser sei zudem verunreinigt und extrem teuer, man könne es außerdem nur zum Waschen und Spülen nutzen, berichten Rocío (TB16) und Camilo (TB23). Aufgrund des schlechten Leitungswassers müsse die Bevölkerung das Trinkwasser kaufen, was wiederum sehr teuer sei, erzählen sie. „Wer kein Geld hat, um Wasser zu kaufen, hält seinen Mund und trinkt Leitungswasser, aber die meisten hier versuchen, welches zu kaufen“, fügt der Ladenbesitzer hinzu (Camilo TB23). Durch die großen Überschwemmungen in den Jahren 2015 und 2017 seien die Böden und das Wasser nun endgültig verseucht, dabei seien die ganzen Chemikalien und Schwermetalle der umliegenden Bergwerke und Tailings in die Kleinstadt gespült worden, erzählen fast alle BewohnerInnen.
Die Landwirtschaft, die lokalen Ökonomien und die Subsistenzwirtschaft haben in Tierra Amarilla besonders durch den Wassermangel erheblich an Bedeutung verloren. Das hat wiederum erhebliche Konsequenzen für den Arbeitsmarkt, da andere Arbeitgeber, wie etwa die großen landwirtschaftlichen Betriebe, langsam verschwinden (viele der ehemaligen Felder und Weinreben entlang des Tals liegen heutzutage brach) und die Verdrängung der Subsistenzwirtschaft die Abhängigkeit der Bevölkerung von nicht-landwirtschaftlichen Einkommensquellen erhöht hat. Außer dem Bergbausektor bleiben vor allem der Einzelhandel und ein Dienstleistungssektor, die wiederum indirekt stark vom Bergbau abhängen. Margarita, eine Ladenbesitzerin, erzählt über ihr Geschäft: „Man kann kaum noch davon leben, das Geschäft läuft immer schlechter. Früher gab es hier weit und breit kein anderes Lebensmittelgeschäft, jetzt ist hier eins an jeder Ecke. Alle machen jetzt ihr eigenes Geschäft auf, weil es nichts anderes mehr gibt. Früher konnte man hier viel Geld verdienen“ (TB19). Außer diejenigen, die einen Arbeitsplatz direkt bei Candelaria haben, handelt es sich um eine zunehmend verarmte Gemeinde. Auch Ureta und Contreras (2021) bestätigen in ihrer Forschung zu Tierra Amarilla diese Tendenz zu einer breiten sozio-ökonomischen Verarmung und diagnostizieren eine generealisierte Prekarität.

7.2.4 Die Internalisierung externer Kosten in der Wahrnehmung der Betroffenen

Der Kupferabbau an Orten wie Tierra Amarilla ist u. a. durch die Einbindung dieser Unternehmen in große Handels- und Güterketten und deren Absicherung durch Freihandelsabkommen, internationale Schiedsgerichte und internationale Abhängigkeitsbeziehungen abgesichert (siehe Kapitel 5). Dass die sozialen und ökologischen Kosten, die in Tierra Amarilla anfallen, ihre Ursache größtenteils in den Geschäftspraktiken ausländischer Unternehmen und der Rohstoffzufuhrsicherung anderer Länder haben, ist auch für viele der BewohnerInnen offensichtlich. Einige unter ihnen, wie Bernardo (TB02), unterscheiden deshalb klar zwischen aus ihrer Sicht legitimen nationalen Interessen und denjenigen der multinationalen Großkonzerne: „Umweltprobleme gibt es hier viele. Da ist zwar Paipote, aber darüber werden wir jetzt nicht viel sprechen, weil das ein nationales Unternehmen ist. Das ist unser Unternehmen. Aber wir werden jetzt mal über Unternehmen wie Candelaria sprechen, das sind transnationale Unternehmen“ und er fährt fort: „Paipote ist auch ein Problem, aber wie gesagt, ich würde das Unternehmen ein bisschen verteidigen, weil wir (Chilenen) immerhin davon leben. Aber die anderen, die greifen uns doch nur an […] die großen Unternehmen vor Ort schütten uns den ganzen Schutt und die Tailings direkt vor die Füße“. Francisca und Elena (TB21) erklären, dies sei nur möglich, weil es vom Staat aus geduldet werde, besonders was die fehlenden Regulierungen anbelangt. „Die chilenischen Gesetze sind ganz anders als die internationalen. Wenn man sich mal die Arbeit macht, das genauer anzuschauen, die chilenische Umweltregulierung z. B. mit der europäischen oder der der USA zu vergleichen, die haben alle bessere Umweltregulierungen als wir […]. Die Unternehmen kennen unsere Gesetze und legen sie so aus, dass sie innerhalb der Norm sind“. (TB21). Auch Rocío bestätigt die Unterstützung der Großkonzerne durch den Staat: „Wir akzeptieren die Verschmutzung, weil wir keine andere Wahl haben, es gibt einfach keine Lösung […]. Wir können da nichts tun. Ein Bergbauunternehmen, das so viel Geld macht, wird niemand schließen“, erklärt sie und bringt ihre Eindrücke auf den Punkt:
„Im Grunde kommen sie her, verschmutzen die Umwelt, nehmen unsere Reichtümer mit, hinterlassen uns ein riesiges Loch, irreversible Lungenschäden und eine ganze Reihe an späteren Krankheiten, die dann auf uns zukommen und dann kriegen wir nicht einmal einen Job. Sie stellen einige vorübergehend ein, damit sie den Mund nicht aufmachen, aber bald werden sie wieder entlassen“ (TB16).
In diesem Zitat wird präzise die Wahrnehmung dargestellt, dass die Bevölkerung von Tierra Amarilla die externalisierten Kosten der ausländischen Bergbauindustrie tragen muss, während sie selbst kaum einen Nutzen daraus ziehen können.

7.3 Widerstand und Fatalismus in Tierra Amarilla

„… dagegen kann man nicht viel machen,
da kommt einfach zu viel Metall raus“
– Carlos (TB01)
Tierra Amarilla wird von Umweltorganisationen zu den sogenannten Opferzonen (zonas de sacrificio) gezählt und kämpft immer wieder um die offizielle Anerkennung als solche, mit der Hoffnung, auf diese Weise staatliche Lösungen zu bekommen, wie die Gemeindemitarbeiterin Alejandra Castillo erzählt (TB08). Bis Ende 2013 bestand der Widerstand der Bevölkerung gegen die Umweltverschmutzung der Bergbauunternehmen vorwiegend in vereinzelten Protestaktionen sowie Forderungen von Nachbarschaftsorganisationen (juntas de vecinos), die besonders gegen das internationale Unternehmen Candelaria und das nationale Unternehmen ENAMI (in Paipote) gerichtet waren. Sie erhielten allerdings kaum Aufmerksamkeit der Medien oder seitens der nationalen Zivilgesellschaft und wurden meistens auf direktem Weg durch die Entschädigung einzelner Betroffener ruhiggestellt (siehe hierfür Abschnitt 7.7).
Mit dem Amtsantritt von Osvaldo Delgado als Bürgermeister von Tierra Amarilla im Jahr 2012 hat sich diese Situation schlagartig geändert. Der neue Bürgermeister, der vorher schon in diesem Amt seinen Bruder vertreten hatte, nahm sich dem Thema der Umweltverschmutzung und besonders der Tailings in Tierra Amarilla an und reichte am 16. Dezember 2013 im Namen der Gemeinde eine Klage gegen das Unternehmen Candelaria beim chilenischen Umweltgericht (Tribunal Ambiental) ein.13 Er gab zudem Interviews im Fernsehkanal CNN Chile sowie in mehreren nationalen Tageszeitungen, um auf die Missstände in Tierra Amarilla aufmerksam zu machen. Nach einer kurzen Phase der durch den Bürgermeister hervorgerufenen öffentlichen Sichtbarkeit der Missstände in Tierra Amarilla während des Jahres 2014, ebbte diese 2015 allerdings abrupt wieder ab. Überraschenderweise wurde 2015 das Gerichtsverfahren gegen das Unternehmen eingestellt und es kam zu einer Einigung zwischen Candelaria und der Gemeinde. Gegen Zuschüsse in der Höhe von 40 Millionen US-Dollar innerhalb der darauffolgenden zehn Jahre14 nahm die Gemeinde ihre Anschuldigungen gegen das Unternehmen zurück und verkündete öffentlich es gäbe keine Umweltschäden durch das Unternehmen. Ohne diese Aufhebung der Anklage hätte Candelaria auch die Verlängerung der Kupferförderungsgenehmigung bis 2030 nicht erhalten können, die ihr im Anschluss gewährt wurde. Eine weitere Zahlung des Unternehmens in der Höhe von sieben Millionen US-Dollar, die in dem Moment nicht öffentlich bekannt gemacht wurde, sorgte später für einen bis heute anhaltenden Prozess wegen Bestechung gegen die an der Verhandlung beteiligten Akteure (siehe hierzu Abschnitt 7.8).15
Die bestehenden Umweltprobleme in Tierra Amarilla wurden allerdings nie behoben und laut Aussagen der interviewten BewohnerInnen wurden die an die Gemeinde ausgezahlten Gelder nicht in Sozial- oder Infrastrukturprojekte vor Ort investiert. Trotzdem kam es – außer vereinzelter punktueller Forderungen von juntas de vecinos – nie wieder zu einem offenen Konflikt zwischen der Bevölkerung und dem Unternehmen. „Die Leute hier haben schon viel versucht, Proteste und Märsche, aber es passiert einfach trotzdem nichts“, meint Carlos (TB01). Auch Camilo sieht das ähnlich: „Wir müssen das jetzt so akzeptieren. Hier haben sich schon viele beschwert, aber am Ende passiert nichts“ (TB23). Die Menschen seien „sehr müde und verärgert“, erzählt auch Daniela (TB06), sie hätten schon so viele Treffen organisiert, besonders wegen den Rissen in den Häusern, aber nie würde etwas passieren. Diesen Schilderungen schließt sich auch Ester an (TB07). Auf die Frage hin, ob es in den letzten Jahren noch weitere Umweltskandale oder Konflikte gegeben habe, antworte Rocío: „Soweit ich weiß nicht, aber sie wissen ja, mit Geld vertuscht man alles, so funktioniert das hier“. Besonders das Misstrauen gegenüber staatlichen Behörden und anderen Organisationsformen – wie den juntas de vecinos – wird von den meisten als Grund dafür genannt, warum sie sich nicht weiter organisieren (siehe Abschnitt 7.6). Damit ist allerdings noch nicht ausreichend erklärt, warum der hohe Leidensdruck der meisten, die oben beschriebenen Missstände und das vorhandene Wissen über die Ursachen dieser Missstände seitens der Betroffenen sowie der von ihnen geäußerte Unmut, in Tierra Amarilla nicht zu einem offenen Konflikt führen. Die folgenden Abschnitte widmen sich der Beantwortung dieser Frage.

7.4 Die territoriale Macht von Candelaria

Der große Einfluss von Candelaria in Tierra Amarilla beruht hauptsächlich auf der starken Abhängigkeit der dort lebenden Bevölkerung vom Unternehmen und insbesondere der territorialen Macht des Unternehmens. Unter territorialer Macht wird der Einfluss eines Unternehmens über die ökologischen Kreisläufe und sozialen Prozesse in einem bestimmten Gebiet gefasst (Landherr & Graf 2017, 2022). Die territoriale Macht großer extraktivistischer Unternehmen wird in Chile durch den zentralisierten und auf lokaler Ebene abwesenden Staat (siehe Abschnitt 7.6) sowie durch flexible bzw. teilweise inexistente Arbeits- und Umweltregulierungen begünstigt (siehe Kapitel 5). In der Opferzone Tierra Amarilla bedeutet dies erstens, dass sich Unternehmen wie Candelaria über die Jahre die grundlegenden natürlichen Ressourcen aneignen konnten. Dazu gehört neben der großen Grube des Tagebaus und der direkten Umgebung auch der komplette Untergrund der Kleinstadt, der hauptsächlich von Candelaria konzessioniert wurde. „Dieses Grundstück gehört uns“, erklärt Francisca, die in Tierra Amarilla ein Lebensmittelgeschäft betreibt (TB21), „aber schon zwei bis drei Meter weiter unten ist es konzessioniert und gehört Candelaria.“ Ähnlich ist es bei der Ressource Wasser. Die große Wasserknappheit wird dadurch verschärft, dass die Wasserrechte im Tal von den Bergbauunternehmen aufgekauft wurden. Große landwirtschaftliche Betriebe wurden auf diese Weise von den Bergbauunternehmen aufgekauft, um an deren Wasserrechte zu gelangen, und liegen seitdem brach. Die kleinere Land- und Subsistenzwirtschaft ist – wie schon erwähnt – ohne eigenen Zugang zu Wasser nicht mehr überlebensfähig. Diese Zerstörung lokaler Ökonomien und Lebensgrundlagen verschärft die Tendenz zur Ausrichtung der gesamten Produktion auf einen Sektor in den Händen weniger Unternehmen, allen voran Candelaria. Die Aneignung der ökologischen Ressourcen durch den Bergbau konzentriert die Arbeitsmärkte und -möglichkeiten bei diesen wenigen Unternehmen und verfestigt die Abhängigkeit der BewohnerInnen. In Bergbaustädten wie Tierra Amarilla dominieren die Bergbaukonzerne den lokalen Arbeitsmarkt vollständig. Während Großunternehmen wie Candelaria ihre fest angestellten und höher qualifizierten Arbeitskräfte, wie oben dargestellt, oftmals von außerhalb rekrutieren, bleiben den BewohnerInnen vor Ort in der Regel nur die schlechter bezahlten Arbeitsplätze bei Subunternehmen. Die meisten anderen Geschäftszweige sind größtenteils auch vom Bergbau abhängig. Das gilt nicht nur für Tierra Amarilla, sondern für die gesamte Region. So ist der Bergbau in Atacama – laut Unternehmerverband – für 37 Prozent der gesamten Wirtschaftstätigkeiten auf direkte und auf indirekte Weise für 54 Prozent der Beschäftigung verantwortlich (Consejo Minero 2020: 56 f.). Eine zweite Form der territorialen Macht von Candelaria – neben derjenigen über die ökologischen Ressourcen – besteht folglich in seiner Dominanz in der lokalen Wirtschaft, was sich im vorliegenden Fall vor allem in dessen großer Bedeutung bezüglich der Arbeits- und Zuliefermärkte ausdrückt.

7.4.1 Der lokal abwesende Staat und die unternehmerische Sozialpolitik

Neben der Kontrolle von und der Macht über ökologische Ressourcen und die lokalen und regionalen Wirtschaftsaktivitäten ermöglicht die Prekarität der öffentlichen Institutionen den Großunternehmen eine bedeutende Einflussnahme auf die lokalen sozialen Infrastrukturen. Dies hat vor allem mit der mangelhaften Finanzierung und in vielen Fällen der vollständigen Abwesenheit eines Sozialstaates zu tun. Alle interviewten BewohnerInnen sind sich einig, dass die staatlichen Leistungen von Gesundheit über Bildung bis hin zu kulturellen Angeboten in Tierra Amarilla mangelhaft sind. „Ein richtiges Krankenhaus gibt es hier immer noch nicht, und die Krankenstation hat nie genügend Medikamente oder Ärzte, geschweige denn Spezialisten“, sagt Camilo (TB23). Sie beklagen auch die mangelnde Expertise der ÄrztInnen, was vom Bergbau verursachte Gesundheitsprobleme angeht. „Im staatlichen Gesundheitssystem sind sie nicht für diesen Ort ausgebildet, man kriegt immer die gleiche Diagnose und am Ende landet man immer in Copiapó.“, schildert Daniela (TB06). Mit der Bildung sei das auch so, erklärt sie: „Die Schule meiner Tochter musste jetzt geschlossen werden – aus Hygienegründe –, weil es dort Ratten gab. Und dass, obwohl wir hier Candelaria haben und die uns angeblich alles finanzieren“ (TB06). Sie erzählt, ihre älteste, mittlerweile volljährige Tochter sei auch auf diese Schule gegangen und in ihrer Schulzeit sei es oft zu Gewaltsituationen gekommen. Sie schildert Vorfälle mit Schusswaffen, Missbrauchsfälle und Drogenkonsum. „Teilweise gab es da nicht einmal genügend Stühle für alle. Als wir das dann öffentlich gemacht haben, waren sie plötzlich da […]. Das Geld dafür gibt es also und Candelaria zahlt immer mal wieder, aber es versickert in der Gemeinde und den Behörden“ (TB06). Die Menschen fühlen sich vom Staat im Stich gelassen und von den lokalen Behörden hintergangen. Während die Gemeinde (regierungs- und parteiübergreifend) den Ruf hat, sich die zivilgesellschaftlich erkämpften Gelder und Entschädigungen von Candelaria selbst anzueignen und generell korrupt zu sein, werden die direkten Investitionen und Aktionen des Unternehmens vor Ort im Vergleich eher positiv bewertet. Dem Unternehmen gelingt es, sich als sozialer Akteur zu positionieren und als Helfer in Notfallsituationen zu inszenieren. Der strukturell abwesende chilenische Staat verhilft somit indirekt dem Unternehmen zu seiner sozialen Omnipräsenz, indem dieses eine quasi-staatliche Rolle einnehmen kann: „Candelaria ist hier das Unternehmen, das richtig Geld hat, wir hören eigentlich nur von Candelaria, ständig, viel Hilfe kommt von Candelaria“, sagt Margarita (TB19).
Ein Paradebeispiel für die unternehmerische Sozialpolitik boten die schweren Überschwemmungen, die sich 2015 und 2017 im Norden Chiles ereigneten und bei denen auch Tailings in die Stadt gespült wurden. „Tierra Amarilla wurde vom Staat immer links liegen gelassen, nach den Überschwemmungen war das noch schlimmer, wir haben nie staatliche Hilfe bekommen“, bestätigt Ester (TB07). In der Gemeinde von Tierra Amarilla stellte Candelaria seine Maschinen zur Verfügung, um die Straßen zu reinigen, besorgte einen Rettungshubschrauber für die Bergungsarbeiten und baute sogar Sozialbauten für diejenigen, die durch die Fluten ihre Häuser verloren hatten. Während verschwiegen wurde, dass sich in Nantoco, wo die neuen Sozialbauten entstanden, auch alte giftige Tailings befinden, dokumentierte das Unternehmen all die Hilfestellungen und verarbeitete sie anschließend in Werbevideos als Nachweis für seine unternehmerische Sozialpolitik. So gelang es dem Unternehmen, sich in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr als Teil der Ursache der Verseuchung, sondern als Wohltäter zu inszenieren. Auch während der Corona-Pandemie schmückte sich Candelaria mit der Anschaffung von (vier) Atemgeräten für das regionale Krankenhaus in Copiapó. Viele Bildungsangebote und kulturelle Events sowie Fußballstadien und -clubs, Parks und Freizeitangebote wie etwa das frisch renovierte Schwimmbad bekommen zudem Zuschüsse des Unternehmens.16 Der Name Candelaria wird dabei jeweils einprägsam und gut sichtbar auf Schildern und Tafeln angebracht. Das Unternehmen besitzt auch einen Teil der lokalen Medien – darunter einen Radio- und Fernsehsender sowie Printmedien –, ist in den sozialen Medien aktiv und betreibt einen eigenen YouTube-Kanal. Während das Tal von Tierra Amarilla von zivilgesellschaftlichen Organisationen als Opferzone eingestuft wird, stellt sich Candelaria so als modernes Vorbildunternehmen des „green mining“ dar.
Der Einfluss des Unternehmens auf die umliegenden Gebiete und besonders auf die Kleinstadt Tierra Amarilla geht damit auch weit über die Anwendung klassischer Corporate Social Responsibility Policies (CSR) hinaus. Da letztere vom Unternehmen besonders strategisch sichtbar durchgeführt werden, um das Image des Unternehmens aufzubessern, werden sie größtenteils in der einwohnerstarken Regionalhauptstadt Copiapó angewendet, während die Bevölkerung aus Tierra Amarilla hauptsächlich die sozialen und ökologischen Kosten zu tragen hat. Das Unternehmen weiht – unter großer medialer Aufmerksamkeit – Schwimmbäder, Parks, Kultureinrichtungen und Sportclubs vor Ort ein, bei deren Finanzierung sie beteiligt waren oder bietet Veranstaltungen und Weiterbildungskurse für die Bevölkerung an. Gleichzeitig sind aber die Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen oder die Grundversorgung der Bevölkerung (etwa mit Trinkwasser) wie schon beschrieben, von dieser Unterstützung ausgeschlossen oder von besonders schlechter Qualität.17
Die CSR-Politik des Unternehmens in Tierra Amarilla macht zugleich die Abwesenheit des Staates noch deutlicher. Das Unternehmen übernimmt staatliche Funktionen an den Orten, wo der Staat sich zurückgezogen hat, tut dies aber vollkommen unzureichend, da die Maßnahmen vor Ort nicht auf die Lösung der grundlegenden Probleme der Bevölkerung ausgerichtet sind. In Copiapó wiederum werden dafür ganze Universitäten vom Unternehmen (teil)finanziert –darunter auch die Universidad de Atacama, die größte und wichtigste der Region–, Krankenhäuser werden mit Zuschüssen und hochwertigem Equipment ausgestattet (bspw. Beatmungsgeräte für Corona-Patienten), kleine und mittlere Unternehmen durch Förderprogramme unterstützt (bspw. durch das Programa Inventa Comunidad) oder Stipendien an Studenten vergeben (Beca Minera Candelaria).18
Candelaria selbst stellt sich in den traditionellen und sozialen Medien als Vorzeigeunternehmen und Pionier in Sachen Umweltschutz und Sicherheit der ArbeiterInnen dar. Auf dem eigenen YouTube-Kanal (Canal Candelaria) werden die einzelnen Veranstaltungen und Aktionen dokumentiert und verbreitet. Zu jeder Einweihung, Veranstaltung oder Festlichkeit gibt es ein aufwändig produziertes Video, das glückliche TeilnehmerInnen und die Großzügigkeit des Unternehmens zeigen. Besonders stolz präsentiert das Unternehmen seine neue Entsalzungsanlage, durch die das Unternehmen in eigenen Worten eine „nachhaltige Wasserquelle“ in ihrem Produktionsprozess nutzt.19 Auch über die (Katastrophen-)Hilfe des Unternehmens nach den Überschwemmungen in den Jahren 2015 und 2017 wird in den Nachrichten und der lokalen Presse sowie in Werbevideos von Candelaria ausführlich berichtet.20 Über die Tailings und andere Quellen der Umweltbelastung vor Ort wird von Seiten des Unternehmens allerdings kaum gesprochen. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Interviews des Unternehmens mit „ExpertInnen“, die die technischen Innovationen des Unternehmens erklären, von der Wiederverwendung des Wassers im Produktionsprozess über Recycling bei der Herstellung der Maschinen bis hin zum Kauf von zwei elektrisch betriebenen Bussen zum Transport der ArbeiterInnen.
Das kulturell, ökonomisch und sozial aktive Unternehmen wird von vielen BewohnerInnen auf diese Weise als omnipräsent, unantastbar und unbesiegbar angesehen. Die territoriale Macht von Candelaria umfasst sämtliche Bereiche ihres Lebens. Das offensichtliche Ungleichgewicht zwischen dem Einfluss eines weltweit agierenden Großunternehmens und der lokalen Bevölkerung führt daher auch zu breiter Resignation: „Das Einzige, was uns bleibt, ist wegzuziehen. Du wirst nie gegen Candelaria ankommen, sie haben schon den ganzen Boden kurz vor dem Durchbruch, und ihnen gehört alles. Wenn du von oben auf Tierra Amarilla schaust, siehst du Candelaria und alles ist Candelaria, wir sind für sie so etwas wie der Stein im Schuh, der stört“ (TB06), meint Daniela.
Keinesfalls gelingt es Candelaria mit ihrer Politik der unternehmerischen Sozialverantwortung allerdings, den latenten Konflikt vollständig ruhigzustellen. So äußert sich Rocío sehr kritisch zur unternehmerischen Sozialpolitik (TB16): „Das machen sie vor allem, damit die Leute nicht reden, um uns zum Schweigen zu bringen.“ Daniela (TB06) sieht das ähnlich:
„Wir organisieren uns in der junta de vecinos. Vor kurzem haben wir mit Candelaria gesprochen, da sind extra Leute von Candelaria hergekommen. Sie haben versprochen, uns 150 Millionen US-Dollar zu zahlen, also der Stadt, aber eben nur, um die Stadt herzurichten und zu verschönern. Wir aber werden weiterhin an Krebs, Asthma und allem möglichen sterben […]. Sie bieten nicht an, das Problem zu lösen, sondern Tierra Amarilla zu verschönern, aber wir, die Menschen, wir sterben weiter […]. Sie kleben nur ein Pflästerchen drüber. Und sie wissen, dass wir ein schlechtes Gedächtnis haben, wir sind wie kleine Kinder: sie geben uns einen Lutscher und wir vergessen kurzzeitig, dass sie jeden Tag weiter sprengen werden. Und so wars jetzt auch. Nachdem sie hier waren, haben sie gleich angefangen öfter zu sprengen […]. Diese Lutscher-Politik machen sie ständig: „Minera Candelaria hat 80 Trikots für Villa Ojanco gespendet“ „Oh Candelaria ist so toll“. Dann sind wieder fünf Alte glücklich, während immer noch massenweise Kinder krank sind“.
Die BewohnerInnen geben zwar an, teilweise von den Maßnahmen vor Ort zu profitieren, sehen sie aber gleichzeitig als reine Imageaufwertung und „Pflästerchenpolitik“ des Unternehmens an und kritisieren die fehlende tatsächliche Hilfe in ihrem Alltag und bei der Lösung ihrer dringlichsten Probleme. Trotzdem bewerten sie diese als größere Hilfe als jene, die von staatlichen Behörden kommt und sehen das zentrale Problem darin, dass die Gelder des Unternehmens durch Abkommen wie das Convenio Minera Candelaria y Municipalidad de Tierra Amarilla nicht direkt an die Bevölkerung gelangen. Das eigentliche Problem seien demnach die korrupten LokalpolitikerInnen (siehe Abschnitt 7.6). Zudem befindet sich die Bevölkerung gegenüber den Bergbauunternehmen teilweise in einem starken Interessenskonflikt, wie im folgenden Abschnitt dargestellt wird.

7.5 Streben nach der peripheren imperialen Lebensweise: Interessenkonflikte der BewohnerInnen und die Bindung an den Arbeitsplatz

Die Gemeindemitarbeiterin Alejandra Castillo (TB08) schildert, die Gemeinde Tierra Amarilla stehe in einem „symbiotischen Verhältnis zum Bergbau“. Weil sich viele BewohnerInnen einen Arbeitsplatz im Bergbau wünschen, bestünde ein allgemein verbreiteter Interessenkonflikt, zwischen Ablehnung des Bergbaus und den Sorgen um gesundheitliche Risiken und der Hoffnung auf die Partizipation an der Wertschöpfung des Bergbaus. Viele sind wirtschaftlich von dieser Branche abhängig. Entweder arbeiten sie selbst oder ein Familienangehöriger direkt im Bergbau oder sie hängen indirekt ökonomisch von dem Sektor ab: „In Tierra Amarilla dreht sich alles um den Bergbau. Wir haben eine Bergbauidiosynkrasie“ erklärt Castillo (TB08). Die meisten der BewohnerInnen seien wegen des Bergbaus nach Tierra Amarilla gekommen. „Diese Unternehmen, die so viel kontaminieren und uns so viel Schaden zufügen, sind die gleichen, die die Arbeitsplätze mit der größten Stabilität und den höchsten Löhnen anbieten. Auf der einen Seite berauben sie uns unserer Lebensqualität und auf der anderen bieten sie die besten und sichersten Arbeitsbedingungen. Das führt auch zu Konflikten zwischen den Familien, die gegen die Unternehmen sind und denjenigen, die sie unterstützen“ (TB08). Insgesamt würden die Unternehmen ihrem Versprechen, vorzugsweise lokale Arbeitskräfte anzuheuern, allerdings kaum nachgehen, berichtet die Gemeindemitarbeiterin.
Während die BewohnerInnen, die umliegenden Tailings größtenteils als Gefährdung für ihre Gesundheit und ihre Umgebung wahrnehmen, sind sie gleichzeitig in vielerlei Hinsicht von den Unternehmen, die diese produzieren, abhängig. „Ich glaube es kann hier keine Lösung geben, weil Tierra Amarilla für seinen Bergbau lebt, es existiert dafür, für die großen Unternehmen…sehen Sie sich die Umgebung an […]. Stellen Sie sich vor, man würde Candelaria schließen. Am Bergbau hängen hier zu viele Arbeitsplätze […] sogar hier für meinen Laden hätte das Konsequenzen, wenn die Arbeiter nicht mehr kommen. Wir alle hier hängen wirtschaftlich irgendwie vom Bergbau ab“ (Camilo TB23). Das zwiegespaltene Verhältnis der BewohnerInnen zur Anwesenheit der Unternehmen in Tierra Amarilla wird von fast allen Befragten geteilt. Die Spannbreite reicht dabei allerdings von denjenigen, die sich selbst oder Familienmitglieder gesundheitlich beeinträchtigt fühlen und die Umweltschäden stark verurteilen, bis hin zu den festangestellten ArbeiterInnen im Großunternehmen Candelaria, die stark an ihrem Arbeitsplatz hängen und den Bergbau weitestgehend rechtfertigen. Gleichzeitig fühlen sich letztere teilweise als „Mitverursacher“ der Umweltschäden und äußern ein schlechtes Gewissen. Andererseits wohnen die direkt im Bergbau beschäftigten ArbeiterInnen größtenteils nicht vor Ort und sind auf diese Weise nicht selbst von der durch den Bergbau verminderten Lebensqualität betroffen. Sie sind gleichzeitig diejenigen Akteure, die den größten Druck auf das Unternehmen ausüben könn(t)en. Dies hat sich bei den Streiks im Oktober 2020 gezeigt. Die Gewerkschaften hatten es geschafft, für einige Wochen das ganze Bergwerk stillzulegen. Vom Streik waren auf diese Weise auch all jene ArbeiterInnen in Subunternehmen und Zulieferunternehmen sowie jene, die nicht der Gewerkschaft angehörten, betroffen. Das Ausmaß und die Länge des Konflikts zwischen ArbeiterInnen und Unternehmen haben den damaligen Bergbauminister Baldo Prokurica dazu veranlasst, das Unternehmen zu speziellen Bemühungen aufzufordern, „da der Bergbau von besonderer Relevanz für die Region Atacama“ sei.21
Meist erlangen die ArbeiterInnen durch eine Festanstellung in einem großen Bergbauunternehmen zwar kein Leben im Luxus, allerdings eine gewisse Sicherheit, monetäre Einkommen über dem Durchschnittsniveau, eine Krankenversicherung sowie gute Gesundheitsversorgung und die Möglichkeit, die eigenen Kinder an gute Schulen und später an die Universität zu schicken – wie drei Beschäftigte von Candelaria im Interview schildern (TA01, TA02, TA03).
Der Zwiespalt zwischen der möglichen Teilhabe an der peripheren imperialen Lebensweise und der Externalisierung sozialökologischer Kosten durch den Bergbausektor, der wiederum diese Teilhabe für die ArbeiterInnen ermöglichen könnte, wird in den Interviews mit den bei Candelaria fest angestellten ArbeiterInnen deutlich. „Wir arbeiten“, sagt Jaime, „in dem Sektor, der die Umwelt am meisten verschmutzt und wir sind da überhaupt nicht stolz drauf, aber gleichzeitig konnte ich dadurch meine Kinder großziehen und es hat mir erlaubt, gut über die Runden zu kommen“ (TA01). Die Arbeit im Bergbau sei zwar nach wie vor durch eine starke Identifizierung mit dem Beruf gekennzeichnet, aber auch durch starke Belastungen, Alkoholismus und Suizidgedanken, erzählt er weiter (TA01). Das Einzige, womit sie keine Probleme hätten, fügt Danilo hinzu, sei Geld (TA03). Der Widerspruch zwischen ökonomischen Interessen und sozialem sowie ökologischem Bewusstsein wird dabei offen von den drei Arbeitern angesprochen. Andrés drückt es bildlich aus: „Wir sprengen täglich riesige Löcher in die pachamama (Mutter Erde)“ (TA02).
Jaime, Andrés und Danilo wollen ihre Beschäftigung im Bergbau zwar unbedingt behalten, fühlen sich aber gleichzeitig unter einem ständigen Rechtfertigungsdruck. Obwohl sie um die ökologischen und sozialen Probleme, die mit dem Bergbau einhergehen, sowie ihre relativ privilegierte soziale Position wissen, verteidigen sie den Sektor und besonders ihr Unternehmen immer wieder. Gewissensbisse kommen gerade in Bezug auf das ökologische Thema wiederholt zum Ausdruck. In einem Land wie Chile mit stark kommodifizierten Bildungs-, Gesundheits- und Rentensystemen bedeutet der Zugang zu den teuren privaten Bildungseinrichtungen für die große Mehrheit der Bevölkerung allerdings nicht nur die einzige Möglichkeit des sozialen Aufstiegs ihrer Kinder. Auch die Gesundheit und das eigene Leben hängen davon ab: „Es ist hier ganz einfach: wer Geld hat überlebt, wer keins hat der stirbt langfristig“ (Daniela TB06).
Diejenigen, die auf diese Weise in den Exportsektor integriert werden, schildern zudem diesen Lebensstandard außerhalb des Bergbaus nicht halten zu können. Danilo (TA03) erklärt, er habe einen niedrigen Bildungsstand und keine andere Ausbildung. Er habe sich über die Jahre im Bergbaubetrieb hochgearbeitet und „von den kleinen auf immer größere Maschinen“ spezialisiert. Außerhalb des Bergbaus würde er sozio-ökonomisch wieder absteigen.
Für die BewohnerInnen von Tierra Amarilla, die direkt von den Kosten des Bergbaus betroffen sind, wird das Versprechen der möglichen Teilhabe an der peripheren imperialen Lebensweise meistens nicht erfüllt und sie sind sich dessen bewusst: „Die, die im Bergbau arbeiten, haben ihr Geld und leben den Luxus. Ich sage Ihnen mal was, ich weiß nicht, was ein Geburtstag ist oder ein Muttertag, ein Barbecue, nein, all sowas kenne ich nicht. Ich arbeite, um zu überleben, wie man so sagt“, erzählt Margarita (TB19). Während die ArbeiterInnen von Candelaria ihre Kinder auf gute Schulen in Copiapó schicken können, werden in Tierra Amarilla derzeit Schulen geschlossen. Auch die Hoffnung auf das lang versprochene Krankenhaus oder wenigstens ein Shopping-Center wurden nicht erfüllt, meint Guillermo und fügt hinzu „vom Fortschritt sieht man hier nichts“ (TB12). Die guten, vom Bergbau mitfinanzierten Gesundheits- und Bildungseinrichtungen befinden sich, wie schon erwähnt, in der Regionalhauptstadt Copiapó, in der auch die meisten der festangestellten ArbeiterInnen leben (TB12).
Obwohl die großen Unternehmen in der Öffentlichkeit angeben, lokale Arbeitskräfte zu bevorzugen und die Integration der lokalen Bevölkerung der Gemeinde sogar schriftlich zugesichert haben, werden die BewohnerInnen von Tierra Amarilla vergleichsweise selten fest angestellt, erzählen sowohl Castillo (TB08) als auch die ArbeiterInnen selbst (siehe auch Abschnitt 7.1). Die Menschen in Tierra Amarilla resignieren weitestgehend gegenüber den alten Hoffnungen auf Verbesserungen ihrer Lebensumstände. Während für die meisten eine Lösung der Umweltprobleme unmöglich erscheint, geben viele an von Candelaria wenigstens die versprochene Arbeit zu erwarten (Margarita, TB19). Die Hoffnung und Versprechungen der Teilhabe an dieser lohnarbeitsvermittelten Lebensweise ist allgegenwärtig und zugleich auch eine Reaktion auf die Zerstörung aller alternativen Produktions- und Lebensweisen wie beispielsweise der Landwirtschaft. Für die meisten bleibt diese Hoffnung allerdings unerfüllt: „Die Arbeit und das Gehalt reichen oft nicht, obwohl hier rundherum alles voller Bergbauunternehmen ist […]. Das ist nicht so, wie immer erzählt wird“, erklärt Guillermo (TB12). Die interviewten BewohnerInnen erzählen, dass sie höchstens gelegentlich in Zuliefer- oder Subunternehmen beschäftigt würden und dabei schlecht bezahlt und in unsicheren Arbeitsbedingungen arbeiten müssten, wie oben bereits dargestellt wurde (TB01, TB02, TB07, TB16). Margaritas Mann bspw. habe sein Leben lang im Bergbau gearbeitet: „Jetzt hat er eine Rente von 180.000 Pesos (derzeit etwa 200 Euro) monatlich, lächerlich wenig“ (TB19). Da die Integration in die periphere imperiale Lebensweise vielen BewohnerInnen also unmöglich erscheint, reicht dieses Versprechen auf lokaler Ebene oftmals nicht aus, um einen Konflikt zu verhindern. Unter den ArbeiterInnen allerdings führt es zu einer starken Bindung der Belegschaft an ihren Arbeitgeber.

7.6 Misstrauen gegenüber öffentlichen Institutionen: Abhängige Gemeinde, toxische Institutionalität, abwesender Staat und Korruption

Wie oben dargestellt wurde, sind nationale und regionale staatliche Behörden in Tierra Amarilla kaum anwesend und grundlegende staatliche Dienstleistungen wie etwa Bildung und Gesundheit von sehr schlechter Qualität (siehe Abschnitte 7.2 und 7.4). Der Gemeinde fehlen, laut Aussagen der interviewten MitarbeiterInnen, in allen Bereichen die finanziellen Ressourcen, um die Lebensqualität der Bevölkerung zu verbessern, weshalb sie dafür von Geldern der Unternehmen – allen voran Candelaria etwa durch das Convenio Minera Candelaria y Municipalidad Tierra Amarilla – abhängt. Die meisten Interviewten fühlen sich mit ihren Problemen vom Staat im Stich gelassen. Besonders häufig wird die schlechte staatliche Gesundheitsversorgung thematisiert, wie es etwa Bernardo und Ester tun:
„Wenn es um die Gesundheit der Menschen geht, dann bringt es nichts, wenn du einem eine teure Maschine für Mammographien hinstellst, wenn es niemanden gibt, der sie bedienen kann. Das sind die Sachen, die hier passieren. Oder neue Straßenkehrmaschinen, wenn sie niemand fährt, weil du plötzlich 50 Frauen entlässt, die für die Gemeinde gearbeitet haben“ (Bernardo, TB02).
„Die Ärzte hier sind so schlecht! Bei mir haben sie z. B. einen riesigen Fehler begangen. Ich habe mir hier eine Mammographie machen lassen und die Frauenärztin meinte es sei alles super, als ich mir dann wenige Zeit später wegen Schmerzen nochmal eine Untersuchung privat bezahlt habe, meinte die behandelnde Ärztin ich hätte einen sehr fortgeschrittenen Krebs, den müsse ich mindestens schon seit zwei Jahren haben […]. Ich hasse diese Frauenärztin aus Tierra Amarilla, hätte sie keinen Fehler gemacht, hätte ich mich viel früher behandeln lassen können“ (Ester, TB07).
Camilo (TB01) und Ester (TB07) mussten, laut eigener Erzählung, monatelang in die 544 Kilometer entfernte Stadt Antofagasta fahren, um sich einer Krebsbehandlung zu unterziehen, da es keine nähere Behandlungsmöglichkeit für sie gab.
Mit Blick auf die Umwelt- und Gesundheitsbelastung erklärt Camilo, der Staat hätte zwar einmal Untersuchungen bei einigen BewohnerInnen durchgeführt, die Ergebnisse allerdings nie an die Betroffenen weitergegeben. „Ich habe hier nicht miterlebt, dass sie uns auf irgendeine Weise geholfen hätten. Nein, nichts, niemals. Ich wohne hier seit 17 Jahren und sie haben uns in der ganzen Zeit noch nicht einmal über die Umweltverschmutzung und die Schadstoffkonzentration informiert, nichts“ (TB23). Auf die Frage hin, ob die Gemeinde oder der Staat etwas gegen die Umwelt- und Gesundheitsschäden seitens der Unternehmen tun würde, antwortet auch Guillermo (TB12): „Nein, nein, die Gemeinde nicht, nur wenn sie dadurch einen Vorteil hat, also wenn sie sich mal wieder die Hosentaschen mit Geld füllen wollen“ (TB12). Das ginge so weit, erzählen Francisca und Elena, dass die Gemeinde nicht einmal die Bäume auf den Grünflächen gießen würde, „die müssen wir selbst gießen, mit unserem eigenen Wasser, als ob das hier so billig wäre. Aber als wir uns beschwert haben, wollten sie die Bäume lieber fällen, als sie zu gießen. Jetzt gießen wir sie weiter“(TB21).

7.6.1 Allgemeines Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen

Die Bevölkerung hat im Laufe der Jahre ein großes Misstrauen gegenüber der Gemeinde und den lokalen PolitikerInnen entwickelt. In fast allen geführten Interviews wird auf die Bestechlichkeit der lokalen Behörden und ihrer MitarbeiterInnen verwiesen. „Die giftige Umwelt, die wir hier haben, schadet uns allen. Und den Geldschein, den sie uns dafür zuwerfen, den schnappt sich der Bürgermeister und steckt ihn in seine Tasche und das wars“, beschwert sich Juan (TB24). „Hier kann man reich werden, wenn man Bürgermeister ist. Wenn du nicht in der Politik aktiv bist, kriegst du nichts vom Kuchen ab“, erzählt Daniela (TB06) und Guillermo fügt hinzu: „Manchmal stacheln sie (die lokalen Politiker) sogar die Bevölkerung dazu [zu Protesten]an, aber ich habe gemerkt, dass danach immer nur bei ihnen was ankommt. Wahrscheinlich damit sie schweigen, aber sie sind die großen Gewinner, wenn mal Widerstand aufkommt“ (TB12). Eine ähnliche Tendenz beschreiben die BewohnerInnen auch in Bezug auf die Nachbarschaftsorganisationen. Hier seien es vor allem die AnführerInnen dieser Organisationen, die die junta de vecinos gegen Zahlungen des Unternehmens hintergehen würden. Dieses Misstrauen der BewohnerInnen untereinander, aber vor allem gegenüber der Gemeinde und parteiübergreifend gegenüber den politischen VerantwortungsträgerInnen stellt eines der größten Hindernisse für die Organisierung und den Widerstand der Betroffenen dar.
Während der ehemalige Bürgermeister Osvaldo Delgado, trotz des bis zu seinem Tod (im Oktober 2021) laufenden Verfahrens wegen Verleumdung, übler Nachrede und Bestechlichkeit (siehe Abschnitt 7.8), noch eine gewisse Unterstützung unter den BewohnerInnen erfuhr, äußern die meisten starke Kritik am derzeitigen Amtsinhaber. Neben Bestechlichkeit wird dem derzeitigen Bürgermeister vorgeworfen, die meisten in der Gemeinde arbeitenden Frauen grundlos entlassen zu haben.
„Herr Osvaldo Delgado hat früher den Frauen Arbeit gegeben […] dann kam ein Ersatz, aber der will den Frauen keine Arbeit geben, er meint Frauen seien nicht zum Arbeiten da. Darunter sind z. B. auch alleinerziehende Mütter, die müssen doch arbeiten für ihre Kinder […]. Jetzt sind es schon fast zwei Jahre, in denen diese Frauen nicht arbeiten. Sie müssen jetzt von Haus zu Haus ziehen und hoffen, dass sie jemand anstellt“ (Margarita TB19).
Auch Bernardo (TB02) erzählt ausführlich von diesen Entlassungen. Dasselbe gelte für jeden Angestellten, der Kritik äußere, erklärt Pedro Herrera (TB09), der bis vor kurzem noch „die rechte Hand des Bürgermeisters“ war. Dem neuen Bürgermeister wird außerdem vorgeworfen, keine neuen Beschäftigungsmaßnahmen der Gemeinde ins Leben zu rufen, wie es früher üblich war, um für die vielen Arbeitslosen wenigstens kurzfristige Anstellungen zu schaffen (Rocío TB16, Margarita TB19). Juan legt dar, dass auch die Unabhängigkeit der Nachbarschaftsorganisationen durch den neuen Bürgermeister gefährdet sei.
„Juntas de vecinos gibt es kaum noch. Der neue Bürgermeister hat eingeführt, dass die Präsidenten [Vorsitzende der juntas de vecinos] für diese Position bezahlt werden, seitdem stecken sie das Geld ein, aber Treffen organisieren sie nicht mehr. Früher war das ehrenamtlich, jetzt kriegen sie 300.000 Pesos [umgerechnet etwa 350 Euro] dafür. Im Gegenzug arbeitet der jeweilige Vertreter dem Bürgermeister zu und wirbt für seine Wahl“ (Juan, TB24).

7.6.2 Toxische Institutionalität in Tierra Amarilla

Immer wieder kommt es außerdem vor, dass staatliche Behörden folgenreiche Fehler begehen. Mehrmals wurden etwa staatliche Sozialbauten auf belasteten Gebieten errichtet. Sowohl in Paipote (Daniela TB06) und Las Vertientes als auch in einem einsturzgefährdeten Gebiet in Tierra Amarilla, wie uns auch der Mitarbeiter des Regionalbüros des Ministeriums für Wohnungs- und Städtebau bestätigt (Italo Pascual PS03). Guillermo, ein Bewohner aus Tierra Amarilla, deutet auf einen Teil der Stadt und erklärt:
„Dort hinten wurde eine neue Siedlung gebaut, las Vertientes heißt die glaube ich, und dort war früher ein Schutthaufen. Dann kam das Gerücht auf, dass es Tailings seien, also darauf auf keinen Fall gebaut werden sollte. Anscheinend stimmt das, sie haben dann eine dicke Schutzmauer nach oben gebaut, weil dort oben eine funktionierende Mine und eine Verarbeitungsstätte ist, von dem Bergwerk Santos […]. Darauf sollten dann diejenigen wohnen, die bei der Überflutung ihre Häuser verloren haben, also die wohnen da jetzt auch“ (Guillermo TB12).
Auch in Nantoco – einer hoch giftigen Schlackedeponie – wurden nach den Überschwemmungen neue Häuser für diejenigen gebaut, die ihre Häuser durch die Überschwemmung verloren haben. Diese Situationen haben das Misstrauen gegenüber dem Staat noch verstärkt und unter der Bevölkerung zu einem verbreiteten Ohnmachtsgefühl beigetragen: „An diesem Ort gibt es wirklich für niemanden irgendeine Hilfe“, erklärt Margarita resigniert (TB19).
Die geschilderte Situation führt auch innerhalb der Gemeinde zu Frustration. Wie im Fall von Pabellón ist die Zusammenarbeit der Gemeinde mit anderen staatlichen Behörden auch in Tierra Amarilla vor allem durch fehlende Kommunikation gekennzeichnet. Die Gemeinde wird von den Regionalbüros der verschiedenen Ministerien bei ihrer Arbeit vor Ort nicht nur übergangen, sondern größtenteils auch nicht über diese Arbeit und deren Ergebnisse informiert. Alejandra Castillo (TB08), die Umweltbeauftragte der Gemeinde, erzählt, sie wisse zwar rein zufällig über die Untersuchungen des Umweltministeriums im Rahmen der Guía Metodológica para la Gestión de Suelos con Potencial Presencia de Contaminantes Bescheid, „aber nein, wir als Gemeinde haben keine Art von Kommunikation oder Informationsaustausch diesbezüglich gehabt“. Dasselbe sei bei den Untersuchungen des Gesundheitsministeriums passiert. In Nantoco seien dabei z. B. alarmierende Schwermetallwerte bei den BewohnerInnen gemessen worden. „Da diese Information allerdings politisch sehr komplex ist, haben sie die Betroffenen nie darüber informiert“, so Alejandra (TB08). Mit dem Umweltministerium bestehe teilweise zwar eine gute Zusammenarbeit, aber dieses Ministerium „hat absolut kein Geld“, es verfüge über kein eigenes Budget und müsse das Finanzministerium um Finanzierung bitten. Auf diese Weise sei es für das Ministerium unmöglich, dauerhafte und konsistente Projekte zu finanzieren. Castillo erzählt ihre Arbeit sei sehr frustrierend, ständig „kämpfe sie gegen Riesen an“, sei es die Gießereianlage von ENAMI, die die von der Gemeinde gemessenen Schadstoffmessungen bestreitet oder die großen Unternehmen rund um die Stadt. „Wir haben hier so viele Umweltprobleme, so viele! […] wir werden offiziell zu einem der am stärksten belastetsten Gebiete des Landes gezählt “ (TB08). Aber der Zentralstaat würde der Gemeinde kaum helfen „sie haben uns mal in den Plan zur sozialen und ökologischen Wiederherstellung PRAS aufgenommen […], dann kam der Regierungswechsel 2017 und dann fehlte da plötzlich eine Unterschrift und alles war wie vorher“, erklärt Alejandra (TB08). Sie erzählt, die Menschen würden oft in Repräsentation ihrer juntas de vecinos und teilweise auch allein kommen, um sich zu beschweren. Im Mittelpunkt stehe dabei meistens ENAMI wegen der schlechten Luft, aber da es ein staatliches Unternehmen sei, würde die Gemeinde ihnen nicht einmal zuhören. Die Gemeinde sei allerdings schon einige Male in Anzeigen gegen Unternehmen beteiligt gewesen, hätte aber später nie wieder etwas darüber gehört oder eine Antwort bekommen. Außer Informationen anzufordern und Anzeigen bei der Superintendencia de Medio Ambiente (Umweltaufsichtsbehörde) einzureichen, könne die Gemeinde allerdings nichts machen. Dafür fehlen ihr die Zuständigkeiten im Umweltbereich. Die staatlichen Behörden seien zudem sehr bürokratisch und ineffizient und hätten wenig Interesse daran, die Themen der Umwelt- und Gesundheitsprobleme publik zu machen. Immer wieder würde auch das Argument der Arbeitsplätze, die vom Bergbau abhingen, vorgebracht. Auch die Gelder der Abkommen mit Candelaria und dem Bergbauunternehmen Caserones können, laut Castillo, nicht für solche Belange eingesetzt werden, da sie an spezifische Infrastrukturprojekte gebunden seien. Was die Datenlage betrifft, erzählt Castillo (TB08), habe die Gemeinde keine eigenen Messstationen oder Zugang zu offiziell generierten Daten zur Umweltlage, was auch die Anzeigen bei der Umweltaufsichtsbehörde schwierig mache. Die Messstationen gehörten den Unternehmen selbst. Im Fall von ENAMI werden diese auch nicht von staatlichen Institutionen überprüft, da sie ja selbst staatlich sind. Da „Ein Dokument mit wissenschaftlichen Daten in einem Rechtsstreit viel mehr wert ist als die Äußerungen der Betroffenen“, sei die schlechte Datenlage besonders problematisch für ihre Rolle als Umweltbeauftragte der Gemeinde (TB08).

7.7 Direkte Intervention des Unternehmens: Spaltung des organisierten Widerstands, Diffamierung einzelner Akteure und Produktion von Ungewissheit

Immer wieder scheint es als stünden die angestauten sozialen Spannungen in Tierra Amarilla kurz davor, sich in offenen Protesten Bahn zu brechen. Wenn tatsächlich Konflikte ausbrechen oder drohen manifest zu werden, interveniert Candelaria meist direkt und gezielt. Handelt es sich dabei um Proteste oder soziale Bewegungen, ist das übliche Vorgehen von Candelaria, die AnführerInnen zu identifizieren und einzeln, aber großzügig zu entschädigen. Diese Form der Entschädigung nimmt einerseits die treibenden Kräfte aus der Bewegung, es führt aber vor allem auch zu Misstrauen sowie meistens zur Spaltung der ganzen Bewegung. „Die Unternehmen vertuschen alles mit Zuschüssen und Entschädigungen, sie kaufen sich die Leute von den juntas de vecinos, von der Gemeinde […]. Am schlimmsten ist es, wenn die Gelder in der Gemeinde landen, da kommen sie nie wieder raus“, so Camilo (TB23). Juan erzählt von einer Frau, die lange Zeit gegen das große Tailing von Candelaria gekämpft habe und mehrmals Anzeige gegen das Unternehmen bei der Gemeinde erstattet habe. „Am Ende wurde sie für ihr Schweigen bezahlt, alle anderen haben eh geschwiegen und sie ist jetzt glücklich […]. Diejenigen, die hier das beste Auskommen haben, sind diejenigen, die diese Situation ausnutzen. Hier gegenüber die Nita Arrieta z. B. oder später Osvaldo, die haben jetzt ausgesorgt. Und was ist mit uns? Wir müssen zusehen und akzeptieren“, führt er aus (TB24).
Besonders üblich sei auch die direkte Anstellung der Widerständigen. Danilo (TA03), ein Maschinenarbeiter von Candelaria erzählt, es würden immer mehr Frauen beschäftigt, auch in den gut bezahlten Arbeitsplätzen bei der Bedienung der großen Maschinen. Von den fünfzig Personen, die mit ihm in diesem Bereich zusammenarbeiten, seien immerhin sieben Frauen.
„Dass so viele Frauen da arbeiten, hat auch damit zu tun, dass im Bergbau immer wieder Leute gekauft werden. Es sind die Frauen, die auf die Umweltprobleme hinweisen und eine der Formen sie zum Schweigen zu bringen, ist es, sie in das Unternehmen einzubinden, meistens in Form von einer Anstellung“ (Danilo, TB03).
„Danach sagen sie nichts mehr gegen das Unternehmen, weil sie ja ihre Kinder davon ernähren“, fügt Andrés (TA02) hinzu. Das Unternehmen habe laut Juan aber auch schon andere Vorgehensweisen an den Tag gelegt: „Als der Präsident der junta de vecinos mit anderen zusammen die Zufahrtsstraße zu Candelaria blockieren wollte, haben sie ihm gedroht ihn festzunehmen. Man würde ihm den letzten Einbruch und die illegale Installation von Kameras im Unternehmensgelände anhängen“ (TB24).
Candelaria wendet auch subtilere Methoden an, um die Sorgen und Anzeigen der betroffenen Bevölkerung zu diskreditieren bzw. delegitimieren. Ureta und Contreras (2021) beschreiben beispielsweise – ebenfalls am Fall von Tierra Amarilla – wie ein Dialog (Mesa Minera de Tierra Amarilla – MMTA), der wegen einer Einsenkung und teils sogar eines Einsturzes in einem Wohngebiet von staatlichen Behörden des Umweltministeriums und den umliegenden Unternehmen einberufen wurde, vom Unternehmen dazu benutzt wurde, die Kenntnisse und Sorgen der betroffenen Bevölkerung zu delegitimieren und als Mythos abzustempeln. Die Risikowahrnehmung der Bevölkerung wurde in diesem Prozess, der von staatlichen Institutionen als Vorbild für eine perfekte und erfolgreiche CSR-Politik gelobt wurde, diskursiv in ein Produkt ihrer Unkenntnis und ihrer Vorstellung verwandelt. Von Beginn der von Ureta und Contreras durchgeführten Forschung an, wird dabei von den MitarbeiterInnen der Unternehmen darauf bestanden, das Wort Mythos statt das der Umweltkontroverse zu verwenden. Der Dialog sei nicht einberufen worden, weil es eine tatsächliche Einsturzgefahr gäbe, sondern um „einen der vielen Mythen, die in Tierra Amarilla kursieren“, zu beseitigen (Ureta & Contreras 2021:369). Diese Strategie Candelarias, um ein bestimmtes „wording“ durchzusetzen, das ein konkretes Problem in einen Mythos verwandelt, war teilweise erfolgreich. Die Autoren stellen dabei zudem eine durchgehende Verachtung des Wissens der Laien über die Gefahren eines Einsturzes oder des Absinkens von Stadtteilen seitens der Repräsentanten der Unternehmen fest sowie eine starke Definitionsmacht, die den „Experten“ (in diesem Fall IngenieurInnen und NaturwissenschaftlerInnen) in Chile in solchen Fällen zugeschrieben wird. Ein wesentlicher Vorteil der Unternehmen dabei sei es gewesen, dass der Untertagebau von Bergwerken für Außenstehende ein unzugänglicher und uneinsichtiger Ort ist, wodurch die Bergbauunternehmen ihr Wissen leicht zurückhalten können.
Aufgrund der großen Angst unter den BewohnerInnen vor einem erneuten Einsturz eines ganzen Wohngebietes, wie es bereits 1993 einmal geschehen war und der schnellen Verbreitung der Bilder in den sozialen Medien, sahen sich die Unternehmen (allen voran das am nächsten gelegene PuCobre) dennoch gezwungen, auf die Sorgen der Bevölkerung einzugehen (Ureta & Contreras 2021:376f). Die Lösung sollte durch einen „partizipativen Prozess“ und eine von den Unternehmen finanzierte und von Sernageomin überwachte, technische Untersuchung des Untergrundes herbeigeführt werden. Von Anfang an wurde auf die Unwissenheit der Bevölkerung verwiesen, die durch „objektives“ wissenschaftliches Wissen beseitigt werden sollte. Die Untersuchung wurde letztendlich von der privaten Beratungsfirma Ingeosat durchgeführt und konzentrierte sich einzig und allein auf den Untertagebau von den vier Unternehmen, die die Untersuchung finanzierten. Die Beratungsfirma hatte allerdings nur einen sehr begrenzten Zugang zum Schacht- und Tunnelsystem, das an mehreren Stellen im Vorfeld von den Unternehmen zugemauert wurde,22 weshalb gerade unter bewohnten Gebieten kaum Messungen durchgeführt werden konnten. Aus diesem Grund konnten für diese Gebiete allein Daten genutzt werden, die das Unternehmen der Beratungsfirma zur Verfügung gestellt hat, lautet es im Abschlussbericht der Untersuchung (Ureta & Contreras 2021: 379). Vor den Augen der Bevölkerung wurden außerdem mit großen Maschinen und großen Erklärungsschildern, Sondierungsarbeiten an elf Punkten der Stadt durchgeführt. Laut einem Experten der Universidad de Atacama, der an der Untersuchung beteiligt war, sollten diese vor allem den psychologischen Effekt haben, dass die Menschen die Untersuchung mit eigenen Augen sehen und deshalb den Ergebnissen trauten. Auch in dieser Untersuchung wurde laut einer anderen Beratungsfirma (Diamond Drilling Services) keine Bergbauaktivitäten unter dem Stadtkern nachgewiesen. Bei der Verkündung der erhobenen Daten wurde mit großer Medienpräsenz die desmitificación (Entmystifizierung) Tierra Amarillas gefeiert.
Die Bevölkerung hingegen schenkte den Untersuchungsergebnissen größtenteils keinen Glauben und fühlte sich von den Unternehmen, aber besonders von den staatlichen Behörden hintergangen. Auch Mitglieder der MMTA selbst äußern Kritik daran, dass die Ergebnisse der Bevölkerung nicht zur Verfügung stünden und die technische Sprache nicht übersetzt würde. Das ursprüngliche Problem sei dadurch nicht gelöst worden, es habe mit einem Zweifel der Bevölkerung begonnen und dieser Zweifel würde jetzt weiterhin bestehen (Ureta & Contreras 2021: 383). Während es den Bergbauunternehmen durch die MMTA gelungen ist, den entstehenden Konflikt zu verhindern bzw. latent zu halten, blieb die Ungewissheit der BewohnerInnen allerdings bestehen. Wie im Fall der Überschwemmungen wurde hier das als „offiziell“ geltende Wissen genutzt, um die teilweise sogar wissenschaftlich nachgewiesenen Sorgen und Forderungen der Bevölkerung zu delegitimieren und Ungewissheit zu verbreiten. Am 30 Juli 2022 haben sich die Befürchtungen der Bevölkerung bestätigt: die Bilder eines riesigen, kreisrunden, sich stetig weiter ausbreitenden Lochs gingen um die ganze Welt. Auch deutsche Nachrichtensendungen in ZDF, ARD oder Deutschlandfunk berichteten von dem „riesigen“ –mittlerweile 50 Meter breiten und 64 Meter tiefen (stand 07.08.2022)23 – Krater, der von einem Tag auf den anderen am Stadtrand von Tierra Amarilla entstanden ist.

7.8 Die institutionalisierte und informelle Macht des Unternehmens sowie Bestechung als letztes Mittel

Das ausländische Unternehmen Candelaria operiert zur Durchsetzung seiner Interessen aber keineswegs nur lokal oder punktuell, sondern nutzt dafür sowohl die bestehenden staatlichen Institutionen als auch informelle Kontakte und Netzwerke zur regionalen und nationalen politischen Elite. Die Verhandlungen und Beziehungen zwischen wirtschaftlichen und politischen Eliten, finden in der Regel nicht im Lichte der Öffentlichkeit statt und bleiben der Mehrheitsbevölkerung verborgen. Im Falle von Tierra Amarilla wurden sie jedoch durch einen Bestechungsskandal öffentlich.
Während einer Anhörung im März 2019 gab der ehemalige Bürgermeister Osvaldo Delgado zu, von dem Parlamentarier und Präsidenten der Partei Federación Regionalista Verde Social, Jaime Mulet, ein Angebot über 400 Millionen chilenischen Pesos (umgerechnet etwa 450.000 Euro) erhalten zu haben, um seine damalige Anzeige gegen Candelaria zurückzunehmen. Nach einem vorhergehenden Übereinkommen zwischen Kläger und Unternehmen im Jahr 2015, in dem die Gemeinde ihre ursprüngliche Anklage als unberechtigt deklarierte und Candelaria eine Verlängerung der Abbaugenehmigungen bis 2030 erlangte, wurde Delgado von seinem Amt suspendiert und fast zeitgleich wegen Verleumdung, übler Nachrede24 und Steuerhinterziehung25 angezeigt. Aufgrund fehlender Beweise wurde er kurz daraufhin von beiden Vorwürfen freigesprochen26 und kehrte in sein Amt als Bürgermeister zurück. Aus heutiger Sicht werden diese zwei Anklagen als Warnungen an den Lokalpolitiker interpretiert. Kurz darauf stand er wieder vor Gericht, dieses Mal ging es allerdings um die Bestechung seitens des Unternehmens, um auf diese Weise die gegen sie eingereichte Anzeige wegen Umweltschäden zu beseitigen. Hauptangeklagte waren dabei der oben genannte Parlamentarier Mulet sowie die beiden Anwälte und Politiker Hernán Bosselin und Ramón Briones (ehemalige Mitglieder der Partei Democracia Cristiana), die zusammen ein Honorar in der Höhe von 2.760 Millionen chilenische Pesos (umgerechnet über drei Millionen Euro) in diesem Fall entgegengenommen haben27. 2070 Millionen chilenische Pesos gingen wiederum direkt an die Gemeinde. Der ehemalige Direktor der Rechtsabteilung von Candelaria, Miguel Troncoso, befindet sich ebenfalls wegen Bestechung auf der Anklagebank28. Sie alle haben direkt dazu beigetragen, dass die Gemeinde Tierra Amarilla ihre Anzeige zurückzieht und gleichzeitig ökonomisch davon profitiert.
Während dieses Rechtsstreites wurden einige Details und personelle Verknüpfungen aufgedeckt, die es Bío Chile (bbcl) ermöglichten, durch eine grundlegende Untersuchung des Falls die Lobbyarbeit und einen Großteil des Netzwerks zwischen PolitikerInnen und Unternehmen aufzudecken, das an diesem Fall beteiligt war. Darunter befinden sich sowohl aktuell amtierende Parlamentarier und Senatsmitglieder als auch ehemaliger Minister und Angehörige des chilenischen Landesverteidigungsrats sowie Parteien und Think Tanks, die unter anderem von der illegalen politischen Finanzierung durch wichtige chilenische Unternehmensgruppen wie dem Grupo Said, dem Grupo Saieh und dem Grupo Angelini sowie Geldern des Lithium-Abbau Unternehmens SQM profitieren.29 Wie im Nachhinein bekannt wurde, spielten sich die Geschehnisse folgendermaßen ab:
Mit der Unterstützung des Parlamentariers Jaime Mulet hielt der ehemalige Bürgermeister von Tierra Amarilla, Osvaldo Delgado, 2012 erste Verhandlungen mit dem damaligen Vizepräsidenten für Geschäftsangelegenheiten von Cadelaria, Francisco Costabal, und dem Präsidenten und gesetzlichen Vertreter des Unternehmens, Peter Quinn, ab. Die Verhandlungen mit der damals noch zur US-amerikanischen Firma Freeport MacMoran Copper and Gold angehörenden Candelaria, zur Wiedergutmachung und Behebung der bestehenden Umweltschäden durch das Unternehmen scheiterten allerdings. Mulet zog daraufhin die beiden Anwälte Hernán Bosselin und Ramón Briones30 zu Rate. Nach einer weiteren gescheiterten Verhandlung haben die Anwälte und Mulet 2013 den Bürgermeister Delgado überzeugt, das Unternehmen beim Tribunal Ambiental (Umweltgericht) anzuzeigen und die Kompensation und Restaurierung der Umweltschäden zu fordern. Kurz darauf, Anfang 2014, reichten sie auch eine Klage bei der Superintendencia de Medio Ambiente (nationale Umweltaufsichtsbehörde) ein. Mulet richtete sich außerdem persönlich mit einer Beschwerde über die Nichteinhaltung internationaler Umweltstandards durch das multinationale Unternehmen an die OECD. Im Oktober 2014 wurde das Unternehmen dann an das kanadische Bergbauunternehmen Lundin Mining übertragen und es folgten neue Verhandlungen zwischen der Gemeinde und Candelaria. Hierfür wurde eine Reihe „professioneller“ Lobbyisten, wie etwa der Ex-Minister Enrique Correa eingesetzt. Der neue Präsident von Candelaria, Pablo Mir, schlug daraufhin die Einrichtung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe zur Lösung des Konflikts vor und Mulet zog seine Beschwerde vor der OECD zurück.
Dennoch war lange keine Einigung in Sicht. Während dieser Zeit wartete Candelaria zudem auf die Verlängerung der Abbaugenehmigung durch das Umweltministerium (das Projekt befand sich zu diesem Zeitpunkt im Prozess der Evaluación de Impacto Ambiental -EIA), ohne die die Bergbauaktivitäten des Unternehmens hätten ausgesetzt werden müssen. In dieser angespannten Situation fanden mehrere Treffen der Lobbyisten Candelarias mit dem damaligen Umweltminister Pablo Badenier statt. In dieser Phase intensivierte Candelaria seine Lobbyarbeit auf nationaler Ebene: eine Vielzahl mehrstündiger Sitzungen wurden von Lobbyisten mit VertreterInnen des Umwelt- und Bergbauministeriums sowie mit dem Direktor des Sernageomin abgehalten. Laut der Akten ging es dabei immer um die Genehmigung der Förderverlängerung und einzelne Umweltprobleme, wie etwa die Genehmigung einer kritisch evaluierten Tailingdeponie. Eines der Treffen mit dem Umweltminister Pablo Badenier hatte sogar den Betreff: „Danksagung für die Unterstützung beim EIA-Prozess“. Während das Umweltgericht zwar beschloss, das von der Gemeinde Tierra Amarilla initiierte Gerichtsverfahren gegen Candelaria einzuleiten, wurde der EIA-Prozess schließlich dennoch mit positiver Bewertung abgeschlossen und die Fortführung des Kupferabbaus seitens des Umweltministeriums erlaubt.
In der Folge stand für Candelaria also nur noch die Anzeige der Gemeinde im Wege, weshalb sich das Unternehmen auf die Zahlung von 11.533 Millionen chilenische Pesos an die Gemeinde Tierra Amarilla zur Durchführung von CSR-Politiken verständigte (umgerechnet etwa 13 Millionen Euro). Zeitgleich erfolgte eine weitere Überweisung über 4831 Millionen chilenische Pesos (umgerechnet etwa 5,5 Millionen Euro), 2760 Millionen davon für Briones und Bosselin, der Rest zur freien Verfügung der Gemeinde, um die „Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Umweltprobleme zu beseitigen“. Diese zweite unrechtmäßige Zahlung war bis 2019 nicht öffentlich bekannt. Dieses Geld konnten allerdings erst bei endgültiger Genehmigung der Verlängerung der Abbauarbeiten von Candelaria bis 2030 in Empfang genommen werden, so die Kondition des Unternehmens.
Die Abbauverlängerung wurde – wie bereits beschrieben – bewilligt, in der Zwischenzeit war allerdings ein regelrechter Krieg zwischen der Gemeinde von Tierra Amarilla und den beteiligten Anwälten, um das auszuzahlende Geld des Unternehmens, ausgebrochen, wobei sogar Beweismaterialien nachweislich gestohlen wurden. Der Bürgermeister Delgado, der das Geld für seine Gemeinde beanspruchen wollte, leitete daraufhin ein Rechtsverfahren beim Zivilgericht gegen die beiden Anwälte ein und wurde daraufhin – wie oben schon erwähnt – von Mulet und den beiden Anwälten mit 400 Millionen chilenischen Pesos31 bestochen (umgerechnet über 450.000 Euro), damit er die Anzeige zurücknehme. Delgado verweigerte dieses Angebot jedoch und machte es stattdessen publik.
Der Bestechungsfall Mulet, Briones und Bosselin wurde 2019 zwar wegen mangelnder Beweise eingestellt, 2021 allerdings wieder aufgenommen.32 Osvaldo Delgado verstarb Ende Oktober 2021 in Folge einer langjährigen Krankheit. Seine Familie will jetzt rechtlich wegen politischer Verfolgung ihres Angehörigen gegen die Staatsanwaltschaft vorgehen.33 All das oben beschriebene geschah hinter verschlossenen Türen und weder die Bevölkerung von Tierra Amarilla, noch die Öffentlichkeit hatte bis 2019 Kenntnis darüber. Die nationale Umweltaufsichtsbehörde (Superintendencia de Medio Ambiente) stellte in der Zwischenzeit gleich sechs Verstöße des Unternehmens Candelaria gegen die bestehende Umweltgesetzgebung fest und stufte drei davon als schwerwiegend ein.34
Die BewohnerInnen von Tierra Amarilla sind heute teilweise gut über den Bestechungsskandal informiert: „Hier wurde mal ein Gerichtsstreit gegen Candelaria begonnen und die Unternehmen hätten die BewohnerInnen von Tierra Amarilla geldlich entschädigen müssen. Aber die unverschämten Anwälte von den gleichen Leuten, denen wir vertraut haben und für die wir gewählt haben, wie eben die Bürgermeister oder Stadträte, haben das geändert, die haben sich alle kaufen lassen. Jetzt bleibt nichts davon. Candelaria pflanzt mal einen Baum da, einen anderen dort, aber das bringt und doch alles nichts“, erklärt Bernardo (TB02).
Das Vorgehen von Candelaria ist keineswegs ein Einzelfall unter den nationalen und internationalen Bergbauunternehmen, die in Chile operieren. Während der Sektor ohnehin schon für seine aktive, starke und effektive Lobby sowie für enge Verbindungen zwischen politischen AmtsträgerInnen und Unternehmensvorsitzenden bekannt ist, werden auch immer wieder Bestechungsfälle und irreguläre Zahlungen öffentlich. Seit Oktober 2021 steht sogar der ehemalige Präsident Sebastián Piñera wegen eines Bestechungsfalles rund um das Bergewerk Dominga vor Gericht. Er verkaufte seine Anteile an dem chilenischen Bergbauprojekt 2010 auf den Jungferninseln (einem Steuerparadies) an seinen Freund, den Unternehmer Carlos Alberto Délano. Die letzte Zahlung über 10 Millionen US-Dollar, die Piñera erhielt, war dabei an die Kondition gebunden, dass die chilenische Umweltregulierung das Gebiet um das Vorkommen künftig nicht gegen Bergbauaktivitäten schützen dürfe.35 Piñera selbst war zu diesem Zeitpunkt schon amtierender Präsident Chiles. Die Details dieses Geschäfts sind im Rahmen der Pandora Papers bekannt geworden und belasten den ehemaligen Präsidenten zudem wegen Steuerhinterziehung und -betrugs.
Auch das größte chilenische Lithiumabbauunternehmen Sociedad Química y Minera de Chile (SQM) ist in mehrere Gerichtsverfahren wegen Bestechung und illegaler Zahlungen an PolitikerInnen verwickelt. Dabei haben unter anderem der ehemalige Senator und damaliger Wirtschaftsminister Juan Pablo Longueira Montes sowie zwei von ihm gegründete Stiftungen Zahlungen erhalten, damit diese sich in seinen Ämtern als Parlamentarier und Minister für die Interessen des Unternehmens einsetzten.36 Festgestellt wurde bei diesem Gerichtsverfahren, dass es dem Staat an jeglichen Kontrollinstanzen fehlt, um solche illegalen Geschäfte zur Interessenabsicherung der Unternehmen aufzuspüren. Auch in den USA musste das Unternehmen SQM eine Gelstrafe über 30 Millionen US-Dollar zahlen, da es zuvor zwischen 2008 und 2014 14,75 Millionen US-Dollar illegal an verschiedene PolitikerInnen ausgezahlt hatte. In Chile allein waren an diesen Geschäften von SQM nachgewiesenermaßen 34 politische Akteure beteiligt, darunter auch amtierende MinisterInnen, SenatorInnen und ParlamentarierInnen sowie ganze Parteien.37

7.9 Resignation und Migration als einziger und letzter Ausweg für die Bevölkerung

Die Allgegenwärtigkeit des Bergbaus und die Macht der großen Unternehmen führen dazu, dass vor allem für diejenigen, die nicht direkt vom Bergbau profitieren und für die die Versprechen einer peripheren imperialen Lebensweise im Gegenzug zur Internalisierung der Kosten unerreichbar erscheinen, keinen anderen Ausweg sehen, als Tierra Amarilla langfristig zu verlassen. „Die Leute sagen nichts mehr, weil sie resignieren. Sie werden ruhig mit der Zeit“, erklärt Ester (TB07). Die meisten hätten ihre Hoffnungen auf eine Lösung aufgegeben. Das führt bei vielen zur Überlegung, Tierra Amarilla langfristig zu verlassen. „Wir müssen wählen zwischen dem Wegziehen oder dem Sterben […]. Meine Mutter ist letztes Jahr gestorben, als ich mir ihre Krankenakte angeschaut habe, hatte sie alles, was man sich vorstellen kann. Gestorben ist sie aber an einem Lungenödem, das von dem vielen Staub kommt“, schildert Daniela und fährt fort: „Ich würde gerne wegziehen, vor allem für meine Töchter […]. Mein Mann und ich haben jetzt schon einen Kredit aufgenommen, um dieses Geschäft aufhören zu können. Wenn alles gut läuft und wir dann noch leben, wollen wir uns in drei Jahren auf ein Haus bewerben (Sozialbauten), aber eben außerhalb von hier, vor allem für meine Töchter“, berichtet Daniela (TB06). Auch Guillermo erzählt von seinen Plänen: „Ich überlege seit langem wegzuziehen, vor allem aus wirtschaftlichen Gründen, […] viele würden gern gehen, auch vor allem wegen der Umweltverschmutzung, besonders nach den Überflutungen, aber am Ende bleiben sie doch, weil es dann doch immer wieder einen Job gibt“ (TB12). Das bestätigen auch Francisca und Elena (TB21): „Viele Leute würden vielleicht gehen, aber woanders ist es noch viel schwerer, Arbeit zu finden“.
Die meisten gehen davon aus, dass sie sowieso eines Tages zwangsumgesiedelt werden. „Die Bergbauunternehmen haben Tierra Amarilla schon längst übernommen. Ich glaube, dass es nicht mehr lange dauert, bis wir hier nicht mehr wohnen können. So wie es denjenigen in Potrerillos und Chuquicamata ergangen ist, die mussten alle wegziehen und wir werden das auch bald müssen“ (Daniela TB06). Francisca und Elena erzählen, dass vor kurzer Zeit das Gerücht aufkam, dass sie umgesiedelt würden: „Aber nicht aus Freundlichkeit, sondern weil anscheinend doch mehr Kupfer unter der Stadt liegt, als man vorher angenommen hätte. Tierra Amarilla ist von unten ja eh schon so durchlöchert wie ein Käse, viel mehr hält es nicht aus und das wissen wir alle“, schildern die beiden (TB21). Auch Ester (TB07) gibt an, von diesen Gerüchten gehört zu haben und meint dazu: „Ich denke, ich würde gehen und ich denke, die meisten anderen auch. Jeder hier weiß Bescheid über all diese Probleme“ (TB07).

7.10 Drittes Zwischenfazit

In Tierra Amarilla besteht unter allen beteiligten AkteurInnen das Wissen über die Tailings und auch eine deutlich geäußerte kollektive (lokale) Gefahrenwahrnehmung seitens der Betroffenen. Die einfache Bevölkerung weiß um die bestehenden gesundheitlichen Risiken und die Belastung ihrer Umwelt und leidet laut eigenen Angaben stark unter dem Bergbau, steht dabei aber gleichzeitig besonders wegen der ökonomischen Abhängigkeit in einem teilweise starken Interessenkonflikt (siehe auch Landherr & Graf 2022). Ähnlich wie in Pabellón werden die Tailings allerdings nur als eines unter vielen sozialen und ökologischen Problemen wahrgenommen. Auch in der Opferzone von Tierra Amarilla kann demnach eine ausgeprägte Form der environmental injustice (Pulido 1996, Newton 2009) beobachtet werden. Im Gegensatz zu den anderen beiden Untersuchungsfällen sind die Tailings in Tierra Amarilla allerdings Teil eines aktiven –für die Bevölkerung sichtbaren– Produktionsprozesses vor Ort. Sie werden also von allen AkteurInnen in Zusammenhang und in Abwägung mit den „positiven“ Aspekten des Bergbaus gesehen. Der Bergbausektor wird zudem mit einem Teilhabeversprechen an einer Lebensweise assoziiert, wie sie in westlichen „entwickelten“ Ländern üblich ist. Das Streben der einzelnen AkteurInnen nach dieser wirtschaftlichen Integration und das Versprechen einer individuellen Aufstiegsmöglichkeit trägt in einem gewissen Rahmen zur Legitimation der sozial-ökologischen Kosten vor Ort bei (siehe etwa Landherr & Graf 2022).
Diese Interessenskonflikte unter den Betroffenen ermöglichen dem Staat und den Unternehmen einen größeren Spielraum, um die Umweltverschmutzung zu rechtfertigen. Während Lokalpolitiker und die Gemeinde in Tierra Amarilla sowohl an der aktiven Sichtbarmachung des Problems als auch an den Aktionen des Unternehmens zu dessen Unsichtbarmachung beteiligt sind, ziehen sich regionale und nationale staatliche Behörden vor Ort –teilweise bewusst, in Form einer passiven Komplizenschaft– zurück. Der lokal abwesende Staat führt zusammen mit der territorialen Macht des Bergbauunternehmens zur Verdrängung lokaler Ökonomien, anderer Wirtschaftssektoren und folglich zur Monopolisierung des Arbeitsmarktes und einer damit einhergehenden starken Abhängigkeit der Bevölkerung. Dies geschieht primär über die Kontrolle der natürlichen Ressourcen, beispielsweise den Besitz von Land, Wasser oder dem Untergrund. Zudem wird starker Einfluss auf die soziale Infrastruktur wie die Arbeitsmärkte oder die öffentlichen Güter ausgeübt. Das Unternehmen Candelaria bedient sich einer gezielten und medial gut dargestellten CSR-Politik, um sich als „guter Nachbar“ zu inszenieren und auf diese Weise der Entstehung sozialökologischer Konflikte vorzubeugen. Im Falle von gesellschaftlichem Widerstand reagiert das Unternehmen wiederum direkt und wendet dafür unterschiedliche Machtressourcen an. Sobald Widerstand unter der Bevölkerung entsteht, wird dieser entweder durch großzügige Entschädigungen, die Spaltung der Bewegung oder die Delegitimierung ihrer Anliegen beschwichtigt. Die Konflikte werden auf diese Weise lokal und latent gehalten und dringen somit nicht in die nationale öffentliche Wahrnehmung Chiles. Ähnlich wie im darauffolgenden Fall von Chañaral wird in Tierra Amarilla deutlich, dass die –in diesem Fall lokale– Auslegung der „Wahrheit“ besonders gut bei solchen slow violence-Phänomenen funktioniert, die mit den bloßen Sinnen nicht wahrnehmbar sind und deren Konsequenzen sich erst einige Jahre später in der Umgebung oder in den Körpern der Betroffenen zeigen. Die bestehenden Probleme für die Betroffenen sind oftmals nur schwer zu greifen, Wissen bleibt häufig unzugänglich und unzulänglich und die Ursachen der Probleme sind in der Regel nicht klar kausal zuzuordnen. Es ist folglich auch die Art der Umweltprobleme, die vom Bergbau ausgehen, die den Widerstand gegen die durch ihn entstehenden Kosten erschweren. Dies erleichtert es den unterschiedlichen beteiligten Akteuren, das hegemoniale Wissen zu ihren Gunsten auszulegen, Zweifel zu organisieren und Protestierenden ihr Wissen abzusprechen, um den bestehenden Konflikt latent zu halten. Die Unternehmen verfügen im Bereich des Bergbaus in der Regel über das Monopol an Wissen, das den Produktionsprozess betrifft und nötig ist, um offiziell anerkanntes Wissen zu generieren. Auch gelingt es den Unternehmen wie Candelaria durch die Finanzierung von Universitäten und „unabhängigen“ Studien, die Produktion von Wissen über Bergbau im Allgemeinen zu beeinflussen und darüber hinaus einen starken Einfluss auf die lokalen und nationalen Medien auszuüben, wodurch Candelaria besonders auf lokaler Ebene eine starke hegemoniale Macht zukommt. Sie beruft sich dabei zudem auf den landesweit hegemonialen Fortschrittsdiskurs, der dem Bergbau eine zentrale Rolle in der Erreichung des übergeordneten nationalen Ziels des wirtschaftlichen Fortschritts und Wachstums beimisst. Die Gran Minería de Cobre, zu der auch Bergwerke wie Candelaria gehören, wird im hegemonialen Diskurs, sowohl in den Medien als auch von politischen AmtsinhaberInnen, immer wieder als „Motor des Fortschritts“ sowie als Eingangstür zu einem höheren Lebensniveau für alle ChilenInnen dargestellt. Dem Unternehmen gelingt es, sich des hegemonialen Diskurses zu bedienen und ihr Wissensmonopol auszunutzen, um das Wissen der Bevölkerung zu delegitimieren. Dabei wird „offizielles“, anerkanntes Wissen generiert, um die Befürchtungen der Bevölkerung als haltlos darzustellen und Zweifel unter den Betroffenen zu verbreiten. Diese Produktion von Ungewissheit (doubt producing bei Nixon 2011, Ureta & Contreras 2021) wird oftmals durch das Zurückhalten von Informationen und die Manipulation der Daten (Allen 2008) bzw. die gezielte Auswahl der Untersuchungskriterien hergestellt und ist auch bei den Unternehmen in Tierra Amarilla eine übliche Strategie.
Wenn es den Bergbauunternehmen nicht gelingt, einen aufkommenden Konflikt auf die genannten Weisen – des doubt producing und der Spaltung durch partielle Integration – zu lösen bzw. latent zu halten, wendet das Unternehmen nicht nur „vorbildliche“ CSR-Politik vor Ort an, sondern greift besonders auf seine territoriale Macht zurück, um die lokale Bevölkerung zu beeinflussen und eigene Interessen durchzusetzen. In dem oben beschriebenen Kontext (siehe Kapitel 5) einer aktuellen Legitimitätskrise des neoliberal extraktivistischen Modells und einer stetigen Zunahme erfolgreicher sozialökologischer Kämpfe im gesamtchilenischen Kontext, gewinnt die Mikropolitik der territorialen Macht der Unternehmen vor Ort zunehmend an Bedeutung zur Aufrechterhaltung des Sektors und des ganzen extraktivistischen Wirtschaftsmodells. Entstehende Konflikte werden so auf lokaler Ebene eingefroren oder vor Ort „gelöst“. Das heißt auch, dass es für die Unternehmen zunehmend wichtig ist, die Folgen des Sektors unsichtbar zu halten, da die Opferzonen mittlerweile auf nationaler Ebene nicht mehr einfach so akzeptiert werden. Opferzonen wie Tierra Amarilla erlangen derzeit – wenn – ein Konflikt manifest wird – immer häufiger große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit.38
International operierende Unternehmen wie Lundin Mining nutzen zudem die stake Lobby des Sektors und die bestehenden Machtressourcen der nationalen besitzenden Klassen, indem sie ihre Verwaltungs- und Führungspositionen mit Personen besetzten, die eine direkte Beziehung zu dieser und zur politischen Elite haben. Reicht diese informelle Macht und die quiet politics (Culpepper 2011), wie bei dem durch die Gemeinde von Tierra Amarilla eingeleiteten juristischen Verfahren, nicht aus, um die Durchsetzung ihrer Interessen zu gewährleisten, wendet das Unternehmen durchaus auch illegale Strategien, wie die Bestechung von Gemeindemitgliedern, als letztes Mittel an. Die, für chilenische Verhältnisse, extrem hohen Geldsummen, die dabei geflossen sind, zeigen deutlich auf, wie wichtig dem Unternehmen die gesellschaftliche Unsichtbarkeit der durch die Tailings verursachten sozialökologischen Schäden ist. Die auf diese Weise erlangte Einigung zwischen den Konfliktparteien, hat in der Öffentlichkeit –außerhalb von Tierra Amarilla– den Anschein einer Lösung bzw. einer Fehleinschätzung des Risikos seitens der Gemeinde erweckt und zur Unsichtbarkeit des kurzzeitig öffentlichen Konflikts und des dahinterstehenden Umweltproblems beigetragen.
Es ist üblich unter den führenden chilenischen PolitikerInnen die Rolle des Bergbaus für das ganze Land hervorzuheben. Der Bergbau mache das Land reich und biete gute und sichere Arbeit. Doch das Bild der breiten sozialen Partizipation der chilenischen Bevölkerung an den Umsätzen aus diesem extraktiven Sektor entpuppt sich, wie bereits dargestellt, häufig als leeres Versprechen. Die Teilhabe an dem, was Jakob Graf und ich die periphere imperiale Lebensweise nennen (siehe Landherr & Graf 2019, 2022), ist auf die besitzende Klasse und eine kleine Gruppe meist städtischer hochqualifizierter Lohnabhängiger begrenzt (Arboleda 2020: 75 ff.).39 Da sich dieses Versprechen für die große Mehrheit der direkt Betroffenen allerdings nicht erfüllt, sind auch in Tierra Amarilla starke Elemente einer toxischen Frustration (Singer 2011) unter der Bevölkerung zu beobachten, die in diesem Fall besonders aus der Ohnmacht gegenüber einem mächtigen, omnipräsenten und als unbesiegbar wahrgenommenen Bergbauunternehmen und der gleichzeitigen Gefahrenwahrnehmung bezüglich der ökologischen und gesundheitlichen Kosten des Sektors entsteht. Der abwesende Staat, seine toxische Institutionalität im Umgang mit Tailings, sowie das durch die bekanntgewordenen Korruptionsfälle allgemeine Misstrauen in staatliche Institutionen, PolitikerInnen und lokale Organisationen, erschweren zudem aktuell die Entstehung eines manifesten Konflikts. Derzeit ist unter den Betroffenen in dieser Hinsicht eine generelle Tendenz zur inaction, sowie eine starke Frustration zu beobachten, die sich u. a. darin äußert, dass sich für viele die Migration als einzige mögliche Alternative darstellt, um den sozialökologischen Kosten des Bergbaus zu entfliehen.
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Fußnoten
1
Zu diesem Fall ist bereits ein Artikel veröffentlicht worden, in dem auch ein Teil der im Folgenden aufgeführten Forschungsergebnisse dargestellt wurde (siehe Landherr & Graf 2022).
 
2
Als Charles Darwin 1835 das Tal von Copiapó besuchte, gab es die Siedlung von Tierra Amarilla bereits. Er beschriebt in seinen Reisetagbüchern nicht nur eine damals dort funktionierende Kupfermine, sondern nahm die Ortschaft sogar als Referenzort in seinen topographischen Zeichnungen des Tals (Muñoz y Munita 2008:52, 171). In einem 1882 in Leipzig erschienen Reisebericht berichtet auch der deutsche Paul Treutler von seiner Reise durch Chile zwischen 1851 und 1863 und beschreibt die Bevölkerung von Tierra Amarilla als Bergarbeiter und Bauern (Treutler 1958: 175).
 
4
ENAMI (2016, 1. März): Fusión de Concentrados en Fundición Hernán Videla Lira, [online] https://​www.​sonami.​cl/​v2/​wp-content/​uploads/​2016/​03/​01.​-Fusion-de-Concentrados-en-Fundicion-Hernan-Videla-Lira.​pdf [18.02.22].
 
5
Candelaria gehört zu den Größten Bergbauunternehmen Chiles und ist Teil des Consejo Minero (siehe Kapitel 5).
 
7
Die Zahl wird laufend auf der offiziellen Webseite des Bergwerks aktualisiert: Distrito Candelaria (2022): Fuente Laboral Regional, [online] www.​distritocandelar​ia.​cl [Stand der Zahlen vom 18.02.22].
 
8
Opferzonen (zona de sacrificio auf Spanisch) sind Gebiete, in denen sich dauerhafte Umweltschäden und ökonomische Inversionen, sowie Abbauprojekte im großen Maßstab und/oder Industrieanlagen häufen, wobei eine meist sozial benachteiligte Bevölkerung die Kosten dafür zahlen muss. Diese Orte stellen die „Opfer“ eines extraktivistischen Entwicklungsweges dar.
 
9
So nennen viele BewohnerInnen diese Tailingdeponie, da sie den Zugang zu einem Seitental versperrt hat und der Kleinstadt mehrere Sonnenstunden am Tag nimmt.
 
10
Fundación Terram (2021): Ministerio del Medio Ambiente declaró como Zona Saturada a Copiapó y Tierra Amarilla, [online] https://​www.​terram.​cl/​2021/​09/​ministerio-del-medio-ambiente-declaro-como-zona-saturada-a-copiapo-y-tierra-amarilla/​ [23.02.22].
 
11
Fundación Terram (2022): Fundición de Paipote rebasó casi en 500 % la norma de calidad del aire: índices de dióxido de carbono de azufre son más altos que en crisis de Puchuncaví, [online] https://​www.​terram.​cl/​2022/​01/​fundicion-de-paipote-rebaso-casi-en-500-la-norma-de-calidad-del-aire-indices-de-dioxido-de-azufre-son-mas-altos-que-en-crisis-de-puchuncavi/​ [23.02.22].
 
12
Für das komplette Fernsehinterview siehe: CCN Chile (2015, 9. April): Andrei Tchernitchin por nivel de metales en Atacama: „La exposición de los niños sí es muy grave“[Video]. YouTube https://​www.​youtube.​com/​watch?​v=​b_​BVjz0Gzms [24.02.22].
 
13
Tribunal Ambiental (2013, 16. Dezember): Admite a trámite demanda por daño ambiental de la Municipalidad de Tierra Amarilla contra la Compañía Contractual Minera Candelaria, [online] https://​tribunalambienta​l.​cl/​acoge-a-tramite-demanda-por-dano-ambiental-de-la-municipalidad-de-tierra-amarilla-contra-la-compania-contractual-minera-candelaria/​ [07.06.2022].
 
14
Distrito Candelaria (2015): Convenio Minera Candelaria y Municipalidad de Tierra Amarilla, [online] https://​www.​distritocandelar​ia.​cl/​comunidad/​convenio-tierra-amarilla/​ [24.02.22].
 
15
Biobio Chile (2021, 18. März): Reformalizan causa por cohecho tras acuerdo entre Muni. de Tierra Amarilla y Minera Candelaria [online] https://​www.​biobiochile.​cl/​noticias/​nacional/​region-de-atacama/​2021/​03/​18/​reformalizan-causa-por-cohecho-tras-acuerdo-entre-muni-de-tierra-amarilla-y-minera-candelaria.​shtml [24.02.22].
 
16
Siehe offizielle Website des Unternehmens: Distrito Candelaria (2022): [online] www.​distritocandelar​ia.​cl [18.02.22].
 
17
Dies ist auch besonders deutlich an den Straßen zu beobachten. Während die für den Bergbau wichtigen Routen gut ausgebaut und asphaltiert sind, verlaufen durch die reinen Wohnsiedlungen oftmals Erdwege oder Schotterstraßen in sehr schlechtem Zustand.
 
18
Siehe offizielle Website des Unternehmens: Distrito Candelaria (2022): [online] www.​distritocandelar​ia.​cl [18.02.22].
 
19
Distrito Candelaria (2019): Planta Desalinizadora cumple seis años en operación: Minera Candelaria cubre el 100 % de sus necesidades hídricas con agua de mar desalinizada, [online] https://​www.​distritocandelar​ia.​cl/​planta-desalinizadora-cumple-seis-anos-en-operacion-minera-candelaria-cubre-el-100-de-sus-necesidades-hidricas-con-agua-de-mar-desalinizada/​ [26.02.22]. Über die Herkunft der großen Mengen an Energie, die zur Entsalzung des Meerwassers und vor allem zur Beförderung des Wassers bis nach Tierra Amarilla notwendig sind, gibt es allerdings keine Angaben. 2021 wurde das Unternehmen von der Umweltaufsichtsbehörde außerdem wegen illegaler Wasserentnahme angeklagt, wodurch nachgewiesen wurde, dass das Unternehmen entgegen den eigenen Angaben weiterhin auf das Grundwasser und oberflächliche Wasserquellen zurückgreift. Siehe hierfür La Tercera (2021, 27. Juli): SMA formula seis cargos a Minera Candelaria y arriesga clausura del proyecto, [online] https://​www.​latercera.​com/​pulso/​noticia/​sma-formula-seis-cargos-a-minera-candelaria-y-arriesga-clausura-del-proyecto/​K7AOAI6IVJCEXOPR​M2OWS3FTRM/​ [07.03.22].
 
20
Canal Candelaria – Candelaria Lundin Mining (2017, 14. Juni): Minera Candelaria junto a Tierra Amarilla [Video]. YouTube https://​www.​youtube.​com/​watch?​v=​JZTF0EDXpAA [26.02.22].
 
21
El Mostrador (2020, 19. Oktober): Mina Candelaria suspende operaciones por huelga y el Gobierno pide un „esfuerzo especial“, [online] https://​www.​elmostrador.​cl/​mercados/​2020/​10/​19/​mina-candelaria-suspende-operaciones-por-huelga-y-el-gobierno-pide-un-esfuerzo-especial/​ [02.03.22].
 
22
Paradoxerweise war die Erklärung der Unternehmen dazu, die geschlossenen Gebiete seien instabil und einsturzgefährdet, weshalb ihre Schließung eine Sicherheitsmaßnahme für ArbeiterInnen und ForscherInnen darstelle.
 
23
El Mundo (2022, 07. August): El misterioso socavón de Chile dobla su tamaño en una semana: „La gente teme que se abra la tierra bajo sus pies“, [online] https://​www.​elmundo.​es/​ciencia-y-salud/​medio-ambiente/​2022/​08/​07/​62ecfcbbfc6c83e9​1f8b458f.​html [10.08.2022].
 
24
El Quehaydesierto (2017, 9. Mai): Alcalde de Tierra Amarilla es suspendido de su cargo por 700 días por injurias graves, [online] https://​www.​elquehaydecierto​.​cl/​noticia/​politica/​alcalde-de-tierra-amarilla-es-suspendido-de-su-cargo-por-700-dias-por-injurias-grav [28.02.22].
 
25
Atacama Noticias (2018, 13. November): Osvaldo Delgado: „no le he robado nada a nadie en Tierra Amarilla“, [online] https://​atacamanoticias.​cl/​2018/​11/​13/​video-osvaldo-delgado-no-le-he-robado-plata-a-nadie-en-tierra-amarilla/​ [28.02.22].
 
26
Tierramarillano Chile (2019, 10. Juli): Tribunal Constitucional dejó sin efecto suspensión. ALCALDE TITULAR DE TIERRA AMARILLA, OSVALDO DELGADO, VUELVE A OCUPAR SILLÓN MUNICIPAL, [online] http://​tierramarillano.​cl/​2019/​07/​10/​tribunal-constitucional-dejo-sin-efecto-suspension-alcalde-titular-de-tierra-amarilla-osvaldo-delgado-vuelve-a-ocupar-sillon-municipal/​ [08.06.22].
 
27
Fundación Terrám (2019, 7. März): La red de lobby para la aprobación ambiental de Minera Candelaria hasta 2030 y las platas de SQM, [online] https://​www.​terram.​cl/​2019/​03/​la-red-de-lobby-para-la-aprobacion-ambiental-de-minera-candelaria-hasta-2030-y-las-platas-de-sqm/​ [08.06.22]. Siehe auch gleichnamigen Artikel bei Bío Bío Chile (2019, 7. März): [online] (https://​www.​biobiochile.​cl/​noticias/​reportajes/​reportajes-reportajes/​2019/​03/​07/​minera-candelaria-la-red-de-lobby-para-obtener-la-aprobacion-ambiental-hasta-2030.​shtml [08.06.22].
 
28
Fundación Terram (2021, 20. September): Diputado Jaime Mulet (FRVS) será formalizado por delito de cohecho pasivo en caso Minera Candelaria, [online] https://​www.​terram.​cl/​2021/​09/​diputado-jaime-mulet-frvs-sera-formalizado-por-delito-de-cohecho-pasivo-en-caso-minera-candelaria/​ [08.06.2022].
 
29
Fundación Terrám (2019, 7. März): La red de lobby para la aprobación ambiental de Minera Candelaria hasta 2030 y las platas de SQM, [online] https://​www.​terram.​cl/​2019/​03/​la-red-de-lobby-para-la-aprobacion-ambiental-de-minera-candelaria-hasta-2030-y-las-platas-de-sqm/​ [08.06.22].
 
30
Beide waren an dem Fall der illegalen Finanzierung politischer Kampagnen und Parteien (in diesem Fall der Partido Regionalista Independiente PRI) durch das große Bergbauunternehmen SQM über 385 Millionen chilenische Pesos beteiligt sowie über 70 Millionen chilenische Pesos durch die Gruppe Angelini.
 
31
Das Angebot wurde laut Delgado während des gleichen Treffens noch auf 600 Millionen chilenische Pesos erhöht.
 
32
La Tercera (2021, 18. September): Diputado Mulet por solicitud de formalización en su contra por cohecho en caso Minera Candelaria: „No tengo ningún problema en renunciar a la inmunidad parlamentaria“, [online] https://​www.​latercera.​com/​nacional/​noticia/​diputado-mulet-por-solicitud-de-formalizacion-en-su-contra-por-cohecho-en-caso-minera-candelaria-no-tengo-ningun-problema-en-renunciar-a-la-inmunidad-parlamentaria/​55U5XPHHUFGA7DCY​JDQUMQLIR4/​ [01.03.22]. Siehe auch Bío Bío Chile (2021, 18. März): Reformalizan causa por cohecho tras acuerdo entre Muni. de Tierra Amarilla y Minera Candelaria, [online] https://​www.​biobiochile.​cl/​noticias/​nacional/​region-de-atacama/​2021/​03/​18/​reformalizan-causa-por-cohecho-tras-acuerdo-entre-muni-de-tierra-amarilla-y-minera-candelaria.​shtml [08.06.22].
 
33
El Zorro Nortino (2022, 22.März): Familia de Osvaldo Delgado recurrirá a Tribunal Internacional para denunciar presunta persecución por parte de la Fiscalía de Atacama, [online] https://​www.​elzorronortino.​cl/​actualidad/​familia-de-osvaldo-delgado-recurrira-a-tribunal-internacional-para-denunciar-presunta-persecucion-por-parte-de-la-fiscalia-de-atacama/​ [01.03.22].
 
34
Fundación Terram (2021, 27. September): SMA formuló seis cargos a Minera Candelaria: tres graves, [online] https://​www.​terram.​cl/​2021/​07/​sma-formulo-seis-cargos-a-minera-candelaria-tres-graves/​ [01.03.22].
 
35
BBC News (2021, 8. Oktober): Piñera y los Pandora Papers: la Fiscalía de Chile abre una investigación contra el presidente por el proyecto minero Dominga, [online] https://​www.​bbc.​com/​mundo/​noticias-america-latina-58850055 [01.03.22].
 
36
Ciper Chile (2018, 26. Januar): Juicio por cohecho contra SQM: Juez acoge salida alternativa y el CDE anuncia que apelará [online] https://​www.​ciperchile.​cl/​2018/​01/​25/​juicio-por-cohecho-contra-sqm-cde-amplia-acusacion-para-evitar-suspension-condicional/​ [01.03.22].
 
37
Ciper Chile (2021, 4. August): Platas políticas de SQM: la evidencia que acumuló la Fiscalía contra los 34 imputados que zafaron del juicio, [online] https://​www.​ciperchile.​cl/​2021/​08/​04/​platas-politicas-de-sqm-la-evidencia-que-acumulo-la-fiscalia-contra-los-34-imputados-que-zafaron-del-juicio/​ [01.03.22].
 
38
Beispiele hierfür sind die Opferzonen in Coronel, Huasco, Mejillones, Tocopilla und besonders der Umweltskandal in Quintero-Puchuncavi. Die Fortdauer dieses Umweltskandals zeigt allerdings auch, dass trotz jahrelanger öffentlicher Wahrnehmung, medialer Präsenz und politischer Anerkennung als Opferzone, dies keine Garantie für eine Problemlösung darstellt.
 
39
Die periphere imperiale Lebensweise ist ein zusammen mit Martín Ramirez (Landherr & Ramírez 2019) und Jakob Graf (Landherr & Graf 2021) in Anlehnung an das der Imperialen Lebensweise (Brand & Wissen 2017) entwickeltes Konzept, das die Produktions- und Lebensweise der ökonomisch herrschenden Klassen sowie einem kleinen privilegierten Teil der städtischen Bevölkerung in den Peripherien beschreibt, wobei diese den überproportionalen und exklusiven Zugriff auf die ökologischen und sozialen Ressourcen und Senken innerhalb der Peripherien beschreibt, von dem die Mehrheit der dort lebenden Bevölkerung ausgeschlossen ist.
 
Metadaten
Titel
Die Macht der Bergbauunternehmen – der Fall Tierra Amarilla
verfasst von
Anna Landherr
Copyright-Jahr
2024
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-43288-1_7