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2002 | Buch

Direkte Demokratie

Forschung und Perspektiven

herausgegeben von: Theo Schiller, Volker Mittendorf

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Neue Entwicklungen der direkten Demokratie

1. Neue Entwicklungen der direkten Demokratie
Zusammenfassung
Seit etwa 1990 hat sich die Diskussion über Demokratie in Deutschland nachhaltig verändert: in den 90er Jahren gewann die Debatte über direkte Demokratie aktuelle und praktische Bedeutung. Bis dahin lag das Gravitationsfeld der Demokratie in der Bundesrepublik beim Verfassungstypus der parlamentarischen Repräsentativdemokratie, die das Grundgesetz in den Mittelpunkt gerückt hatte, und die von vielen Verfassungsjuristen als allein verbindliches System beschworen wurde. Trotz des Aufbruchsignals von Bundeskanzler Willy Brandt, „mehr Demokratie„ zu wagen, das von basisdemokratischen Bewegungen in Protestform aufgegriffen wurde, entwickelten sich zunächst keine entscheidungsrelevanten Positionen und Vorstöße, die zu einer strukturellen Erweiterung direktdemokratischer Verfassungselemente hätten führen können. An der begrenzten Praxis der Volksbegehren und Volksentscheide in Bayern auf Landesebene und der Bürgerentscheide auf Kommunalebene in Baden-Württemberg machte sich keine Dynamik für einen breiteren Ausbau der direkten Demokratie in der alten Bundesrepublik Deutschland fest. Zwar festigte sich von 1949 bis 1989 zweifellos die politische Unterstützung und das Systemvertrauen der Bevölkerung für die Demokratie, doch führte auch ein zunehmender Meinungstrend für mehr Beteiligungsmöglichkeiten durch Volksabstimmungen und auch die Protestpraxis der 70er und 80er Jahre noch nicht zu einer Erweiterung des institutionellen Repertoires.
Theo Schiller, Volker Mittendorf

Direkte Demokratie — Forschungsstand und Perspektiven

2. Direkte Demokratie — Forschungsstand und Perspektiven
Zusammenfassung
Um den Forschungsstand zur direkten Demokratie zu referieren und einschlägige Forschungsaufgaben zu zeigen, genügte 1990 und 1995 jeweils ein Aufsatz in der „Zeitschrift für Parlamentsfragen„ von 14 bzw. 20 Seiten (Jung 1990a, 1995c). 2001 war eine ganze Tagung diesem Thema gewidmet, aus der dieser Sammelband hervorgeht, und das kommt nicht von ungefähr: Wir stehen in der Tat vor einer Situation, die man als Aufschwung (Jung 1997e) — militärisch gesprochen: als Siegeszug (Jung 1999b) — der direkten Demokratie bezeichnet hat, wenn man nicht gleich, zumindest in Bezug auf die bayerische Rechts- und Verfassungsgeschichte, von einem „plebiszitäre(n) Jahrzehnt“ sprach (Steiner 2000: 3). So sehr diese Entwicklung jene freut, die sich für die Volksrechte engagieren, so deutlich erschwert sie aber auch die Aufgabe, einen Überblick über den Stand der Forschung zu geben: Es ist eben sehr viel mehr über unser Thema in den letzten sechs Jahren geforscht und publiziert worden als in dem Jahrfünft vorher bzw. überhaupt bis 1990, und entsprechend schwierig ist es angesichts dieser Fülle, auch noch Perspektiven zu zeigen.
Otmar Jung

Entwicklung, Formen und Ergebnisse direktdemokratischer Verfahren

Frontmatter
3. „Weimarer Erfahrungen“: Heute noch eine Orientierungshilfe?
Zusammenfassung
Seit ihren Anfängen wird die Plebiszitforschung von der Tatsache bestimmt, dass nur wenige Verfahren der Willensbildung und Entscheidungsfindung bis heute eine so konträre Beurteilung erfahren wie die „Politikinstrumente direkter Demokratie„. Während die eine Seite sie als „Formen der‚ Problemlösung‘„ einschätzt, bewertet sie die andere Seite als „Formen der‚Problemverursachung‘„ (Luthardt 1994: 15). Ein Charakteristikum der diesbezüglichen deutschen Diskussion und eine Ursache ihrer Polarisierung ist der seit den Anfangsjahren der Bundesrepublik verwendete Topos der negativen „Weimarer Erfahrungen“. (vgl. z. B. Schneider 1955: 156–158; Fromme 1962: 63, 147–152). Dieser Topos begleitet bis heute zum einen die Diskussion über die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene. Zum anderen taucht er in den Debatten auf, die über den Ausbau der Volksgesetzgebung auf Landesebene geführt werden. Als der Thüringer Landtag sich im Frühjahr 2001 mit dem volksbegehrten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Landesverfassung, dem Gesetz zur Stärkung der Rechte der Bürger, befasste (Thür. LT 2001: Drs. 3/1449), waren bei der Anhörung des Justizausschusses u. a. die folgenden Fragen zu beantworten:
a)
„Wie beurteilen Sie die Stichhaltigkeit des Arguments, direkte Demokratie habe maßgeblichen Einfluss auf den Niedergang der Weimarer Republik gehabt?„ und
 
b)
„Wie erklären Sie den weitgehenden Verzicht des Grundgesetzes auf Instrumente direkter Demokratie vor dem Hintergrund seiner Entstehungsgeschichte?„ (Thür. LT 2001: Vorlage 3/786).
 
Reinhard Schiffers
4. Obligatorisches Referendum, Plebiszit und Volksbegehren — drei Typen direkter Demokratie im europäischen Vergleich
Zusammenfassung
In Europa finden immer mehr Volksentscheide statt. Diese Entwicklung wird im ersten Kapitel dieses Beitrages dokumentiert. Anschließend werden die europäischen Erfahrungen mit direkter Demokratie klassifiziert, verglichen und bewertet. Zum Schluss werden die Argumente diskutiert, die gemeinhin von Skeptikern und Gegnern der Stärkung direktdemokratischer Bürgerrechte vorgebracht werden. Dabei sollen unmittelbare und mittelbare Demokratie nicht gegeneinander ausgespielt werden (Rüther 1996). Vielmehr geht es in diesem Beitrag darum, die unterschiedlichen europäischen Erfahrungen mit Volksentscheiden für die deutsche Debatte über die Einführung direktdemokratischer Verfahren auf Bundesebene zu erschließen.
Roland Erne
5. Direkte Demokratie in der Schweiz: Ergebnisse neuerer empirischer Untersuchungen
Zusammenfassung
In De Republica, einem seiner bedeutendsten politischen Texte, definiert Cicero (59 v. Chr., 1988) drei Regierungsformen: die Demokratie als die Herrschaft des Volkes oder ,der vielen‘, die Monarchie als die Herrschaft eines einzigen Prinzipals und die Aristokratie als die Herrschaft einer Elite. Gemäß der Einschätzung Ciceros ist die Aristokratie als die Herrschaft der ‚ Optimaten‘ diejenige Regierungsform, die vorzugswürdig ist, weil sie die Macht in den Händen weniger dazu fähiger Personen vereinigt. Demokratie kann in diesem Konzept nicht optimal sein, da Cicero sie ausschließlich als Herrschaft der besitzenden Klasse auffasst, die jedoch zu wenig auf Politik spezialisiert ist. Im Gegensatz dazu ist die Herrschaft durch die Massen nach Cicero keine Demokratie mehr, sondern ihre ungünstige Weiterentwicklung zur Ochlokratie, genauso wie eine Diktatur eine Abart der Monarchie und die Oligarchie eine Abart der Aristokratie ist.
Lars P. Feld, Gebhard Kirchgässner
6. Direkte Demokratie in den deutschen Bundesländern
Zusammenfassung
Prägend für die Geschichte der Direkten Demokratie in den deutschen Bundesländern war, dass bis 1990 nur wenige Landesverfassungen direktdemokratischen Elemente enthielten. Diese wiederum waren mit meist sehr hohen Einleitungshürden versehen, was eine äußerst geringe Praxis bedingte. Erst seit 1990, infolge der Reformen von Landesverfassungen der alten Bundesländer sowie der neu entstandenen Landesverfassungen in den neuen Bundesländern stieg die Zahl der eingeleiteten direktdemokratischen Verfahren — ähnlich wie auf kommunaler Ebene — steil an (s. Jung sowie die Beiträge zur Kommunalebene in diesem Band).1
Frank Rehmet
7. Die Entwicklung der Rechtsprechung zu Volksbegehren und Volksentscheid nach der Deutschen Einheit
Zusammenfassung
Die Diskussion um die sachunmittelbare Demokratie hat mit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten neuen Auftrieb erhalten. Die — mit Ausnahme von Berlin — inzwischen in allen Bundesländern vorhandenen Bestimmungen zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheid und die ausnahmslose Regelung von Volksgesetzgebungsverfahren in allen Landesverfassungen ist eine wesentliche Folge des Einigungsprozesses. Der Hinweis auf die friedliche Revolution zieht sich wie ein roter Faden durch die Begründungen bei den Reformen der Kommunal- und Landesverfassungen, die seit der Wiedervereinigung erfolgten.
Peter Neumann
8. Das Verfahren zur Herbeiführung eines Volksentscheids als Filter am Beispiel eines Drei-Länder-Vergleichs
Zusammenfassung
Mit dem Verfahren zur Herbeiführung eines Volksentscheids ist hier der Vorgang gemeint, in dem Bürger/innen eine eigene Vorlage zur Volksabstimmung stellen. Die Abhaltung von Volksabstimmungen durch Staatsorgane ohne verfassungsrechtliche Vorschriften (Plebiszit), obligatorische und fakultative Referenden sowie imperfekte Volksinitiativen werden hier nicht berücksichtigt. Imperfekte Volksinitiativen1 geben aufgrund der zu erwartenden geringen politischen Effektivität letztlich keine Auskunft über die Durchsetzungskraft des Instruments Volksentscheid im Sinne einer Politikgestaltung, die tatsächliche Alternativen zu den Angeboten des Parlaments bietet. Bei imperfekten Volksinitiativen ist das Schicksal der Vorlage dem guten Willen des Parlaments unterworfen, während beim durchgängigen Verfahren die Initiator/innen der Vorlage die Option der Entscheidung durch die Stimmberechtigten in der Hand behalten.
Diana Schaal

Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in den Gemeinden

Frontmatter
9. Beschnittene Anwendungsbereiche für Bürgerbegehren und -entscheid
Zusammenfassung
Wer das in den meisten Bundesländern erst in den 90er Jahren eingeführte Instrument Bürgerbegehren und -entscheid nutzen will, um eine kommunalpolitische Maßnahme durchzusetzen oder zu verhindern, bekommt allzu oft die Auskunft, die Angelegenheit sei nicht bürgerentscheidsfähig. Irritiert fragen sich Bürgerinnen und Bürger dann, mit welcher Berechtigung dem Souverän etwas vorenthalten wird, was allein die von ihm eingesetzten Organe entscheiden dürfen. Der folgende rechtsvergleichende Überblick über bundesdeutsche Gemeindeordnungen1 in den Flächenländern (einschließlich Verfassung für Bremerhaven) möchte deshalb durch Vorschlage für Rechtsanwendung und Gesetzgebung zur Ausdehnung des Anwendungsbereichs für Bürgerbegehren und -entscheide beitragen.
Roland Geitmann
10. Kommunale Referenden in den ostdeutschen Kommunen — Regelung, Anwendungspraxis, Bestimmungsfaktoren
Zusammenfassung
Die Einführung der kommunalen Referenden in der DDR-Kommunalverfassung vom 17.5.1990 spiegelt die basis-demokratischen Bewegungen und Erfahrungen wider, die den politischen Umbruch der späten DDR begleiteten und bestimmten und die, wie während der Gesetzesberatungen ausdrücklich betont wurde, in direkt-demokratischen Entscheidungsrechten wie diesen „bewahrt“ werden sollten (Petzold 1990: 28; Wollmann 1996.). Diese DDR-Kommunalverfassung galt gemäß den Überleitungsbestimmungen des Einigungsvertrags nach der Deutschen Vereinigung (durch „Beitritt“ der DDR) vom 3.10.1990 in den neugebildeten ostdeutschen Ländern zunächst — als jeweiliges Landesrecht — weiter. Sie wurde von den neuen landesgesetzlichen Gemeinde- und Kreisordnungen abgelöst, die die ostdeutschen Landtage zwischen dem 18. März 1993 (in Sachsen) und 18. Februar 1994 (in Thüringen) verabschiedeten und die mit dem Datum der 2. Kommunalwahlen in Kraft traten (am 5. Dezember 1993 in Brandenburg und am 12. Juni 1994 in den anderen ostdeutschen Ländern).
Hellmut Wollmann
11. Direkte Demokratie als verhandlungsdemokratischer Impuls — Wirkungen kommunaler Referenden in NRW
Zusammenfassung
Die kommunale Ebene ist wegen ihrer Nähe zu den Problemen der Bürger immer schon herausragender Gegenstand der Demokratisierungsdiskussionen. Dennoch sind der deutschen Kommunaltradition direktdemokratische Elemente weitgehend fremd. Für die Artikulation des Volkswillens gilt in Deutschland auf allen Gebietskörperschaftsebenen lange Zeit die Dominanz repräsentativer Regeln (GG Art. 28 Abs. 1). Bis Anfang der 90er Jahre sind lediglich die in Art. 28 Abs. 2, Satz 3 GG vorgesehenen Gemeindeversammlungen für sehr kleine Gemeinden, die im Zuge der Gemeindegebietsreform weitgehend verschwunden sind, sowie das lokale Referendum in Baden-Württemberg und die Direktwahl der Bürgermeister in Baden-Württemberg und Bayern Ausnahmen.
Jörg Bogumil
12. Das Output-Spektrum von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden
Zusammenfassung
Die Hinwendung zu Formen direktdemokratischer Politikentscheidungen kann auf relevante Prozesse des Wertewandels, veränderter Politik-und Lebensstile und damit korrespondierende veränderte Prioritätensetzungen von Bürgern und gesellschaftlichen Gruppen zurückgeführt werden. Zumindest begünstigend für die Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid waren auch die friedliche Revolution in der DDR (verbunden mit der kritischen Forderung der Bürger nach erweiterten Beteiligungsmöglichkeiten) sowie der (nicht immer ganz freiwilligen) Einsicht der Politik, die Kommunalverfassungen reformieren zu müssen und dabei dem Partizipationsbedürfnis der Bevölkerung Rechnung zu tragen bzw. auf diesem Wege einer befürchteten Verdrossenheit an den etablierten Parteien und Politikern entgegenzuwirken. Die durch diese Sachverhalte erzeugten dynamischen Entwicklungen wurden in den verschiedenen Gemeindeordnungen schließlich institutionell gefasst. Mit Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden wurden damit Politikinstrumente geschaffen, die Sachvoten erlauben. „Ihre Politikfunktion besteht darin, dass das Volk direkt, d. h. unmittelbar in den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess mit einbezogen oder selbst initiativ werden kann, soll und muss“ (Luthardt 1996: 162). Als normativer Anknüpfungspunkt wird dabei aus demokratietheoretischer Sicht auf den Topos „Volksherrschaft“ Bezug genommen, da die Volkssouveränität die höchste Legitimationsbasis darstellt.
Andreas Kost
13. Wirkungen der direkten Demokratie auf das kommunale Parteiensystem
Zusammenfassung
Nicht nur über das „Ob“, sondern auch über das „Wie“ der Auswirkungen direkter Demokratie auf das Parteiensystem herrscht unter Politikwissenschaftlern eine seltene Einigkeit. Direkte Demokratie und Parteiendemokratie werden in einem Spannungsverhältnis zu einander gesehen, das im großen und ganzen nach Art eines Nullsummenspiels funktioniert. Es gibt eine „ziemlich verblüffende Sympathie“ („rather mystifying sympathy“) für die These, mehr direkte Demokratie schwäche die Parteien (vgl. Ladner/Brändle 1999: 288).
Andreas Paust
14. Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in den Hamburger Bezirken — eine Zwischenbilanz
Zusammenfassung
Die wissenschaftliche Betrachtung direktdemokratischer Elemente in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen hat im Vergleich — insbesondere zu den süddeutschen Flächenländern — in der Vergangenheit eher eine untergeordnete Rolle gespielt. Angesichts einer durchaus bestehenden Vorgeschichte der Plebiszite in Berlin, Hamburg und Bremen kann man zwar nur bedingt davon sprechen, dass die Stadtstaaten zur Nachhut in Sachen direkter Demokratie gehören (Prigge/Prange/Bovenschulte, 1999: 63). Umfangreiche Reformdiskussionen über direkte Demokratie aber haben die Stadtstaaten erst spät erreicht — in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre und im Zusammenhang mit Initiativen seitens „Mehr Demokratie e.V.“. Deren Landesverbände haben Bewegung in die stadtstaatliche Politik gebracht — mit unterschiedlichem Erfolg.
Andreas Dressel
15. Die direktdemokratische Praxis in den Hamburger Bezirken: Zwischen Konsenssuche und administrativer Sabotage
Zusammenfassung
Seit der Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Hamburgs erstem Volksentscheid 1998 (vgl. Efler 1999), hat sich in den Hamburger Bezirken eine rege direktdemokratische Praxis entwickelt. Diese Praxis lässt sich so umfassend und genau beschreiben wie in keinem anderen Bundesland. Das liegt zum einen an den vergleichsweise überschaubaren Hamburger Verhältnissen. Zum anderen ist es aber der gesetzlichen Regelung zu verdanken, dass Bürgerbegehren, bevor überhaupt Unterschriften gesammelt werden können, angemeldet werden müssen.1 Dadurch konnten hier auch die Begehren erfasst werden, die mangels ausreichender Unterstützung nicht eingereicht wurden. In anderen Bundesländern können diese Begehren in wissenschaftlichen Untersuchungen oft nicht berücksichtigt werden, weil sie nicht amtlich registriert werden und weil gerade diese Begehren in der Öffentlichkeit auf weniger Resonanz stoßen.2
Karsten Vollrath

Meinungsbildung und Kommunikation in der direkten Demokratie

Frontmatter
16. Direkte Demokratie lernen oder Demokratie direkt lernen?
Demokratiepädagogik als Demokratiepolitik
Zusammenfassung
Der folgende Beitrag behandelt ein recht komplexes und schwieriges, aber auch spannendes Arbeitsfeld. Ich möchte meinen Beitrag mit einigen Thesen beginnen, die in der Literatur inzwischen recht häufig in Verbindung mit dem Thema des Demokratie-Lernens angeführt werden.
Gerhard Himmelmann
17. Qualitative Unterschiede in der Wahl- und Abstimmungskampfkommunikation
Zusammenfassung
In der Diskussion über die Einführung oder Erleichterung direktdemokratischer Verfahren begründen Befürworter ihre Haltung nicht nur auf der Erwartung, in Abstimmungen könnten andere Entscheidungen getroffen werden als im Parlament, sondern in starkem Maße auf positive Nebenwirkungen der Anwendung der Verfahren. So wird seit langem betont, dass es vornehmlich die „indirekten Wirkungen“ sind, die direkte Demokratie als Entscheidungsverfahren interessant machen (Möckli 1994; Lackner 1998, z. T. kritisch dazu: Vollrath 2001; Bogumil 2001).1 Indirekte Wirkungen beziehen sich dabei nicht auf den formalen Ausgang des Verfahrens, sondern ohne Berücksichtigung des formalen Ergebnisses auf die Auswirkungen der Anwendung des Verfahrens auf das Verhalten der Bürger, organisierten Akteure und Institutionen („primär-indirekte Wirkungen“, Lackner 1999: 94) bzw. die Rationalität oder Transparenz des Entscheidungshintergrunds und der Entscheidung selbst („sekundärindirekte Wirkungen“, Lackner 1999: 94). Für diese Erwartungshaltung gibt es mehr oder weniger plausible Argumente und Einzelfallanalysen, die empirische Überprüfung von Hypothesen, die sich darauf beziehen, steht jedoch bislang noch eher am Anfang: Einerseits ist die Erfassung indirekter Wirkungen aufwändiger als die Erfassung „härterer“ empirischer Fakten (wie etwa der Abstimmungsbeteiligung und — ergebnisse), andererseits weisen direktdemokratische Verfahren den unschätzbaren Vorteil auf, dass der Prozess der politischen Problembehandlung und -bearbeitung zu weiten Teilen in der medialen Öffentlichkeit stattfindet — es handelt sich folglich nicht um eine„Black-Box“, sondern um einen nachvollziehbaren politischen Wandlungsprozess.
Volker Mittendorf
18. Prädispositionen und Kampagnen bei Schweizer Volksabstimmungen
Der Dispositionsansatz als Instrument der politischen Kommunikation für die Entscheidungsanalyse in der direkten Demokratie
Zusammenfassung
Wie äußert sich der Volkswille via direktdemokratische Institutionen im politischen Entscheidungsprozess, und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Akteure und das politische System? Diese Fragen stehen im Zentrum des nachstehenden Beitrages zur Bestimmung des Forschungsstandes und der Perspektiven zur direkten Demokratie. Unsere Sichtweise entspricht der sozialwissenschaftlichen Erforschung der politischen Kommunikation, die sich an den Erkenntnissen der Politik- wie auch der Kommunikationswissenschaften orientiert.
Claude Longchamp

Perspektiven direkter Demokratie

Frontmatter
19. Reformperspektiven zum abrogativen Referendum in Italien
Zusammenfassung
Der Enthusiasmus, mit dem vor genau zehn Jahren nach der „Generalsäuberung der politischen Kaste in Italien“ (FAZ 16.02.2002: 3) viele Beobachter auf die politische Entwicklung auf der krisengeschüttelten Halbinsel blickten, weicht heutzutage der Ernüchterung. Notwendige Reformen wurden verschleppt, lang ersehnte Transformationsprozesse mündeten in stürmische und zuweilen von Handgemenge begleitete formaldemokratische Debatten, Leistungs- und Steuerungsversprechen wurden nicht eingehalten und die fairen Regeln einer demokratischen Gewaltenteilung wurden oft erst gar nicht beachtet.
Anna Capretti
20. Der Platz der direkten in einer parlamentarischen Demokratie
Zusammenfassung
Eigentlich sollen Elemente der direkten Demokratie in einer parlamentarischen Demokratie gar keinen Platz haben. Sie wären nach Graf Kielmansegg eine unzulässige Verknüpfung zweier Formen von Demokratie, die durch eben diese Verknüpfung an Eindeutigkeit verlieren (Kielmannsegg 2001: 14). Kielmansegg begründet diese Auffassung mit der Verwischung von Verantwortung für Herrschaftshandeln, wenn mit Elementen der direkten Demokratie die Opposition zu einer parlamentarischen Minderheitsregierung aufgewertet werde. In einem „Zwei-Block-Parteien-System“, als das Kielmansegg die Bundesrepublik versteht, werde damit die alleinige Verantwortung der Regierungsmehrheit verwässert. „Wem Entscheidungsvollmacht anvertraut ist, der kann zur Rede gestellt und zur Verantwortung gezogen werden“.
Erwin K. Scheuch
21. Zur Diskussion über Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene
Klaus Hahnzog
22. Das Design der Direkten Demokratie und ihre Qualitäten
Erfahrungen und Reformideen im Vergleich zwischen Kalifornien, Schweiz und den deutschen Bundesländern
Zusammenfassung
Seit einiger Zeit hat sich in Deutschland die Erkenntnis durchgesetzt, dass in der politischen Diskussion über die Direkte Demokratie nicht die Frage des ob, sondern die Frage nach dem wie im Zentrum der Überlegungen stehen sollte (so u. a. Schiller/Gross 1995). Die Erfahrungen der vergangenen Jahre sollten ermutigen, diese These qualitativ und quantitativ zu vertiefen und zu erweitern: Die Handhabung direktdemokratischer Elemente während der vergangenen fünf Jahre in den deutschen Bundesländern, Westeuropa (namentlich Italien und Portugal), den US-Bundesstaaten und der Schweiz zeigen, dass das Design der Direkten Demokratie, die Ausgestaltung der direktdemokratischen Verfahren und deren Abstimmung und Einbettung in die parlamentarischen Entscheidungsprozesse entscheidend sind für die Güte der Direkten Demokratie.
Andreas Gross
Backmatter
Metadaten
Titel
Direkte Demokratie
herausgegeben von
Theo Schiller
Volker Mittendorf
Copyright-Jahr
2002
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-80430-3
Print ISBN
978-3-531-13852-7
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-80430-3