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Erschienen in: Informatik Spektrum 1/2023

Open Access 07.02.2023 | HAUPTBEITRAG

Ein Simulationsmodell zur Erfassung von Abflussrisiken in der Landwirtschaft

verfasst von: S. Wendland, B. Hankers, M. Bock, J. Böhner, J. Squar, D. Lembrich, O. Conrad

Erschienen in: Informatik Spektrum | Ausgabe 1/2023

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Zusammenfassung

Digitale Informationstechniken gewinnen zunehmend an Bedeutung für Optimierungsstrategien in der landwirtschaftlichen Produktion, wobei einer Gewinnmaximierung die Minimierung kritischer Umweltwirkungen z. B. durch Oberflächenabfluss und Bodenerosion gegenübersteht. Mit dem hier vorgestellten Simulationsmodell lassen sich die an den Oberflächenabfluss gekoppelten Risiken der Stoffverlagerung räumlich explizit für frei wählbare Szenarien bezüglich der Niederschlagsmenge, Bodenwasseraufsättigung, Feldfrucht und verschiedenen Minderungsmaßnahmen abschätzen. Die Modellimplementierung erfolgte auf Basis der freien GIS Software SAGA, die federführend an der Universität Hamburg entwickelt wird. Die Konfiguration und operationelle Ausführung des Modells erfolgt typischerweise in einer Python Umgebung. Deutschlandweit prozessierte Simulationsergebnisse für repräsentative Szenarien mit einer räumlichen Auflösung von 10 m werden von der Geoinformationsdienst GmbH über eine Web-GIS Anwendung für Kunden bereitgestellt.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Einleitung

Der Einsatz digitaler Informationstechniken in der Landwirtschaft trägt zur Optimierung der landwirtschaftlichen Produktion bei und macht damit die sog. Präzisionslandwirtschaft (Precision Agriculture) zu einer zunehmend verbreiteten Agrartechnologie. Während aus betriebswirtschaftlicher Sicht insbesondere die Gewinnmaximierung durch die digital unterstützte Betriebsführung die entscheidende Zielfunktion darstellt, so tragen digitale raumzeitlich differenzierte Informationen etwa über Bodeneigenschaften und aktuellen Bodenzustand auch zu einer ressourceneffizienten, teilflächenspezifischen Applikation von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln bei und leisten damit ebenfalls einen Beitrag zum Ressourcenschutz.
Die Nutzung räumlich-expliziter Informationen zur Minimierung kritischer Umweltwirkungen ist allerdings keineswegs das Ergebnis der aktuellen Digitalisierung in der Landwirtschaft. Bereits in den 1930er-Jahre hatten wiederkehrende, katastrophale Erosionsereignisse im Mittelwesten der USA zu vermehrten Anstrengungen bei der Entwicklung von empirischen Modellen geführt, die das Erosionsrisiko auf Ackerschlägen aber auch die Wirksamkeit von Erosionsschutzmaßnahmen quantifizieren. Diese frühen Entwicklungen mündeten bereits in den 1950er-Jahren in die Formulierung der Universal Soil Loss Equation USLE [1], einem empirischen Modell zur Abschätzung von Bodenerosionsraten, dessen zahlreiche Weiterentwicklungen und Derivate heute in der Betriebs- und Beratungspraxis etablierte Standards bei der Bemessung von Erosionsrisiken und der Implementierung von Minderungsmaßnahmen darstellen.
Bodenerosion stellt allerdings nur einen kritischen Prozess mit negativen Umweltwirkungen dar. Auch Oberflächenabfluss (Run-off) und der an das Agens Wasser gebundene Transport gelöster Stoffe ist mit kritischen On-site-Effekten auf betroffenen Ackerflächen (z. B. durch den Verlust von Nährstoffen und Pflanzenschutzmitteln) sowie mit vielfältigen Off-site-Risiken für benachbarte Oberflächengewässer (insbesondere durch Eintrag von Schadstoffen) verbunden [2]. Im Unterschied zur Bodenerosion gibt es für Oberflächenabfluss bisher allerdings keine allgemein akzeptierten Methoden zur Bemessung von Risiken. Angesichts dieses Mangels an anwendungs- und umsetzungsorientierten Methoden zur präventiven Abschätzung von Run-off-Risiken und der damit verbundenen Unsicherheiten in der Beratungspraxis wurde an der Universität Hamburg in Kooperation mit Industriepartnern, Fachbehörden und Consultingunternehmen ein GIS (Geoinformationssystem) gestütztes Run-off-Dispositionsmodell entwickelt, das die Modellbasis für den Gewässerschutzberater, eine Web-GIS-Applikation zur teilflächenspezifischen Identifikation von Run-off-Risiken und Minderungsmaßnahmen bildet. Die Struktur und Anwendungsoptionen des Modellkonzepts werden nachfolgend in einer Übersicht vorgestellt. Eine ausführliche Beschreibung ist [2] sowie [3] zu entnehmen.

Technische Umsetzung: SAGA und Python

Die Kernfunktionalität des Simulationsmodells wurde als Erweiterung zu SAGA [4], einem System zur automatisierten geowissenschaftlichen Analyse, implementiert, das federführend an der Universität Hamburg, Physische Geographie, entwickelt wird. Eine Übersicht zur Systemarchitektur von SAGA gibt Abb. 1. SAGA ist in C++ programmiert und stellt eine umfangreiche Anwendungsprogrammierschnittstelle (API) für die Verarbeitung von Geodaten zur Verfügung. Hierzu gehören Datenstrukturen für die Speicherung von Raster‑, Vektor- und Tabellendaten, die Funktionalität von Werkzeugen, insbesondere von Schnittstellen zur Werkzeugkonfiguration und -ausführung, sowie zahlreiche Hilfsfunktionen z. B. zur Datumskonvertierung, der Koordinatentransformation oder der Ableitung statistischer Kennwerte. Bei der Programmierung eines Werkzeuges kann über die SAGA API sehr einfach auch auf andere bereits in SAGA verfügbare Werkzeuge zurückgegriffen werden, sodass man sich bei der Entwicklung komplexer Prozessierungsschritte wie bei einem modularen Baukastensystem bedienen kann, eine Option, die auch für die Entwicklung des hier vorgestellten Simulationsmodells an mehreren Stellen benutzt wird. Eine Parallelisierung lässt sich je nach Art des Problems ebenfalls weitgehend intuitiv lösen, was in den meisten Fällen, wie auch in dem Simulationswerkzeug, zur Zeit mithilfe der OpenMP-Bibliothek (openmp.org) gelöst wird. Da SAGA’s Datenstrukturmodelle in erster Linie speicherorientiert angelegt sind, eignet sich SAGA in Kombination mit den Parallelisierungsoptionen sehr gut auch für die Ausführung auf High Performance Computing (HPC) Systemen oder bietet zumindest die Option einer performanten Skalierbarkeit in diese Richtung an. In Bezug auf Möglichkeiten der Skalierbarkeit ist als ein weiteres Herausstellungsmerkmal von SAGA seine prinzipiell plattformübergreifende Kompilierbarkeit zu nennen. Die derzeit unterstützten Betriebssysteme sind Windows, Linux, FreeBSD und MacOS. Ermöglicht wird diese weitgehende Betriebssystemunabhängigkeit, die vor allem – aber nicht ausschließlich – für die grafischen Schnittstellen nötig ist, durch die Verwendung der portablen C++ GUI Bibliothek wxWidgets (wxWidgets.org).
Damit ein SAGA-Werkzeug ausgeführt werden kann, wird ein entsprechendes Front-End-Programm benötigt. Verschiedene Front-End-Programme können dabei zum Einsatz kommen, von denen zwei Lösungen integraler Bestandteil von SAGA selbst sind. Zum einen handelt es sich dabei um eine grafische Benutzeroberfläche (SAGA GUI), die vom Benutzer interaktiv bedient wird und neben der Datenverwaltung und -analyse auch verschiedene Optionen für die Datenvisualisierung anbietet und sich somit besonders für ein exploratives Vorgehen eignet (Abb. 2). In Hinblick auf die Entwicklung des Simulationsmodells, kommt die GUI vor allem zum Testen und zur Ergebnisvisualisierung zum Einsatz. Das zweite Programm ist ein Kommandzeileninterpreter (SAGA CMD), der sich in erster Linie für die Automatisierung durch Skriptprogramme eignet, die der Ausführung von Kommandozeilen dienen (Shell- und Batchskripte). Sowohl die Anbindung zur Programmierumgebung R (r-project.org, RSAGA, Rsagacmd) als auch die Anbindung für die GIS-Programme ArcGIS (arcgis.com) und QGIS (qgis.org) verwenden SAGA CMD, um SAGA-Werkzeuge aufzurufen. Für die automatisierte Ausführung des hier vorgestellten Simulationsmodells wird auf die deutlich effizientere und flexiblere Python-Schnittstelle für die SAGA API zurückgegriffen. Die Python-Schnittstelle wird mit SWIG (Simplified Wrapper and Interface Generator) erstellt, einem Compiler zur Erstellung von C/C++-Schnittstellen für verschiedene Skriptsprachen (swig.org). Die mit SWIG erstellte Schnittstelle zur SAGA API erlaubt die Verwendung nahezu aller ihrer Funktionalitäten. So können nicht nur SAGA-Werkzeuge konfiguriert und ausgeführt werden, sondern auch Datenobjekte und Funktionen der SAGA API unabhängig von Werkzeugen in der Python-Umgebung verwendet werden. Das ist z. B. nützlich, um in komplexeren Arbeitsabläufen Zwischenergebnisse für die Weiterverarbeitung durch mehrere Werkzeuge im Speicher zu halten, ohne auf teure IO-Operationen für die Zwischenspeicherung zurückgreifen zu müssen. Ein weiterer Vorteil ist die nahtlose Integration in eine ausgereifte Data-Science-Umgebung, die Python z. B. mit matplotlib und numpy anbietet. Dadurch, dass vorkonfigurierte Werkzeugaufrufe für Shell‑/Batchskripte und Python direkt aus der SAGA GUI exportiert werden können, lassen sich diese leicht in neue Skriptanwendungen integrieren (Abb. 3a,b).
SAGA ist eine freie und quelltextoffene Software und unterliegt in großen Teilen der GNU General Public License (GPL, Version 2). Das betrifft insbesondere die beiden Front-End-Programme sowie die meisten (in der freien Version enthaltenen) Werkzeuge. Die SAGA API weicht durch Verwendung der etwas weniger restriktiven GNU Lesser General Public License (LGPL) davon ab, sodass SAGA-Werkzeuge, die zwangsläufig auf die SAGA API aufbauen, nicht automatisch unter den Bedingungen der GPL weitergegeben werden müssen bzw. verwendet werden können, und dadurch auch die Entwicklung proprietärer Werkzeuge ermöglicht ist. Das hier vorgestellte Simulationsmodell ist zurzeit nicht in der freien Version von SAGA enthalten, einige zentrale Werkzeuge, auf die das Simulationsmodell zurückgreift, aber schon. Die Quelltextverwaltung mit unbeschränktem Lesezugriff nutzt den GIT-Service von SourceForge (sourceforge.net), einem Dienstleister für Open-Source-Software-Projekte, über den u. a. auch die SAGA Releases, Dokumentationen, das Bugtracking sowie ein Nutzerforum angeboten werden (SAGA-Projektseite). Vorkompilierte Binärdateien werden zu jeder Release für Windows und macOS bereitgestellt. Für verschiedene Linux-Distributionen gibt es offizielle Programmpakete. Um die Kompilierung auf verschiedenen Plattformen zu vereinfachen, wird CMake (cmake.org) für die Konfiguration benutzt, insbesondere zum Einbinden benötigter wie optionaler externer Programmbibliotheken. Alternativ lässt sich SAGA unter Unix auch durch das Software-Management-Tool Spack (spack.​readthedocs.​io) installieren, welches sich selbstständig um die Installation aller benötigten Abhängigkeiten kümmert.

Modellstruktur und Modellkomponenten

Generalisiert kann die Struktur des Simulationsmodells in die Komponenten Antrieb, Boden, Oberfläche und Prozess gegliedert werden. Als meteorologische Antriebsvariablen gehen Niederschlagsdaten sowie die Grasreferenzverdunstung in die Modellierung ein. Je nach Anwendungsoption und Datenverfügbarkeit wird die Grasreferenzverdunstung durch die aktuelle Evapotranspiration auf Basis der von der FAO (Food and Agriculture Organization) für diese Anwendungen definierten fruchtspezifischen (Crop‑)Faktoren bestimmt. Der Niederschlagsüberschuss wird nachfolgend an das Boden-Modul übergeben und infiltriert in Abhängigkeit der Infiltrationskapazität der Böden in den Bodenkörper, was dann mit entsprechenden Veränderungen des Bodenwassergehalts verbunden ist. Der Bodenwassergehalt und die Bodentextur bestimmen den über eine Pedotransferfunktion ermittelten Gravitationswasserfluss ab 1 m Bodentiefe. Die Modellierung von Bodenwassergehalt und Bodenwasserflüssen basiert auf einem einfachen Speichermodell. Niederschläge, die nicht in den Bodenkörper infiltrieren, können zusätzlich danach differenziert werden, ob sie auf das Überschreiten der Infiltrationskapazität oder der Bodenwassersättigung zurückgehen. Der generierte Oberflächenabfluss wird zusammen mit den bewirtschaftungsspezifischen Strickler-Rauhigkeitsbeiwerten sowie der Geländeneigung an die Abflussinitialisierung des Oberflächenmoduls übergeben. Der Abfluss wird schließlich im Prozessmodul durch einen Abflussverteilungsalgorithmus in die Fläche verteilt. Am Ende der Prozessierung ist für jede Rasterzelle der Oberflächenabfluss des gesamten Einzugsgebiets der Rasterzelle akkumuliert (Abb. 4).
Run-off-Risiken lassen sich durch geeignete Bewirtschaftungsmaßnahmen reduzieren. Als ein exemplarisches Beispiel wird hier auf das Minderungspotenzial von Querdämmen im Kartoffelanbau eingegangen, welches als eine technische Minderungsmaßnahme gilt. Am Markt etablierte Querdammhäufler sind beispielsweise der Barbutte, welcher Querdämme im Abstand von 150 cm mit typischen Querdammhöhen von 11 cm anlegt. Ebenfalls etabliert ist der Einsatz des Dyker, der Querdämme in geringeren Abständen von 80 cm und Querdammhöhen von 7 cm anlegt.
Die Retentionswirkung durch die angelegten Querdämme zwischen den normalen Kartoffelreihen im Feld ist in Abb. 5 verdeutlicht [5]. Um diese Retentionswirkung im Modellkonzept abbilden zu können, wurde ein Kartoffelacker-DGM erstellt, dessen Querdammhöhen, Abstände und Geländeneigungen flexibel verändert werden können. Dieses DGM wurde virtuell mit Wasser gefüllt und ermittelt, welche Retentionsvolumen des Oberflächenabflusses in den Mulden bei unterschiedlichen Neigungen zurückgehalten werden [2].
Grundsätzlich gilt, dass die Retentionswirkung von Querdämmen zunächst mit abnehmenden Querdammhöhen, aber auch mit zunehmender Geländeneigung abnimmt. So zeigt sich auch im Vergleich beider Geräte, dass der Dyker im stärker geneigten Gelände eine höhere Retentionswirkung hat, während der Barbutte im flacheren Gelände die effektivere technische Minderungsmaßnahme darstellt. Genaue Details, auch zur Implementierung weiterer Minderungsmaßnahmen, können [2] entnommen werden.

Referenzläufe und Szenarien

Das Modellkonzept unterstützt unterschiedliche Anwendungsoptionen. So können kontinuierliche Simulationen zur Abbildung des historischen Geschehens über längere Zeitraum durchgeführt werden, in denen Wasserhaushaltskomponenten in täglicher Auflösung modelliert werden. Bei dieser Anwendungsoption, die als Grasreferenzmodellierung u. a. für die Ableitung von statischen Kennwerten der Bodenwassergehalte, insbesondere von für die Szenarien eingesetzten Perzentilen (50, 90), durchgeführt wird, ergeben sich die Änderungen des Bodenwassergehalts (Abb. 6, SWS) gegenüber dem Vortag aus der infiltrierten Wassermenge und dem Gravitationswasserfluss (Abb. 6, GWF), wobei Infiltrationsüberschüsse nicht über den Abfluss verteilt werden.
Bei ereignisbezogenen Simulationen und bei Starkregenereignissen wird anstelle von Tagessummen mit stündlichen Niederschlägen sowie stündlich aufgelösten Niederschlagsüberschüssen gerechnet, wobei dann zwischen Horton- und Sättigungsüberschüssen differenziert wird.
Bei den szenarienbasierten Simulationen wird die Abflussbildung ebenfalls in stündlichen Zeitschritten modelliert. Die hydrometeorologischen Szenarien berücksichtigen jeweils monatlich differenziert Niederschläge mit 2‑, 10- und 20-jährlicher Wiederkehrfrequenz sowie die 50- und 90-Perzentile der Bodenfeuchten aus dem kontinuierlichen Modellauf. In Abb. 6 dargestellt ist links die Szenario-Kombination aus 2‑jährlichen Niederschlägen und moderater durchschnittlicher Bodenfeuchte. Die rechte Spalte repräsentiert seltene 20-jährliche Niederschlagsereignisse und hohe Bodenfeuchten mit entsprechend erhöhter Disposition für Oberflächenabfluss.
Diese Bodenfeuchte- und Niederschlagsszenarien, die je nach Anwendung und Fragestellung unterschiedlich kombiniert werden können, gehen als Antriebsdaten in die Anbau- und Bewirtschaftungsszenarien ein. In der Grafik abgebildet ist in beiden Spalten die Szenario-Kombination 20-jährliche Niederschläge und 90-Perzentil Bodenwassergehalt, also eine Worst-case-Kombination bei Annahme einer Grasfläche. Bei den Bewirtschaftungsszenarien wird diese Grasfläche dann durch eine Anbaufrucht ohne, oder mit Run-off-Minderungsmaßnahme ersetzt, sodass sich das Run-off-Risiko in Abhängigkeit der fruchtspezifischen Transpiration sowie der Strickler-Rauhigkeitsbeiwerte relativ erhöht, oder wie in diesem Falle, relativ erniedrigt.

Datenbasis

Das Modell stützt sich im Allgemeinen auf vier unterschiedliche Datengruppen. Jeder dieser Datensätze bietet unterschiedliche Vor- und Nachteile. Im Rahmen des hier vorgestellten Modells werden frei verfügbare Daten verwendet oder solche, die durch die Betriebe bereitgestellt wurden. Zahlungspflichtige Datensätze werden hier nicht weiter betrachtet oder nur am Rande erwähnt. Daher bilden die hier präsentierten Datensätze nur einen Bruchteil der Vielfalt an verfügbaren Daten ab und beschränken sich auf den Gebrauch in Deutschland. Für den Einsatz in anderen Ländern können andere Datenanbieter in Betracht gezogen werden.
Für die Verwendung der Daten sind die räumlichen und zeitlichen Auflösungen sowie die z. T. sehr speziellen Dateiformate relevant. Diese Auflösungen sind sehr heterogen und müssen daher vor ihrer weiteren Verwendung präprozessiert werden. Die folgenden Datengrundlagen werden für die Modellierung herangezogen:
  • Digitale Geländemodelle
  • Bodendaten
  • Klimadaten
  • Feldinformationen (Nutzung)
Die notwendigen Informationen über die Oberflächenstruktur der Untersuchungsgebiete bietet ein Digitales Geländemodell (DGM). Diese Modelle können aus Radardaten, aus Laserdaten (LiDAR) oder auf der Basis von interpolierten Höhenmessungen erstellt werden. Solche Informationen bieten die Grundlage für die Integration der Reliefenergie im Gelände in das Modell. In diesem Fall wurden LiDAR Daten der Landesbehörden auf 10 m Auflösung prozessiert und als Rasterdaten in das Modell eingefügt.
Auskünfte über die Zusammensetzung des Bodens im Untersuchungsgebiet werden in diesem Modell aus mehreren Quellen zusammengeführt. Neben den in Deutschland öffentlich verfügbaren Bodenübersichtskarten im Maßstab 1:200.000 (BÜK200), können die Ergebnisse der Projekte LUCAS Soil [6] und SoilGrids [7] für diese Modellierung herangezogen werden. Idealerweise werden die vorhandenen Daten durch punktuelle In-situ-Messungen der landwirtschaftlichen Betriebe verfeinert.
Die Basis der verwendeten Klimadaten wird durch den Deutschen Wetterdienst (DWD) zur Verfügung gestellt. Maßgeblich für die Simulation sind Niederschlags- und Temperaturdaten. Diese Daten können zusätzlich durch Messwerte aus Klimastationen der jeweiligen landwirtschaftlichen Betriebe ergänzt werden. Die zeitliche Auflösung der Aufnahmen bewegt sich zwischen 10 min und monatlichen Werten. Hier wird eine gerasterte, auf Tageswerte aggregierte Datengrundlage des Integrated Climate Data Center (ICDC) verwendet. Für die Kalkulation des Risikos z. B. von Herbizideintrag in die Gewässer werden im Rahmen des Gewässerschutzberaters unterschiedlich intensive Niederschlagszenarien angenommen, die auf einer Größenfrequenzanalyse eines 30-jährigen Referenzzeitraumes beruhen.
Entgegen der vorangegangenen Datenreihen wird bei der Feldinformation (derzeit) ausschließlich auf In-situ-Informationen zurückgegriffen. Hier gibt der jeweilige Landwirt selbstständig Auskunft über die Art und den Zustand des Bewuchses auf dem Feld. Darüber hinaus können unterschiedliche Bearbeitungsprozesse der Felder in Betracht gezogen und gegenübergestellt werden. Zwar gibt es Ansätze zur satellitengestützen Identifikation von Feldfrüchten und deren Wachstumsstadien, für eine fundierte Aussage über das Risiko von Oberflächenabflüssen sind diese aber noch nicht ausreichend. Die in Tab. 1 aufgeführten Datensätze lassen sich in SAGA präprozessieren, z. B. durch Anpassen des Koordinatensystems, bzw. direkt für die eigentliche Simulation einsetzen.
Tab. 1
Übersicht zu den verwendeten Datensätzen und ihren Eigenschaften
Kategorie
Format
Auflösung (Raum)
Auflösung (Zeit)
Quelle
DGM
Raster
10 m
Statisch
Behörden
BÜK200
Polygone
Maßstab 1:200.000
Statisch
BGR
SoilGrids
Raster
250 m
Statisch
ISRIC
LUCAS
Tabelle
Statisch
ESDAC
Klima
Raster
250 m
Täglich
ICDC
Feld
Diverse
Punktuell
Diverse
Landwirt

Ergebnisse

Nachfolgend dargestellt sind zunächst einige Ergebnisse, die auf unterschiedlichen Szenarien bezüglich der Bodenwasseraufsättigung (SWS – soil water saturation, angegeben als Perzentil), der Stärke der Niederschlagsereignisse (PEF – precipitation event frequency, angegeben in Jahren), der Anbaufrucht sowie der Minderungsmaßnahmen basieren. Das Modellkonzept unterstützt eine saisonal differenzierte Abbildung der Run-off-Disposition für unterschiedliche Anbaufrüchte. Exemplarisch ist dieser Aspekt in Abb. 7 und 8 am Beispiel von Mais und Winterweizen für ausgewählte Szenario-Kombinationen für ein Testgebiet in Ostwestfalen visualisiert. Während bei Maisanbau in der Szenario-Kombination PEF-20/SWS-90 mit relativ hohen Run-off-Risiken über den gesamten Anbauzyklus zu rechnen ist, fällt dieses Risiko im moderaten Szenario PEF-02/SWS-50 deutlich reduziert aus (Abb. 7). Beim Winterweizen (Abb. 8) sind neben den Sommermonaten (Juni/Juli) insbesondere auch die Monate der frühen Entwicklungsphase von November (Aussaat) bis Januar mit erhöhter Abflussneigung verbunden.
Beim konventionellen Kartoffelanbau (Abb. 9), der verglichen mit Mais trotz gleicher Aussaat und Erntemonate überwiegend mit geringeren Run-off-Risiken verbunden ist und damit exemplarisch verdeutlicht, dass sich fruchtspezifische Unterschiede in den Abflussmengen, aber insbesondere in den saisonalen Mustern der Run-off-Disposition zeigen, gilt ein erhöhtes Run-off-Risiko vor allem in den ersten drei Monaten des sich relativ langsam entwickelnden Pflanzenwachstums. Es zeigt sich auch im Jahresgang der Modellierung, dass der virtuelle Einsatz des Barbutte-Häuflers (Abb. 9b) in dem relativ flach geneigten Gelände des Testgebiets das Run-off-Risiko des konventionellen Anbaus deutlich stärker mindert als der Dyker.
Für eine operationelle Abfrage durch die Zielgruppe der landwirtschaftlichen Betriebe hat die Geoinformationsdienst GmbH (GID) die Simulation für repräsentative Szenarien (Größe des Niederschlagsereignisses, Bodenwassergehalt, Anbaufrucht und Minderungsmaßnahmen) deutschlandweit mit einer Zielauflösung von 10 m durchgeführt. Die auf einem Datenserver abgelegten Simulationsergebnisse geben für jedes Szenario räumlich explizit an, welche Mengen an Abfluss (Run-off) generiert werden und den Vorfluter, gemeint ist damit das nächstliegende Oberflächengewässer, erreichen. Über eine vom Benutzer intuitiv bedienbare Web-Oberfläche, dem Gewässerschutzberater, können die verschiedenen Szenarien ausgewählt und die potenziell zum Gewässereintrag beitragenden Teilflächen unmittelbar in einer interaktiven Karte darstellt werden (Abb. 10).
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Literatur
1.
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2.
Zurück zum Zitat Wendland S (2022) Parametrisierung und Anwendung eines GIS-gestützten Abflussdispositionsmodells zur Abschätzung von Runoff-Risiken auf landwirtschaftlich genutzten Flächen. Universität Hamburg, Hamburg (Dissertation) Wendland S (2022) Parametrisierung und Anwendung eines GIS-gestützten Abflussdispositionsmodells zur Abschätzung von Runoff-Risiken auf landwirtschaftlich genutzten Flächen. Universität Hamburg, Hamburg (Dissertation)
3.
Zurück zum Zitat Wendland S, Bock M, Böhner J, Feise D, Lembrich D (2016) Towards the development of a GIS-based diagnosis tool for the spatially explicit assessment of runoff and erosion risks on agricultural fields. Geo Öko 37(3–4):139–164 Wendland S, Bock M, Böhner J, Feise D, Lembrich D (2016) Towards the development of a GIS-based diagnosis tool for the spatially explicit assessment of runoff and erosion risks on agricultural fields. Geo Öko 37(3–4):139–164
4.
Zurück zum Zitat Conrad O, Bechtel B, Bock M, Dietrich H, Fischer E, Gerlitz L, Wehberg J, Wichmann V, Böhner J (2015) System for automated geoscientific analyses (SAGA) v. 2.1.4. Geosci Model Dev 8:1991–2007CrossRef Conrad O, Bechtel B, Bock M, Dietrich H, Fischer E, Gerlitz L, Wehberg J, Wichmann V, Böhner J (2015) System for automated geoscientific analyses (SAGA) v. 2.1.4. Geosci Model Dev 8:1991–2007CrossRef
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Zurück zum Zitat Olivier C, Goffart J‑P, Baets D, Xanthoulis D, Fonder N, Lognay G, Barthélemy J‑P, Lebrun P (2014) Use of Micro-Dams in potato furrows to reduce Erosion and Runoff and minimise surface water contamination through pesticides. Commun Agric Appl Biol Sci 79(3):513–524 Olivier C, Goffart J‑P, Baets D, Xanthoulis D, Fonder N, Lognay G, Barthélemy J‑P, Lebrun P (2014) Use of Micro-Dams in potato furrows to reduce Erosion and Runoff and minimise surface water contamination through pesticides. Commun Agric Appl Biol Sci 79(3):513–524
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Zurück zum Zitat Poggio L, de Sousa LM, Batjes NH, Heuvelink GBM, Kempen B, Ribeiro E, Rossiter D (2021) SoilGrids 2.0: producing soil information for the globe with quantified spatial uncertainty. Soil 7:217–240CrossRef Poggio L, de Sousa LM, Batjes NH, Heuvelink GBM, Kempen B, Ribeiro E, Rossiter D (2021) SoilGrids 2.0: producing soil information for the globe with quantified spatial uncertainty. Soil 7:217–240CrossRef
Metadaten
Titel
Ein Simulationsmodell zur Erfassung von Abflussrisiken in der Landwirtschaft
verfasst von
S. Wendland
B. Hankers
M. Bock
J. Böhner
J. Squar
D. Lembrich
O. Conrad
Publikationsdatum
07.02.2023
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Informatik Spektrum / Ausgabe 1/2023
Print ISSN: 0170-6012
Elektronische ISSN: 1432-122X
DOI
https://doi.org/10.1007/s00287-023-01522-2

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