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28.02.2018 | Fahrzeugtechnik | Nachricht | Online-Artikel

Der VDA-Kongress im Schatten von Leipzig

verfasst von: Michael Reichenbach

7 Min. Lesedauer

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Durch die gestrige Entscheidung der Leipziger Richter zum Diesel-Fahrverbot rückt der noch heute abgehaltene Technische Kongress des VDA in den Mittelpunkt. Wissmann und Bomba gingen gestern vor den 900 Ingenieuren selbstkritisch damit um.

Der diesjährige Technische Kongress des VDA in Berlin wird klar durch das Leipziger Bundesverwaltungsgericht dominiert. Egal, ob Begrüßung durch VDA-Präsident Matthias Wissmann, Grußwort von Rainer Bomba, Bundesverkehrsministerium, oder Leitvorträge von Peter Gutzmer, Schaeffler, Ulrich Eichhorn, Volkswagen, und Markus Heyn, Bosch: Keiner der Redner kam ohne den Hinweis auf das zu verkündende Gerichtsurteil aus, ob Städte Diesel-Fahrverbote verhängen dürfen oder nicht, um die Luftqualität zu verbessern. Das Plenum der 900 Teilnehmer nahm dann die Information von Heyn gegen 12 Uhr erleichtert und weitgehend regungslos zur Kenntnis: Leipzig habe entschieden. Tatsächlich sind Fahrverbote erlaubt, es muss keine bundesweit einheitliche Regelung sein. Man könne nun lieber seinem Vortrag zuhören als auf das Smartphone zu starren, sagte Heyn.

Aus Fehlern gelernt

In seiner Begrüßung stellte Wissmann die Strahlkraft der deutschen Automobilindustrie noch einmal heraus. Andere Länder wären sicher neidisch auf diese Branche mit führender Technologie, Produktivität und Premiumimage. Es gebe aber auch Probleme. "Wir sollten uns keine Illusionen machen, wir treffen uns in einer politisch unsicheren Zeit. Wir selber wissen, dass in unseren Unternehmen Schlimmes passiert ist. Aber wir tun alles, aus diesen Fehlern zu lernen", führte der scheidende VDA-Präsident näher zum Bereich der Dieselaffäre aus. Das klang ein kleines bisschen nach Reue und Entschuldigung. An vielen Baustellen sei man entscheidend weitergekommen. Die ambitionierten Vorgaben zur Luftqualität in den deutschen Städten könnten auch ohne Fahrverbote erreicht werden. "Die NO2-Jahresmittelwerte sind 2017 in vielen Städten deutlich gesunken. Insgesamt sind die Stickoxidemissionen des Straßenverkehrs heute um 70 Prozent geringer als im Jahr 1990. Mittelfristig wird die Luftqualitätsfrage durch die zunehmende Flottendurchdringung von Fahrzeugen mit neuen Abgasstandards gelöst. Kurzfristig reduzieren die auf dem Diesel-Gipfel vereinbarten Maßnahmen, an denen sich die deutsche Automobilindustrie maßgeblich beteiligt, die NO2-Emissionen in Städten", betonte Wissmann auf dem Jubiläumskongress mit 33 internationalen Ausstellern, darunter ein indisches und israelisches Start-up.

Auch die Auto-Unternehmen selbst würden einiges bewerkstelligen, die urbane Luftqualität zu verbessern. Wissmann (68), der ab 1. März durch Bernhard Mattes (61), Ex-Chef von Ford Deutschland, als VDA-Präsident abgelöst wird, zählte hierzu die Einführung von Jobtickets und vermehrtes Arbeiten zuhause (Homeoffice) sowie die Unterstützung von Fahrgemeinschaften auf. Schon seit 8. Januar bietet Daimler seinen Mitarbeitern an, dass sie an Feinstaubtagen mit ihrem Werksausweis die S-Bahn, U-Bahn oder den Bus der Region Stuttgart für die Fahrt zwischen Wohnort und Arbeitsplatz nutzen können. Es ginge darum, den Individualverkehr mehr mit dem öffentlichen Verkehr zu verzahnen, zudem startete der VDA Projekte, um in Partnerschaft mit dem ÖPNV einen besser fließenden Verkehr zu schaffen.

Seine Botschaft ist klar: Man habe aus Fehlern gelernt. Compliance sei schon im Produktentstehungsprozess unabdingbar. Nun gilt es, das Vertrauen der Bürger und Kunden zurückzugewinnen. Einige in der Politik forderten nun Hardware-Nachrüstungen, um eine Verbesserung bei Dieselfahrzeugen zu erreichen. Die gebe es aber nur mit höherem Verbrauch und CO2, die Maßnahme führe nicht zu schnellen Fortschritten, weil der Prozess juristisch und in den Werkstätten langwierig sei, stellte Wissmann klar. „Da fehlt sehr oft die Stringenz“. Und er glaube nicht, dass Fahrverbote das geeignete Mittel seien, die NOx-Werte zu reduzieren. Denn es ginge dem VDA auch um die Senkung der CO2-Emissionen. Die E-Mobilität sei dafür ein Weg, aber nicht der Königsweg. Wichtig sei es, den Aufbau von Ladesäulen für Elektroautos speziell in Privathaushalten zu forcieren, denn hier würden 40 bis 60 Prozent der Ladevorgänge erfolgen. Einer der Schlussätze von Wissmann könnte ein Statement zum Abschied vom Posten des VDA-Chefs sein: "Wir denken unsere Industrie nicht mehr deutsch, sondern europäisch und weltweit. Diesen Weg werden wir weitergehen".

Mobile Ladesäulen im Gespräch

Da der im Programm angekündigte Verkehrsminister Christian Schmidt wegen des Leipziger Urteils nicht in Berliner Maritim-Hotel kommen konnte, sprach Staatssekretär Rainer Bomba das Grußwort zu den Teilnehmern. Auch er begann seine Rede mit den Worten: "Dieser Kongress findet in einer schwierigen Zeit statt. Ich denke, wir haben alle Hände voll zu tun, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen". Vor allem gelte es, die Glaubwürdigkeit wieder zu gewinnen. In Deutschland würden nach wie vor die besten Autos der Welt gebaut, und so solle es auch bleiben. "Wir tun alles Mögliche, die NOx-Konzentration zu reduzieren. Hierfür ist es aber erforderlich, dass wir offen und ehrlich zusammenarbeiten". Mit der Bundesregierung sei Bomba der Überzeugung, dass schon bald die Werte halbiert werden könnten. Schließlich sei er, seit 2009 im Amt und damit dienstältester Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, "mit allen sauberen und dreckigen Wassern gewaschen".

Für weniger Emissionen seien neue Konzepte und die Elektromobilität gefragt, und das bei hartem internationalen Wettbewerb. "Ich glaube, Selbstzünder und Ottos durch Elektroantriebe zu ersetzen, werden wir nicht aufhalten können". Aber ein großes Thema bleibe die Batterie. Immerhin hat sich bis heute die Ladedichte verdoppelt. "Die Fragestellung, erst Infrastruktur oder erst Autos stellt sich, lieber Herr Wissmann, nicht mehr. Hier haben wir unsere Hausaufgaben gemacht, zum Beispiel mit Ladesäulen entlang den Autobahnen zusammen mit Tank und Rast". Weitere 15.000 Ladestellen seien geplant. Jedoch müsse die Ladestelle nicht immer fest einzementiert sein, sie sollte mobil sein. "Hier sind wir mit Experten im Gespräch, mehr darf ich derzeit nicht sagen".

Doch Bomba richtete auch mahnende Worte an die Industrievertreter. Kürzlich habe er ein Gespräch mit dem Oberbürgermeister von Lima in Peru gehabt. Der möchte seine Busflotte durch 5500 Elektrobusse inklusive Ladeinfrastruktur austauschen. Erfreut sei er zurückgeflogen. "Die Antworten der deutschen OEMs haben mich dann nachdenklich gestimmt. Ob es nicht auch Dieselbusse sein dürften, man wäre erst 2021 so weit". Nun, dieser Milliardenauftrag, über 33 Lose und mehrere Jahre gesteckt, werde nun nicht nach Deutschland gehen. Ähnlich verhalte es sich mit den Stadtwerken der deutschen Großstädte, die E-Busse schon 2020 einsetzen möchten, aber kein Produkt am deutschen Markt kaufen könnten. "Hier haben wir unsere Hausaufgaben noch nicht gemacht, denn 2021 sei zu spät", konstatierte Bomba ernüchtert.

Ambidextrie, Segmentspezifika und Vernetzung

Der stellvertretender Vorsitzender des Vorstands und Vorstand Technologie der Schaeffler AG Peter Gutzmer sagte in seiner Keynote: "Die Herausforderungen zur Mobilität für morgen erfordern ein Denken in Energieketten: die ganzheitliche Betrachtung von der Energieerzeugung über die Energiedistribution bis hin zur Energienutzung. Aktuelle Studien zeigen, dass es künftig einen ausgeprägten Energiemix geben wird, wobei der Anteil an erneuerbaren Energien rasant zunimmt. Die Bedeutung fossiler Kraftstoffe bleibt zunächst hoch. Systemisches Denken und Ambidextrie, – also die Fähigkeit von Organisationen und Unternehmen, gleichzeitig effizient und flexibel zu sein – werden entscheidende Erfolgsfaktoren sein. Wer sich rechtzeitig öffnet und wandelt, wird erfolgreich sein. Die neuen Technologien bieten auch Chancen. Es ist eine Kombination aus Disruptions- und Wachstumspotenzial."

"Die Elektromobilität wird entweder die oder eine Antriebstechnologie der Zukunft sein", betonte Ulrich Eichhorn, Leiter Konzernbereich Forschung und Entwicklung des Volkswagen-Konzerns, in seiner Rede. "Bereits heute existieren verschiedene, häufig auf segmentspezifischen Anforderungen basierende Technologien für den Serieneinsatz. Und bei der Implementierung von E-Fahrzeugen spielen die Kosten, die Reichweite und die Ladeinfrastruktur sowie global unterschiedliche Gesetzesanforderungen eine zentrale Rolle."

Markus Heyn, Geschäftsführer bei Bosch, unterstrich in seiner Keynote: "Vernetzung verändert grundlegend, wie wir uns in Zukunft fortbewegen und Verkehrsmittel nutzen. Sie ist der Schlüssel für neue digitale Mobilitätsdienstleistungen, die etwa vor Falschfahrern warnen, das Smartphone zum Autoschlüssel machen oder via App Menschen zusammenbringen, die den Weg zum gleichen Arbeits- oder Studienort gemeinsam zurücklegen wollen. Damit wird Mobilität stressfreier, emissionsfreier und unfallfreier."

Der 20. VDA Technische Kongress findet noch bis zum 28. Februar statt. Der nächste 21. Kongress wird dann durch Bernhard Mattes eröffnet werden.

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