Obwohl der Anteil verspäteter und nicht beglichener Forderungen europaweit seit 2019 wächst, bleibt die Zahlungsmoral in Deutschland konstant. Sie ist laut einer aktuellen Studie sogar die höchste in Europa. Dennoch brauchen Unternehmen ein konsequentes Liquiditäts- und Forderungsmanagement.
Jedes fünfte Unternehmen in Europa bangt um seine Existenz. Denn seit 2019 ist der Anteil der Gläubiger, der trotz verlängerter Zahlungsfristen seine Rechnungen zu spät oder sogar gar nicht begleicht, von 19 auf 21 Prozent gestiegen. Deutschland stellt in der EOS-Studie "Europäische Zahlungsgewohnheiten", für die von März bis April 3.200 Unternehmen in 16 europäischen Ländern befragt wurden, eine Ausnahme dar. Hierzulande liegt der Anteil der Kunden, die säumig sind oder Forderungen nicht begleichen, seit der Vorerhebung vor drei Jahren unverändert bei 14 Prozent. Nur noch Belgien weist eine positive Bilanz auf. Das Land vermeldet einen Rückgang bei verspätet oder nicht gezahlten Rechnungen von 20 auf 18 Prozent.
Insgesamt drücken Zahlungsverzögerungen und –ausfälle deutlich auf die Stimmung in den Unternehmen. So rechnen 51 Prozent aller befragten Unternehmen mit Gewinneinbussen und 42 Prozent gehen von eigenen Liquiditätsengpässen aus. Das macht sich auch bei den Investitionen bemerkbar: 30 Prozent der Firmen müssen hier den Rotstift ansetzen. 28 Prozent erhöhen ihre Preise.
Und je ein knappes Viertel (24 Prozent) der europäischen und deutschen Unternehmen blicken zudem pessimistisch in die Zukunft. Sie gehen davon aus, dass sich die Zahlungsmoral weiter verschlechtern wird. Umso wichtiger ist ein umsichtiges Liquiditäts- und Forderungsmanagement im Rechnungswesen – auch um zu erkennen, ob es in der eigenen Organisation zu kriseln beginnt.
Liquidität als Krisenanzeiger
"Die Liquiditätsplanung hat auch aufgrund der Insolvenzgründe laut § 17 'Zahlungsunfähigkeit' beziehungsweise § 18 'Drohende Zahlungsunfähigkeit' eine besondere Bedeutung", schreibt Kristian Giesen im Buchkapitel "Methoden der Krisenfrüherkennung" (Seite 60 f.). Werde eine solche Zahlungsunfähigkeit nicht rechtzeitig erkannt, können daraus Haftungsfolgen für die Geschäftsführung abgeleitet werden. "Die Liquiditätsplanung dient zum einen der Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit und zum anderen der frühen Entdeckung von Liquiditätsengpässen", erläutert der Springer-Autor. Überwachen lässt sich das sowohl mit Kennzahlen (ersten Grades) als auch über die Zahlungsströme (zweiten Grades).
Die Liquiditätsübersicht mittels Kennzahlen ist ein sehr einfaches Verfahren und konzentriert sich ausschließlich auf bilanzielle Größen. Die Bilanz ist bereits derart aufgebaut, dass eine Liquiditätsstruktur vorhanden ist: Auf der Aktiv-Seite sind die Posten nach der Möglichkeit geordnet, wie schnell diese in Liquidität umgewandelt werden können. Die Passiv-Seite hingegen zeigt, wie zeitnah die Zahlungen fällig sind", schreibt Giesen.
Nur eingeschränkter Blick in die Zukunft
Die Liquidität ersten Grades berücksichtige allerdings nicht, dass ein Unternehmen selbst kurzfristige Forderungen besitzt. Die Liquidität zweiten Grades inkludiere diese zeitnahen Geldeingänge und erweitere die flüssigen Mittel um Positionen wie Forderungen aus Lieferung und Leistung sowie Wertpapiere des Umlaufvermögens, die ebenfalls zeitnah verkauft werden können. "Das Problem dieser Liquiditätsgrade ist der fehlende Blick in die Zukunft, da diese ausschließlich auf bereits bekannten und in der Bilanz vermerkten Positionen besteht. Diese können daher das Risiko einer Zahlungsunfähigkeit nicht vollkommen abbilden", so Giesen.
"Liquiditätsmangel ist eine der häufigsten Ursachen für Insolvenzen und den Verlust von Arbeitsplätzen", betont auch Marwin Ramcke, CEO der EOS Gruppe. Daher setzen viele Unternehmen laut Studie auf ein umfassendes Forderungsmanagement. Hierzu lassen sich 35 Prozent der deutschen Betriebe von externen Dienstleistern unterstützen. Zehn Prozent der Firmen haben das Forderungsmanagement sogar komplett ausgelagert. Im Schnitt führen sie so rund sechs Prozent ihres Umsatzes zurück, ermittelte die Erhebung. Damit liegt Deutschland im europäischen Durchschnitt.
Factoring sorgt für schnelle Liquidität
Neben der Übertragung des Forderungsmanagements an ein Inkasso-Unternehmen, dass sich entweder gemeinsam mit der Buchhaltung oder auch komplett selbstständig um die Eintreibung kümmert, gibt es noch die Möglichkeit des Forderungsverkaufs - das sogenannte Factoring.
Beim Factoring verkauft ein Unternehmen seine Forderungen aus Warenlieferungen und Dienstleistungen gegen seine Kunden fortlaufend an ein Factoring-Institut. Auf diese Weise erhält das Unternehmen sofortige Liquidität unmittelbar aus seinen Außenständen und steht quasi so, als wenn alle seine Kunden sofort bezahlen würden. Der von Factoring-Instituten zudem regelmäßig gebotene Ausfallschutz, die sogenannte Delkredereabsicherung, und laufend aktuelle Informationen über die Bonität der jeweiligen Abnehmer (die Debitoren) garantieren sichere Vertriebswege für Factoring nutzende Unternehmen“, schreibt Wolfgang Grundmann im Buchkapitel "Allgemeine Kennzeichnung Factoring" (Seite 128).
Konkret werden dem Factoring-Kunden auf diese Weise 80 bis 90 Prozent der Rechnungssummen abzüglich der Gebühr ausgezahlt. Die restlichen zehn bis 20 Prozent parkt der Forderungskäufer auf einem Sperrkonto, dem sogenannten Bardepotkonto. Sie dienen ihm als Sicherheit für etwaige Reklamationen und Abzüge (Skonti, Rabatte). Bei Zahlung an die Factoring-Gesellschaft wird dem Forderungsverkäufer auch dieser Rest gutgeschrieben. "Buchhalterisch ist Factoring ein Aktivtausch", betont Grundmann auf Seite 129 die Fuktionen des Factorings.