3.1.1 Die Entwicklung der Soziolinguistik
In der Soziolinguistik wird das Phänomen der Sprache empirisch, d. h. in ihrem alltäglichen Gebrauch, erforscht (
Ethnographie des Sprechens) und daher als „parole“, also als Handeln (Knoblauch 2000, 48) aufgefasst. Hier unterscheidet die Soziolinguistik sich entschieden vom Paradigma der strukturalistischen Linguistik, die von Ferdinand de Saussure begründet, Sprache als Zeichensystem auffasst und somit weitgehend auf ihre Darstellungsfunktion reduziert.
2 Die systematische Unterscheidung zwischen gesprochener Sprache und Sprache als Zeichensystem stammt von de Saussure selbst: Er differenzierte zwischen „langue“ (Zeichensystem), „parole“ (gesprochene Sprache) und „langage“ (das Gesamtsystem). Die Linguistik definierte er vor dem Hintergrund dieser Differenz ausdrücklich als Wissenschaft, „deren einziges Objekt die Sprache als System [langue] ist“ (Saussure 2016, 25, Volosinov 1973, 59). Für Luckmann, dem es um das (kommunikative) Handeln geht, ist de Saussure vor diesem Hintergrund nicht anschlussfähig. Die Soziolinguistik hingegen, mit ihrer Praxis-Wende in der Sprachforschung, vermag entscheidende Impulse für seine
Sprachsoziologie (Luckmann 1975, 9) und die spätere GA zu liefern. Und auch für Forscher/-innen der ethnomethodologischen Schule, in deren Umfeld schließlich die CA von Harvey Sacks (Abschnitt
3.1.4) entwickelt wird sowie für Goffman (Abschnitt
3.1.5) ist die Soziolinguistik ein Anziehungspunkt.
Im Jahr 1972, als Vorsitzender des
Round Table on Linguistics and Language Studies der Universität von Georgetown, hielt der Anthropologe und Sprachwissenschaftler Dell Hymes, der neben dem Linguisten John Gumperz als Hauptvertreter der Soziolinguistik gilt, eine Rede, in der er das entsprechende Programm einerseits gegenüber dem damals dominanten Saussurschen Paradigma der Linguistik, andererseits aber auch gegenüber den Anfängen der Soziolinguistik selbst, mit einiger Schärfe ausführte. Die Entwicklung des soziolinguistischen Forschungsprogramms war zum damaligen Zeitpunkt bereits seit etwa einem Jahrzehnt vorangeschritten. Es hatte dabei aber nicht die durchschlagende Wirkung in der institutionellen Linguistik erzielen können, die Hymes sich erhofft hatte:
3 „I take it that most of us aim higher than that“ ( (Hymes 1972, 314); dazu (Coulmas 1979, 7)). Während, wie er schilderte, bereits eine große Zahl empirischer Arbeiten auf dem Ansatz der
Ethnographie der Kommunikation beruhten (oder sich auf ihn beriefen), sei die Linguistik als Theorie noch weit davon entfernt, die soziale Perspektive als elementaren Bestandteil integriert zu haben. Vielmehr sei sie eine „theory of grammar“ (Hymes 1972, 316) geblieben. Die Perspektive der Soziolinguistik sei daher stets lediglich ein Teilaspekt angewandter Linguistik, anstatt die Grundlage für eine neue linguistische Theorie darzustellen (ebd.).
Hymes Ärger über diese Diagnose ist zu verstehen, schloss die Soziolinguistik doch an eine Forderung an, die u. a. bereits von dem berühmten und einflussreichen amerikanischen Linguisten Edward Sapir in den 1920er Jahren aufgestellt wurde. Dieser appellierte 1928, also bereits vier Jahrzehnte vor Hymes’ Rede am
Round Table, bzw. drei Jahrzehnte vor den ersten Arbeiten im Bereich der
Ethnographie der Kommunikation, die Linguistik müsse sich mit ‚anthropologischen, soziologischen und psychologischen‘ Problemen beschäftigen, insofern sie Sprache beträfen:
It is peculiarly important that linguists, who are often accused, and accused justly, of failure to look beyond the pretty patterns of their subject matter, should become aware of what their science may mean for the interpretation of human conduct in general. Whether they like it or not, they must become increasingly concerned with the many anthropological, sociological, and psychological problems which invade the field of language. (Sapir 1929, 214)
Mit seinem Anliegen folgte Hymes also einem Imperativ, der schon lange vor ihm im Feld formuliert worden war. Nun erwartete er eine ‚realistische‘, d. h. am tatsächlichen Sprachgebrauch orientierte ‚sozial-konstituierte‘ Linguistik:
The phrase ‘socially constituted’ is intended to express the view that social function gives form to the ways in which linguistic features are encountered in actual life. This being so, an adequate approach must begin by identifying social functions, and discover the ways in which linguistic features are selected and grouped together to serve them. (Hymes 1972, 316)
Der Anthropologe und Linguist Hymes ist der Ansicht, Sprachforschung müsse sich, basierend auf anthropologischer Methodologie und soziologischer Erkenntnisse, auf soziale Konstituenten rückbeziehen, um so, im Sinne einer Sozio-Linguistik, Kommunikationsformen identifizieren und analysieren zu können, in denen Sprache im Alltag tatsächlich gebraucht wird. Es geht ihm darum, im Rahmen eines entschieden empiristischen Ansatzes, Sprech- bzw. Kommunikationsereignisse (speech events (Hymes 1979, 47 ff) bzw. communication events (Hymes 1964, 13)) als Hauptgegenstand einer neuen (Ethno-)Linguistik zu etablieren, um so, auf der Basis ‚fokussierter Ethnographien‘, den Begriff der Sprache in Hinblick auf deren Funktionen in tatsächlichen Sprachgebräuchen bestimmen zu können. Es gelte herauszufinden, so Hymes, wie Sprecher/-innen konkreter Sprechgemeinschaften (speech communities) bestimmte Eigenschaften von Sprache auswählten und ‚gruppierten‘, um so spezifische soziale Zwecke ihrer Kommunikation zu realisieren.
Neben den Begriffen Sprechereignis und Sprechgemeinschaft umreißt Hymes den Analyserahmen seiner Ethnographie des Sprechens mit weiteren Begriffen, die in der Literatur als analytische Beschreibungssprache, nicht zuletzt in Luckmanns Sprachsoziologie, (zumeist unsystematisch) Verbreitung fanden und die Hymes z. T. der einschlägigen Literatur entnahm; darunter
Sprechsituation (speech situation; (Austin 1962)),
Sprechakt (speech act; (Austin 1962); (Searle 1969)) und
Äußerungskontext (setting; in Anlehnung an Jakobsons Kontext (1960)). In einem Artikel stellt Hymes (1964) zudem ein detailliertes Glossar zusammen, wie die einzelnen relevanten Elemente (
community, situation, event, act, setting) der Ethnographie der Kommunikation zu operationalisieren seien bzw. worauf es konkret zu achten gelte, wenn man Feldforschung durchführe. Ausdrücklich bezieht er sich dabei auf die Arbeit des Linguisten Roman Jakobson, dessen sechs Faktoren der Mitteilung er aufnimmt und ergänzt.
4
Briefly put, (1, 2) the various kinds of participants in communicative events–senders and receivers, addressors and addressees, interpreters and spokesmen, and the like; (3) the various available channels, and their modes of use, speaking, writing, printing, drumming, blowing, whistling, signing, face and body motion as visually perceived, smelling, tasting, and tactile sensation; (4) the various codes shared by various participants, linguistic, paralinguistic, kinesic, musical, and other; (5) the settings (including other communication) in which communication is permitted, enjoined, encouraged, abridged; (6) the forms of messages, and their genres, ranging verbally from single-morpheme sentences to the patterns and diacritics of sonnets, sermons, salesmen’s pitches, and any other organized routines and styles; (7) the topics and comments that a message may be about; (8) the events themselves, their kinds and characters as wholes–all these must be identified in an adequate ethnographic way. (Hymes 1964, 13)
3.1.2 Luckmanns Sprachsoziologie
Vor dem Hintergrund dieser Neuausrichtung der Linguistik, die Hymes beschwört und für die er ein umfangreiches theoretisches wie Empirie-anleitendes Begriffsrepertoire aus der linguistischen Forschung zusammenstellt, lag es nahe, nicht zuletzt aus sozialkonstruktivistischer bzw. wissenssoziologischer Perspektive, die Luckmann mit Berger entwickelt hatte, an Hymes und John Gumperz anzuschließen und nach den Gruppierungen oder besser: den Institutionen der Sprache zu suchen, die gesellschaftliche Wirklichkeit praktisch im Alltag zu konstruieren erlauben. In Anschluss an die Soziolinguistik entwirft Luckmann daher eine
Sprachsoziologie (1975), in der er die Forderungen von Sapir bzw. Hymes von der (Sozio-)Linguistik auf die Soziologie spiegelt. Er beklagt, “it comes as a surprise to discover how superficial sociology’s interest in language has been until the recent past” (ebd., S. 8). Luckmann hingegen interessierte sich seit den frühen 1970er Jahren konkret für die Soziologie der Sprache. Zuvor hatte er vergleichende Sprachwissenschaft studiert, wobei es ihn überraschte, wie wenig diese mit tatsächlich gesprochener Sprache zusammenhängen konnte (Luckmann 2013, 41 f.):
[T]he dominant approach was either philological in the old sense or what appeared as abstract structuralism to an impatient student who was looking in vain for la parole in the study of la langue. (ebd.)
Angesichts dieser Studienerfahrung in der Linguistik nimmt Luckmann in The Sociology of Language (1975), inspiriert von so heterogenen Klassikern wie von Humboldt (Philologie), Émil Durkheim (Soziologie) und Mead (Sozialpsychologie), die Arbeiten Hymes’ und Gumperz aus der (anthropologischen Sozio-)Linguistik auf. Ohne die GA dabei bereits vorzuschlagen oder als Methode zu entwerfen, den Begriff der Gattung verwendet er nicht, entwickelt Luckmann hier, entlang der in der Wissenssoziologie ausgearbeiteten Grundbegriffe wie Institution und Sozialisation, die Grundlagen der GA. Er erläutert, unter dem Begriff der institutionellen Sprache (institutional language), dass spezifischen sprachlichen Repertoires bzw. Sprechweisen, spezifische Rollen, Status und Biografien zugeordnet werden können.
Im Kontext der sozialen Situation, die er maßgeblich durch die institutionalisierte Sozialstruktur definiert sieht (ebd., S. 44), verdeutlicht Luckmann zudem, dass auf Grundlage der wechselseitigen Definition der Kommunizierenden (informelle Situation) oder von institutionellen Vorgaben (formale Situation) der spezifische Sprachgebrauch in Situationen, „with varying degrees of precision and articulation“ (ebd.), vorfestgelegt und es umgekehrt deshalb so sei, dass spezifischer Sprachgebrauch es den Kommunizierenden erlaube, Rückschlüsse auf die wechselseitige Einschätzung, ihre Beziehung zu einander sowie die Natur der gemeinsamen sozialen Situation zu ziehen:
[I]t should be noted that institutionally defined roles, political roles, professional roles, etc., have characteristic linguistic repertoires. Social positions, e.g., class and other status, are marked by distinct styles of language or other variations of linguistic codes. A person is institutionally and “positionally” (i.e., by status) socialized in the course of his social biography to one or several linguistic repertoires and to one or several speech styles simultaneously or consecutively. The use of a particular linguistic repertory or a particular speech style (e.g., formal instead of intimate) in particular social situations is generally motivated by the social biography of the person. In addition, the specific use in specific situations is determined by the reciprocal definitions of the situation of the participants, or may be imposed by institutional sanctions. Conversely, in social situations the linguistic typifications by the participants of each other and of themselves in relation to the others as well as of the situation itself, are of particular importance for the possibility and realization of congruent intersubjective definitions of the situation. (ebd., S. 21)
In sozialen Situationen sieht Luckmann das Sprechen, in Einklang mit seiner im SoKo detailliert ausbuchstabierten Institutionalisierungsthese (Abschnitt
2.2.2), als maßgeblich durch soziale Institutionalisierung bzw. die institutionelle Sprache determiniert. Mit einer starken Betonung auf die strukturelle Kraft sozialer Institutionen meint Luckmann, Rollen und Statusaspekte wirkten geradezu „automatically“ (ebd., S. 44), wobei sie spezifische Sprachstile und -repertoires aktivierten. Die „stylistic “degrees of freedom”“ variieren dabei zwar von „society to society and from situation to situation“ (ebd.). Mit Verweis auf empirische Studien zeigt Luckmann aber, dass konkrete Sprechakte dabei situativ stets in engem Zusammenhang mit relevanten Aspekten der sozialen Wirklichkeit, die die soziale Situation rahmen, ausgewählt werden: Verwandtschaft, Alter und Geschlecht, ökonomische oder politische Institutionen, Statusunterschiede und allgemeine gesellschaftliche Normen, wie das Ernste, das Feierliche, das Heilige usw. sind demnach sozialstrukturelle Faktoren, die die Auswahl sprachlicher Elemente und sprachlicher Formen maßgeblich beeinflussen:
C.O. Frake (1964) demonstrated convincingly that a complex interplay of sociostructural, cultural and linguistic factors of the kinds described above is presupposed in such a seemingly simple speech-act as the ordering of a drink. (ebd., S. 45)
Bei aller Betonung der sozialen Strukturen und ihrer z. T. determinierenden Wirkung auf unser (kommunikatives) Handeln, nämlich die Auswahl unserer Sprechakte, vergisst Luckmann in seinen Ausführungen nicht, im Sinne des ‚verstehenden‘ Anspruchs und der dialektischen Betrachtungsweise von Mensch und Gesellschaft im SoKo, darauf hinzuweisen, was sich bereits in den angesprochenen Freiheitsgraden des institutionellen Sprechens andeutet: Dass soziale Situationen natürlich nicht vollständig institutionalisiert sind, sondern durch die Anwesenheit von Subjekten stets auch eine aktuelle und individuelle, subjektive Seite aufweisen, ein Hier-und-Jetzt, das von der sozial-biographischen Determiniertheit des Sprechens unterschieden werden muss, dabei aber nicht weniger determinierend wirkt als die Institutionen des Sozialen (siehe Abschnitt
2.1.1 bis
2.1.3):
There is, however, an entire set of intrinsic determinants that must be considered separately. They originate in the “inner” structure of the situation and influence the form of the speech-act from “within”. As far as the individual is concerned, each situation is subjectively structured in various ways: spatially (into left and right, up and down, near and far), temporally (into before and after, soon and late, etc.), socially (according to the immediacy of the several symptoms-optical, acoustic, tactile, etc.) and to the permutations of these symptoms by which partners in the situation are experienced. (ebd.)
In seiner Sprachsoziologie von 1975 greift Luckmann den Begriff der
Gattung, auf dessen Spuren ich mich in diesem Abschnitt meiner Arbeit noch etwas weiterbewegen möchte, noch nicht auf. Er verwendet stattdessen den sozialkonstruktivistischen Begriff der
institutionellen Sprache. Dabei argumentiert Luckmann vor allem, dass Sprechen weitgehend von institutionellen Kontexten determiniert sei. Er stellt dar, dass Sprechen in sozialen Situationen an Faktoren der sozialen Biografie sowie allgemeine gesellschaftliche Normen gebunden sei. Wobei er zugleich auf den wichtigen Aspekt hinweist, dass nicht nur äußere institutionelle, sondern, aus der situationalen Perspektive der Sprechenden, auch innere Faktoren Einfluss auf die Wahl von Sprechakten haben.
5 Die Frage aber, in welchen konkreten Einheiten, Mustern, Formen und Gattungen institutionalisiert gesprochen wird, bleibt in Luckmanns Sprachsoziologie unadressiert. Auch Hymes, der Luckmanns Sprachsoziologie entscheidend bereichert, verwendet den Begriff der
Gattung (genre) zu Anfang (Hymes 1964) selten und selbst in seinen späteren Arbeiten nur unsystematisch und weitgehend unerläutert (Günthner und Knoblauch 1994, 698). Das Verhältnis, in dem „sprachliche Routine“, „Muster“ und „Sprechgewohnheiten“ (Hymes 1979, S. 78 f.) zu Genres bzw. Gattungen stehen, liegt nicht in Hymes Fokus und verbleibt auch bei Luckmann – vorerst – im Dunkeln.
3.1.3 Der Begriff: Speech Genres
Als eigentliche Quelle des Gattungsbegriffs in Bezug auf verbale Kommunikation muss der 1975 verstorbene russische Literaturwissenschaftler Michail Bachtin (engl. Bakhtin) betrachtet werden. Bachtin, den Luckmann 1975 noch nicht rezipierte (Luckmann 2006, 5), schrieb in den 1950er Jahren ein Essay, in dem er den Begriff der
Sprechgattung definierte:
All the diverse areas of human activity involve the use of language. Quite understandably, the nature and forms of this use are just as diverse as are the areas of human activity. […] Language is realized in the form of individual concrete utterances (oral and written) by participants in the various areas of human activity. These utterances reflect the specific conditions and goals of each such area not only through their content (thematic) and linguistic style, that is, the selection of the lexical, phraseological, and grammatical resources of the language, but above all through their compositional structure. All three of these aspects –thematic content, style, and compositional structure– are inseparably linked to the whole of the utterance and are equally determined by the specific nature of the particular sphere of communication. Each separate utterance is individual, of course, but each sphere in which language is used develops its own relatively stable types of these utterances. These we may call speech genres. (Bakhtin 1986[1952], 60)
Bachtin, dessen analytische Grundeinheit die
Äußerung (utterance) (ebd., S. 67 ff) im Sinne von Saussures parole ist, entwickelt in seinem Essay, maßgeblich anhand des Dialogs als deren Prototyp, die Theorie einer Linguistik der
Sprechkommunikation (speech communication). Seinen Hauptbegriff, die Äußerung, definiert er dabei entlang einer semantischen Dimension: Eine Äußerung kann demnach sowohl ein einzelnes Wort, einen Satz oder eine Vielzahl von Sätzen umfassen (ebd., S. 77). Entscheidend ist die abgeschlossene Sinneinheit der Äußerung (ebd., S. 76), die Vollständigkeit der Ent-Äußerung im Sinne eines Sprechplans (speech plan). Mit dem
Sprechplan verweist Bachtin darauf, dass wir nicht von Wort zu Wort oder Satz zu Satz kommunizieren. Vielmehr würden wir das Ganze, unseren Ausdruckswillen, im Verlauf des Sprechens mit Worten füllen (ebd., S. 86). Nur so kann der Begriff der
Äußerung, im Sinn der Externalisierung eines subjektiven Sinns, überhaupt Bedeutung erlangen. Entsprechend verwirft (auch) er die Analyseeinheiten der etablierten Linguistik nach Saussure: Silben, Worte oder Sätze seien – im Sinne ihrer
Darstellungsfunktion – ungeeignet, um der Natur des Sprechens – im Sinne ihrer
Ausdrucksfunktion – auf die Spur zu gelangen. Sie seien neutral, besäßen keine Aussagekraft und ‚gehörten niemandem‘: „The words of a language belong to nobody“, „The same thing must be said about the sentence as a unit of language: it, too, is devoid of expressiveness“ (ebd., S. 88 f.). Der
wirkliche Charakter der Sprache sei vielmehr nur erfahrbar, wenn man ihn aus der Sprechkommunikation (parole statt langue) heraus analysiere. Hier erweise sich, dass die Grundeinheit die Äußerung sein müsse, da nur in ihr das Wort mit der Wirklichkeit in Kontakt käme, es erst hier einem Ausdruck diene und so für die Sprecher/-in sowie für die Zuhörenden kontextuell sinnhaft interpretierbar sei:
Therefore, one can say that any word exists for the speaker in three aspects: as a neutral word of a language, belonging to nobody; as an other’s word, which belongs to another person and is filled with echoes of the other’s utterance; and, finally, as my word, for, since I am dealing with it in a particular situation, with a particular speech plan, it is already imbued with my expression. In both of the latter aspects, the word is expressive, but, we repeat, this expression does not inhere in the word itself. It originates at the point of contact between the word and actual reality, under the conditions of that real situation articulated by the individual utterance. (ebd., S. 88)
Bachtins Begriff der Sprechkommunikation beleuchtet, in strenger Abgrenzung zur strukturalistischen Linguistik, die mit ihrer „langue“ als Zeichensystem die Darstellungsfunktion der Sprache analysiert, ganz im Sinne von von Humboldt, die Ausdrucks- und somit Verständigungsfunktion der Kommunikation. Er betont das Verstehen dabei, entsprechend der Basisdifferenzierung einer verstehenden Soziologie, als intersubjektiven Interaktionsprozess zwischen jeweils mit subjektivem Sinn ausgestatteten Individuen. Das Wort der „langue“ bilde nur eine von drei Existenzformen – und dabei die nichtssagendste – ab, wohingegen das Wort noch in zwei weiteren Formen, nämlich für Ego und Alter Ego, existiere. In diesen beiden Formen weise es jeweils Ausdruck auf, nämlich den gemeinten Sinn der Sprechenden bzw. der Verstehenden. Dieser Sinn käme aber stets nur in situ in die Welt, dort nämlich, wo es unter den Bedingungen einer gegebenen Situation in Kontakt mit der Wirklichkeit trete. Besonders kritikwürdig erscheint ihm vor dem Hintergrund dieses dialogisch-verstehenden Sprachbegriffs, dass die Linguistik das Sprechen als einsamen Prozess konzipiere, wodurch die Rolle der Zuhörenden sich fälschlicherweise als Passivität darstelle (ebd., S. 69).
Bachtin dagegen verdeutlicht, dass jegliche Äußerung zu jedem Zeitpunkt in der Sprechkommunikation eine Reaktion hervorzurufen in der Lage sei und dass dies sogar auch dann gelte, wenn die Sprechsituation unmittelbare Reaktionen nicht zulasse (ebd.). So würden Äußerungen – mittelbar oder unmittelbar, ausgesprochen oder nicht – stets Folgehandlungen, Sprechakte wie Zustimmung, Ablehnung, Befolgung, Widersetzung etc. nach sich ziehen (ebd.; auch (Volosinov 1973, 85, Collins 1998, 7, J. Berger 2003[1903])). Zudem würden Äußerungen auch bereits darauf hin getätigt, um derlei Reaktionen hervorzurufen und seien daher bereits entsprechend vorentworfen bzw. ausgewählt:
An essential (constitutive) marker of the utterance is its quality of being directed to someone, its addressivity. As distinct from the signifying units of a language – words and sentences – that are impersonal, belonging to nobody and addressed to nobody, the utterance has both an author (and, consequently, expression, which we have already discussed) and an addressee. This addressee can be an immediate participant-interlocutor in an everyday dialogue, a differentiated collective of specialists in some particular area of cultural communication, a more or less differentiated public, ethnic group, contemporaries, like-minded people, opponents and enemies, a subordinare, a superior, someone who is lower, higher, familiar, foreign, and so forth. And it can also be an indefinite, unconcretized other (with various kinds of monological utterances of an emotional type). (Bakhtin 1986[1952], 95)
Die Zuhörenden, die Adressat/-innen des jeweiligen Sprechens, die – wie die Adressierenden selbst – situationsbezogen in Rollen typisch erfasst werden können (z. B. als Freunde, Gegner, Feinde etc.), sind stets von Bedeutung für jegliche Äußerung, eben weil sie mit der Äußerung adressiert werden: Sei es indem sie das Gehörte (oder Gelesene) selbst zum Anlass einer Äußerung nehmen können, sei es, weil sie das Aufgenommene in späteren Äußerungen wieder aufgreifen, weil sie eine Anschlusshandlung vollziehen können, die in einer Erfüllungsbeziehung zu der vorangegangenen Äußerung steht oder schlicht, weil sie im Bewusstsein der Äußernden die Kommunikationstriade vervollständigen. Dabei sei, so Bachtin, die Äußerung und mit ihr das Thema, der sprachliche Stil sowie die Kompositionsstruktur, stets abhängig von der Situation, in der sie getätigt würde, sodass typische Situationen typische Äußerungen nach sich zögen, die sich durch ein typisches Thema, eine typische Struktur sowie einen typischen Stil auszeichneten. In diesem Kontext spricht Bachtin schließlich von
Sprechgattungen (speech genres). Unter diesem Begriff fasst er verfestigte Formen typischer Äußerungen, die sich so klassifizieren und mit typischen Situationen ihres Auftretens in Verbindung setzen lassen:
A speech genre is not a form of language, but a typical form of utterance; as such the genre also includes a certain typical kind of expression that inheres in it. In the genre the word acquires a particular typical expression. Genres correspond to typical situations of speech communication; typical themes, and, consequently, also to particular contacts between the meanings of words and actual concrete reality under certain typical circumstances. (Bakhtin 1986[1952], 87)
Gattungen sind nach Bachtin also typische Formen von Äußerungen. Sie beinhalten einen bestimmten typischen Ausdruck und entsprechende sprachliche Stile, die themenbezogen dem entsprechenden Ausdruck dienen. In diesem Kontext differenziert Bachtin, entsprechend der Unterscheidung zwischen äußeren und inneren Determinanten der Sprechakte bei Luckmann, zwischen generischen (generic) und individuellen (individual) Stilen des Sprechens.
Während der generische Stil in erster Linie mit der Situation korrespondiert und die Sprechkommunikation nach außen, im Sinne eines typischen Ausdrucks, situationsangemessen rahmt, dient der individuelle Stil vor allem der individuellen Ausdrucksfunktion des Sprechens, der Entäußerung des Innen: Im individuellen Stil drückt die Sprecher/-in sich selbst, ihre Gedanken, Wünsche, Vorstellungen, Ideen etc. aus. Die Realisierung dieses individuellen Ausdrucks sei dabei davon abhängig, wie vertraut die Sprecher/-in mit der entsprechenden Gattung sei (ebd., S. 80):
The better our command of genres, the more freely we employ them, the more fully and clearly we reveal our own individuality in them (where this is possible and necessary), the more flexibly and precisely we reflect the unrepeatable situation of communication-in a word, the more perfectly we implement our free speech plan. (ebd.)
Bachtin weist aber auch darauf hin, dass nicht jede Gattung zum freien Ausdruck geeignet ist (ebd., S. 63): Das durch diese Differenz aufgespannte Kontinuum, das uns ebenfalls bei Luckmann begegnet, bewegt sich bei Bachtin zwischen künstlerischen Gattungen einerseits, die ja ausdrücklich für den individuellen Ausdruck geschaffen sind, und andererseits z. B. dem militärischen Befehl bzw. anderen stark formalisierten Gattungen, die kaum oder keinen individuellen Ausdruck erlauben. Hier wird der basale Zusammenhang zwischen Bachtins Sprechkommunikation und der sozialen Situation offensichtlich: Der Vortrag einer romantischen Liebesbeschwörung ist nicht nur sprachlich von der Erteilung eines militärischen Befehls klar zu unterscheiden. Die Situation selbst, in der die jeweiligen Äußerungen getätigt werden, trennt i. d. R. Welten. (Aber auch hier gilt es, das Sprechen in situ zu betrachten, denn in Abhängigkeit von dem individuellen Ausdrucksvermögen der Sprecher/-in bzw. davon, wie geübt sie oder er in der Anwendung von sprachlichem Ausdruck ist, lassen sich auch militärische Situationen durch die Rezitation oder freie Improvisation von Liebesversen konterkarieren, während es denkbar ist, dass auch romantische Situationen durch die Erteilung militärischer Befehle an Heiterkeit gewinnen können.)
Bachtin verdeutlicht, dass Sprechen auf das engste mit der erprobten Anwendung erlernter typischer Ausdrücke und daher mit Gattungen verknüpft sei. Nicht nur wann bestimmte Äußerungen getätigt werden, sondern auch im Kontext welcher anderen Ausdrücke, stellt sich bei Bachtin als hochgradig konventionalisiert heraus. So erweist sich Sprechen als die fortgesetzte Aneinanderreihung von sprachlichen Äußerungen, in denen nicht selten – wie man mit Helga Kotthoff (1999, 37) sagen könnte – Gattungsverschachtelungen vorliegen. Bachtin unterscheidet in diesem Kontext zwischen primären, d. h. einfachen Gattungen und sekundären, also komplexeren Gattungen (Bakhtin 1986[1952], 61 f.). So meint er z. B. mit Hinblick auf wissenschaftliche Gattungen, dass diese – wie andere komplexere Formen – einfachere Genres aufsögen und verdauten („absorb and digest“), die sich in alltäglichen Umgangsformen entwickelt hätten. So kann die Begrüßung, als einfache kommunikative Form, sowohl als eigenständige (primäre oder einfache) Gattung als auch als Bestandteil einer komplexeren Form, wie dem Vortrag, betrachtet werden, die ihrerseits eine (sekundäre oder komplexe) Gattung darstellt.
Bei Bachtin erweist sich Sprechkommunikation so – in toto – als Sprechen in Gattungen, wobei die Freiheit des Ausdrucks (speech will) i. d. R., neben dem individuellen Stil, der durch die gewählte Gattung begrenzt ist, in der Auswahlmöglichkeit spezifischer Gattungen überhaupt zu betrachten ist:
The speaker’s speech will is manifested primarily in the choice of a particular speech genre. […] We speak only in definite speech genres, that is, all our utterances have definite and relatively stable typical forms of construction of the whole. (ebd., S. 78)
Mit seiner Behauptung der Gattungsförmigkeit sämtlicher Sprechkommunikation, die er damit erläutert, dass wir Sprechen in der Praxis des Sprechens selbst erlernten und dabei, mit den Lauten und Worten zugleich ganze Phrasen, spezifische Ausdrucksweisen, Stile, insbesondere typische Konstruktionsweisen des individuellen Ausdrucks etc. übernehmen würden, geht Bachtin deutlich über das Programm der GA hinaus. Während deren Vertreter/-innen zumeist betonen, dass nicht jedes Sprechen in Gattungen aufginge (Luckmann, 1986, 201) (Günthner und Knoblauch 1994, 699), nicht einmal sein größter Teil, meint Bachtin, dass alle Äußerungen stets einer spezifischen Gattung zugehörten, deren Anwendung wir in der Kindheit ebenso unreflektiert erlernten wie unseren Sprachgebrauch überhaupt. Die Ubiquität der Gattungen zeige sich z. B. daran, dass man stets bereits nach wenigen Worten des Gegenübers eine Vorstellung von dessen Vorentwurf seiner Kommunikation habe und einschätzen könne, worin die eigene Rolle im Rahmen der Äußerung bestehe und außerdem – maßgeblich anhand der Struktur (z. B. Prä-, Haupt- und Postsequenz) – erkennen könne, wie lang die Äußerung sich in etwa erstrecken werde etc. (Bakhtin 1986[1952], 79). In diesem Sinn würde die allgemeine Gattungsförmigkeit der Kommunikation eine wichtige Funktion im Sinne ihrer primären Bestimmung als Verständigungsmittel besitzen. Dass Sprache tatsächlich diese implizite Anzeigefunktion besitzt, ist später vor allem in der ethnomethodologischen Konversationsanalyse thematisiert worden (Abschnitt
3.1.4).
Bachtins Thesen, trotz der allgemeinen Gattungsförmigkeit des Sprechens, die er im Rahmen des von ihm gesetzten Begriffs der Gattung (m. E. zu Recht) behauptet, erweisen sich als anschlussfähig an Luckmanns Sprachsoziologie und für dessen spätere GA. Viele seiner Grundannahmen sind auch aus der verstehenden Soziologie bzw. der Wissenssoziologie und dem SoKo bekannt. Hier wie dort gilt die Bedeutung des subjektiven Bewusstseins für die Analyse: Auch Bachtin war ein ausdrücklicher Kritiker des Behaviorismus. Hier wie dort wird dabei aber auch deutlich, dass das konstitutionslogische Subjekt nicht Anlass für Subjektivismus bietet. Im Gegenteil: Während Schütz betont, dass das Wort den Menschen von seiner Subjektivität scheidet und die Strukturen der Lebenswelt den Einzelnen auferlegt seien, verdeutlicht die Wissenssoziologie, dass die Wirklichkeit maßgeblich auf dem basiere, was in gesellschaftlichen Wissensvorräten abgelegt sei (Abschnitt
2.1). Was bei Schütz im Wort und bei Berger und Luckmann im Wissen objektiviert ist, nämlich die Rahmen der Wirklichkeitsbestimmung, und schon hier auf das engste mit Sprache verknüpft ist, findet sich bei Bachtin in den Äußerungsformen, d. h. in den
Sprechgattungen selbst.
Bachtins Gattungen erweisen sich damit als das, womit sie auch in der GA (hinsichtlich ihrer Funktion) ausdrücklich gleichgesetzt werden: soziale Institutionen. Die Individualität bzw. Subjektivität des Ausdrucks liegen daher ganz im Bereich dessen, was von mir zuvor, in Hinblick auf das Wissen,
Permutation genannt wurde. Grundressource des subjektiven Wissens einer- und des subjektiven Ausdrucks andererseits ist stets das verfestigte Soziale – Wissen und seine Vermittlungsformen, wobei beides im Phänomen der Kommunikation untrennbar miteinander verwoben scheint.
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Obgleich ich Bachtins Soziologismus der Sprechkommunikation zustimme, so ist bei aller Genialität seiner Ausführungen eines doch nicht zu übersehen: Bachtin war nicht Soziologe. Im vorliegenden Kontext ist diese Bemerkung von Relevanz: Denn zwar entwirft Bachtin sein Gattungskonzept, das auf seinem Begriff der Äußerung basiert und sich von der strukturalistischen Linguistik abzugrenzen bemüht ist, streng im Kontext der sozialen Situation und anhand des Dialogs, betont dabei ausdrücklich die Rolle der anderen, der Kommunikationsgeschichte sowie weiterer sozial abgeleiteter Bedingtheiten. Jedoch fehlt ihm m. E. ein genuin soziologisches Denken, um der Bedeutung der Sozialität des kommunikativen Handelns in seiner Sprechkommunikation begrifflich vollständig gerecht zu werden. Dies wird insbesondere an der Wahl seiner Grundeinheit, der Äußerung (des speech subjects), deutlich. Die Pointe der soziologischen Betrachtung liegt darin, dass – wie Simmel bereits ausführte – die kleinste Einheit soziologischer Betrachtung die Dyade ist, die Beziehung also, die das einzelne Subjekt überschreitet und die Wechselwirkung zwischen mindestens zwei Subjekten entfaltet (Interaktion). In diesem Sinn hat Bachtin – konversationsanalytisch gesprochen – zwar den Turn als intersubjektiv nachvollziehbare Markierung des Endes von Äußerungen erkannt. Den nächsten, soziologisch weit relevanteren Schritt, hin zur Sequenz als kleinste Sinneinheit der gesprochenen Sprache (bzw. der Kommunikation), hat er allerdings noch nicht vollzogen. Erst in der Sequenz erweist sich aber speech communication als intersubjektives Phänomen und wechselwirkender talk in interaction (Schegloff 1991, Rendle-Short 2006) – was bei Bachtin zwar bereits angesprochen ist, aber noch nicht begrifflich erfasst werden kann. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die CA von großer Bedeutung für die GA, zu der sie auf Umwegen u. a. die ethnomethodologisch informierte Sequenzanalyse beisteuert.
3.1.4 Die ethnomethodologische Konversationsanalyse
In einem Vortrag 2017 in Bayreuth, anlässlich eines Treffens des Nachwuchsnetzwerks Videoanalyse, machte Bernt Schnettler allerdings darauf aufmerksam, dass Luckmann skeptisch gewesen sei, was die CA betraf. Der Situationalismus der Ethnomethodologie sei ihm „unsoziologisch“ erschienen: Luckmanns Ansatz ist, wie bereits deutlich gemacht wurde, der Erforschung von Handeln
und Institutionen verschrieben. Seine Soziologie, die er mit Berger und Schütz ausarbeitete, erklärt Ersteres vor dem Hintergrund der Letzteren (und im Sinne einer Dialektik: vice versa) und ist daher mit einigen der wesentlichen Postulate der Ethnomethodologie unvereinbar.
7 Die CA ist schließlich erst dann als Jörg Bergmann, der bei den Ethnomethodologen Harvey Sacks und Emanuel Schegloff studiert hatte, Luckmanns Mitarbeiter wurde, von Luckmann aufgenommen worden (Abschnitt
3.2.3). Sie erfuhr daher auch erst im Rahmen der GA allmählich Berücksichtigung und damit später als die Soziolinguistik, die Luckmann bereits für seine
Sociology of Language (1975) rezipierte. CA stellt die minutiöse Analyse von sprachlichen Handlungsabläufen (Bergmann 1981, 14) dar, die von Garfinkel-Schüler/-innen wie Sacks mit dem Ziel entwickelt wurde, die Ethnomethoden zu bestimmen, mittels derer Sprecher/-innen die Geordnetheit ihrer Kommunikation erzeugen.
8 Bergmann (ebd., S. 21 f.) gliedert die CA in drei Teilschritte:
Erstens gelte es die Geordnetheit in der scheinbar ungeordneten Kommunikation zu entdecken. Audiodaten machten es dabei leicht möglich, entsprechende Ordnungen tatsächlich aufzufinden (Sacks, Schegloff und Jefferson 1974, 699).
Zweitens werde geprüft, für welches Problem die gefundene Ordnung eine Lösung darstelle. Schließlich werde
drittens in den erhobenen Audiodaten nach den Ethnomethoden gesucht, mittels derer die Ordnung hergestellt werde. Das übergeordnete Prinzip dieser Methoden stellt das „turn-taking-system“ (ebd.) dar. Es dient, als lokal regulativer Apparat (Bergmann 1981, 25), als lokales Management (ebd., S. 29), der Organisation sprachlicher Interaktion. Dabei stellt sich der „turn“, bei Bachtin: „change of speech subjects“ (Bakhtin 1986[1952], 76), bei Sacks et al. als interaktives Objekt (1974, 726 f.) heraus, das Auslöser von etwas größerem ist als die Äußerung bei Bachtin, nämlich der Sequenz.
Unter Paarsequenzen (adjacency pairs) versteht man in der CA z. B. Frage und Antwort. Dabei gilt,
dass eine Äußerung, die als Erster Teil eines Äußerungspaares wahrgenommen wird, eine normative Erwartung aufbaut im Hinblick auf die vom Gesprächspartner zu formulierende Nachfolgeäußerung. (Bergmann 1988b, 18 f.)
Daher kann der zweite Teil einer Paarsequenz nicht beliebig sein, sondern muss sich sinnhaft auf die normative Erwartung beziehen lassen, die in ihrem ersten Teil zum Ausdruck kommt. Statt mit einer Antwort kann man einer Frage natürlich auch mit einer Gegenfrage oder einem Exkurs begegnen; der erste Teil einer Paarsequenz kann auch durch eine kurze Formel oder eine längere Einführung begonnen werden und die Antwort kann, statt sich auf Fakten zu beschränken, zu einer längeren Äußerung ausholen etc. So lassen sich Paarsequenzen tatsächlich beliebig durch sog. Einschub-, Prä- und Nach-Sequenzen ausweiten. (Der Redezugwechsel als Typ sozialer Organisation in ‚Sprech-Austausch-Systemen‘ ist daher “one of the hardest lessons for children under five years to learn” (Sacks, Schegloff und Jefferson 1974, 698).)
Das Modell der CA, das anhand der Analyse von Audiodaten natürlicher Kommunikation entwickelt wurde, basiert auf zwei Komponenten, wobei die Letztere sich durch drei fundamentale Regeln auszeichnet: Zunächst die Turn-konstruierende Komponente – hiermit bezeichnet die CA das, was Bachtin Äußerung, Hymes und Luckmann Sprechakt nennen: nämlich Absätze, Sätze oder einzelne Worte (unit-types) gesprochener Sprache. Sie beinhalten zum einen den (generischen und individuellen) Ausdruck, geben den an der Kommunikation Beteiligten zugleich aber auch wichtige Hinweise auf mögliche Transitpassagen, Momente im Fluss des Sprechens, die einen Redezugwechsel ermöglichen. Hier wird die zweite Komponente von Sprech-Austausch-Systemen relevant, die Turn-Zuweisungskomponente: Damit bezeichnet die CA Ethnomethoden der interaktiven Selektion der nächsten Sprecher/-in in Konversationen. In den Audiodaten, so Sacks et al. (1974), zeigten sich folgende, regelhafte Varianten: Erstens, entweder die gegenwärtige Sprecher/-in wähle die nächste Sprecher/-in, indem sie sie oder ihn z. B. direkt anspreche, zur Antwort auffordere etc. Zweitens, die nächste Sprecher/-in wähle sich selbst, indem sie oder er z. B. eine Pause nutze oder den Redefluss der gegenwärtigen Sprecher/-in unterbreche etc. Oder, drittens, die gegenwärtige Sprecher/-in wähle sich, im Sinn eines fortgesetzten Sprechens, selbst zur nächsten Sprecher/-in. Zweck dieser (zumeist) informellen Regeln sei es, Überlappungen und Lücken zu minimieren (ebd., S. 705), die ohne sie nicht zu vermeiden wären. Ein geordnetes Sprechen in Interaktion (Rendle-Short 2006, 2 f. und passim) wäre ohne diese Ethnomethoden des Sprechens nicht möglich.
Auf Grundlage ihrer Empirie stellen Sacks et al. fest, dass dem informellen Alltagsgespräch unter anderen Sprech-Austausch-Systemen (ebd., S. 729 ff.) die besondere Rolle zukäme, die Basisform aller Formen von in Kopräsenz gesprochener Sprache darzustellen und dass andere Formen, Abstufungen zwischen stark, weniger stark und kaum formalisierten Sprechereignissen, die auch Bachtin (1986[1952]) und Luckmann (1975) thematisieren, entsprechend Modulationen der alltäglichen Konversation seien (Sacks, Schegloff und Jefferson 1974, 730). Sprech-Austausch-Systeme, wie sie die CA betrachtet, umfassen somit das kontinuierliche Repertoire von der Alltagskonversation (lokale Allokation von Redezügen, unbestimmte Anzahl von Sprecher/-innen, offene Redezuglänge) bis hin zu z. B. wissenschaftlichen Vorträgen (Präallokation von Redezügen, Begrenzung der Sprecher/-in, festgelegte Redezuglänge). Dabei betont die CA, dass alle Sprech-Austausch-Systeme lokal organisiert seien, „all the operations are local“ (ebd., S. 725). Selbst wenn sie formalen Charakter besäßen, müssten sie situativ durch die Teilnehmenden koordiniert werden. Aufgrund dieses Erfordernisses seien sie durch die wechselseitige Aufmerksamkeit der Teilnehmer/-innen charakterisiert (ebd., S. 726). Hier zeigt sich die Beobachtung einfordernde Anzeigefunktion von Äußerungen, die bereits Bachtin anspricht und die für soziologische Analysen eine besondere Relevanz besitzt (ebd.): Methodologisch entscheidend dafür ist die Reflexivität (Tuma, Schnettler und Knoblauch 2013, 90) der Ethnomethoden als „accounting practices“ (Garfinkel 1984[1967], 1): „[T]he activities whereby members produce and manage settings of everyday affairs are identical with members’ procedures for making those settings account-able.“ (ebd.)
Die Hinweise, die sich Kommunizierende in ihrem (kommunikativen) ‚Anzeige-Handeln‘ geben, um ihren Alltag (kommunikativ) handelnd zu bewältigen und sich dabei zu koordinieren, lassen sich auch für die soziologische Analyse auswerten. Hierin liegt die Pointe der CA bzw. der Ethnomethodologie, die ausschließlich diese Ethnomethoden als „Tutorials“ der soziologischen Erkenntnis anerkennt (Lynch 1999, 226 f.). Menschen liefern fortlaufend Hinweise darauf, in welcher Situation sie sich gemeinsam befinden, wer welche Rolle übernimmt, welche Interessen verfolgt, was von Belang und was derzeit ohne Relevanz ist etc. Die alltägliche Bewerkstelligung von gesellschaftlicher Wirklichkeit basiert, laut Garfinkel, maßgeblich auf entsprechendem wechselseitigem Anzeige-Handeln und der Interpretation des dabei ausgedrückten Sinns. Eben dieses Prinzip im Rahmen ihrer Sequenzanalyse für die soziologische Forschung geöffnet und schematisiert zu haben, ist das große Verdienst der CA für die empirische Sozialforschung. Entsprechend machte die Sequenzanalyse sowohl in der GA als auch in der aus ihr entwickelten Videographie Karriere (siehe Abschnitt
1.2.3.1), wohingegen andere Postulate der Ethnomethodologie sich in der Soziologie als weniger anschlussfähig erwiesen.
Exkurs: CA-verwandte Ansätze
Nicht zu den Vorläufern der wissenssoziologischen GA (noch zu ihren Nachfolgern) zählen zahlreiche kommunikationsanalytische Ansätze, die der CA verpflichtet (ethnomethodologische Kommunikationsforschung) sind oder ihrerseits in der CA stark rezipiert wurden (insbesondere Gestenforschung). Obgleich ich diese Arbeiten nicht systematisch berücksichtigen werde, da sie Kommunikationsformen nicht als Gattungen, das heißt in ihrem vollen Kontext auf Makro- bzw. Mesoebene betrachten können oder wollen, müssen sie an dieser Stelle genannt werden, nicht zuletzt vor dem Hintergrund ihrer großen Bedeutung für die soziologische Mikroanalyse im Allgemeinen und die entsprechende Methodenentwicklung. Hierzu zählen die Pionierarbeiten zu (non-)verbaler Kommunikation in der CA, deren Erkenntnisse prominent auch in die Entwicklung des KoKo bzw. der kommunikationssoziologischen GA miteingeflossen sind (Knoblauch 2017, 51).
Zu nennen sind in diesem Kontext insbesondere die Arbeiten von Christian Heath (1984a, 1984b, 1986) und Charles Goodwin (1979, 1981), in deren Kontext gleichzeitig mit der mikroanalytischen Fokussierung auch die visuelle Methode in der qualitativen Forschung etabliert wurde (Goodwin 1979, Heath 1984a). Diese Arbeiten sind ihrerseits, bzgl. ihrer mikrosoziologischen Fokussierung des non-verbalen Ausdrucks in ‚natürlichen Situationen‘ (Goodwin 1981, 33 f.) sowie der Entwicklung audio-visueller Analyseverfahren, stark von der Gestenforschung, insbesondere von den Arbeiten Adam Kendons, beeinflusst (Heath 1992, 705).
Kendon war es, der erstmals die Bedeutung von Blicken (1967) und Bewegungen (1970) im Sinne von „visual action“ (Kendon 2004) systematisch in den Fokus der Analyse von Face-to-face-Kommunikation setzte, wobei er bereits sehr früh Filmaufzeichnungen verwendete (1967, 24 f.)
9. An Kendon wiederum schließen neuere konversationsanalytisch informierte Arbeiten der linguistischen Anthropologie an, allen voran von Elinor Ochs, Sally Jacoby, Patrick Gonzales und Johanna Rendle-Short. Die entsprechenden Arbeiten beschäftigen sich mit „shop“ und/oder „institutional talk“ in der Wissenschaft. Während Ochs et al. dabei insbesondere die Verwendung von Visualisierungen (Ochs, Jacoby und Gonzales 1994, Ochs, Gonzales und Jacoby 1996) und die Auswirkung von Zeitlichkeit (Ochs und Jacoby 1997) in der Kommunikation einer Gruppe von Physiker/-innen beobachten und analysieren, ist Rendle-Shorts Monographie zum „academic talk“ (2006) maßgeblich auf die Funktionsweise erfolgreicher Wissenskommunikation in einem interdisziplinären Institutskolloquium ausgerichtet.
Während diese Ansätze einen ähnlichen Gegenstand und die Fokussierung der Kommunikation als Grundlage für den interaktionalen Verstehensprozess mit meiner eigenen Forschung, meinen Vorannahmen und Grundbegriffen, teilen, bestehen bzgl. der theoretischen Verortung dieser Arbeiten erhebliche Unterschiede, sodass ich sie als Inspirationen für Teilaspekte meiner eigenen Arbeit herangezogen habe, aber nicht an sie anschließe. Deutlich wird der maßgebliche Unterschied z. B. in der Monografie von Rendle-Short (2006) hinsichtlich ihrer Verpflichtung gegenüber dem zuvor erläuterten ‚ethnomethodologischen Paradigma‘: Vor dem Hintergrund dieser Beschränkung auf die Situation und das Anzeigeverhalten der Feldteilnehmer/-innen gelingt es ihr m. E. nicht, die von ihr beobachtete Kommunikation mit dem übergeordneten institutionellen Kontext zu verknüpfen. Dies ist deshalb erwähnenswert, weil sie diesen Anspruch durchaus formuliert (Rendle-Short 2006, 3). Gleichzeitig geht sie aber in ihren empirischen Analysen tatsächlich nicht über die Situation hinaus. So verbleibt ihre Arbeit zum „academic talk“ m. E. auf der Ebene einer elaborierten klassischen CA-Analyse, wobei sie eine spezifische, in der Wissenschaft angesiedelte Kommunikationsform erforscht, ohne diese dabei strukturell mit dem übersituativen Kontext zu verknüpfen. Die Arbeiten von Ochs et al. wiederum sind sehr stark von der Linguistik geprägt und fokussieren vor allem sprachliche bzw. syntaktische und andere Aspekte des Sprechens in Interaktion, die für meine eigene Arbeit nicht als eigenständiger Gegenstand relevant sind. Außerdem möchte ich den angestellten Schlussfolgerung an vielen Stellen nicht folgen.
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Nichtsdestotrotz bestätigen die empirischen Befunde von Ochs et al. und Rendle-Short viele meiner eigenen Forschungsergebnisse, die auf den Ebenen der Binnenstruktur sowie der situativen Realisierung meines gattungsanalytisch geprägten Forschungsdesigns gelegen sind. Dies gilt insbesondere für die im Rahmen der Analyse von Face-to-face-Kommunikation innerhalb einer Gruppe Physiker/-innen gewonnenen Erkenntnisse, hinsichtlich der engen Verknüpfung von Visualisierung und Erkenntnisgewinn in den Prozessen Herstellung und Benutzung von Visualisierungen in Forschung bzw. Wissenskommunikation (Ochs, Jacoby und Gonzales 1994, 170, Ochs, Gonzales und Jacoby 1996, 359) sowie für die durch Rendle-Shorts Beobachtung eines Institutskolloquiums gewonnenen Einblicke in die performative Herstellung eines „recipient designs“ (2006, 13 und passim) durch die jeweils Vortragenden sowie die Ubiquität von (digitalen) Visualisierungen (ebd., S. 101) als wesentliches Element ihrer Vortragsweise („display rule“) (Abschnitt
4.2).
3.1.5 Die Interaktionsordnung
Ein weniger ‚starkes‘ Programm als die CA verfolgt Erving Goffman. Die CA, die ihn nicht unmaßgeblich rezipierte, erschien Goffman zu reduktionistisch (Bergmann 1999, 309). Nichtsdestoweniger ist er sowohl für die Ethnomethodologie als auch für die CA (ebd., S. 302) und für Luckmann (Schnettler 2006, 42) von großer Bedeutung: Letzterer rezipierte Goffman im Gegensatz zur Ethnomethodologie oder der CA bereits 1975. Neben den
Rede-Weisen (Goffman 2005a) scheint im Rahmen der GA vor allem der bei Goffman zentrale Begriff der
Interaktionsordnung relevant. Goffman dachte, dass Soziolog/-innen sich mit der Schnittstelle zwischen Interaktion und sozialer Organisation beschäftigen sollten. Schon mit diesem Postulat ist er weit vom Situationalismus der Ethnomethodologie entfernt und nahe an Luckmann. In seinem 1971 (engl. 1967) erschienenen Buch
Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation (Goffman 1971[1967]) schreibt er, auf einen
weiten Kommunikationsbegriff rekurrierend (Knoblauch, Leuenberger und Schnettler 2005, 13), sein Ziel sei es, „direkte Interaktion in alltäglichen Zusammenhängen“ zu untersuchen (Goffman 1971[1967], 7). Dies sei, ganz im Sinne der Soziolinguistik, „durch gute ethnographische Studien“ (ebd., S. 8) zu erreichen. Im Fokus dabei:
[A]ngefangen bei der kleinsten Einheit, dem flüchtigen Mienenspiel […] bis hin zu solchen Ereignissen wie wochenlangen Konferenzen, Interaktionsmonstren, die an der äußersten Grenze dessen liegen, was man als soziale Gelegenheit bezeichnen kann. Ein weiteres Ziel ist die Aufdeckung der normativen Ordnung, die innerhalb und zwischen diesen Einheiten herrscht, d.h. die Verhaltensregeln, die es überall gibt, wo Leute sind, unabhängig davon, ob es sich um öffentliche, halböffentliche oder private Orte handelt und ob diese unter den Auspizien einer sozialen Gelegenheit oder den lockeren Zwängen eines einfachen routinierten sozialen Rahmens stehen. (ebd.)
In Bezug auf Sprechen in Interaktion stellt Goffman in seiner Arbeit fest, dass dieses auf einem spezifischen System aus „Praktiken, Konventionen und Verfahrensregeln“, der normativen Ordnung, basiere, die der Organisation des Sprechens in Interaktion diene (ebd., S. 40 f.). Dieses „System“, die Interaktionsordnung, regele, wann, wo, mit wem und mittels welcher signifikanten Gesten gesprochen und der Status der Beteiligten ausgedrückt werde; worauf der gemeinsame (thematische und visuelle) Aufmerksamkeitsfokus liege, der, ebenso wie die Redezugzuweisung, durch sprachliche und nicht sprachliche Hinweise der Interaktionsteilnehmer/-innen organisiert würde; wie lang die einzelnen Redezüge andauerten; wie mit Pausen und Störungen im Gesprächsfluss, wie mit Dissens umzugehen, wie das Thema der Kommunikation zu wechseln sei etc. Goffman stellt dabei hervor, dass die Regeln des Gesprächs, die sowohl für formale als auch für informelle Interaktionen, wenn auch in unterscheidbarer Explizität, vorliegen würden, nicht Teil des Gesprächsverlaufs selbst seien, sondern „zu einem Gesprächsanlass, zu einer Interaktionsepisode“ (ebd., S. 42) gehörten.
Will man herausfinden, wie diese Konventionen als Leitfaden der Handlung aufrechterhalten werden, findet man Hinweise dafür, die eine funktionale Beziehung zwischen der Struktur des Selbst und der Struktur sprachlicher Interaktion vermuten lassen. (ebd., S. 43)
Die Verbindung zwischen beidem, der Gesprächssituation und ihrer Ordnung, findet Goffman, in Anlehnung an Meads Konzept der Identität, in der Sozialisation des Individuums. In der
sozialen Situation, die Goffman (1964, 135) zunächst weit anders als Luckmann (1975, 44), nämlich als wechselseitige Wahrnehmung in Kopräsenz (Knoblauch 1994, 34) und nicht in Hinblick auf den Institutionalisierungsgrad definiert, werde an das Selbstbild (image) appelliert, wodurch die Interaktionsteilnehmer/-innen große Sorgfalt darauf verwendeten, sich sozial angemessen zu verhalten.
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Den Kern der Interaktionsordnung bilden soziale Situationen, an denen zwei oder mehr Personen beteiligt sind; hier zeigen sie ihre Aufmerksamkeit und Anteilnahme, hier findet die Koordination von Handlungen statt, und hier sind ihre Körper verletzlich (ein für die Ausbildung dieser Ordnung von Goffman immer wieder betonter Aspekt). (ebd., S. 35)
Dabei gilt, wie Goffman in seinem frühen Buch
Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag (2003/1983[engl.1959]) bereits ausführte, der Schutz des eigenen Selbst(-bildes) ebenso viel wie der Schutz der Selbstbilder der anderen Teilnehmer/-innen. Im Rahmen seiner Grundannahme, „dass die Selbstdarstellung des einzelnen nach vorgegebenen Regeln und unter vorgegebenen Kontrollen ein notwendiges Prinzip des menschlichen Lebens ist“ (Dahrendorf 2003/1983, VII), behandelt Goffman die sozialen Techniken, die die Stabilisierung dieser Darstellungen ermöglichen. Diese Techniken ähneln dabei stark den Ethnomethoden, die Garfinkel und seine Schule fokussieren. Ganz im Sinne von Garfinkels „breaching experiments“ (Garfinkel 1984[1967], 54) betrachtet Goffman zunächst auch typische Störungen der „Inszenierungen“ (2003/1983[engl.1959], 189 ff), um der sonst unmerklich vollzogenen Ordnung auf die Spur zu gelangen
12: So analysiert er z. B. den Mangel an Eigenverantwortlichkeit der Darsteller/-innen in Bezug auf ihr Handeln, wie z. B. „unbeabsichtigte Gesten“ aber auch „unpassendes Eindringen“, die „peinliche Aufdeckung“, „Fauxpas“ und „Szenen“, um – vor diesem Hintergrund – zu den Techniken der Eindrucksmanipulation, also den „Techniken der erfolgreichen Rolleninszenierung“ zu gelangen:
Um Zwischenfälle und die damit verbundene Verlegenheit zu vermeiden, müssen alle Teilnehmer an einer Interaktion ebenso wie die Zuschauer gewisse Eigenschaften besitzen und sie dazu benützen, um die Darstellung zu schützen. (ebd., S. 193)
Unter den Eigenschaften und Maßnahmen der Verteidigung versteht Goffman Techniken oder Ethnomethoden, die er mit Begriffen versieht, die er von seiner berühmt gewordenen Bühnenmetapher aus Wir alle spielen Theater ableitet: „dramaturgische Loyalität“ (z. B. Diskretion), „dramaturgische Disziplin“ (z. B. Selbstbeherrschung) sowie die „dramaturgische Sorgfalt“ (z. B. durch „Voraussicht und Planung“). All diese Techniken – und gerade hierin erweisen sie sich als Ethnomethoden, in denen Tun und Anzeigen in eins fallen – zeichnen sich dadurch aus, dass sie wechselseitig angezeigt, dass sie einander kommuniziert werden und den Beteiligten an der Interaktion so eine ständige Bestimmung der Situation, ihrer Umstände und der Regelkonformität des Ablaufs ermöglichen. Dies gilt sowohl für geglückte Inszenierungen als auch für deren Scheitern. Auch „Szenen“ sind in diesem Sinn Techniken der Inszenierung und können etwa dazu dienen, eine ‚unerträglich‘ gewordene Inszenierung eines anderen zu unterbrechen und die Handlung der fortlaufenden Interaktion neu zu wählen. Die Aufrechterhaltung des Images ist also von Maßnahmen abhängig, die nur z. T. in den Händen der jeweils aktuellen Sprecher/-in liegen. Wie auch Bachtin und die CA betonen, ist das Publikum, d. h. die jeweiligen Adressat/-innen, ebenso an der Kommunikation beteiligt wie die Adressierenden.
Die Adressierenden haben zwar eine Sorgfaltspflicht, vor deren Hintergrund erst Loyalität erwartet werden darf. Dabei sind Alltagsdarsteller/-innen einer „Interaktionsepisode“ bzw. einer Äußerung (Bachtin), eines Sprechakts oder einer kommunikativen Gattung (Luckmann), aber, trotz aller Vorbereitung, auch abhängig vom „Takt“ der anderen (ebd., S. 208 ff): Indem diese der „Hinterbühne“ fernblieben, das Selbstbild, die Rolle, des anderen unangetastet ließen – oder sich der Person dahinter nur taktvoll näherten, wie im Fall der räumlichen Annäherung, die durch „Anklopfen oder Hüsteln“ angezeigt werden könne –; indem sie sich uninteressiert geben, wenn sie etwas nicht für die „Vorderbühne“ bestimmtes erhaschen; indem sie „mitspielen“; einen Fauxpas übersehen, eine Entschuldigung akzeptieren; im Sinne eines „geheimen Einvernehmens“ die Fehler der Inszenierung der Darsteller/-in decken; ihr oder ihm gar etwas „vorspielen“.
13 In all diesen Fällen erweist sich das Sprechen in sozialen Situationen als Interaktion und damit als die Leistung eines Ensembles und nicht einer einsamen Sprecher/-in.
Sprechereignisse sind bei Goffman daher stets in ein ausgesprochen komplexes Gebilde verwoben, das auf mehr oder minder impliziten Regeln des wechselseitigen Eindrucksmanagements, der Aufrechterhaltung des Images der Beteiligten, mit einem Wort: der
Interaktionsordnung beruht, die die „Simplest Systematics for the Organization of Turn Taking for Conversation“ (Sacks, Schegloff und Jefferson 1974) in weitem Umfang überschreitet. Bergmann sieht darin vermutlich nicht zu Unrecht das besondere Charakteristikum von Goffmans Arbeit:
GOFFMANs gesprächssoziologische Untersuchungen sind von dem fortwährenden Bemühen gekennzeichnet, gegen die trivialisierenden Vereinfachungen und Reduktionen, die er in der Soziolinguistik, in der Sprachphilosophie und ebenso in der Konversationsanalyse entdeckt zu haben glaubt, hervorzukehren, daß die realen Vorgänge der sprachlichen Interaktion sehr viel dynamischer organisiert und in sich gebrochener sind, als dies mit deren verarmten Begriffsinstrumentarien zu erfassen ist. (Bergmann 1991, 317)
In seinem letzten Buch
Forms of Talk (1981) wendet Goffman sich vor diesem Hintergrund u
. a. dem Vortrag (
lecture) zu, wobei er verdeutlicht, dass auch dieses
institutionalisierte Sprechereignis, ganz im Sinne der CA, eine hochgradig lokal organisierte Form der wechselseitigen Koordination erfordere. Seine Perspektive, die er aus Sicht der normativen Rollenerwartungen der Interaktionsteilnehmenden gewinnt, verdeutlicht dabei, dass die Interaktionsordnung auch dann von großer Relevanz ist, wenn es vordergründig ‚nur‘ um Wissensvermittlung gehen soll. Damit stellt er die formale Form in große Nähe zu den Alltagsformen der Kommunikation, wie dies vor ihm die CA und auch Bachtin getan haben. Die Grundstruktur der Kommunikation scheint stets Elemente ihrer Alltagsformen zu konservieren (Goffman 1974, 498).
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Den Vortrag betrachtet Goffman als eine „institutionalisierte Form, das Wort zu ergreifen“ (2005b, 9) oder – in Anlehnung an Hymes – als „Sprechereignis“ (ebd., S. 11), mit dem die Absicht verfolgt werde, „ruhiges Verstehen“ (ebd.) zu erzeugen. Für die Darbietung der Sprecher/-in wählt er, in Anlehnung an seine Bühnenmetapher aus
Wir alle spielen Theater, den Begriff der
Performanz (
performance), den Knoblauch im KoKo zentral aufgreift (Abschnitt
2.2.1). Die Sprecher/-in eines Vortrags selbst gilt Goffman im Sinne seiner Bühnenmetapher weiterhin als Darsteller/-in (
performer), die während ihrer Performanz, im Rahmen einer sozialen Situation (Interaktionsepisode), einem kopräsenten Publikum begegnet.
Ein Vortrag verfolgt […] das Ziel, das Publikum, den Hörsaal, den Anlass und den Redner vergessen zu lassen und sie stattdessen mitten in den Gegenstand zu führen, dem der Vortrag gewidmet ist. (ebd., S. 11)
Wie die CA (und zuvor bereits Bachtin) setzt auch Goffman die Form des Vortrags trennscharf von weniger stark formalisierten Gesprächssituationen wie der Konversation ab. Vorträge erforderten (auch) eine institutionell-organisatorische Basis. So ließen sich z. B. Formate wie der einmalige Vortrag von Vortragsserien (ebd., S. 13) unterscheiden. In diesem Kontext hebt er hervor, dass „[e]inmalige öffentliche Vorträge eines Sprechers, der ansonsten für das Publikum nicht zugänglich ist (und vor einem Publikum, das ihm normalerweise nicht zugänglich ist)“, häufig in eine „Zeremonie“ eingebettet seien (ebd.). Vor dem institutionell-organisatorischen Hintergrund des Vortrags würden dabei zugleich drei Dinge „zelebriert“: Die Sprecher/-in, das Thema sowie die ausrichtende Organisation (ebd., S. 14). Damit macht Goffman auf das Verhältnis aufmerksam, dass sich zwischen dem Vortrag als „Form der Wissensvermittlung“ einerseits und seiner Funktion als wechselseitige Legitimierung von Sprecher/-innen und Institutionen andererseits aufspannt: „Offensichtlich bedeutet Werben für einen Vortrag auch Werben für einen Schirmherren“ (ebd., S. 15).
Bezugnehmend auf die Ebene der lokalen Organisation wendet sich Goffman der Performanz zu. Er unterscheidet verschiedene Produktionsweisen des Vortrags (ebd., S. 18 f.) als unterschiedliche „Quellen der Animation gesprochener Worte“ (auswendig gelernter Vortrag, lautes Lesen, freie Rede). Allerdings weist er darauf hin, dass diese Produktionsweisen hinsichtlich des vermittelten Eindrucks nicht frei von Manipulationen seien, gerade in Bezug auf die Lokalität ihrer Organisation: So könne der Anschein allmählicher Verfertigung der gesprochenen Worte beim Sprechen und somit der Eindruck von reflexiver Situativität erweckt werden, obgleich der eigentliche Quell der Animation Auswendiggelerntes sei (siehe auch „conversational style“ bei (Dudley-Evans 1981, 34)). Einen anderen Eindruck zu erwecken, erweist sich aber durchaus als sinnvoll, denn:
Jede [Produktionsweise; R.W.] zeichnet sich durch eine besondere Beziehung zwischen Sprecher und Hörer aus und nimmt dabei eine besondere Haltung gegenüber dem Publikum ein. (Goffman 2005b, ebd.)
Der Wechsel der Produktionsweise und mit ihm der Wechsel des „Redestatus“ stellen „zentrale Schaltstellen von Vorträgen“ dar (ebd., S. 19). Hier können Vortragende ihre Haltung gegenüber dem Publikum anpassen und der Interaktionsordnung Rechnung zollen, indem sie ihren Text in die soziale Situation einbetten. In Vorträgen ginge es, entsprechenden Ritualen in direkter Interaktion folgend, vor allem um „die Verpackung“ (ebd., S. 20). In diesem Sinne fungiert auch der Wechsel des „Redestatus“, den Goffman in Zusammenhang mit seinem Rahmenkonzept (Goffman 1974) stellt, der interaktiven Einbettung:
Ein Wechsel des Redestatus’ hat eine Veränderung der Orientierung auf uns selbst wie auch auf die anwesenden Anderen zur Folge und kommt in der Art, wie wir eine Äußerung erzeugen oder rezipieren, zum Ausdruck. Vom Wechsel des Redestatus’ zu reden, ähnelt der Rede vom Wechsel unseres Rahmens für Ereignisse. (Goffman 2005b, 42)
Mit der Produktionsweise und dem Redestatus wird daher auch der momentane Rahmen des Sprechereignisses gewechselt. Diese anderen Rahmen entsprechen modulierten Haltungen, die den Vortragenden dazu dienen, den Text ihres Vortrags zu konterkarieren oder vor dem Publikum Distanz zu ihm zu erzeugen. Tatsächlich, so Goffman, sei der reine Informationsgehalt des Textes selbst gar nicht spezifisch für den Vortrag als institutionalisierte Form des Sprechens, denn dieser könne auch gedruckt vermittelt und rezipiert werden. „Modulationen“ des Redestatus (Goffman 2005b, 22) seien daher charakteristisch für Vorträge und kämen in diesen häufiger als in gedruckten Texten vor. Der Redestatuswechsel erlaubt Performer/-innen und Publikum die oben erläuterten Rituale der wechselseitigen Imagepflege sowie die Aufrechterhaltung der Interaktionsordnung zu gewährleisten. Neben der Distanznahme dienen weitere typische Modulationen des Redestatus, die vor allem das betreffen, was Bachtin als Kompositionsstruktur bezeichnet, der Gliederung des Gesagten (z. B. „Textklammern“ und „Texteinschübe“): Derart werden Einleitungen, Höhepunkte und abschließende Bemerkungen nicht allein durch Worte, sondern zudem durch bestimmte Intonationsweisen und stimmliche Modulationen markiert: „Diese rahmenden Phasen werden mit einer Stimme präsentiert, die sich leicht von der im Rest des Vortrags unterscheidet“ (ebd., S. 23). Diese Stimmmodulationen zeichneten sich durch einen höheren Persönlichkeitsgrad als das Text-Selbst aus und dienten als Übergänge von diesem fort oder zu diesem zurück (ebd.). Eine besondere Rolle misst Goffman auch „Texteinschüben“ bei, Nebenäußerungen also, „mit denen er [der Redner; R.W.] bewertet, ergänzt und kommentiert, was im Text selbst mitgeteilt wird“ (ebd., S. 26):
Texteinschübe sind von größtem Interesse für die Interaktionsforschung. Auf der einen Seite sind sie am Text orientiert; auf der anderen Seite passen sie sich subtil an die Stimmung des Ereignisses, die besonderen Interessen und die Identität des jeweiligen Publikums an. (ebd.)
So ermöglichen Texteinschübe situativ auf die „nichtverbal vermittelten Anliegen des Publikums einzugehen“ (ebd., S. 27), dessen Rolle Goffman für die Performanz ausdrücklich hervorhebt: „Ein Publikum, das vom Redner als „teilnahmslos“ wahrgenommen wird, […] bringt den Redner dazu, sich starr an sein Manuskript zu klammern“ (ebd., S. 30). Während umgekehrt „ein Publikum, das „gut“ und „entgegenkommend“ sei, „den Redner dazu verleite[n wird; R.W.], seine Antwort heischenden Äußerungen und Teile auszuweiten“ (ebd.).
Mit den Quellen von „Rauschen“ erläutert Goffman schließlich auch die Bedeutung des Körpers für (die Reparatur von) Störungen effektiver Kommunikation: „Wenn Kommunikation geschieht, gibt es auch Rauschen“ (ebd., S. 33). Dieses könne zum einen ignoriert werden, andererseits könnten „Körperbewegungen“ sowie Einschübe, die das Rauschen thematisieren, zu einer „Verbesserung der Kommunikation führen“ (ebd.). Für Störungen kämen, so Goffman, sowohl akustische als auch visuelle Ursachen während des Vortrags in Betracht. Auch hierbei kommt dem Körper, wie bei der Reparatur von Störungen, eine besondere Rolle zu, denn: „Eine Quelle [des Rauschens; R.W.] schuldet sich der Tatsache, dass Vortragende mit Körpern ausgestattet sind“ (ebd., S. 34). So könnten Nebenhandlungen wie Selbstberührungen, Selbstbeschäftigungen, etc. sowie fehlerhafte Stimmproduktion und „Kodierungsfehler“ (ebd., S. 35 f.), wie falsche Wortwahl, Stottern, etc. die Kommunikation stören.
Gerade hierin, also in der Körperlichkeit und den damit zusammenhängenden Abweichungen von der reinen Informationsvermittlung, sieht Goffman, in Kontrast zum geschriebenen Text, das typische Charakteristikum des Vortrags als Sprechereignis: In den Vortrag fließe das „Rauschen“ mit ein, so Goffman, und stelle dabei sogar „die eigentliche Quelle der Befriedigung der Zuhörer“ dar (ebd., S. 39).
Selbstentblößungen und -offenlegungen kennzeichnen eine Zugänglichkeit, die nur auf die Mitglieder des Präsenzpublikums beschränkt ist – ein sehr viel exklusiverer Anspruch als im Falle eines Lesepublikums (ebd., S. 40).
Goffman überschreitet den Horizont der CA wenigstens in zwei sehr wesentlichen Punkten, die für seine Aufnahme im Kontext der GA bzw. des späteren KoKo relevant sind: Erstens repariert er den stark auf die Strukturelemente des Sprechens reduzierten Kommunikationsbegriff der CA, in dem er unter Kommunikation weit mehr fasst als die CA, nicht zuletzt auch aufgrund ihres (zunächst) maßgebenden Erkenntniswerkzeugs, dem Tonband, berücksichtigen konnte. So spielen neben para- vor allem auch nonverbale Gesten, wie an der Spannbreite seiner Gegenstände deutlich wird, für Goffman eine entscheidende, wenn nicht sogar eine größere Rolle als gesprochene Sprache. Zweitens begnügt Goffman sich auch nicht mit der situationalistischen Perspektive der CA, die diese aus der Ethnomethodologie übernommen hat. Zwar ist das konversationsanalytische Sprech-Austausch-System, mit seinen zwei Komponenten und den korrespondierenden drei Regeln, im Sinne seiner Universalität, als übersituativ zu verstehen. Weitere Faktoren, die die Situation überschreiten, sind mit der CA aber kaum zu erfassen. Hier ist insbesondere der institutionelle Kontext zu nennen, den Goffman, anders als die CA, in seinen Untersuchungen berücksichtigt.
Allerdings ist Goffmans Arbeit zu den Redeweisen (1981), vor dem Hintergrund seiner Nähe zur Soziolinguistik und der CA, anders als die GA, nicht von einem wissenssoziologischen, sondern von einem interaktionistischen Erkenntnisinteresse geprägt. So thematisiert Goffman bei seiner Analyse des Vortrags (lecture) auch an keiner Stelle die spezifische Sphäre der Wissenschaft bzw. die Spezifizität wissenschaftlichen Wissens als thematische Grundlage des Vortrags. Vielmehr fokussiert er ihn als ein Sprechereignis, das zwar einer institutionell-organisierten Vorbereitung bedarf, das aber grundlegend von einer lokal prozessierten normativen Ordnung geprägt ist, die sich in alltäglicher Interaktion herausgebildet hat und von dieser abgeleitet werden muss.
Schließlich sind Goffmans überaus populären, breit rezipierten und zumeist essayistischen Ausführungen, die sich geradezu als ein Gegenprogramm zu den asketisch anmutenden Regelerfassungen der CA lesen lassen (möchten), als konkrete Forschungsanleitungen m. E. generell weniger geeignet. Dies mag auch gar nicht in der Absicht Goffmans gelegen haben, dessen großer Beitrag zur interpretativen Soziologie in gewisser Weise – und in diesem Punkt vergleichbar der Ethnomethodologie – eine Sonderstellung einnimmt. Weder scheint Goffman daran interessiert gewesen zu sein, sich umfassend in den Theorie- oder Methodenkanon der Soziologie einzubringen, noch hat er seine Arbeit in einer Form ausgearbeitet, die es ermöglichen würde, in der empirischen Sozialforschung ohne Weiteres direkt an ihn anzuschließen. Nichtsdestotrotz ist er ein wichtiger Ideengeber für die GA und seine Arbeit als eine wesentliche Hintergrundfolie für die vorliegende Arbeit zu verstehen.
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