Sodann ist zu fragen, wie das aufsichtsrechtliche Vergütungssystem auf Gruppenebene geregelt ist. Nach einer kurzen Bestandsaufnahme (1.) konzentrieren sich die Ausführungen darauf, ob die maßgebliche europäische Rechtsgrundlage im Versicherungsaufsichtsrecht wirksam ist (2.). Weiterhin wird die Anwendbarkeit der Vorschrift auf Versicherungsgruppenebene untersucht (3.). Zuletzt sind die Folgen für § 25 Abs. 3 VAG und § 5 InstitutsVergV herauszustellen (4.).
2.2.2 2. Wirksamkeit von Art. 275 Solvency II-VO
Im Weiteren fragt sich, woran die Vergütungsstruktur in der Versicherungsgruppe normativ festzumachen ist. Da die Vergütungsfrage sekundärrechtlich
expressis verbis nicht geregelt ist,
39 wirft das ein Schlaglicht auf die generelle Wirksamkeit des Art. 275 Solvency II-VO.
Die Europäische Kommission erachtet Art. 275 Solvency II-VO dagegen für wirksam und sieht sich auf der Grundlage des Art. 50 Abs. 1 Solvency II-RL ermächtigt, Vorgaben für die Vergütungspolitik zu machen.
47 Andere stellen auf den Wesentlichkeitsaspekt ab und meinen, dass es sich bei der Vergütungsfrage gerade nicht um wesentliche, da nicht prägende Bestandteile der in Art. 41 Solvency II-RL geregelten Governance-Anforderungen oder des Risikomanagementsystems gem. Art. 44 Solvency II-RL handele.
48 So seien Vergütungsregelungen zwar durchaus brisant, jedoch sei der Umstand, dass sie im politischen Prozess nicht in die Richtlinie aufgenommen worden seien, als von der weiten Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers umfasst anzusehen.
49 Artt. 275 Solvency II-VO in Verbindung mit 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL bewege sich folglich innerhalb des zulässigen Rahmens von Art. 290 Abs. 1 AEUV.
50
Angesichts dessen ist im Folgenden zu untersuchen, ob sich Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL als wirksame Delegationsgrundlage im Sinne des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1, 2 S. 2 AEUV erweist (i.). Sodann ist zu hinterfragen, ob Art. 275 Solvency II-VO den gesetzten Delegationsrahmen einhält und Artt. 41, 44 Solvency II-RL zulässigerweise ergänzt (ii.). Abschließend sind die Rechtsfolgen zu beleuchten (iii.).
In diesem Sinne war nach der Rechtsprechung des EuGH von Wesentlichkeit bislang allein dann auszugehen, wenn es bei der zu prüfenden Bestimmung inhaltlich um grundlegende Themen geht, welche die politischen Grundentscheidungen und die Ausrichtung der Unionspolitik betreffen.
56 Ferner seien „
die tragenden Elemente eines Rechtsaktes, durch die bestimmte Pflichten, Verhaltensweisen Einschränkungen festgelegt und durch die in Rechtspositionen von Personen eingegriffen werden“
57 wesentlich. Der EuGH hat die Durchführung durchaus weit auslegt,
58 weshalb demzufolge auch weitrechende Befugnisübertragungen wirksam sein können.
59 Um dies besser bestimmen zu können, unterscheiden Teile der Literatur zwischen zwei Ebenen: Es solle zwischen „
der Ebene der politisch-grundsätzlichen Festlegung und der Ebene einer eher unpolitisch-ausfüllenden Konkretisierung […]“
60 differenziert werden. In diesem Sinne sei zu fragen, ob die zu ergänzende oder zu ändernde Sachfrage besser im Gesetzgebungsverfahren des Basisrechtsakts oder im schnelleren Verfahren einer Durchführungsverordnung entschieden werden könne.
61
Dahingehend ist jedoch zu berücksichtigen, dass nach der neueren Rechtsprechung die Wesentlichkeit nach objektiv nachmessbaren Kriterien zu bestimmen ist, wobei die Merkmale und Besonderheiten des jeweiligen Sachgebiets zu berücksichtigen sind.
62 Auch wird in der Literatur berechtigterweise eingewendet, dass die Grundrechte ebenfalls zu berücksichtigen sind.
63 Bislang ist soweit umstritten, welchen Einfluss grundrechtsrelevante Regelungen auf die Zulässigkeit der Delegation haben.
64 So wird vertreten, dass grundrechtliche Eingriffe mit Blick auf Art. 52 GRCh nur unter engen Voraussetzungen und bei ausdrücklicher und bestimmter Nennung delegierbar sind.
65 Nach anderen müsse ein grundrechtsrelevanter Eingriff im sekundären Rechtsakt jedenfalls in den Grundzügen enthalten sein.
66
Zusammengenommen ergibt sich, dass vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung und der Einwände aus der Literatur, neben der politischen, auch die grundrechtliche Dimension zu berücksichtigen ist.
67 Insgesamt ist dem europäischen Gesetzgeber daher, wenn auch modifiziert, eine Einschätzungsprärogative einzuräumen, wenn objektiv nachmessbare Kriterien herangezogen und der Entscheidung zugrunde gelegt wurden. Wie diese in der Folge gewichtet wurden und zu welcher Entscheidung der Gesetzgeber gelangt ist, unterliegt insofern der Einschätzungsprärogative. Daher erscheint es auch mit Blick auf den im sekundären Rechtsakt angelegten Grundrechtsmaßstab dem Grunde nach ausreichend, wenn der grundrechtsrelevante Eingriff in Grundzügen enthalten ist.
Vor diesem Hintergrund fragt sich, ob es sich bei den allgemeinen Governance-Anforderungen nach Art. 41 Solvency II-RL und dem Risikomanagement aus Art. 44 Solvency II-RL um im Sinne des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV wesentliche Regelungen handelt.
Dagegen spricht zunächst der Richtlinientext selbst. So sind ausweislich des Art. 50 Abs. 1 Solvency II-RL die Inhalte der Artt. 41 näher in einem delegierten Rechtsakt zu bestimmen. Das unterstreicht auch EG 132 Solvency II-RL, wonach die Kommission die Befugnis erhalten solle, Maßnahmen zu erlassen, mit denen detaillierte Anforderungen für das Governance-System festgelegt werden. Der Richtliniengeber hat offenbar die in Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL genannten Artt. 41, 44 Solvency II-RL für unwesentlich erachtet. Anderenfalls wären die oben genannten Stellungnahmen im Richtlinientext und den Erwägungsgründen nicht zu erklären. Dies ist angesichts der dem europäischen Gesetzgeber einzuräumenden Einschätzungsprärogative beachtenswert. Mithin wird man diese Wertung aufgrund des nach wie vor funktionalen Verständnisses der Wesentlichkeit und der politischen Perspektive zu respektieren haben. In diesem Sinne erscheint es auch zweifelhaft, dass Artt. 41, 44 Solvency II-RL politische Grundentscheidungen und die Ausrichtung der Unionspolitik betreffen. Auch dürfte sich die Solvency II-VO insgesamt eher als unpolitische und ausfüllende Konkretisierung der Vorgaben der Solvency II-RL erweisen. Regelungstechnisch ist darüber hinaus zu beachten, dass die Solvency II-RL im Wege des Lamfalussyverfahrens
68 umgesetzt wurde und für dieses Verfahren die Delegation technischen Rechts mittels Durchführungsverordnung typisch ist.
69 Weiterhin sind die Besonderheiten der Sachmaterie zu berücksichtigen. Für die Finanzmarktregulierung ist in diesem Sinne durchaus das Bedürfnis zu erkennen, Einzelfragen, wie die Vergütung, flexibel und schnell regeln zu können.
70 Daher dürfte das Feld delegierbarer Regelungen eher weit abzustecken sein. Das wird dadurch verstärkt, dass die Rechtsprechung des EuGH weitreichende Befugnisübertragungen für wirksam erachtet. Dem ist vorliegend jedenfalls eine gewisse Indizwirkung einzuräumen. Schließlich spricht auch eine grundrechtliche Dimension dafür, dass die Delegation wirksam ist. Zwar wird man bezüglich interner Organisationsanforderungen und deren Details sowie des Risikomanagements nicht von der Hand weisen können, dass beides die Berufsfreiheit der betroffenen Rechtsträger aus Art. 12 GG, Art. 15 GRCh beziehungsweise die unternehmerische Freiheit aus Art. 16 GRCh
71 tangiert.
72 So stellt sich „
die Gestaltung der inneren Organisation [als]
eine der zentralen Aufgaben des Vorstands“
73 dar. Allerdings sind beide Aspekte und die damit verbundenen grundrechtlichen Berührungspunkte jedenfalls in Grundzügen in den Artt. 41, 44 Solvency II-RL enthalten.
Folgt man dieser Auslegung, stellen sich Artt. 41, 44 Solvency II-RL als im Sinne des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV unwesentliche Vorschriften dar. Dagegen ist konzeptionell zunächst nichts einzuwenden. Auch aus pragmatischen Gesichtspunkten überzeugt die obenstehende Auslegung, da die Governance-Anforderungen konkretisierende Vorschriften in der Solvency II-VO regulatorisch flexibler sind. Gleichwohl ergeben sich bei Lichte besehen einige Zweifel, die in der wissenschaftlichen Diskussion bis auf vereinzelte Ausnahmen unberücksichtigt geblieben und daher heraus- sowie zur Diskussion zu stellen sind:
Zum ersten deuten die bereits angesprochenen Besonderheiten des Sachgebiets, also der vollharmonisierenden Aufsicht über die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit, in eine andere als die oben angedeutete Richtung: Diese betreffen nämlich zunächst die besondere Struktur der Solvency II-RL. Sie ist an Basel-II sowie -III angelehnt und dreigliedrig aufgebaut.
74 Daraus ergeben sich quantitative (Säule 1) und qualitative Anforderungen (Säule 2) sowie Berichts- und Publizitätspflichten (Säule 3). Für die vorliegende Untersuchung ist insbesondere die Säule 2 bedeutsam, die Vorgaben zur Governance der unter die Solvency II-RL fallenden Unternehmen beinhaltet. Zwar ist die Säule 2 als solche keine Vorschrift der Solvency II-RL im Sinne des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV und kann daher nicht „wesentlich“ sein; allerdings verkörpert Art. 41 derselben Richtlinie die allgemeinen Governance-Anforderungen und stellt die Anfangsvorschrift der Governance-Anforderungen dar. Folglich ist diese Vorschrift der Dreh- und Angelpunkt der Säule 2 Anforderungen, was systematisch durch die Inbezugnahme der Artt. 42–49 Solvency II-RL in Art. 41 Abs. 1 UAbs. 2 S. 1 Solvency II-RL deutlich wird. Daher kommt Art. 41 Solvency II-RL eine zentrale und konstitutionelle Bedeutung in der Architektur der Solvency II-RL zu. Ungeachtet dessen rechtfertigen die Besonderheiten des Sachgebiets jedenfalls bei der Vergütung keine andersartige Beurteilung, da es sich dabei nicht um eine schnelllebige Materie handelt, die entsprechend flexibel reguliert werden müsste.
75
Zum zweiten deutet die systematische Auslegung darauf hin, dass Art. 41 Solvency II-RL wesentlich ist. So ist das Kapitel IV der Solvency II-RL, in dem Art. 41 eine grundlegende Funktion besitzt, mit „Bedingungen für die Geschäftstätigkeit“ betitelt. Ihre Existenz ist also mit anderen Worten die Grundlage dafür, dass ein Versicherungs- oder Rückversicherungsunternehmen unter der Solvency II-RL tätig sein können soll. Daneben wird in EG 29 Solvency II-RL explizit hervorgehoben, dass ein wirksames Governance-System unerlässlich für die Abdeckung gewisser Risiken ist. Somit dient es dem Schutz der Versicherungsnehmer und Begünstigten von Versicherungsleistungen, also dem Hauptziel der Solvency II-RL, siehe Art. 27 Solvency II-RL.
Beide Punkte lassen sich im Übrigen mutatis mutandis auf das Risikomanagement gem. Art. 44 Solvency II-RL übertragen. So ist bereits die Risikomanagementfunktion entsprechend EG 30 Solvency II-RL vom Governance-System umfasst. Sie ist als Schlüssel- und damit als wichtige und kritische Funktion anzusehen, siehe EG 33 Solvency II-RL. Das wird durch den Verweis von Artt. 42–49 Solvency II-RL in Art. 41 Abs. 1 UAbs. 2 S. 1 Solvency II-RL bekräftigt.
Zum dritten ist zu berücksichtigen, dass dem Governance-System mitsamt des Risikomanagements insgesamt angesichts der Lehren der globalen Finanzkrise von 2007–2009 eine wichtige, wenn nicht gar wesentliche Bedeutung zukommt.
76 EG 29 Solvency II-RL hebt neben dem Risikoaspekt entscheidend hervor, dass ein wirksames Governance-System sowohl für das angemessene Management eines Versicherungsunternehmens, als auch für das Regulierungssystem unerlässlich ist. Eine gute Governance und ein gutes Risikomanagement dienen mithin der Stabilität der gesamten Branche und weisen eine teleologisch wichtige institutionsschutztheoretische Dimension auf
77.
Dieser Dreiklang lässt sich sodann dafür in Stellung bringen, dass es sich bei den Artt. 41, 44 Solvency II-RL um grundlegende Themen handelt, die eine politische Grundentscheidung, nämlich den Aufbau und die Struktur der Versicherungsaufsicht zum Schutz der Versicherungsnehmer, betreffen. Die allgemeinen Governanceanforderungen mitsamt des Risikomanagements stellen tragende Elemente der Solvency II-Architektur und damit auch der Richtlinie insgesamt dar. Mithin werden durch Artt. 41, 44 Solvency II-RL bestimmte Pflichten, Verhaltensweisen und Einschränkungen festgelegt. Will man mit Teilen der Literatur zwei Ebenen bilden, um die Wesentlichkeit zu bestimmen,
78 lassen sich die gefundenen Erkenntnisse dafür operabel machen, dass die allgemeinen Governance-Anforderungen und das Risikomanagement einen politisch-grundsätzlichen und nicht bloß unpolitisch-ausfüllenden Charakter aufweisen. Das spricht dafür, diese Fragen besser im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren als mittels eines delegierten Rechtsakts zu regeln. In dieselbe Richtung deutet ein vorsichtiger bankaufsichtsrechtlicher Seitenblick,
79 wo etwa die Vergütungsfrage im Richtlinientext selbst geregelt wurde (s. sub B./I./2. und II./1./b).).
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum zuzusprechen ist, der einen nicht überprüfbaren Raum lässt. So hat der EuGH selbst festgelegt, dass sich die Frage danach, ob eine Vorschrift wesentlich im Sinne des Art. 290 AEUV ist, nach objektiv nachmessbaren Kriterien richten muss.
80 Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung und auf dem Boden der vorstehenden Argumentation erscheint der Raum für eine gegenläufige Einschätzungsprärogative des europäischen Gesetzgebers gering.
Summa summarum spricht einiges dafür, dass es sich bei den Artt. 41, 44 Solvency II-RL um wesentliche Vorschriften der Solvency II-RL handelt.
Da in Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL präzise die zu delegierenden sachlichen Felder bestimmt wurden,
82 bestehen keine Bedenken hinsichtlich des Geltungsbereichs. Selbiges ergibt sich mit Blick auf die Delegationsdauer, da die Delegation in der Regel für unbestimmte Zeit übertragen werden kann
83.
Es ist aber fraglich, ob das Ziel- und Inhaltskriterium erfüllt sind. Somit kommt es darauf an, ob die Vergütung als Ziel (α) oder dem Inhalt nach (β) ausdrücklich in Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL benannt ist.
Untersucht man unter diesen Gesichtspunkten, ob die Vergütungsregelung als Zielbestimmung in Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL ausdrücklich genannt wurde, ist dies prima vista zu verneinen. Art. 275 Solvency II-RL ginge so über den gesetzten Delegationsrahmen hinaus.
Anders ist dies jedoch zu beurteilen, wenn man die Vergütungsfrage als Teil der allgemeinen Governance-Anforderungen und/oder des Risikomanagements erachtet. Unter diesen Umständen wäre die Vergütung als im Sinne der Artt. 41, 44 Solvency II-RL in Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL benannt zu betrachten,
86 was einer klaren Zielbestimmung gem. Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV genügen würde.
Es kommt also entscheidend darauf an, ob die Vergütung unter Artt. 41, 44 Solvency II-RL subsumiert werden kann.
Dagegen sprechen auf den ersten Blick die Vergütungsregelungen des Bankaufsichtsrechts. Wie gezeigt, wird die Vergütungsfrage für den Bankensektor sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene explizit festgeschrieben (s. sub B./I./2.). Insbesondere wird in Art. 74 Abs. 1 UAbs. 1 CRD IV-RL eine Vergütungspolitik und -praxis als Bestandteil der allgemeinen Grundsätze und somit der allgemeinen Governance verbindlich festgeschrieben. Mithin muss die Vergütungspolitik gem. Art. 74 Abs. 1 UAbs. 1 CRD IV-RL mit einem soliden und wirksamen Risikomanagement vereinbar und diesem förderlich sein. Räumt man dem Banksektor in dieser Materie eine Patenstellung ein,
87 legt das den Schluss nahe, dass die Vergütung im Versicherungsaufsichtsrecht in Artt. 41 oder 44 Solvency II-RL hätte geregelt werden müssen.
Demgegenüber ist jedoch zum einen zu bezweifeln, ob auf das Bankaufsichtsrecht in dieser Art und Weise ohne weiteres zurückgegriffen werden kann, da es sich vom Versicherungsaufsichtsrecht in vielerlei Hinsicht und das mitunter erheblich unterscheidet.
88 Das betrifft insbesondere die Vergütungsanforderungen.
89 Aber auch insgesamt sind die versicherungsaufsichtsrechtlichen Risikomanagementvorgaben detaillierter als die bankaufsichtsrechtlichen Anforderungen.
90 Dadurch werden der Aufsichtskonvergenz letztlich Grenzen gesetzt.
91
Doch auch darüber hinaus erscheint ein positivistischer Ansatz zum anderen nicht zwingend erforderlich. So belegt bereits § 25a Abs. 1 S. 3 Nr. 6 KWG, dass die Vergütungssysteme
insbesondere Teil des Risikomanagements, also jedenfalls als davon inbegriffen anzusehen sind. Das bestätigt sich auch mit Blick auf EG 62 CRD IV-RL, wonach die Vergütungspolitik dem Risikomanagement von Kreditinstituten abträglich sein kann. In dieselbe Richtung deuten die Begründungen der InstitutsVergV und der VersVergV.
92 Wenn die Vergütungsfrage jedoch bereits konzeptionell Teil des Risikomanagements ist, das seinerseits eng mit den allgemeinen Governance-Anforderungen verwoben ist, spricht einiges dafür, dass es keiner ausdrücklichen Regelung bedarf und die Vergütung jedenfalls stillschweigend mitgeregelt ist. Diese These wird versicherungsaufsichtsrechtlich auch durch EG 102 Solvency II-VO bekräftigt, der ausdrücklich den Bezug versicherungsaufsichtsrechtlicher Vergütung zum Risikomanagementsystem herstellt. Zuletzt stellt EIOPA ebenfalls einen Bezug der Vergütung zum Risikomanagement her.
93 Mithin fordert die Behörde in ihrer
opinion zum Solvency II
review, dass die Vergütungspolitik
expressis verbis in Art. 41 Solvency II-RL aufgenommen werden sollte, was im Ergebnis mit dem Änderungsvorschlag der Europäischen Kommission übereinstimmt.
94 Auch das lässt sich dafür operabel machen, dass die Vergütung als Teil der allgemeinen Governance-Anforderungen aufzufassen. Dem fügen Literaturstimmen hinzu, dass die Vergütungsvorgaben materiell zum Risikomanagement gehören würden.
95 Anderen zufolge seien Vergütungssysteme ein Kernbestandteil der Governance.
96 Ihnen komme hinsichtlich der Governance-Anforderungen ein unterstützender Charakter zu.
97
Dieser Befund wird dadurch unterstrichen, dass im Sinne des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV bei der konkreten Ausübung des inhaltlichen Delegationsumfangs ein substantieller Gestaltungsspielraum einzuräumen sei.
98
Demgegenüber überzeugt es nicht, wenn vereinzelt darauf abgestellt wird, dass die Vergütungsregeln im Versicherungsaufsichtsrecht allein aus zeitlichen Gründen in der Richtlinie keinen Niederschlag gefunden hätten.
99 Dem wird zutreffend entgegnet, dass dieses Säumnis jedenfalls im Rahmen der die Solvency II-RL überarbeitenden Omnibus II-RL hätte korrigiert werden können.
100
Nichtsdestotrotz ist die Vergütungsfrage aus den vorgenannten Gründen als Bestandteil von Artt. 41, 44 Solvency II-RL anzusehen. Angesichts der historischen, systematischen und teleologischen Aspekte bedarf es keiner positiven Nennung, auch wenn dies aus Gründen der Regelungsklarheit wünschenswert gewesen wäre. Für die vorliegenden Zwecke kann dabei offenbleiben, ob es sich eher um einen Teil der allgemeinen Governance-Anforderungen oder des Risikomanagements handelt. Gleichwohl ist eine Tendenz hin zum Risikomanagement festzustellen.
Folglich ist die Vergütungsfrage als Ziel über Artt. 41, 44 Solvency II-RL ausdrücklich in Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL festgeschrieben.
Es fragt sich daher, ob die Inhaltsbestimmungen des Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL detaillierte Regelungen zur Vergütungsfrage in Art. 275 Solvency II-RL zulassen. In der Literatur wird dies bisweilen kritisch gesehen.
103
Dem ist insoweit zuzustimmen, als die Vergütung in der Solvency II-RL nicht erwähnt wird. Selbst wenn man also die Vergütung unter die allgemeinen Governance-Anforderungen oder das Risikomanagement fasst, fällt es angesichts der Detaildichte des delegierten Rechtsakts schwer, diesen als von der Delegation inhaltlich umfasst anzusehen. Das unterstreicht auch ein vergleichender Blick auf den Banksektor
104, wo die Vergütungsfrage mehrmals sowohl in den Erwägungsgründen als auch im eigentlichen Richtlinientext niedergelegt wurde. Eine solche Regelungsdichte würde auch im Versicherungsaufsichtsrecht einer ausdrücklichen Inhaltsbestimmung genügen und offenbart die vergütungstechnisch defizitäre Rechtslage der Solvency II-RL. Demgegenüber genügt es allein nicht, wenn wie in der
opinion von EIOPA sowie dem Vorschlag der Europäischen Kommission die Vergütungsleitlinien in Art. 41 Abs. 3 Solvency II-RL
de lege ferenda festgeschrieben würden.
105 Das wiederum spricht zusammengenommen dafür, dass die detaillierten Vergütungsvorgaben des Art. 275 Solvency II-VO inhaltlich unzulässig über Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL hinausgehen.
Indes ist hinsichtlich Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV zu beachten, dass die dort normierten Kriterien nicht ohne weiteres trennscharf voneinander abgrenzbar sind.
106 Sie stellen vielmehr ein bewegliches System dar, innerhalb dessen sie sich gegenseitig ausgleichen und unterstützen.
107 Daher erscheint eine verrechnende Gesamtbewertung überzeugend
108 und eine Delegation, dessen Inhaltsbestimmung isoliert nicht den Anforderungen des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV entspricht, kann anderweitig kompensiert werden.
Blickt man in diesem Sinne auf die Artt. 41, 44 in Verbindung mit Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL, ergibt sich, dass hinsichtlich der allgemeinen Governance-Anforderungen und des Risikomanagements nicht nur die Ziele, sondern auch die Inhalte detailliert festgeschrieben sind. Das gilt angesichts der oben herausgearbeiteten Wertungen auch für die Vergütung, die ungeschriebener Bestandteil der Artt. 41, 44 Solvency II-RL ist (s. sub B./II./2./b)./i/(2)./α.). Die Ziel- und Inhaltsbestimmungen guter Governance und eines wirksamen Risikomanagements umfassen daher auch die Vergütung. Bei wertender und verrechnender Gesamtbetrachtung erscheint es daher unschädlich, dass die Vergütung inhaltlich nicht ausdrücklich in Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL festgeschrieben ist.
109
Inhaltlich kommt dabei allein eine Ergänzung in Betracht, da die Solvency II-RL nur von einem ergänzenden Charakter der Verordnung spricht (s. bereits sub B./II./2./b)./i/(1).).
111 Mithin wird man die Formulierung in Art. 50 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 Solvency II-RL, wonach in den Durchführungsmaßnahmen etwa Artt. 41, 44 Solvency II-RL „
näher bestimmt“ werden sollen, ebenso in diese Richtung zu verstehen haben.
112 So hat der EuGH eine ganz ähnliche Fassung („
im Einzelnen festzulegen“) auch unter das Tatbestandsmerkmal der Ergänzung subsumiert.
113 Dieser Befund wird nicht zuletzt auch durch die Überschrift der Solvency II-VO selbst unterstrichen, wonach sie lediglich der Ergänzung aber nicht der Änderung dient.
114
Angesichts dessen sei der Europäischen Kommission der Rechtsprechung des EuGH zufolge nur erlaubt, den Rechtsakt im Rahmen der delegierten Ergänzungsermächtigung im Sinne des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV zu konkretisieren. Sie sei „
darauf beschränkt, nicht wesentliche Elemente der betreffenden Regelung, die der Gesetzgeber nicht definiert hat, unter Beachtung des vom Gesetzgeber erlassenen Gesetzgebungsaktes in seiner Gesamtheit im Einzelnen auszuarbeiten.“
115 Unter Berufung auf Nr. 40 der Leitlinien der Europäischen Kommission über delegierte Rechtsakte führt das Gericht weiter aus, dass der Gesetzgeber in zu ergänzenden Fällen „
keine abschließende Regelung treffe und sich darauf beschränke, die wesentlichen Elemente festzulegen“ und damit der Europäischen Kommission die Konkretisierung dieser Regelung überlasse.
116 Teleologisch solle das den Gesetzgeber befähigen, sich auf die wesentlichen Elemente einer Regelung zu konzentrieren und die unwesentlichen Bestandteile der Europäischen Kommission anzuvertrauen.
117 Dem wird in der Literatur hinzugefügt, dass durch den delegierten Rechtsakt bereits im Basisrechtsakt angelegte Regelungen lediglich verdeutlicht aber nicht neu geschaffen werden dürfen.
118 Mithin leiten Teile der Literatur aus diesem Urteil ab, dass das Tatbestandsmerkmal der Ergänzung eng auszulegen und daher lediglich eine Konkretisierung zulässig sei.
119 Andere gehen inhaltlich darüber hinaus und erachten ergänzende Vorschriften auch bezüglich nicht im Basisrechtsakt angelegter Bereiche als zulässig und somit einen „
erweiternden Ausbau“ für möglich.
120
Auf dem Boden des Vorbenannten spricht zunächst für eine zulässige Ergänzung, dass die wesentlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen der allgemeinen Governance-Anforderungen und des Risikomanagements bereits in Artt. 41, 44 Solvency II-RL festgelegt wurden. Im Sinne der vom EuGH in Bezug genommenen Leitlinien der Europäischen Kommission für delegierte Rechtsakte kann darin eine nicht abschließende Regelung des europäischen Gesetzgebers erblickt werden, die infolge des Art. 275 Solvency II-RL konkretisiert wird. Mithin wurde herausgearbeitet, dass die Vergütung als ungeschriebener Bestandteil der Artt. 41, 44 Solvency II-RL anzusehen ist (s. sub B./II./2./b)./i/(2)./α) und daher die detaillierten Vergütungsvorgaben des delegierten Rechtsakts diesen Bestandteil nicht neu schaffen sondern lediglich konkretisieren. Dadurch wäre auch gewährleistet, dass der Gesetzgeber die wesentlichen Bestimmungen selbst regelt und die Konkretisierung und Ausformung der Europäischen Kommission überantwortet wird. Das wiederum würde sogar dem (zum Teil) seitens der Literatur befürworteten restriktiven Maßstab entsprechen. Erachtet man dagegen auch einen erweiternden Ausbau durch delegierte Rechtsakte mit Blick auf im Basisrechtsakt nicht angelegte Bereiche für zulässig, ist Art. 275 Solvency II-VO a fortiori als wirksame Ergänzung von Artt. 41, 44 Solvency II-RL anzusehen.
Gleichwohl würde dies den besonderen Charakter außer Acht lassen, der der Vergütung im Aufsichtsrecht insgesamt zukommt. So hat sich in gesetzeshistorischer Hinsicht gezeigt, dass die Vergütungsvorgaben im aufsichtsrechtlichen Sinne sektorübergreifend besonders wichtig sind (s. sub B.). Die Vergütung ist unabhängig davon, ob sie als Teil der allgemeinen Governance-Anforderungen oder des Risikomanagements anzusehen ist, ein entscheidendes aufsichtsrechtliches Instrument, dem regulatorisch besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Auch wenn dies wissenschaftlich nicht unumstritten ist, so wird der (unzureichenden) Vergütungsregulierung bezüglich der weltweiten Finanzkrise aus 2007–2009 (politisch) Krisenursächlichkeit zugesprochen.
121 Die Wesentlichkeit der Vergütungsfrage belegt auch ein bankaufsichtsrechtlicher Vergleich
122. Innerhalb der CRD IV-RL und dem KWG steht die Vergütungsfrage auf einem sicheren dogmatischen Richtlinienfundament (bereits sub B./I./2.). Das wird auch teilweise durch die Praxis der Europäischen Kommission unterstützt, die sich mit Blick auf Vergütungscaps für nicht zuständig erachtete.
123 Auch der Vorschlag der Europäischen Kommission in Übereinstimmung mit der
opinion EIOPAs, dass schriftliche Vergütungsleitlinien
de lege ferenda in Art. 41 Solvency II-RL verankert werden sollten, deutet in diese Richtung.
124
Überdies deuten die Existenz und die Regelungsdichte des Art. 275 Solvency II-VO darauf hin, dass durch sie neue Regelungen geschaffen und nicht bloß bestehende Bestimmungen verdeutlicht werden,
125 gerade weil die Vergütungsfrage lediglich ungeschrieben und dem Grunde nach von Artt. 41, 44 Solvency II-RL umfasst ist. Rückbesinnt man sich auf die in der Literatur abgeleitete enge Auslegung des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV,
126 dürfte es sich bei Art. 275 Solvency II-VO nicht mehr bloß um eine Konkretisierung handeln. Hieran ändert auch perspektivisch das Vorhaben der Europäischen Kommission sowie der EIOPA nichts, Vergütungsleitlinien
de lege ferenda in Art. 41 Solvency II-RL festzuschreiben.
127 Selbst wenn also im Zuge der Überarbeitung der Solvency II-RL die Vergütung
expressis verbis Bestandteil der allgemeinen Governance-Anforderungen werden sollte, überschreiten die Vorgaben des Art. 275 Solvency II-VO das zulässige Maß dessen, was als Ergänzung im Sinne des Art. 290 AEUV angesehen werden könnte. Es wäre vielmehr zu fordern, dass die Vorgaben der Verordnungsbestimmung in die Richtlinie übernommen würden.
Selbiges ergibt sich, wenn man mit Teilen der Literatur einen erweiternden Ausbau unter die Ergänzung im Sinne des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV subsumieren will. Wie der EuGH betont hat, bezweckt Art. 290 AEUV, dass der Gesetzgeber sich auf selbst zu regelnde wesentliche Vorschriften konzentrieren kann,
128 die delegationsfest sind. Dahingehend wird sich eine Ergänzung im Sinne eines erweiternden Ausbaus aus teleologischen Gründen aber (wenn überhaupt) nur unwesentliche Elemente der Artt. 41, 44 Solvency II-RL beziehen können. Da die Vergütung wesentlich ist, können die allgemeinen Governance-Anforderungen und das Risikomanagement auch im Sinne dieser extensiven Auslegung nicht durch Art. 275 Solvency II-VO ergänzt werden.
Insgesamt erweist sich die Vergütung als wesentliches Element der Artt. 41, 44 Solvency II-RL und darf daher nicht in einem delegierten Rechtsakt ergänzt werden. Darüber hinaus und unabhängig davon überschreitet Art. 275 Solvency II-VO auch das Maß dessen, was als zulässige Ergänzung im Sinne des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV anzusehen ist.
Ist man diesbezüglich anderer Ansicht und stellt darauf ab, dass der Einschätzungsprärogative des europäischen Gesetzgebers Vorrang einzuräumen ist, ändert sich gleichwohl das Schicksal der Vorschrift nicht. Die Vergütungsvorgaben sind ihrerseits wesentliche Elemente der Artt. 41, 44 Solvency II-RL und daher delegationsfest. Darüber hinaus und unabhängig davon handelt es sich bei Art. 275 Solvency II-VO nicht mehr um eine Ergänzung im Sinne des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV. Die delegierte Verordnungsvorschrift ist damit nichtig.
131
Diese Rechtsfolge tritt
ipso iure und
ex tunc ein, auch wenn sie nur vom EuGH festgestellt werden kann.
132 Insofern trifft die in der Literatur zu Art. 275 Solvency II-RL geäußerte Auffassung zu, dass dieser Vorschrift sowohl die primär- wie sekundärrechtliche Grundlage fehle.
133 Vor diesem Hintergrund sollte nicht davon gesprochen werden, dass Art. 275 Solvency II-VO schlicht geltendes Recht sei.
134 Angesichts der Schwere dieser Folgen könnten die Rechtsfolgen des Art. 275 Solvency II-VO gem. Art. 264 Abs. AEUV jedoch solange aufrechterhalten werden, bis eine neue und rechtmäßige Verordnung erlassen wird.
135
Sieht man dies zugunsten einer weiten Einschätzungsprärogative des europäischen Gesetzgebers anders, genügt zwar Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL den Voraussetzungen des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV. Auch spricht die versicherungsaufsichtsrechtliche Rechtslage dafür, dass die Vergütung Teil der Artt. 41, 44 Solvency II-RL ist. Indes werden jene Vorschriften durch Art. 275 Solvency II-VO in unzulässiger Weise ergänzt. Vor diesem Hintergrund ist Art. 275 Solvency II-VO unwirksam.