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2015 | Buch

Interkulturelle Gesprächsführung

Theorie und Praxis des TOPOI-Modells

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Über dieses Buch

Dieses Buch zeigt die Auswirkungen kultureller Unterschiede auf die Gesprächsführung und bietet besonders Praktikern und Studierenden einen innovativen Ansatz mit zahlreichen Fallbeispielen. Im Fokus stehen theoretische Erkenntnisse und Methoden für den kommunikativen Umgang mit national-kulturellen, ethnisch-kulturellen und religiösen Unterschieden, die immer wieder im Zusammenhang mit anderen Differenzkategorien behandelt werden. Durch seine systemische und pluralistische Herangehensweise an die interkulturelle, professionelle Gesprächsführung sowie die Einführung des TOPOI-Modells als praktisches Hilfsmittel stellt das Buch einen Mehrwert für Professionals und Studierende dar.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Einführung in die interkulturelle Gesprächsführung
Zusammenfassung
Als Interkulturelle Kommunikation wird meistens die Kommunikation zwischen Menschen mit unterschiedlichem nationalen Hintergrund verstanden. Nach einem systemischen Verständnis aber zeichnet sich jede Person durch Multikollektivität, Multikulturalität und eine mehrfache Identität aus und bringt sie diese mit in ihre Kommunikation. Deshalb können kulturelle Unterschiede und Missverständnisse in jeder Begegnung zwischen Menschen auftreten. Jede Kommunikation hat also einen interkulturellen Charakter und in dieser Hinsicht ist ein Gespräch mit Menschen von wo auch immer einfach Kommunikation. In der Begegnung geht es darum, dass Menschen sich so zeigen können, wie sie das selbst wünschen. Die Frage lautet dann: kann man das Fremde zulassen? Grundbedingungen dafür sind: Umgang mit der eigenen Fremdheit, Kompetenzlosigkeitskompetenz, mehrfaches Hinsehen und Freiraum für Reflexivität. Wichtig ist schließlich, dass Unterschiedlichkeiten in der (interkulturellen) Kommunikation außer kulturell auch sozial, politisch, juridisch, interpersonal, biologisch oder psychisch bedingt sein können.
Edwin Hoffman
2. Ein inklusiver, systemischer Ansatz für interkulturelle Gesprächsführung
Zusammenfassung
Im täglichen Umgang mit Menschen anderer Herkunft neigt man zum Kulturalismus: Die Menschen werden als RepräsentantInnen ihrer nationalen Kultur oder ihrer Religion angesprochen. Dieser Kulturalismus hat viele Risiken. Ein inklusiver Ansatz ist die gleichzeitige Anwendung der Prinzipien der anerkannten Gleichheit und der anerkannten Verschiedenheit. Erst einmal behandle man eine Person als die, die sie im jeweiligen Kontext ist (anerkannte Gleichheit) und gleichzeitig biete man ihr die Möglichkeit, sich selbst einzubringen (anerkannte Verschiedenheit). Aus systemischer Sicht ist eine Person nur zu verstehen, wenn man die sozialen Systeme oder Kollektive betrachtet, denen die Person angehört oder angehört hat. Interkulturelle Kommunikation als interpersonale Kommunikation ist der Austausch von Sichtweisen von und über Personen und die Verhandlung über die Sinnhaftigkeit oder die möglichen Bedeutungen dieser Sichtweisen. Dieser Austausch ist ein interpersonaler Vorgang, eingebettet in einem breiteren gemeinschaftlichen Dialog (soziale Repräsentationen) innerhalb der Gesellschaft.
Edwin Hoffman
3. Kultur
Zusammenfassung
Eine traditionelle Kulturauffassung sieht Kultur nur in Verbindung mit einem Volk – national oder ethnisch – und als homogen, kohärent und statisch. Der damit verbundene Kulturalismus ist gekennzeichnet durch Essentialismus, Reifikation, Reduktionismus und Determinismus. Ein anwendungsorientierter Kulturbegriff sieht Kultur als die gemeinsame Welt von Bedeutungen: Erfahrungen, Werten, Symbolen, Wissen und Praktiken, die ein bestimmtes Kollektiv kennzeichnen. Es gibt ebenso viele Kulturen wie Kollektive. Kulturen sind offen, unbegrenzt, heterogen, dynamisch und beständig. Die Kultur eines Kollektivs ist verbunden mit Macht. Immer ist die Frage zu stellen: wessen Kultur? Kultur kann wirken als Modell von der Wirklichkeit und für die Wirklichkeit, als sinngebender Rahmen und als verbindendes Element. Eine Person erwirbt Kultur durch Enkulturation und Akkulturation. Jeder Mensch hat das Vermögen zur freien Wahl und ist prinzipiell in der Lage, seine kollektiven Zugehörigkeiten kritisch zu reflektieren und einen individuellen Lebensstil zu entwickeln.
Edwin Hoffman
4. Soziale Identitäten
Zusammenfassung
Soziale Identität ist ein relationaler Begriff, der sich auf die Frage bezieht, wie eine Person sich im Verhältnis zu ihrer sozialen Umgebung definiert und wie die soziale Umgebung diese Person wahrnimmt. Individuen können aus ihrer Mitgliedschaft in bestimmten Kollektiven soziale Identitäten ableiten. Deshalb hat jeder Mensch verschiedene soziale Identitäten und Loyalitäten und ist die ethnische oder nationale Identität und Loyalität nur eine davon. Die Doppelstaatsbürgerschaft und die damit verbundene mehrfache Loyalität ist eine andere. Eine soziale Identität ist das vorläufige Resultat eines fortdauernden Prozesses sozialer Konstruktion. In Interaktion mit anderen entwickelt eine Person seine sozialen Identitäten ständig weiter. Identitätskonflikte können sich ergeben, wenn eine Diskrepanz zwischen der persönlichen Sinngebung eines bestimmten Identitätsaspekts und der Bedeutung, die das Umfeld diesem Aspekt verleiht, besteht. Der Ansatz der Intersektionalität wird vorgestellt als eine Identitätstheorie, die hilfreich ist für die Analyse der sozialen Positionierung von Menschen.
Edwin Hoffman
5. Kollidierende Werte und Normen
Zusammenfassung
In der Kommunikation kann man auf kollidierende Werte und Normen stoßen. Die Frage, ob es bestimmte kulturübergreifende Werte und Normen gibt, die universell und nicht verhandelbar sind, wird aus der Sichtweise des Monismus, Relativismus und Pluralismus behandelt. Ein ‚westlicher‘ Monismus ordnet die Kulturen hierarchisch, mit der ‚westlichen‘ Kultur oben, als Norm und als Zielzustand für alle anderen Kulturen, die sich noch in Entwicklung befinden. Der moralische Relativismus besagt, dass es keine universelle kulturunabhängige moralische Wahrheit oder Norm gebe, nach der man andere moralische Codes beurteilen könne. Monismus und Relativismus haben beide ihre Grenzen. Pluralismus dahingegen verbindet Relativismus und Monismus, und plädiert für interaktive Verschiedenheit (sich Einlassen auf Interaktionen mit Andersdenkenden) und Nicht-Ausgrenzung (im Sinne der Menschenrechte). Die Gleichwertigkeit der Kulturen basiert auf der fundamentalen Gleichwertigkeit der Menschen, die TrägerInnen dieser Kulturen sind. Bürgerschaft bildet einen Puffer gegen in der Gesellschaft nicht akzeptable Aspekte von Identitäten. In der Gesprächsführung helfen kommunikativ Handeln und Dialog mit kollidierenden Werten und Normen umzugehen.
Edwin Hoffman
6. Kulturelle Fremdheitserfahrungen, Diversitätskompetenz und das TOPOI-Modell
Zusammenfassung
Die Konfrontation mit kultureller Fremdheit kann sowohl Sinnverlust als auch Sinnerfahrung mit sich bringen. Um die Begegnung mit kultureller Fremdheit zu einer positiven Erfahrung zu machen, ist Diversitätskompetenz notwendig. Sie ist die Fähigkeit, bei einer Fremdheitserfahrung infolge von Diversitätsunterschieden, welcher Art auch immer, Normalität herzustellen und, je nach dem Handlungsziel der Beteiligten, eine Basis zu schaffen für weitere Kommunikation, Interaktion, Kooperation oder das weitere Zusammenleben. Wichtige diversitätsbewusste Teilkompetenzen sind Empathie, Offenheit, soziale Initiative, emotionale Stabilität und Flexibilität. Um als BürgerIn in der multikulturellen Gesellschaft kompetent handeln zu können, sind noch Alter-Kompetenzen, Ego-Kompetenzen und Fähigkeiten wie Gefühl für Ironie und das Wissen um die eigene Unbeholfenheit, unentbehrlich. Das TOPOI-Modell ist ein konkretes Hilfsmittel für die Gesprächsführung. Das Akronym TOPOI ist aus den Anfangsbuchstaben der niederländischen Wörter Taal (Sprache), Ordening (Sichtweise), Personen (Personen), Organisatie (Organisation) und Inzet (Wollen) zusammengesetzt und bedeutet auf Griechisch Orte. Der Name des Modells weist also auf die, mit diesen Begriffen bezeichneten (Fund-) Orte oder Bereiche in der Kommunikation hin, wo Unterschiede und Missverständnisse aufgedeckt werden können. Mit Ausnahme des Bereichs Organisation sind die Bereiche von den Axiomen von Paul Watzlawick, Don Jackson und Janet Beavin (2003) abgeleitet.
Edwin Hoffman
7. Das TOPOI-Modell: Taal (Sprache)
Zusammenfassung
Der TOPOI-Bereich Sprache bezieht sich auf die verbale und nonverbale Sprache, mit der Menschen sich ausdrücken. Sie ist das Kommunikationsmittel, mit dem Personen und Gruppen ihre Identität, ihre Interpretation der sie umgebenden Wirklichkeit zum Ausdruck bringen. Die Sprache einer Person oder einer Gruppe spiegelt das Wissen und die Wertvorstellungen der Person oder der Gruppe wider. Die Sprache ordnet und strukturiert die Wirklichkeit. Über die Sprache lernt der Mensch von klein auf seine Umgebung kennen, sie zu ordnen und zu bewerten. Das so erworbene Wissen, die Ordnung und Wertung sind kulturell bestimmt. In der Kommunikation können auch infolge solcher kultureller Unterschiede, Missverständnisse auftreten. Das TOPOI-Modell: Taal (Sprache) bietet einen Analyserahmen mit der Erklärung der möglichen Diversitätsunterschiede im Bereich der verbalen und nonverbalen Sprache und einen Interventionsrahmen mit Vorschlägen, wie man mit Missverständnissen besser umgehen kann.
Edwin Hoffman
8. Das TOPOI-Modell: Ordening (Sichtweise)
Zusammenfassung
Der TOPOI-Bereich Ordening (Sichtweise) betrifft den Blick der GesprächsteilnehmerInnen auf die Fragen, um die es im Gespräch geht. Es geht hier um die Sicht der Dinge, die Logik und die Auffassungen der TeilnehmerInnen. Unterschiede in Sichtweise und Logik können für Missverständnisse und Konflikte in der Kommunikation sorgen. Interpunktion spielt im Kommunikationsprozess eine große Rolle. Die Menschen ordnen oder lesen die Wirklichkeit auf ihre subjektive Weise und abhängig von ihrer Lesung ( = Interpunktion) werden sie handeln. Es gibt kollektive und individuelle Unterschiede in Sichtweisen. Ebenen von denen aus eine Person den Dingen Bedeutung geben kann, sind Kontextebenen, die hierarchisch geordnet sind. Der Analyse- und Interpretationsrahmen des TOPOI-Modells im Bereich Ordening (Sichtweise) gibt Anweisungen, wie man Missverständnisse in der Kommunikation, die sich auf Diversitätsunterschiede in der Sichtweise beziehen, identifizieren und ihnen entgegentreten kann.
Edwin Hoffman
9. Das TOPOI-Modell: Personen
Zusammenfassung
Der TOPOI-Bereich Personen betrifft den Beziehungsaspekt in der Kommunikation. Zugleich mit den inhaltlich informativen Botschaften auf dem Inhaltsniveau tauschen die PartnerInnen auf dem Beziehungsniveau relationale Botschaften (interpersonale Perspektiven) über einander aus: wer sie für einander sind und wie sie ihre wechselseitige Beziehung empfinden. Diversitätsstörungen in der Kommunikation beziehen sich primär und entscheidend auf die Beziehungsebene. Die Rekursivität der Kommunikation ist die ständige wechselseitige persönliche Beeinflussung auf der Beziehungsebene. Soziale Repräsentationen beeinflussen tiefgehend die interpersonale Perspektive. Durch die starke Wirkung der sozialen Repräsentationen ist niemand frei von Vorurteilen. Die Beziehung zwischen GesprächspartnerInnen, beruht auf Gleichheit (Symmetrie) oder Verschiedenheit (Komplementarität), je nach der von den Betroffenen gewählten Interaktionsweise. Der Analyse- und Interpretationsrahmen des TOPOI-Modells im Bereich Personen gibt Anweisungen, wie man Diversitätsunterschiede und Missverständnisse auf der Beziehungsebene in der Kommunikation, identifizieren und ihnen entgegentreten kann.
Edwin Hoffman
10. Das TOPOI-Modell: Organisatie (Organisation)
Zusammenfassung
Der TOPOI-Bereich Organisatie (Organisation) umfasst den institutionellen Kontext und die strukturellen Machtverhältnisse, innerhalb derer ein Gespräch stattfindet. Viele Missverständnisse und Konflikte in der Kommunikation hängen mit organisatorischen Faktoren zusammen und haben wenig oder nichts mit kulturellen Unterschieden zu tun. Der Bereich Organisation kann sich auf verschiedene Niveaus beziehen. Sie alle beeinflussen die konkrete Gesprächsführung. Auf dem Makroniveau gibt es die Gesellschaft mit dem gesamten politischen und rechtlichen System, und die Makro-Organisation verschiedener gesellschaftlicher Bereiche wie Unterricht, Arbeit, Wohnen und Gesundheitswesen. Die Organisation konkreter Betriebe und Institutionen, jede mit ihren eigenen Prozeduren, Funktionen und Zuständigkeiten, bildet das Mesoniveau. Die organisatorischen Aspekte eines Gesprächs wie die Agenda des Treffens und die verfügbare Zeit gehören zum Mikroniveau. Das TOPOI-Todell: Organisatie (Organisation) bietet einen Analyserahmen mit der Erklärung der möglichen Diversitätsunterschiede im Bereich Organisation und einen Interventionsrahmen mit Vorschlägen, wie man bei Missverständnissen intervenieren kann.
Edwin Hoffman
11. Das TOPOI-Modell: Inzet (Wollen)
Zusammenfassung
Der TOPOI-Bereich Inzet (Wollen) umfasst die Absichten, Motive und Beweggründe, Interessen und Wünsche (Appell) – darunter Emotionen, Bedürfnisse und Werte – der GesprächsteilnehmerInnen. Da diese für Andere nicht immer sichtbar sind, ist Wollen eine interne Kategorie: die nicht sichtbare Innenseite der Menschen. Die Außenseite einer Person ist sein Verhalten, alles was sie tut oder nicht tut, und der Einfluss auf Andere, der Effekt dieses Verhalten. Die kommunikativen Beeinflussungsprozesse verlaufen zirkulär bzw. gleichseitig: man kann nicht nicht kommunizieren. Missverständnisse bei der Kommunikation entstehen oft, wenn Wollen (Absichten) und Einfluss (Effekt) nicht übereinstimmen. Wichtig ist es in der Kommunikation davon auszugehen, dass jedes Wollen positiv ist: Jede Person hat gute Gründe, warum sie tut, was sie tut. Anerkennung (heißt nicht dasselbe wie einverstanden sein) ist ein fundamentales Bedürfnis jedes Menschen. Kommunikativ gesehen heißt Anerkennen, dem Anderen seinen Wert lassen. Das TOPOI-Modell: Inzet (Wollen) bietet einen Analyserahmen mit der Erklärung der möglichen Diversitätsunterschiede im Bereich Inzet (Wollen) und einen Interventionsrahmen mit Vorschlägen, wie man Missverständnisse klären kann.
Edwin Hoffman
12. Anwendung des TOPOI-Modells auf Situationen aus der Praxis
Zusammenfassung
In diesem Kapitel wird das TOPOI-Modell auf Situationen aus der Praxis angewendet, um den Transfer der Theorie in die Praxis darzustellen. Mit Hilfe des TOPOI-Modells werden Hypothesen über mögliche Diversitätsunterschiede und Missverständnisse aufgestellt. Anschließend werden Vorschläge für Interventionen, um die Kommunikation weiterführen zu können, gemacht. Bei jeder Praxissituation sind ein oder mehrere Bereiche des TOPOI-Modells Ausgangspunkt für Hypothesen und Interventionen. Es ist nicht nötig auf jede Situation alle fünf TOPOI-Bereiche anzuwenden. Manchmal reicht die Anwendung eines Bereichs aus, um die Kommunikation wieder in Gang zu bringen. Die fünf Bereiche des TOPOI-Modells sind eng miteinander verbunden und sind in der Praxis nicht von einander zu trennen. Der Unterschied zwischen den verschiedenen Bereichen wird nur gemacht, um die Kommunikation einsichtig und durchführbar zu machen und möglichst viele Zugänge zu schaffen. Angesichts des zirkulären Charakters der Kommunikation stehen für die Anwendung des TOPOI-Analyserahmens drei Kernfragen zentral: 1. Was ist mein Anteil? 2. Was ist der Anteil der anderen Person? 3. Was ist der Einfluss des weiteren sozialen Umfelds, der herrschenden sozialen Repräsentationen, auf die Kommunikation?
Edwin Hoffman
Backmatter
Metadaten
Titel
Interkulturelle Gesprächsführung
verfasst von
Edwin Hoffman
Copyright-Jahr
2015
Electronic ISBN
978-3-658-07192-9
Print ISBN
978-3-658-07191-2
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-07192-9