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2021 | OriginalPaper | Buchkapitel

Kann man Werten trauen? Anmerkungen zum Wertediskurs in der Polizei

verfasst von : Werner Schiewek

Erschienen in: Verwaltung - Ethik - Menschenrechte

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Werte haben Konjunktur. Das macht misstrauisch, denn beschworen wird häufig gerade das, was fehlt bzw. in einem nicht ausreichenden Maß vorhanden ist. Dieser Spur folgend beschreibt der vorliegende Beitrag die besonderen organisatorischen Herausforderungen, die mit der Implementierung von Werten in der Polizei verbunden sind. Es wird gezeigt, dass es im Wesen von Werten liegt, dass ihre Umsetzung im eigenen Handeln immer bruchstückhaft und damit kritikwürdig bleibt. Will man den eigenen Wertediskurs und die sich daraus ergebenden Ansprüche organisatorisch überleben, d. h. stärken und nicht schwächen, dann ist es zentral mit diesem Zurückbleiben und der daraus resultierenden Kritik offensiv umzugehen. Fehlen für einen solchen selbstkritischen Umgang mit Werten der Wille, das Können oder die dafür erforderlichen Ressourcen, dann bewirken Werte gerade das Gegenteil von dem, was mit ihnen intendiert war: Sie vermindern nicht, sondern sie verstärken dann sehr effektiv eine organisatorische Misstrauenskultur. Ein Bewusstsein für diese Risikostruktur von Wertediskursen ist deswegen ein erfolgskritischer Faktor für den verantwortlichen Umgang mit Werten in Organisationen.

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Fußnoten
1
 Vgl. Ovid, Metamorphosen. Epos in 15 Büchern. Übersetzt und hrsg. von Hermann Breitenbach mit einer Einleitung von L. P. Wilkinson, Stuttgart 2020, S. 349–351 (11. Buch, Verse 89–154).
 
2
In rechtlicher Perspektive vgl. z. B. Joachim Detjen: „Im Grund steht hinter fast jeder Verfassungsnorm ein zur Realisierung aufgetragener Wert.“ (Joachim Detjen, Die Werteordnung des Grundgesetzes, Wiesbaden 2009, S. 8) Zwar mit anderem Duktus, aber in dieser Hinsicht vergleichbar äußert sich Udo Di Fabio: „Und doch kommt gerade die Verfassungsauslegung ohne Rekurs auf Werte nicht aus, denn in Verfassungsdokumenten wird eine besondere Nähe von Recht, Moral und dem Wissen über die Grundlagen der Gemeinschaft hergestellt.“  Udo Di Fabio, Zur Theorie eines grundrechtlichen Wertesystems, in: Merten, Detlef; Papier, Hans-Jürgen (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa. Band II. Grundrechte in Deutschland: Allgemeine Lehren I, Heidelberg 2006, S. 1031-1057, hier S. 1043.
 
3
Dieser Zusammenhang wird sehr plastisch in der schönen Titelformulierung von Andreas Urs Sommer, Werte. Warum man sie braucht, obwohl es sie nicht gibt, Stuttgart 2016, zum Ausdruck gebracht.
 
4
Gute interdisziplinäre Überblicke bieten aktuell Roland Verwiebe (Hrsg.), Werte und Wertebildung aus interdisziplinärer Perspektive, Wiesbaden 2019, und Christoph Zeller, Werte. Geschichte eines Versprechens, Berlin 2019.
 
5
 So z. B. Hans Joas: „Ich glaube nicht an die Möglichkeit einer rein rationalen Begründung letzter Werte.“ (Hans Joas, Die Sakralität der Person. Eine neue Genealogie der Menschenrechte, Berlin 2011, S. 13) Die Begründung für diese Behauptung liefert er an spätere Stelle nach: „Subjektive Evidenz ist in einem empirischen Sinn ein wichtiges Kennzeichen von Wertbindungen; sie ist aber natürlich kein Argument, mit dem andere überzeugt werden könnten.“ (Ebd., S. 251) Niklas Luhmann sieht eine Pointe von Werten darin, dass sie sogar überhaupt einen Verzicht auf Begründungen ermöglichen bzw. sogar erfordern: „Werte überzeugen also deshalb, weil in der Kommunikation die Einwände fehlen; nicht deshalb, weil man sie begründen könnte. Sie ermöglichen einen Verzicht auf Begründungen.“ Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main 1997, S. 343 vgl. S. 799.
 
6
 So z. B. Niklas Luhmann: „An sich sind Werte zunächst nur Präferenzen.“ (Luhmann, Gesellschaft [wie Anm. 5], S. 799) Aber dabei bleibt es nicht, sondern er führt an gleicher Stelle weiter aus: „Nur über komplexe historische Sinnverschiebungen sind seit dem 19. Jahrhundert in den Wertbegriff auch soziale Zumutungen eingebaut worden.“ Ebd.
 
7
In dieser Perspektive ist der Wertbegriff durch normative Komponente charakterisiert. Werte drücken das Wünschenswerte und „nicht einfach nur das Gewünschte aus.“ Detjen, Werteordnung (wie Anm. 2), S. 30.
 
8
Die Charakterisierung von Werten als Alternativen diskriminierende Vorzugswürdigkeiten rekurriert auf die Wertdefinition von Milton Rokeach: „A value is an enduring belief that a specific mode of conduct or end-state of existence is personally or socially preferable to an opposite or converse mode of conduct or end-state of existence” (Milton Rokeach, The Nature of Human Values. 3. Aufl., New York [u. a.] 1973, S. 5 Hervorh. im Orig.).
 
9
 Vgl. dazu die 7. These von Tobias Trappe: „Die Frage nach den eigenen Werten gibt dem Menschen die Möglichkeit, angesichts seiner Endlichkeit und Sterblichkeit sein Leben wirklich selbst zu führen, anstatt im Alltag immer nur kurzfristig auf wechselnde Wichtigkeiten und Widrigkeiten zu reagieren.“ (Tobias Trappe, Werte und Wertebildung an der FHöV NRW, in: Trappe, Tobias [Hrsg.], Werte bilden. Wertebildung an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung [Ethik der öffentlichen Verwaltung; Bd. 7], Frankfurt 2016, S. 49–82 [hier S. 69, im Orig. kursiv, vgl. S. 68 f.]). Dass der Zusammenhang von Werten und Pathos von Tobias Trappe an dieser sowie an anderen Stellen kein zufälliger ist, erläutert er unter dem Stichwort einer notwendigen ‚Pathosorientierung‘ beim Umgang mit Werten, vgl. ebd., S. 80.
 
10
Vgl. Detjen, Werteordnung (wie Anm. 2), S. 30. In diesem Sinne formuliert Udo Di Fabio: Werte haben für das Individuum insofern „auch eine ideelle Bedeutung, sie stiften Sinn, setzen einen Fixpunkt für ein logisches System der Sozialbeziehungen, für moralische Orientierung, für sinnvolles Leben.“ (Di Fabio, Theorie [wie Anm. 2], S. 1041).
 
11
Denn Hans Joas hebt völlig zurecht hervor: „Wir verstehen einen Menschen nicht, wenn wir seine Werte nicht kennen und ihn nur nach seinen Handlungen beurteilen, die ja nie die vollständige Verwirklichung seiner Ideale darstellen werden. Wir wollen insbesondere selbst von anderen nie nur nach unseren Handlungen beurteilt werden, sondern sind gewiss, dass wir selbst in diesen Handlungen nicht aufgehen.“ (Joas, Sakralität [wie Anm. 5], S. 165 Hervorh. W. S.). Insofern ist unsere „Bindung an Werte […] eine andere als die an rein kognitive Geltungsansprüche. Wir ‚haben‘ Werte nicht wie Meinungen; das eben drückt der Begriff ‚Wertbindung‘ aus.“ (Ebd., S. 256 f.) Im Hinblick auf die Kommunikation von Werten bedeutet das: „Über Werte zu sprechen, setzt die Berücksichtigung der affektiven Intensität unserer Bindung an sie voraus.“ (Ebd., S. 256) Dies korrespondiert für Niklas Luhmann der Sicht eines Beobachters erster Ordnung: „Der Beobachter erster Ordnung beobachtet mit Hilfe von Werten. Seine jeweiligen Werte machen für ihn den Unterschied, der sein Erkennen und Handeln steuert.“ (Luhmann, Gesellschaft [wie Anm. 5], S. 1123).
 
12
 So ist für Hans Joas Werten insbesondere eine moralische Komponente inhärent: „Wir sprechen von Werten, wenn Stellungnahmen die Gestalt expliziter Bejahung oder Verneinung von Behauptungen über das Gute oder Böse annehmen.“ (Joas, Sakralität [wie Anm. 5], S. 133). Ebenso Udo Di Fabio: „Werte sind in ihrer Substanz unbedingte Präferenzregeln mit moralischem Gehalt: Das Gute ist stets dem Schlechten vorzuziehen.“ (Di Fabio, Theorie [wie Anm. 2], S. 1034).
 
13
Mit einem gewissen Pathos formuliert Udo Di Fabio: „Ein Wert hat als Präferenzregel […] eine hohe normative Orientierungsfunktion: Er sondert gut von schlecht, wichtig von unwichtig, richtig von falsch. Werte helfen, die Welt begreifbar zu machen, entbinden scheinbar vom allzu kleinteiligen Zweckrationalen, vom berechnenden Kalkül. An Werte glaubt man, wie an religiöse Offenbarungen; für Werte kämpft man, sie bilden als Grundwerte den letzten Sinn eines Menschen, einer Gemeinschaft.“ Di Fabio, Theorie [wie Anm. 2], S. 1039.
 
14
Vgl. Christian Krijnen, Wert, in: Düwell, Marcus et al. (Hrsg.), Handbuch Ethik, 3., aktualisierte Aufl. Stuttgart, Weimar 2011, S. 548–553, hier S. 549.
 
15
 Vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen zur Unterscheidung zwischen teleologisch ausgerichteten, mit einem graduellen Geltungsanspruch auftretenden und eine relative/spezielle Vorzugswürdigkeit ausdrückenden Werten (‚Ethik‘) und deontologischen, mit einem binären Geltungsanspruch und mit absoluter/universaler Verbindlichkeit ausgezeichneten Normen in: Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt am Main 1992, S. 309–317 (hier S. 311).
 
16
 Vgl. Luhmann, Gesellschaft (wie Anm. 5), S. 408.
 
17
‚Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien‘ (z. B. Wahrheit, Liebe, Eigentum/Geld, Macht/Recht und eben auch ‚Grundwerte‘) dienen dazu, auf „sehr verschiedenen Weise und für sehr verschiedene Interaktionskonstellationen […] die Selektion der Kommunikation so zu konditionieren, dass sie zugleich als Motivationsmittel wirken, also die Befolgung des Selektionsvorschlages hinreichend sicherstellen kann.“ Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M. 1987, S. 222 Hervorh. W. S. Im Falle von Werten werde jedoch „die Annahmemotivation nicht erzeugt, sondern vorausgesetzt.“ Luhmann, Gesellschaft (wie Anm. 5), S. 409 sowie 799: Dementsprechend werden Werte „in der Kommunikation vorausgesetzt“ und „auch mitkommuniziert, aber nicht der Kommunikation ausgesetzt. Sie werden nur als Prämissen, nicht als Behauptungen aktiviert. Die wertbezogen laufende Kommunikation sieht deshalb keinen Anlass, auf eine Wertbehauptung mit Annahme oder Ablehnung oder mit einem modifizierenden ‚ja, aber…‘ zu reagieren.“ An anderer Stelle macht er die Bedeutung Nichtthematisierung von Werten in der Kommunikation deutlich: „Die Frage: wieso?, unterbleibt, weil explizite Thematisierungen in der Kommunikation immer so verstanden werden, dass Annahme oder Ablehnung der Sinnzumutung in Betracht kommen. Dies auch nur zu insinuieren, würde am Sinn der Wertgeltung vorbeigreifen und in der Kommunikation nicht oder allenfalls als Provokation verstanden werden.“ Niklas Luhmann, Gibt es in unserer Gesellschaft noch unverzichtbare Normen?, Heidelberg 1993, S. 18 (Hervorh. W. S.).
 
18
Luhmann, Gesellschaft (wie Anm. 5), S. 343, vgl. S. 408 sowie Luhmann, Systeme (wie Anm. 17), S. 433 f.
 
19
Luhmann, Gesellschaft (wie Anm. 5), S. 342. Aber nicht nur bei Festlichkeiten, so neigen in den Augen Luhmanns z. B. Juristen zu „eine[r] gewisse[n] Überschätzung des Rationalitätsgehalts der Auswertung von Wertgesichtspunkten.“ (Ebd., S. 434 Anm. 114).
 
20
 Di Fabio, Theorie (wie Anm. 2), S. 1039.
 
21
 Eine Funktion, die sich besonders mit den Namen Emil Durkheim und Talcott Parsons verbindet. Aktuell spiegelt sich diese Auffassung in folgenden z. B. in folgenden Voten wider: „Eine politische Gemeinschaft ist nur so weit Gemeinschaft, als sie gemeinsame Grundwerte teilt, die ihre Identität, ihre Existenz in der Zeit sichern.“ (Di Fabio, Theorie [wie Anm. 2], S. 1034) „Mit dem lenkenden und stark einschränkenden Sinnhorizont von Werten sollen Strukturen gesichert werden, die für die Identität und Existenz einer Gesellschaft unverzichtbar sind.“ (Ebd., S. 1039).
 
22
 Vgl. die Ausführungen zum aktuellen Forschungsstand bei Philipp Lechleiter, Wertekonstellationen im Wandel. Eine empirische Bestandsaufnahme, Wiesbaden 2016, S. 31–64.
 
23
So auch der Befund der zuvor genannten Untersuchung (vgl. Fußnote Nr. 22): Es wurde in der vorliegenden Untersuchung „die zentrale These aufgestellt, dass die moderne Gesellschaft Wertekonstellationen und -typen hervorbringt, die dem komplexen Umfeld, in dem sie sich bewegen, durch mehrdimensionale Werteprofile Rechnung tragen. Diese Behauptung konnte im Zuge der empirischen Analyse uneingeschränkt und beeindruckend bestätigt werden. In jedem der drei untersuchten Jahrgänge ließ sich eine Reihe von Wertemischtypen nachweisen, die darauf hindeutet, dass monotone Werteprofile immer häufiger durch komplexere Formate abgelöst und ersetzt werden.“ (Lechleiter, Wertekonstellationen [wie Anm. 22], S. 221 [Hervorh. W. S.]).
 
24
Martin Seel, Ohne Rechte sind Werte nichts wert. Das Phantasma einer identitären Wertegemeinschaft oder ‚Leitkultur‘ ist gefährlich. Es verwischt die wichtige Differenz zwischen pluralen Wertorientierungen und demokratischer Rechtsordnung [Gastkommentar], in: NZZ Nr. 224 vom 26. Sept. 2016, S. 10.
 
25
Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der säkularisierte Staat. Sein Charakter, seine Rechtfertigung und seine Probleme im 21. Jahrhundert, 2. Aufl., München 2015 [2007], S. 36. Das heißt aus seiner Sicht z. B. für den staatlichen Umgang mit dem Islam und seinen Anhängern: Der Staat „erwartet und verlangt […] von ihnen Gesetzesloyalität und in diesem Sinn Rechtstreue, wobei er ihnen den ‚inneren Vorbehalt‘ belässt, daß sie nämlich möglicherweise seiner Ordnung distanziert und vom Grundsätzlichen her ablehnend gegenüberstehen. Indem er so den Status als gleichberechtigter Bürger nicht an ein Wertordnungsbekenntnis als seine Bedingung bindet, sondern sich mit der Achtung und Befolgung der Gesetze zufrieden gibt, bestätigt er seine Freiheitlichkeit.“ Ebd., S. 38. Damit aktualisiert er unter aktuellen Bedingungen schon früher Gesagtes. So konstatiert er im Jahr 1990, dass die „im Recht selbst angelegte Frage nach dem (metapositiven) Grund und Maß des Rechts […] nicht durch Rückgriff auf Werte und den Wertbegriff zureichend beantwortet werden“ könne. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Zur Kritik der Wertbegründung des Rechts [Erstveröffentlichung 1990], in: Ders. (Hrsg.), Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt a.M. 1991, S. 67–91 (hier S. 91).
 
26
 Eike Bohlken, Wertethik. in: Düwell, Marcus; Hübenthal, Christoph; Werner, Micha H. (Hrsg.), Handbuch Ethik, 3., aktualisierte Aufl., Stuttgart, Weimar 2011, S. 108–121, hier S. 118 vgl. S. 118 f.
 
27
Di Fabio, Theorie (wie Anm. 2), S. 1034.
 
28
Di Fabio, Theorie (wie Anm. 2), S. 1033. In diesem Zusammenhang sieht er die Delegation eines gesellschaftlichen Integrationsanliegens an das Recht und als „eine besondere Leistung des Rechts für die Gesellschaft erwartet.“ Ebd.
 
29
 Wer sich eine Übersicht über das ‚Wertangebot‘ verschaffen möchte, kann sich entweder via den Tugendbegriff bei Martin Seel, 111 Tugenden, 111 Laster. Eine philosophische Revue, Frankfurt am Main 2011, kundig machen (insgesamt behandelt er 555 Tugenden und Laster, vgl. den Überblick ebd., S. 281–285). Oder er greift zu Frank H. Sauer, Das Große Buch der Werte. Enzyklopädie der Wertvorstellungen 2019. Ausführliche Definitionen der gebräuchlichsten konstruktiven Werte sowie Beiträge rund um die Themen Wertvorstellungen, Wertewandel und Kultur mit Beschreibungen von wichtigen kontextuellen Begriffen, 3. Aufl., Köln / Hürth 2019. Sauer bietet in pragmatischer Ausrichtung für die Arbeit im Bereich der Organisations- und Persönlichkeitsentwicklung einen Überblick über 123 Werte (vgl. a.a.O., S. 256–540). Die Schnittmenge der behandelten Werte in beiden Werken hält sich in Grenzen, ca. 30 der 111 der bei Seel verzeichneten Tugenden tauchen als entsprechende Werte bei Sauer auf. Umgekehrt werden rund 70 von den 123 Werten bei Sauer auch von Seel berücksichtigt. Das dokumentiert die große Nähe zwischen Werten und Tugenden (vgl. z. B. Nicolai Hartmann, Ethik, 4., unveränd. Aufl., Berlin 1962, S. 417, der diesen Zusammenhang durch seine Formulierung eines ‚Wertcharakters der Tugend‘ zum Ausdruck bringt; vgl. ebd., S. 416–418), deren genaue Verhältnisbestimmung an dieser Stelle aber offenbleiben kann. Konzentriert man sich auf die ‚Verfassungswerte‘ des Grundgesetzes, so Joachim Detjen auf 27 für die Verfassung zentrale Werte, die aber lediglich eine Auswahl des Wichtigsten darstellen, denn im „Grunde steht hinter fast jeder Verfassungsnorm ein zur Realisierung aufgetragener Wert.“ (vgl. Detjen Werteordnung [wie Anm. 2], S. 8). Für einen Überblick über in der polizeilichen Arbeit relevante Tugenden und Untugenden siehe Rafael Behr, Polizeikultur. Routinen – Rituale – Reflexionen. Bausteine zu einer Theorie der Praxis der Polizei, Wiesbaden 2006, S. 184 vgl. S. 181–194.
 
30
Vgl. Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen, Erste Ergebnisse der Initiative „Werteorientierungen in der Polizei des Landes NRW“. Hintergrundinformationen von Dr. Elena Isabel Zum-Bruch, Düsseldorf 2020, S. 5.
 
31
Niklas Luhmann konstatiert völlig zurecht: „Niemand findet sich, der sagt, er sei gegen Frieden, gegen Gerechtigkeit, gegen Ehrlichkeit, gegen Gesundheit etc.“ Luhmann, Gesellschaft (wie Anm. 5), S. 402.
 
32
 „Werte enthalten keine Regel für den Fall des Konfliktes zwischen Werten. Es gibt, wie oft gesagt, keine transitive oder hierarchische Ordnung der Werte. Gerade weil jede Wertordnung voller »strange loops« steckt und damit ständig kollabiert, eignet sie sich als »inviolate level«. In diesem Sinne kann es keine absoluten Werte geben, die sich in jeder Situation Vorrang verschaffen. Die Abstraktion von zahlreichen Werten in der Form von Einzelpräferenzen kann nur heißen, dass Werte laufend kompromittiert oder zurückgestellt werden müssen. Je mehr Werte, desto weniger ist ihnen zu entnehmen, wie zu entscheiden ist.“ Luhmann, Gesellschaft (wie Anm. 5), S. 799 f.
 
33
Niklas Luhmann konstatiert völlig zurecht: „Niemand findet sich, der sagt, er sei gegen Frieden, gegen Gerechtigkeit, gegen Ehrlichkeit, gegen Gesundheit etc.“ Luhmann, Gesellschaft (wie Anm. 5), S. 402.
 
34
Dabei treten in der Regel nicht ‚gute Werte‘ gegen ‚schlecht Werte‘ (z. B. sozial deviante oder individuell zerstörerische Wertorientierungen) an, sondern nachvollziehbar vorzugswürdige Präferenzen ringen hier miteinander um ihren handlungsbestimmenden Einfluss.
 
35
Vgl. Joas, Sakralität (wie Anm. 5), S. 163.
 
36
So schon vor fast 50 Jahren im Hinblick auf das Verhältnis von Polizei und Gesellschaft vgl. Rokeach, Milton; Miller, Martin G.; Snyder, John A., The Value Gap between Police and Policed, in: Journal of Social Issues 27 (1971) Nr. 2, S. 155–171.
 
37
 Der Begriff ‚Optimierungsgebot‘ wurde von Robert Alexy im Zusammenhang mit seiner Kategorie der ‚Prinzipien‘ in die Diskussion eingeführt. Vgl. Robert Alexy, Theorie der Grundrechte. Frankfurt am Main 1986, S. 75 f. Prinzipien zeichnen sich durch ihren deontologischen Charakter aus, während Werte eine axiologische Ausrichtung besitzen. Darüber hinaus sind sie aber strukturgleich. Vgl. ebd., S. 134.
 
38
Di Fabio, Theorie (wie Anm. 2), 1038. Er führt weiter aus: „Die ernsthafte Berufung auf Werte verdrängt die zweckrationale Folgenabwägung, behindert das sachliche Austarieren verschiedener Belange, ist abwägungsfeindlich. Da das Recht aber genau solche Qualitäten des gerechten Abwägens und nüchternen Pragmatismus pflegt, ist das Wertedenken dem Grunde nach ein Fremdkörper im Recht, wird in der Tendenz deshalb als rechtsfeindlich erlebt.“ Ebd.
 
39
Vgl. dazu Werner Schiewek, Weiße Schafe – Schwarze Schafe. Dichotomische Weltbilder im polizeilichen Alltag, in: Christe-Zeyse, Jochen (Hrsg.), Die Polizei zwischen Stabilität und Veränderung. Ansichten einer Organisation im Wandel, Frankfurt 2006, S. 105–133.
 
40
 Luhmann, Gesellschaft (wie Anm. 5), S. 341.
 
41
Luhmann, Gesellschaft (wie Anm. 5), S. 343. „Ihr Direktionswert ist gering, da kein Wert eine Handlung bestimmen oder auch nur, wie man mit Pascal sagen könnte, eine Handlung entschuldigen kann.“ Ebd., S. 344.
 
42
Eine strukturelle Parallele dieses Hiats zwischen Wert und Handlung findet sich – nicht zufällig – auch in der Tugendethik, deren Ausgangspunkt die Idee des tugendhaften Menschen bildet: „Tugendhaftes Handeln ist eines, für das ein tugendhafter Mensch sich entschiede, und zwar aus Gründen, aus denen ein tugendhafter Mensch dies täte.“ Kwame Anthony Appiah, Ethische Experimente. Übungen zum guten Leben, München 2009, S. 41.
 
43
 In diesem Sinn formuliert Susan Neiman treffend: „Werte werden real, wenn sie Fleisch werden und die Formen, in denen sie erscheinen, uns anrühren. Nicht einmal unser Verstand wird allein von Argumenten beeinflusst, ganz zu schweigen von unseren Herzen, unseren Händen und all dem anderen, das uns lebendig erhält.“ Susan Neiman, Moralische Klarheit. Leitfaden für erwachsene Idealisten, Hamburg 2010, S. 152.
 
44
 So ja schon Detjen, der hinsichtlich der Vermittlung von Verfassungswerten betont, dass dies letztlich nur „in Form des freien Gesprächs und der argumentativen Auseinandersetzung“ erfolgen könne, da eine ‚axiomatische Weitergabe‘ von Werten nicht nur der ‚Subjektstellung der Lernenden‘ widerspreche, sondern darüber hinaus – unter Rekurs auf Bernhard Sutor – auch ‚lernpsychologisch unfruchtbar‘ sei. Detjen, Werteordnung (wie Anm. 2), 407 vgl. ebd.
 
45
Diesen wichtigen Zusammenhang hebt Tobias Trappe zurecht hervor: „Wenn wir glaubwürdig über unsere Werte sprechen, dann müssen wir auch über die Widersprüche zwischen eben diesen Werten einerseits und der von uns erlebten wie praktizierten Wirklichkeit andererseits sprechen.“ Trappe, Werte (wie Anm. 9 ), S. 49–82 (hier S. 67 [im Orig. kursiv], vgl. 65–67).
 
46
 Denn „Organisationskulturen bilden sich als informale Handlungsnormen durch Wiederholung und Imitation aus. Und die so eingespielten Handlungsnormen lassen sich nicht […] durch die Verkündigung neuer organisationskultureller Werte verändern.“ Stefan Kühl, Jenseits von zweckrationalen Steuerungsfantasien im Management, in: Apelt, Maja; Bode, Ingo; Hasse, Raimund; Meyer, Uli; Groddeck, Victoria V.; Wilkesmann, Maximiliane; Windeler, Arnold (Hg.), Handbuch Organisationssoziologie, Wiesbaden 2019, S. 8. (Onlineressource: https://​doi.​org/​10.​1007/​978-3-658-15953-5_​62-1 [Abruf am 16.6.2020]). Auch wenn dem zuzustimmen ist, ist die Kommunikation des Zusammenhanges bzw. der Spannung zwischen Werten und dem Handeln ein wichtiger Baustein für eine werteorientierte Organisation: „Umstritten ist die verbreitete und viel zitierte Annahme, eine Verankerung der Unternehmenskultur sei dann erreicht, wenn die Werte nicht mehr explizit thematisiert werden müssten. Im Gegenteil wurde von positiven Auswirkungen berichtet, wenn schwierige Entscheidungen konkret mit der Unternehmenskultur konfrontiert oder Unternehmenswerte regelmäßig – zum Beispiel jeden Tag für einige Minuten – teamintern diskutiert werden.“ Dr Jürgen Meyer Stiftung / Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik, Ethical Leadership Assessment. Zukunft einer werteorientierten Personalauswahl, Hamburg 2014, S. 62 (Onlineressource: http://​www.​juergen-meyer-stiftung.​de/​stiftung-ethik-pdf/​Ethical%20​Leadership%20​Assessment.​pdf [Abruf am 30.6.2020]).
 
47
 Einen guten Überblick bietet Dr Jürgen Meyer Stiftung / Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik, Leadership (wie Anm. 46).
 
48
Vgl. Helmut Klages, Thomas Gensicke, Wertesynthese – funktional oder dysfunktional?, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 58 (2006) 2, S. 332–351. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Wertesynthese besonders bei Menschen zu finden ist, die zu einer ausgeprägten Handlungsorientierung neigen, also die die praktische Lösung von Herausforderungen und Problemen präferieren, weniger deren sachgerechte theoretische Lösung (vgl. ebd., S. 349). Für diese Gruppe besteht die Attraktivität des Konzeptes der Wertesynthese darin, dass sie „keine durchgängige Wertehierarchie darstellt, sondern vielmehr eine komplexe Werte-Kombination, die es erlaubt, auch in unterschiedlich gelagerten Situationen und unter dem Druck widerspruchsvoller Anforderungen ein wertgesteuertes Verhalten zu entwickeln.“ (Ebd., S. 342). Dies geschieht durch ein Nebeneinander-bestehen-Lassen tendenziell inkompatibler Werte, deren Konflikt dadurch vermieden wird, dass sie auf klar voneinander getrennte Anwendungsbereiche bezogen werden (z. B. „dienstlich so, privat anders“).
 
49
 Vgl. Josef Wieland, Wozu Wertemanagement? Ein Leitfaden für die Praxis, in: Ders. (Hrsg.), Handbuch Werte Management. Erfolgsstrategien einer modernen Coporate Governance, Hamburg 2004, S. 13–52 (hier S. 23 f.).
 
50
Jürgen Weibler, Jürgen Deeg, Werthaltungen von Führungskräften, in: Felfe, Jörg (Hrsg.), Trends der psychologischen Führungsforschung. Neue Konzepte, Methoden und Erkenntnisse, Göttingen 2015, S. 355–368 (hier S. 360 unter Rekurs auf Eugen Buß).
 
51
 Vgl. Schulz von Thun, Miteinander reden: 4. Fragen und Antworten, Reinbek bei Hamburg 2007, S. 49–76.
 
52
 Vgl. John Erpenbeck, Werner Sauter, Wertungen, Werte. Das Fieldbook für ein erfolgreiches Wertemanagement, Berlin 2018. Das Buch wendet sein Augenmerk besonders auf das Wertemanagement auf den drei Ebenen der Organisation, des Teams und der individuellen Ebene. Bleibend wichtig ist der Hinweis: „Werte müssen verinnerlicht, ‚interiorisiert‘, zu eigenen Emotionen und Motivationen gewandelt werden, um zu wirken. ‚Bloß gelernte‘ nicht interiorisierte Werte sind wertlos, Weiterbildung lehrt uns vieles, macht uns mit ethischen, politischen, ästhetischen, religiösen Werten bekannt, aber sie bewirkt, wertebezogen, wenig. Wir werden durch sie keine moralischeren, politischeren, kunstliebenderen, toleranteren Menschen.“ (Ebd., S. 241).
 
53
 Damit ist eine Konstellation im Blick, die derjenigen des Handlungsreisenden ‚Willy Loman‘ vergleichbar ist, über den Arthur Miller schreibt: „Er besitzt tatsächlich Werte. Nur die Tatsache, dass diese Werte sich nicht verwirklichen lassen, ist es, was ihn zur Verzweiflung treibt, wie so viele andere Menschen leider auch. Nur derjenige, der wirklich ohne alle Werte und Ideale lebt, fühlt sich immer und überall vollkommen wohl, denn zwischen nichts und irgendetwas ist ja kein Konflikt möglich.“ Zit. nach Heinz Abels, Einführung in die Soziologie. Band 2: Die Individuen in ihrer Gesellschaft, 5., grundleg. überarb. u. aktual. Aufl., Wiesbaden 2019, S. 11.
 
Metadaten
Titel
Kann man Werten trauen? Anmerkungen zum Wertediskurs in der Polizei
verfasst von
Werner Schiewek
Copyright-Jahr
2021
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-32625-8_8

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