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2020 | OriginalPaper | Buchkapitel

Kapitel 14: Das Vertragsrecht als Kontrollgegenstand

verfasst von : Andrej Lang

Erschienen in: Die Verfassungsgerichtsbarkeit in der vernetzten Weltordnung

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Zusammenfassung

Es hat sich gezeigt, dass Verfassungsgerichte in der vernetzten Weltordnung eine Kontrollfunktion ausüben. Verfassungsgerichte prüfen verstärkt, meist indirekt über den rechtsordnungseigenen Inkorporationsakt, ob die Verträge und Rechtsakte inter- und supranationaler Organisationen mit rechtsordnungseigenen Prinzipien und Normen vereinbar sind. Dadurch wirken sie der Entstehung eines konstitutionellen Vakuums in der Konstellation der vernetzten Weltordnung entgegen. Dieses Vakuum entsteht dadurch, dass einerseits immer mehr Entscheidungen durch inter- und supranationale Institutionen getroffen werden, die individualbezogen sind und nationalen Stellen kaum mehr eigenen Gestaltungsspielraum belassen, andererseits nach konstitutionalistischen Maßstäben teilweise defizitär sind. Dann aber entspricht es der Kontrollfunktion nationaler Verfassungsgerichte, die den Schutz verfassungsrechtlicher Prinzipien und Normen gewährleisten sollen, auch gegenüber diesen Entscheidungen eine Kontrolle auszuüben.

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Fußnoten
1
Oben Zweiter Teil, Kap. 10.
 
2
Vgl. oben Zweiter Teil, Kap. 10, A., I.
 
3
Dazu oben Erster Teil, Kap. 2, H.
 
4
Oben Erster Teil, Kap. 2, G.
 
5
Siehe näher zu diesem Gesichtspunkt: Oben Zweiter Teil, Kap. 10, A., I.
 
6
Mit diesem Ausdruck: Frank Schorkopf, Grundgesetz und Überstaatlichkeit. Konflikt und Harmonie in den auswärtigen Beziehungen Deutschlands, 2007, 246.
 
7
In dualistisch geprägten Rechtsordnung ist ein Inkorporationsakt (erforderlich, in monistisch geprägten Rechtsordnungen eine weniger förmliche parlamentarische. Nach Bleckmann sind wegen dieses Erfordernisses eines Zustimmungsakts letztlich auch sogenannte monistische Rechtsordnungen dualistisch ausgerichtet. Alfred Bleckmann, Völkerrecht, 2001, 138 f.
 
8
Zur Doppelnatur der Gründungsverträge inter- und supranationaler Organisationen zwischen Vertrag und Verfassung: Anne Peters, Das Gründungsdokument internationaler Organisationen als Verfassungsvertrag, ZÖR 68 (2013), 1 ff.
 
9
Das Verhältnis zwischen Vertragsrecht und abgeleitetem Recht entspricht insoweit dem Verhältnis einer Verfassung zu Gesetz und Recht, als das abgeleitete Recht den vom höherrangigen Vertragsrecht vorgegebenen Rahmen einhalten soll. Dem folgend wird im Kontext der Europäischen Union das Vertragsrecht als Primärrecht bezeichnet, das abgeleitete Recht als Sekundärrecht, das Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen umfasst.
 
10
Exemplarisch in Hinsicht auf die NAFTA: US District Court, Urt. v. 23.07.1999 – Made in the USA Foundation v. United States, 56 F. Supp. 2d 1226 (N.D. Ala. 1999).
 
11
Unten Dritter Teil, Kap. 14, B., I.
 
12
Zu diesem sozialen Prozess: Oben Erster Teil, Kap. 7.
 
13
Siehe dazu näher oben Erster Teil, Kap. 7, C.
 
14
Oben Erster Teil, Kap. 7, C.
 
15
Ein weiteres, sich anbahnendes Feld der verfassungsgerichtlichen Vertragskontrolle betrifft das internationale Investitionsschutzregime und ist vor dem Hintergrund der wachsenden legitimationstheoretischen und gesellschaftlichen Kritik am Investititonsschutz zu betrachten. Das CETA-Abkommen zwischen der EU und Kanada, das ein Investitionskapitel (Chapter 8) enthält, wurde am Maßstab des unionalen Primärrechts bzw. der nationalen Verfassung durch den EuGH, siehe EuGH, Gut. v. 30.04.2019, Rs. 1/17 – CETA, ECLI:EU:C:2019:341, das Bundesverfassungsgericht, siehe BVerfGE 143, 65 – CETA (2016), und den Conseil constitutionnel, siehe Entsch. v. 31.07.2017, Nr. 2017-749 – CETA, überprüft. Darüber hinaus hat das kolumbianische Verfassungsgericht ein 2014 geschlossenes Bilateral Investment Agreement (BIT) zwischen Kolumbien und Frankreich geprüft und dabei, ohne das Abkommen als verfassungswidrig einzustufen, mehrere verfassungsrechtliche Vorgaben für eine verfassungskonforme Auslegung der in dem BIT enthaltenen Schutzstandards zugunsten ausländischer Investoren gemacht. Siehe Kolumbianisches Verfassungsgericht, Entsch. v. 06.06.2019, C-252/19 – Kolumbien–Frankreich BIT.
 
16
Auch in der Rechtsprechung des EuGH lassen sich gewisse Parallelen zu der Vertragskontrolle mitgliedstaatlicher Verfassungsgerichte erkennen, wenn der Gerichtshof prüft, ob und auf welcher vertraglicher Grundlage die EU Kompetenzen an andere inter- und supranationale Institutionen, etwa an den EGMR, übertragen darf. Siehe EuGH, Gut. v. 28.03.1996, Rs. 2/94 – EMRK-Beitritt I, ECLI:EU:C:1996:140.
 
17
Dazu aus historischer Sicht: Uwe Wesel, Der Gang nach Karlsruhe, 2004, 54 ff.
 
18
§ 97 BVerfGG a.F.
 
19
Unten Dritter Teil, Kap. 14, A., I., 1.
 
20
Instruktiv zu dieser als „erste große Krise“ bezeichneten geschichtlichen Episode des Bundesverfassungsgerichts: Uwe Wesel, Der Gang nach Karlsruhe, 2004, 54 ff.
 
21
Supreme Court of Ireland, Urt. v. 09.04.1987, No. 12036P – Raymond Crotty v. An Taoiseach, [1987] IR 713. Dazu näher Eoin Daly, Constitutional Identity in Ireland, in: Christian Calliess/Gerhard van der Schyff (Hrsg.), Constitutional Identity in a Europe of Multilevel Constitutionalism, 2019, 182 (186).
 
22
Kritisch: Gavin Barrett, Building a Swiss Chalet in an Irish Legal Landscape? Referendums on European Union Treaties in Ireland & the Impact of Supreme Court Jurisprudence, EuConst 5 (2009), 32 ff.
 
23
Conseil constitutionnel, Entsch. v. 09.04.1992, Nr. 92-308 DC – Maastricht I, Rec. 55, EuGRZ 1993, 187 ff.;
Entsch. v. 02.09.1992, Nr. 92-312 DC – Maastricht II, Rec. 76, EuGRZ 1993, 193 ff.; Entsch. v. 23.09.1992, Nr. 92-313 DC– Maastricht III, Rec. 94, EuGRZ 1993, 196 ff. Siehe zu diesen Entscheidungen: Peter Oliver, The French Constitution and the Treaty of Maastricht, I.C.L.Q. 43 (1994), 1 ff.
 
24
Tribunal Constitucional, Erkl. v. 24.07.1992, DTC 1/1992 – Maastricht, EuGRZ 1993, 285 ff.
 
25
Siehe BVerfGE 37, 271 – Solange I (1974); BVerfGE 73, 339 – Solange II (1986).
 
26
Mit dieser Umschreibung auch BVerfGE 142, 123 (200) – OMT-Urteil (2016). Kritisch: Heiko Sauer, Demokratische Legitimation zwischen Staatsorganisationsrecht und grundrechtlichem Teilhabeanspruch, Der Staat 58 (2019), 7 ff.
 
27
Julio Baquero Cruz, The Legacy of the Maastricht-Urteil and the Pluralist Movement, ELJ 14 (2008), 389 (390 f.).
 
28
Motiviert wurde das Urteil wohl unter anderem durch die Maastricht-Entscheidungen des französischen Conseil constitutionnel und des spanischen Tribunal Constitucional, die – anders als das Bundesverfassungsgericht ohne jede Notwendigkeit der Selbstermächtigung – von den anderen staatlichen Gewalten im Rahmen Ex-ante-Normenkontrollverfahrens mit der verfassungsrechtlichen Kontrolle befasst wurden.
 
29
Julio Baquero Cruz, The Legacy of the Maastricht-Urteil and the Pluralist Movement, ELJ 14 (2008), 389 (397).
 
30
Dänischer Oberster Gerichtshof, Urt. v. 06.04.1998, I 361/1997 – Carlsen u. a. v. Rasmussen, ZaöRV 58 (1998), 901 ff.
 
31
Polnischer Verfassungsgerichtshof, Urt. v. 11.05.2005, K 18/04 – Beitrittsvertrag.
 
32
Tschechisches Verfassungsgericht, Urt. v. 04.03.2004, PL ÚS 1/04 – Beitrittsvertrag.
 
33
Lettisches Verfassungsgericht, Urt. v. 07.07.2004, Nr. 2004-01-06 – Lettischer Ordnungswidrigkeitenkodex.
 
34
Conseil constitutionnel, Entsch. v. 20.12.2007, Nr. 2007-560 – Lissabon, Rec. 459.
 
35
Tschechisches Verfassungsgericht, Urt. v. 26.11.2008, PL ÚS 19/08 – Lissabon I; Urt. v. 03.11.2009, Pl. ÚS 29/09 – Lissabon II. Siehe zum zweiten Lissabon-Urteil: Isabelle Ley, Brünn betreibt die Parlamentarisierung des Primärrechts, JZ 65 (2010), 165 ff.
 
36
Lettisches Verfassungsgericht, Entsch. v. 07.04.2009, Nr. 2008-35-01 – Lissabon.
 
37
BVerfGE 123, 267 – Lissabon (2009).
 
38
Ungarisches Verfassungsgericht, Entsch. v. 12.07.2010, Nr. 143/2010 – Lissabon.
 
39
Polnischer Verfassungsgerichtshof, Urt. v. 24.11.2010, K 32/09 – Lissabon.
 
40
Belgische Cour constitutionnelle, Entsch. v. 19.03.2009, Nr. 58/2009 – Lissabon I; Entsch. v. 16.06.2009, Nr. 125/2009 – Lissabon II; Entsch. v. 13.10.2009, Nr. 156/2009 – Lissabon III.
 
41
Slowenisches Verfassungsgericht, Entsch. v. 17.10.2008, Nr. UI-49/08 – Lissabon.
 
42
Dänischer Oberster Gerichtshof, Urt. v. 20.02.2013, I 199/2012 – Hausgaard u. a. v. Prime Minister. Dazu Henrik Palmer Olsen, The Danish Supreme Court’s decision on the constitutionality of Denmark’s ratification of the Lisbon Treaty, CML Rev. 50 (2013), 1489 ff.; Helle Krunke, The Danish Lisbon Judgment, EuConst 10 (2014), 542 ff.
 
43
Für einen Überblick über die Lissabon-Vertragsverfahren aus rechtsvergleichender Sicht, siehe Mattias Wendel, Lisbon Before the Courts: Comparative Perspectives, EuConst 7 (2011), 96 ff.; Stefan Theil, What Red Lines, If Any, Do the Lisbon Judgments of European Constitutional Courts Draw for Future EU Integration?, GLJ 15 (2014), 599 ff.
 
44
Tribunal Constitucional, Erklär. v. 13.12.2004, DTC 1/2004 – Verfassungsvertrag, EuR 2005, 339 ff. Dazu Anne Becker, Vorrang versus Vorherrschaft. Anmerkung zum Urteil des spanischen Tribunal Constitucional DTC 1/2004, EuR 2005, 353 ff.; Camilo Schutte, Spain. Tribunal Constitucional on the European Constitution, EuConst 1 (2005), 281 ff.
 
45
Conseil constitutionnel, Entsch. v. 19.11.2004, Nr. 2004-505 DC – Verfassungsvertrag, Rec. 173, EuGRZ 2005, 45 ff.
 
46
Dazu Francis Delpérée, Le Conseil d’État de Belgique et le traité établissant une Constitution pour l’Europe, RFDA 21 (2005), 242 ff.
 
47
Slowakisches Verfassungsgericht, Entsch. v. 27.02.2008, Nr. II. ÚS 171/05-175 – Verfassungsvertrag.
 
48
Allerdings gibt es auch Verfassungsgerichte, die die Zulässigkeit für eine solche verfassungsgerichtliche Kontrolle verneinen. Siehe insbesondere Österreichischer Verfassungsgerichtshof, Beschl. v. 30.09.2008, SV 2/08-3, G 80/08-3, SV 3/08-6, G 81/08-6 – Lissabon I; Beschl. v. 11.03.2009, G 149-152/08-5, SV 5-8/08-5 – Lissabon II; Beschl. vom 12.06.2010, SV 1/10-9 – Lissabon III. Siehe zuvor bereits Österreichischer Verfassungsgerichtshof, Beschl. v. 18.06.2005, G 62/05 – Verfassungsvertrag.
 
49
Der Euro-Rettungsschirm besteht aus dem durch die EU-Verordnung Nr. 407/2010 verabschiedeten Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM), der intergouvernemental vereinbarten Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), sowie aus finanziellen Beiträgen des IWF.
 
50
Der ESM ist als dauerhafter Mechanismus zur Stabilisierung des Euro konzipiert. Er wurde durch den völkerrechtlichen Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESMV) gezielt außerhalb des unionsrechtlichen Vertragswerks eingerichtet. Zu diesem Zweck wurde auf Grundlage des vereinfachten Vertragsänderungsverfahrens des Art. 48 Abs. 6 EUV in Art. 136 AEUV ein neuer Absatz 3 eingefügt, dem zufolge die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, einen Stabilitätsmechanismus einrichten können, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Zum Ganzen: Lena Ketterer, Zustimmungserfordernis beim Europäischen Stabilitätsmechanismus, 2016.
 
51
Der Fiskalpakt vom 02.03.2012 heißt offiziell „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion“. Darüber hinaus kündigte hat die EZB an, Staatsanleihen hoch verschuldeter Mitgliedstaaten in unbegrenzter Höhe auf dem Sekundärmarkt anzukaufen. Dieser Ankündigung zugrunde liegt der sogenannte „OMT-Beschluss“ der EZB vom 6. September 2012 über Technical features of Outright Monetary Transactions. Dazu BVerfGE 134, 366 – OMT-Beschluss (2014); BVerfGE 142, 123 – OMT-Urteil (2016).
 
52
Estnischer Staatsgerichtshof, Urt. v. 12.07.2012, Nr. 3-4-1-6-12 – Stabilitätsmechanismus.
 
53
Conseil constitutionnel, Entsch. v. 09.08.2012, Nr. 2012-653 DC – Fiskalvertrag.
 
54
Österreichischer Verfassungsgerichtshof, Entsch. v. 16.03.2013, SV 2/12-18 – ESMV & Auslegungserklärung.
 
55
Polnischer Verfassungsgerichtshof, Urt. v. 26.06.2013, K 33/12 – Stabilitätsmechanismus.
 
56
BVerfGE 132, 195 – Europäischer Stabilitätsmechanismus (2012). Siehe dazu die Beiträge in: GLJ 14 (2013), 1 ff.
 
57
Dazu näher Mattias Wendel, Richterliche Rechtsvergleichung als Dialogform: Die Integrationsrechtsprechung nationaler Verfassungsgerichte in gemeineuropäischer Perspektive, Der Staat 52 (2013), 339 (348 f.). Vgl. Österreichischer Verfassungsgerichtshof, Entsch. v. 16.03.2013, SV 2/12-18 – ESMV & Auslegungserklärung.
 
58
Siehe für einen guten Überblick: Marise Cremona/Anne Thies (Hrsg.), The European Court of Justice and External Relations Law, 2014; Pieter Kuijper, Fifty Years of EC/EU External Relations: Continuity and the Dialogue Between Judges and Member States as Constitutional Legislators, Fordham Int’l L.J. 31 (2007), 1571 ff.
 
59
Grundlegend zum Gutachtenverfahren: Stanislas Adam, La procédure d‘avis devant la Cour de justice de l‘Union européenne, 2011.
 
60
Dazu im Einzelnen: Dirk Kiekebusch, Der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung, 2017.
 
61
EuGH, Urt. v. 31.03.1971, Rs. C-22/70 – AETR, ECLI:EU:C:1971:32.
 
62
EuGH, Gut. v. 11.11.1975, Rs. 1/75 – Lokale Kosten, ECLI:EU:C:1975:145.
 
63
EuGH, Gut. v. 26.04.1977, Rs. 1/76 – Stilllegungs fonds für die Binnenschifffahrt, ECLI:EU:C:1977:63.
 
64
EuGH, Gut. v. 04.10.1979, Rs. 1/78 – Internationales Naturkautschuk-Übereinkommen, ECLI:EU:C:1979:224.
 
65
EuGH, Gut. v. 14.12.1991, Rs. 1/91 –EWR I, ECLI:EU:C:1991:490; EuGH, Gut. v. 10.04.1992, Rs. 1/92 –EWR II, ECLI:EU:C:1992:189.
 
66
EuGH, Gut. v. 19.03.1993, Rs. 2/91 – ILO-Konvention, ECLI:EU:C:1993:106.
 
67
EuGH, Gut. v. 24.03.1995, Rs. 2/92 – OECD-Beschluss, ECLI:EU:C:1995:83.
 
68
EuGH, Gut. v. 15.11.1994, Rs. 1/94 – WTO, ECLI:EU:C:1994:384.
 
69
EuGH, Gut. v. 28.03.1996, Rs. 2/94 – EMRK-Beitritt I, ECLI:EU:C:1996:140.
 
70
EuGH, Gut. v. 18.12.2014, Rs. 2/13 – EMRK-Beitritt II, ECLI:EU:C:2014:2454.
 
71
EuGH, Gut. v. 13.12.1995, Rs. 3/94 – GATT-Rahmenabkommen über Bananen, ECLI:EU:C:1995:436.
 
72
EuGH, Gut. v. 18.04.2002, Rs. 1/00 – Europäischer Luftverkehrsraum, ECLI:EU:C:2002:231.
 
73
EuGH, Gut. v. 06.12.2001, Rs. 2/00 – Protokoll von Cartagena, ECLI:EU:C:2001:664.
 
74
EuGH, Gut. v. 07.02.2006, Rs. 1/03 – Lugano-Übereinkommen, ECLI:EU:C:2006:81.
 
75
EuGH, Gut. v. 14.02.2017, Rs. 3/15 – Marrakesch-Vertrag, ECLI:EU:C:2017:114.
 
76
EuGH, Gut. v. 30.11.2009, Rs. 1/08 – GATS-Listen, ECLI:EU:C:2009:739.
 
77
EuGH, Gut. v. 08.03.2011, Rs. 1/09 – Europäisches Patentgericht, ECLI:EU:C:2011:123.
 
78
EuGH, Gut. v. 14.10.2014, Rs. 1/13 – Kindesentführung, ECLI:EU:C:2014:2303.
 
79
EuGH, Gut. v. 26.07.2017, Rs. 1/15 – Fluggastdaten-Abkommen, ECLI:EU:C:2017:592.
 
80
EuGH, Gut. v. 16.05.2017, Rs. 2/15 – EU-Singapur Freihandelsabkommen, ECLI:EU:C:2017:376.
 
81
EuGH, Gut. v. 30.04.2019, Rs. 1/17 – CETA, ECLI:EU:C:2019:341.
 
82
Diese Fragen stehen im Vordergrund bei: EuGH, Gut. v. 15.11.1994, Rs. 1/94 – WTO, ECLI:EU:C:1994:384; Gut. v. 06.12.2001, Rs. 2/00 – Protokoll von Cartagena, ECLI:EU:C:2001:664.
 
83
So erstmals in EuGH, Gut. v. 26.04.1977, Rs. 1/76 – Stilllegungs fonds für die Binnenschifffahrt, ECLI:EU:C:1977:63, Rn. 12, insoweit er „Probleme“ anspricht, „welche sich aus den Erfordernissen der auswärtigen Beziehungen der Gemeinschaft notwendigerweise ergeben, sondern zugleich die Handlungsfreiheit der Gemeinschaft in ihren auswärtigen Beziehungen aufgibt und die innere Verfassung der Gemeinschaft modifiziert, indem es im Hinblick sowohl auf die Vorrechte der Organe als auch auf die Rechtsstellung der Mitgliedstaaten zueinander wesentliche Strukturelemente der Gemeinschaft verändert“.
 
84
Andrej Lang, Der Europäische Gerichtshof und die Investor-Staat-Streitbeilegung in TTIP und CETA: Zwischen Konfrontation, Konstitutionalisierung und Zurückhaltung, in: Sinthiou Buszewski/Stefan Martini/Hannes Rathke (Hrsg.), Freihandel vs. Demokratie, 2016, 83 (89). Grundlegend zu der hinter dem Begriff der Autonomie stehenden Souveränitätskonzeption des EuGH: Andreas Bergmann, Zur Souveränitätskonzeption des Europäischen Gerichtshofs, 2018.
 
85
Oben Dritter Teil, Kap. 14, A., I., 1.
 
86
So nahm der EuGH im Gutachten 1/76 Stellung zu der geplanten Besetzung des Gerichts des Binnenschifffahrt-Stilllegungsfonds mit EuGH-Richtern und den daraus resultierenden Folgen für die Unbefangenheit der EuGH-Richter bei parallel, also vor dem EuGH und dem Gericht des Fonds, anhängigen Verfahren. EuGH, Gut. v. 26.04.1977, Rs. 1/76 – Stilllegungsfonds für die Binnenschifffahrt, ECLI:EU:C:1977:63, Rn. 22. Im Gutachten 1/91 thematisierte der EuGH die Ausgestaltung der Koordination zwischen der Rechtsprechung des geplanten EWR- und später eingerichteten EFTA-Gerichtshof mit der des EuGH. EuGH, Gut. v. 14.12.1991, Rs. 1/91 –EWR I, ECLI:EU:C:1991:490, Rn. 37 ff. Im Gutachten 2/94 prüfte der EuGH, ob der Beitritt der damaligen EG zur EMRK auf Grundlage der Generalklausel des damaligen Art. 235 EGV (heute Art. 352 AEUV) vollzogen werden durfte oder ob die Einfügung einer speziellen Rechtsgrundlage in das Primärrecht erforderlich war, weil die Einbindung der EG in das EMRK-System „von verfassungsrechtlicher Dimension“ ist und „grundlegende institutionelle Auswirkungen“ auf die Gemeinschaftsrechtsordnung hat. EuGH, Gut. v. 28.03.1996, Rs. 2/94 – EMRK-Beitritt I, ECLI:EU:C:1996:140, Rn. 35. Im Gutachten 1/09 befasste sich der EuGH mit den Konsequenzen des geplanten Vorlagemechanismus zwischen dem europäischen Patentgericht und dem EuGH auf das unionale Vorabentscheidungsverfahren zwischen dem EuGH und den nationalen Gerichten. EuGH, Gut. v. 08.03.2011, Rs. 1/09 – Europäisches Patentgericht, ECLI:EU:C:2011:123, Rn. 81 ff. Schließlich beschäftigte sich der EuGH im grundlegenden Gutachten 2/13 mit dem Entwurf der Übereinkunft über den Beitritt der EU zur EMRK (Übereinkunftsentwurf – „ÜE“) und dessen Auswirkungen auf die Autonomie der Unionsrechtsordnung und die Stellung des Gerichtshofs selbst. Dabei setzte sich der EuGH eingehend mit rechtsordnungsfremden Normen und institutionellen Arrangements auseinander, wie der Befugnis der Konventionsstaaten zu einem höheren Grundrechtsschutz nach Art. 53 EMRK (Rn. 187 ff.), dem Staatenbeschwerdeverfahren nach Art. 33 EMRK (Rn. 201 ff.), der Ausgestaltung des Mitbeschwerdegegner-Mechanismus zwischen der EU und den EU-Mitgliedstaaten vor dem EGMR gem. Art. 3 ÜE (Rn. 215 ff.), der in EMRK-Protokoll Nr. 16 vorgesehenen Möglichkeit für die höchsten Gerichte der Konventionsstaaten, den EGMR um Gutachten über Grundsatzfragen zu ersuchen (Rn. 196 ff.) sowie der Rechtsprechung des EGMR betreffend den unionalen Raum der Freiheit, Sicherheit und Justiz (Rn. 191 ff.). EuGH, Gut. v. 18.12.2014, Rs. 2/13 – EMRK-Beitritt II, ECLI:EU:C:2014:2454.
 
87
Kolumbianisches Verfassungsgericht, Entsch. v. 30.07.2002, C-578/02 – Rom Statut; Chilenisches Verfassungsgericht, Entsch. v. 08.04.2002, Nr. 346 – Rom Statut.
 
88
Kolumbianisches Verfassungsgericht, ebd., Rn. 53.
 
89
Ebd., Rn. 50 ff.
 
90
Siehe Art. 29 des ISG-Statuts.
 
91
Zwar enthält das ISG-Statut keine Bestimmung zur Zulässigkeit von Amnestien, allerdings wurde nach der Verabschiedung des Statuts diskutiert, ob Amnestien mit dem ISG-Statut unvereinbar sind, weil dessen Ziel gerade in der Beendigung von Straffreiheit liegt. Zu dieser Diskussion: Diba Majzub, Peace or Justice? Amnesties and the International Criminal Court, MJIL 3 (2002). Für lateinamerikanische Staaten liegt hier ein Problem, weil Amnestien in Lateinamerika traditionell ein zentrales Instrument zur Befriedung politischer Konflikte sind. Dieser Praxis ist der IAGMR insbesondere in seiner berühmten Barrios Altos-Entscheidung von entgegengetreten. Siehe IAGMR, Urt. v. 14.03.2001, Series C, No. 75 – Barrios Altos v. Peru. Diese Rechtsprechung des IAGMR zitiert das kolumbianische Verfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Römischen Statut, wenn es darauf hinweist, dass auch nach der kolumbianischen Verfassung Amnestien für schwere Menschenrechtsverletzungen unzulässig sind. Kolumbianisches Verfassungsgericht, Entsch. v. 30.07.2002, C-578/02 – Rom Statut, Teil 4.3.2.1.7. Das Gericht besteht allerdings darauf, dass Amnestien in bestimmten Konstellationen, etwa im Fall politischer Verbrechen, zulässig bleiben müssen. Instruktiv zur Rolle des IAGMR im Bereich der Amnestien: Christina Binder, Auf dem Weg zum lateinamerikanischen Verfassungsgericht? Die Rechtsprechung des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs im Bereich der Amnestien, ZaöRV 71 (2011), 1 ff.
 
92
Chilenisches Verfassungsgericht, Entsch. v. 08.04.2002, Nr. 346 – Rom Statut. Dazu Rodrigo Correa, Chile, ICON 1 (2003), 130 ff.; José Estay, The Impact of the Jurisprudence Inter-American Court of Human Rights on the Chilean Constitutional System, in: Rainer Arnold (Hrsg.), The universalism of human rights, 2012, 63 (71).
 
93
Rodrigo Correa, ebd., 131 f.
 
94
Privy Council, Urt. v. 03.02.2005, [2005] UKPC 3 (Jamaica) – Independent Jamaica Council for Human Rights (1998) Ltd v Marshall-Burnett. Dazu Nadia Bernaz, Delivering justice in the Caribbean: A human rights assessment of the Caribbean Court of Justice, P.L. 2012, 703 (706 f.).
 
95
Hier lassen sich gewisse Parallelen zum Gutachten des EuGH zum Beitritt der EU zur EMRK erkennen. Der EuGH entschied, dass ein Beitritt zur EMRK auf Grundlage der gegenwärtigen vertraglichen Rechtsgrundlage nicht möglich sei, sondern einer Vertragsänderung bedürfe. EuGH, Gut. v. 28.03.1996, Rs. 2/94 – EMRK-Beitritt I, ECLI:EU:C:1996:140. Dadurch erschwerte der Gerichtshof die Anforderungen für einen Beitritt in einer Weise, die die politischen Akteure für einen langen Zeitraum nicht erfüllten. Gleichzeitig wehrte der EuGH damit – ähnlich wie der Privy Council – einen verstärkten Einfluss seines gerichtlichen Konkurrenten, des EGMR, im Bereich der EU ab. Dazu Nikolaos Lavranos, Das So-Lange-Prinzip im Verhältnis von EGMR und EuGH, EuR 2006, 79 (79 f.).
 
96
Roman Lehner, Die „Integrationsverfassungsbeschwerde“ nach Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG: prozessuale und materiell-rechtliche Folgefragen zu einer objektiven Verfassungswahrungsbeschwerde, Der Staat 52 (2013), 535 ff.
 
97
Der französische Conseil constitutionnel, der nach dem Kelsenschen Modell der Verfassungsgerichtsbarkeit ausgestaltet wurde, verfügt über eine weitreichende präventive Normenkontrollbefugnis, die sich nach Art. 54 der französischen Verfassung ausdrücklich auf die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von inter- und supranationalen Verträgen vor ihrer Ausfertigung bzw. Verkündung erstreckt. Im Unterschied zum Bundesverfassungsgericht war der Verfassungsrat jedoch lange darauf beschränkt, die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes ausschließlich ex-ante vor der Verkündung zu überprüfen. Erst mit der Verfassungsänderung vom 23.07.2008 wurde in Form der question prioritaire de constitutionnalité eine konkreten Normenkontrollbefugnis eingefügt, die dem Verfassungsrat eine ex-post Kontrolle von bereits in Kraft getretenen Gesetzen ermöglicht. Verfassungsgesetz Nr. 2008-724 v. 23.07.2008. Siehe zur konkreten Normenkontrolle durch den Conseil: Nikolaus Marsch, Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Nikolaus Marsch/Yoan Vilain/Mattias Wendel (Hrsg.), Französisches und Deutsches Verfassungsrecht, 2015, § 6, Rn. 59 ff.
 
98
Nach Art. 218 Abs. 11 AEUV können ein Mitgliedstaat, das Europäische Parlament, der Rat oder die Kommission vor Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages ein Gutachten des Gerichtshofs über die Vereinbarkeit einer geplanten Übereinkunft mit den Verträgen einholen. Von dieser Möglichkeit einer präventiven Rechtmäßigkeitskontrolle wurde u. a. in folgenden Fällen Gebrauch gemacht: EuGH, Gut. v. 11.11.1975, Rs. 1/75 – Lokale Kosten, ECLI:EU:C:1975:145; Gut. v. 28.03.1996, Rs. 2/94 – EMRK-Beitritt II, ECLI:EU:C:1996:140; Gut. v. 06.12.2001, Rs. 2/00 – Protokoll von Cartagena, ECLI:EU:C:2001:664. Zur rechtspolitischen Frage der Einführung eines Gutachtenverfahrens in Deutschland: Frank Burmeister, Gutachten des Bundesverfassungsgerichts zu völkerrechtlichen Verträgen, 1998.
 
99
BVerfGE 89, 155 (207) – Maastricht (1993). Art. 38 GG hat demzufolge einen „grundlegende(n) demokratische(n) Gehalt“. Ebd., 171. Das Recht auf Teilnahme an der Wahl der Bundestagsabgeordneten ist verletzt, „wenn die Wahrnehmung der Kompetenzen des Deutschen Bundestages so weitgehend auf ein von den Regierungen gebildetes Organ der Europäischen Union oder der Europäischen Gemeinschaften übergeht, dass die nach Art. 20 Abs. 1 und 2 i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG unverzichtbaren Mindestanforderungen demokratischer Legitimation der dem Bürger gegenübertretenden Hoheitsgewalt nicht mehr erfüllt werden“. Ebd., 172.
 
100
Im Kontext der EU hat J.H.H. Weiler die Kombination aus dem Grundsatz der unmittelbaren Wirkung des Unionsrecht und dem Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV treffend als „Modell des privaten Staatsanwalts“ bezeichnet. Siehe J.H.H. Weiler, Journey to an Unknown Destination: A Retrospective and Prospective of the European Court of Justice in the Arena of Political Integration, JCMS 31 (1993), 417 (421). Inwieweit die prozessuale Konstruktion des Bundesverfassungsgerichts tatsächlich mit der Rechtsprechung des EuGH vergleichbar ist, wird in der deutschen Rechtswissenschaft kontrovers diskutiert. Dafür: Klaus Gärditz/Christian Hillgruber, Volkssouveränität und Demokratie ernst genommen, JZ 64 (2009), 872 (872 f.); dagegen: Matthias Ruffert, Die Europäische Schuldenkrise vor dem Bundesverfassungsgericht, EuR 2011, 842 (845 f.).
 
101
Die abstrakte Normenkontrolle gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG setzt einen Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Drittels der Mitglieder des Bundestages voraus. Wenn aber nur eine handvoll europakritischer Abgeordneter eine verfassungsgerichtliche Überprüfung des Zustimmungsgesetzes zu einem europäischen Vertrag begehren, muss das Bundesverfassungsgericht, will es in der Sache entscheiden, eine alternative prozedurale Zugangsmöglichkeit schaffen. Diese Funktion erfüllt die „Integrationsverfassungsbeschwerde“, die im CETA-Verfahren eine neue Dimension erreicht hat. Dort haben sich in der größten Bürgerklage in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland fast 200.000 Bürger – genau: 193.092 Bürger – als Beschwerdeführer an den Verfassungsbeschwerden gegen die Ratifizierung des Comprehensive Economic and Trade Agreement zwischen der EU und Kanada durch Deutschland gewendet. Vgl. BVerfGE 143, 65 – CETA (2016).
 
102
Jedenfalls haben die Bundespräsidenten Herzog und Köhler die Ratifizierung der Verträge von Maastricht und des Europäischen Verfassungsvertrag bis nach der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht ausgesetzt.
 
103
Für das spanische Verfassungsgericht: Tribunal Constitucional, Erklärung v. 24.07.1992, DTC 1/1992 – Maastricht, EuGRZ 1993, 285 ff. Grund war, dass nach Auffassung des Tribunals ein Kommunalwahlrecht für EU-Bürger nicht ohne Änderung der spanischen Verfassung eingeführt werden durfte. Für das chilenische Verfassungsgericht: Chilenisches Verfassungsgericht, Entsch. v. 08.04.2002, Nr. 346 – Rom Statut.
 
104
David Marrani, A Love-Hate Relationship: France and European law, CJEL 16 (2010), 171 (180).
 
105
In Frankreich kann die Verfassung grundsätzlich durch eine Mehrheit von drei Fünfteln der Abgeordneten in der Nationalversammlung und im Senat geändert werden.
 
106
Vgl. François-Xavier Millet, Constitutional Identity in France, in: Christian Calliess/Gerhard van der Schyff (Hrsg.), Constitutional Identity in a Europe of Multilevel Constitutionalism, 2019, 134 (138 f.). Ein Sonderfall ist das Crotty-Urteil, in dem der irische Supreme Court für die Zustimmung zu einem europäischen Vertrag ein Referendum forderte. Supreme Court of Ireland, Urt. v. 09.04.1987, No. 12036P – Raymond Crotty v. An Taoiseach, [1987] IR 713. Hier zielt das Gericht zwar – wie der französische Verfassungsrat – ersichtlich auf eine stärkere Legitimierung der Übertragung von Hoheitsrechten ab, nimmt aber – anders als der Verfassungsrat – ein erhebliches Risiko in Kauf, dass angesichts der relativen Unberechenbarkeit von Volksentscheiden die Zustimmung zum Vertrag vereitelt wird.
 
107
Oben, Kap. 5, C. Eingehend: Charles Black, The People and the Court, 1960, 34 ff.
 
108
Christian Walter, Der französische Verfassungsrat und das Recht der Europäischen Union, EuGRZ 2005, 77 (83).
 
109
Dazu Fromont süffisant: „In der französischen Rechtsordnung ist der Verfassungsgeber souverän, nicht das Verfassungsgericht wie in der deutschen Rechtsordnung.“ Michel Fromont, Europa und nationales Verfassungsrecht nach dem Maastricht-Urteil – Kritische Bemerkungen, JZ 50 (1995), 800 (803).
 
110
Catherine Haguenau-Moizard, Offene Staatlichkeit: Frankreich, in: Armin von Bogdandy/Pedro Cruz Villalón/Peter Huber (Hrsg.), Handbuch Ius Publicum Europaeum, Bd II, 2008, § 15, 37 (55). So wurde die Unvereinbarkeit des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger mit der französischen Verfassung durch die Einführung des Art. 88-3 CF geheilt, der in Frankreich ansässigen Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten das Wahlrecht bei Kommunalwahlen gewährt. Ebd., 56. Siehe auch Franz Mayer/Edgar Lenski/Mattias Wendel, Der Vorrang des Europarechts in Frankreich, EuR 2008 63 (69). Eine Ausnahme ist die Entscheidung des Verfassungsrats zur Europäischen Charta zum Schutze von Minderheiten, wo mangels Verfassungsänderung die Ratifikation nicht erfolgte. Siehe Christian Walter, Der französische Verfassungsrat und das Recht der Europäischen Union, EuGRZ 2005, 77 (78).
 
111
In Deutschland bestimmte das Bundesverfassungsgericht im Lissabon-Urteil, dass im Zusammenhang mit den unionsrechtlichen Verfahren der dynamischen Vertragsentwicklung, dem vereinfachten Vertragsänderungsverfahren nach Art. 48 Abs. 6 EUV, der allgemeinen Brückenklausel nach Art. 48 Abs. 7 EUV, der Flexibilitätsklausel nach Art. 352 AEUV, dem Notbremseverfahren nach Art. 82 Abs. 3, Art. 83 Abs. 3 AEUV sowie der dynamischen Blankettermächtigung nach Art. 83 Abs. 1 UAbs. AEUV, jeweils die Zustimmung Deutschlands eine vorherige Zustimmung des Gesetzgebers voraussetzt. BVerfGE 123, 267 (434 ff.) – Lissabon (2009). In Frankreich forderte der Conseil Constitutionnel – deutlich weniger weitgehend als das Bundesverfassungsgericht – in seinen Urteilen zum Verfassungsvertrag und zum Vertrag von Lissabon die Schaffung nationaler Verfahren, die den beiden Kammern des Parlaments die Möglichkeit verschaffen, bestimmte im Verfassungsvertrag eingeräumte Rechte nationaler Parlamente wahrzunehmen. Conseil constitutionnel, Entsch. v. 19.11.2004, Nr. 2004-505 DC – Verfassungsvertrag, Rec. 173, Rn. 36; Entsch. v. 20.12.2007, Nr. 2007-560 DC – Lissabon, Rec. 459, Rn. 26. Anders aber der polnischer Verfassungsgerichtshof, der die Einbindung des Parlaments nicht als Aufgabe der Verfassungsgerichtsbarkeit, sondern des politischen Prozesses betrachtet. Polnischer Verfassungsgerichtshof, Urt. v. 24.11.2010, K 32/09 – Lissabon, Teil III.2.6.
 
112
In Deutschland etwa wurde wenige Monate nach dem Lissabon-Urteil das sog. Integrationsverantwortungsgesetz vom 22.09.2009 verabschiedet, BGBl. I, 3022.
 
113
Erforderlich ist eine Mehrheit von 3/5 der Abgeordneten in beiden Kammern.
 
114
Denn zum Zeitpunkt des Urteils war der Beitritt Chiles zum Statut Gegenstand einer hitzigen politischen Kontroverse und die für eine Verfassungsänderung erforderliche Mehrheit gab es nicht. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Festnahme Pinochets in London im Jahr 1998, in dem auch das Rom-Statut unterzeichnet wurde. Insbesondere die politische Rechte erblickte in der Festnahme des früheren chilenischen Staatschefs eine Verletzung chilenischer Souveränität, die auch die Einstellung zum Römischen Statut belastete. Dazu näher Rodrigo Correa, Chile, ICON 1 (2003), 130 ff. Im Jahr 2009 aber stimmten das Abgeordnetenhaus und der Senat der Ratifizierung des Statuts mit großer Mehrheit zu. Im Senat stimmten 34 von 36, im Abgeordnetenhaus 89 von 96 Abgeordneten für die Ratifizierung. Siehe www.​pgaction.​org/​news/​chile-rome-statute-icc.​html (30.12.2019).
 
115
Auch im Fall der Entscheidung des Privy Councils stand – insofern durchaus vergleichbar mit der Ratifizierung des Rom-Statuts – nicht die Mitgliedschaft Jamaikas oder eine für alle Mitgliedstaaten der Karabischen Gemeinschaft verbindlich geltende Vereinbarung auf dem Spiel.
 
116
Catherine Haguenau-Moizard, Offene Staatlichkeit: Frankreich, in: Armin von Bogdandy/Pedro Cruz Villalón/Peter Huber (Hrsg.), Handbuch Ius Publicum Europaeum, Bd. II, 2008, § 15, 37 (52).
 
117
Nach Auffassung des Tribunals ist das Verhältnis zwischen dem spanischen Recht und dem Unionsrecht durch primacia und nicht durch supremacia gekennzeichnet. Ersteres „stellt sich nicht als hierarchische Überordnung, sondern als ein ‚existenzielles Erfordernis‘ dieses Rechts dar, um in der Praxis die unmittelbare und die einheitliche Anwendung in allen Staaten zu erreichen.“ Tribunal Constitucional, Erklär. v. 13.12.2004, DTC 1/2004 – Verfassungsvertrag, EuR 2005, 339 (343). Primacia behaupte „sich nicht notwendigerweise über Hierarchie, sondern besteht in der Unterscheidung der Anwendungsbereiche verschiedener, grundsätzlich gültiger Normen, von denen trotz- dem die eine oder einige die Fähigkeit besitzen, andere aus verschiedenen Gründen aufgrund ihrer vorzugsweisen oder vorgehenden Anwendung zu verdrängen“. Ebd., 346. Dagegen steht hinter der supremacia „der hierarchisch höherrangige Charakter einer Norm, weswegen sie Geltungsgrund der ihr nachgeordneten Normen ist, mit der Folge der Ungültigkeit der niedrigeren Normen, wenn sie gegen das in der höherrangigen Norm zwingend Angeordnete verstoßen“. Ebd. Nach Überzeugung des Tribunals ist die primacia des Unionsrechts mit der supremacia der Verfassung vereinbar, „vorausgesetzt, dass die Verfassung selbst es so bestimmt hat“. Ebd.
 
118
David Robertson, The judge as political theorist, 2010.
 
119
BVerfGE 123, 267 – Lissabon (2009).
 
120
Vgl. Polnischer Verfassungsgerichtshof, Urt. v. 24.11.2010, K 32/09 – Lissabon, Teil III.3.8.; Conseil constitutionnel, Entsch. v. 19.11.2004, Nr. 2004-505 DC – Verfassungsvertrag, Rec. 173, EuGRZ 2005, 45, 7., 24., 27., 29. und 33. Begründungserwägung. Siehe näher Christian Walter, Der französische Verfassungsrat und das Recht der Europäischen Union, EuGRZ 2005, 77 (83). Zum Souveränitätsverständnis in Frankreich: Jacques Ziller, Sovereignty in France: Getting Rid of the Mal de Bodin, in: Neil Walker (Hrsg.), Sovereignty in Transition, 2003, 261 (271 ff.).
 
121
Im Maastricht-Urteil wurde zwar ebenfalls das Demokratieprinzip zum Zweck der Vertragskontrolle operationalisiert, allerdings waren die demokratietheoretischen Erwägungen des Gerichts noch stärker mit staatlichen Souveränitätsbelangen vermischt. Vgl. BVerfGE 89, 155 (182 ff.) – Maastricht (1993). Kritisch: J.H.H. Weiler, The State „über alles“. Demos, Telos and the German Maastricht Decision, in: Ole Due/Marcus Lutter/Jürgen Schwarze (Hrsg.), FS Everling, Bd. 2, 1995, 1651 ff.
 
122
Zur Ultra-vires-Kontrolle im Einzelnen unten Dritter Teil, Kap. 18, B.
 
123
Dazu unten Dritter Teil, Kap. 17, A., II.
 
124
BVerfGE 123, 267 (358) – Lissabon (2009).
 
125
BVerfGE 123, 267 (356) – Lissabon (2009). Kritisch zum bundesverfassungsgerichtlichen Konzept der Integrationsverantwortung: Michael Tischendorf, Theorie und Wirklichkeit der Integrationsverantwortung deutscher Verfassungsorgane, 2017. Differenzierend: Matthias Ruffert, Das Bundesverfassungsgericht als Akteur im Prozess der europäischen Integration, EuGRZ 2017, 241 (246 ff.).
 
126
Der gleiche Mechanismus findet sich im Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf die Grundrechte. Danach dürfen keine Durchgriffsbefugnisse an die Europäische Union in grundrechtssensiblen Bereichen übertragen werden, ohne dass auf europäischer Ebene ein adäquater Grundrechtsschutz besteht. Dabei stellt das Bundesverfassungsgericht aber nicht fest, dass das Zustimmungsgesetz aus diesem Grund verfassungswidrig ist, sondern dass zukünftige Kompetenzübertragungen verfassungswidrig sein könnten, wenn den übertragenen Durchgriffsbefugnissen im grundrechtssensiblen Bereichen kein adäquater Grundrechtsschutz korrespondiert. Der darin enthaltene Auftrag an die europäischen Institutionen liegt darin, einen adäquateren Grundrechtsschutz in der EU zu entwickeln, will man auch zukünftig noch Kompetenzen übertragen bekommen.
 
127
Oben Erster Teil, Kap. 6, E. und Kap. 7, C.
 
128
Mattias Wendel, Richterliche Rechtsvergleichung als Dialogform: Die Integrationsrechtsprechung nationaler Verfassungsgerichte in gemeineuropäischer Perspektive, Der Staat 52 (2013), 339 (353 f.).
 
129
Ebd., 348. Zur Herausbildung der Verfassungsidentität als rechtsordnungsübergreifende Hintergrundnorm im EU-Kontext im Zusammenhang mit der Frage des Kontrollmaßstabs, siehe oben Dritter Teil, Kap. 17, A., II.
 
130
Ebd., 350.
 
131
Aus den Entscheidungsgründen des tschechischen Verfassungsgerichts geht hervor, dass die Antragsteller das Verfassungsgericht durch Verweisung auf die Rechtsprechung des BVerfG dazu bewegen möchten, strengere verfassungsrechtliche Grenzen für den europäischen Integrationsprozess zu statuieren. Vgl. Tschechisches Verfassungsgericht, Urt. v. 03.11.2009, Pl. ÚS 29/09 – Lissabon II, Rn. 110.
 
132
Vgl. oben Dritter Teil, Kap. 14, A., II., 1., b.
 
133
Grundlegend zum Verhältnis des EuGH zu internationalen Gerichten: Tobias Lock, The European Court of Justice and International Courts, 2015.
 
134
Siehe nur EuGH, Gut. v. 26.04.1977, Rs. 1/76 – Stilllegungsfonds für die Binnenschifffahrt, ECLI:EU:C:1977:63, Rn. 22; Gut. v. 14.12.1991, Rs. 1/91 – EWR I, ECLI:EU:C:1991:490, Rn. 72; Gut. v. 28.03.1996, Rs. 2/94 – EMRK-Beitritt I, ECLI:EU:C:1996:140, Rn. 36; Gut. v. 08.03.2011, Rs. 1/09 – Europäisches Patentgericht, ECLI:EU:C:2011:123, Rn. 89; Gut. v. 18.12.2014, Rs. 2/13 – EMRK-Beitritt II, ECLI:EU:C:2014:2454, Rn. 258.
 
135
Im Gutachten 1/91 hatte der EuGH den ursprünglichen Entwurf zum EWR-Vertrag vor allem deshalb für unvereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht erachtet, weil er angesichts der Vielzahl gleichlautender Bestimmungen im EWR-Vertragsentwurf und im Gemeinschaftsrecht erhebliche Inkonsistenzen in der Interpretation gleichlautender Normen durch den EuGH und den EWR-Gerichtshof befürchtete. Vgl. EuGH, Gut. v. 14.12.1991, Rs. 1/91 – EWR I, ECLI:EU:C:1991:490, Rn. 45 f. In Reaktion auf die Bedenken des EuGH wurde statt des EWR-Gerichtshofs der EFTA-Gerichtshof eingerichtet und ein institutioneller Mechanismus zur Gewährleistung der homogenen Auslegung und Anwendung des Rechts im Europäischen Wirtschaftsraum vorgesehen. Vor diesem Hintergrund bestätigte der EuGH im Gutachten 1/92 die Vereinbarkeit des EWR-Vertrags mit dem Gemeinschaftsrecht. EuGH, Gut. v. 10.04.1992, Rs. 1/92 – EWR II, ECLI:EU:C:1992:189, Rn. 42. Im Gutachten 2/94 hatte der EuGH entschieden, dass der Beitritt der EU zur EMRK wegen seiner „verfassungsrechtliche[n] Dimension“ einer Vertragsänderung bedürfe. EuGH, Gut. v. 28.03.1996, Rs. 2/94 – EMRK-Beitritt I, ECLI:EU:C:1996:140. Mit dem Vertrag von Lissabon wurde in Form von Art. 6 Abs. 2 EUV eine spezielle primärrechtliche Rechtsgrundlage für den Beitritt geschaffen. Im Gutachten 1/09 befand der EuGH das geplante Übereinkommen über das Gericht für europäische Patente und Gemeinschaftspatente insbesondere deshalb für unionsrechtswidrig, weil der geplante Vorlagemechanismus zwischen dem Europäischen Patentgericht und dem EuGH eine Umgehung der nationalen Gerichte ermöglichte. EuGH, Gut. v. 08.03.2011, Rs. 1/09 – Europäisches Patentgericht, ECLI:EU:C:2011:123, Rn. 89. Mittlerweile wurde das Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht, das keine Einbindung des EuGH vorsieht, von 25 EU-Mitgliedstaaten – freilich ohne Beteiligung der EU selbst – unterzeichnet.
 
136
Siehe für einen Überblick über die bereits seit Ende der 1970er-Jahre laufenden politischen Diskussionen über einen Beitritt der EU zur EMRK: Walther Michl, Die Überprüfung des Unionsrechts am Maßstab der EMRK, 2014, 51 ff.
 
137
Siehe oben Dritter Teil, Kap. 14, A., II., 1., a.
 
138
Oben Dritter Teil, Kap. 14, A., II., 1., a.
 
139
Kritik am Gutachten 2/13 üben Stian Johansen, The Reinterpretation of TFEU Article 344 in Opinion 2/13 and its Potential Consequences, GLJ 16 (2015), 169 ff.; Adam Lazowski/Ramses Wessel, When Caveats Turn into Locks: Opinion 2/13 on Accession of the European Union to the ECHR, GLJ 16 (2015), 179 ff.; Steve Peers, The EU’s Accession to the ECHR: The Dream Becomes a Nightmare, GLJ 16 (2015), 213 ff.; Piet Eeckhout, Opinion 2/13 on EU Accession to the ECHR and Judicial Dialogue – Autonomy or Autarky?, Fordham Int’l L. J. 38 (2015), 955 ff.; Turkuler Isiksel, European Exceptionalism and the EU’s Accession to the ECHR, EJIL 27 (2016), 565 ff.; Marten Breuer, „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ Das zweite Gutachten des EuGH zum EMRK-Beitritt der Europäischen Union, EuR 2015, 330 ff.; Mattias Wendel, Der EMRK-Beitritt als Unionsrechtsverstoß, NJW 2015, 921 ff.; Daniel Engel, Der Beitritt der Europäischen Union zur EMRK, 2015, 313 ff. Verteidigend: Daniel Halberstam, „It’s the Autonomy, Stupid!“ A Modest Defense of Opinion 2/13 on EU Accession to the ECHR, and the Way Forward, GLJ 16 (2015), 105 ff.; Christoph Krenn, Autonomy and Effectiveness as Common Concerns: A Path to ECHR Accession After Opinion 2/13, German L.J. 16 (2015), 147 ff.; Stefanie Schmahl, Der Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention: Wo liegt das Problem?, JZ 71 (2016), 921 ff.
 
140
Zu den Aussichten eines Beitritts der EU zur EMRK nach dem Gutachten 2/13: Tobias Lock, The future of the European Union’s accession to the European Convention on Human Rights after Opinion 2/13: Is it still possible and is it still desirable?, EuConst 11 (2015), 239 ff.
 
141
Siehe aber Matthias Jestaedt/Oliver Lepsius/Christoph Möllers/Christoph Schönberger (Hrsg.), Das entgrenzte Gericht, 2011.
 
142
In diesem Sinne auch Closa, demzufolge der verfassungsgerichtliche Einfluss auf den europäischen Integrationsprozess „can be channelled, for instance, through mechanisms such as strong interpretative verdicts or parallel domestic reforms“. Carlos Closa, National Higher Courts and the Ratification of EU Treaties, WEP 36 (2013), 97 (117). Siehe auch Christian Walter, Der französische Verfassungsrat und das Recht der Europäischen Union, EuGRZ 2005, 77 (84), nach dem „[ü]ber solche Appelle in Entscheidungen mitgliedstaatlicher Gerichte […] ein informeller Dialog zwischen den Gerichten statt[findet], der auf Sensibilitäten aufmerksam macht und so auch jenseits der sich üblicherweise aus dem Prozessrecht ergebenden Förmlichkeit des Verhältnis von Gerichten unterschiedlicher Rechtsordnungen wichtige Impulse für die Fortentwicklung der jeweiligen Rechtsprechung oder das Festhalten am bestehenden Stand geben kann“.
 
143
Dazu näher Christoph Möllers, Die drei Gewalten, 2008, 100 ff. Freilich stellen sich im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle teilweise vergleichbare Probleme. Allerdings ist das dynamische Entwicklungspotenzial im Zusammenhang mit inter- und supranationalen Gründungsverträgen besonders ausgeprägt.
 
144
Sobald ein Völkerrechtsvertrag durch das parlamentarische Zustimmungsgesetz ratifiziert wurde, ist der Nationalstaat völkerrechtlich gebunden, auch wenn das Verfassungsgericht nachträglich die Verfassungswidrigkeit des Zustimmungsgesetzes feststellt. Obwohl das Gesetz aus verfassungsrechtlicher Perspektive (teil-)nichtig ist, ist der Staat nach Art. 46 Abs. 1 WVRK völkerrechtlich grundsätzlich gebunden.
 
145
So die Argumentation der Bundesverfassungsrichter Rupp, Hirsch und Wand zum abgeleiteten Gemeinschaftsrecht in ihrer abweichenden Meinung zum Solange I-Beschluss. Siehe BVerfGE 37, 271(299) – Solange I (1974).
 
146
Zum Hintergrund: Unten Dritter Teil, Kap. 15, A., I., 2., a.
 
147
Vgl. BVerfGE 102, 147 – Bananenmarkt (2000).
 
148
Die Legitimation der Judikative beruht Möllers zufolge in erster Linie auf ihrem individuell ausgerichteten, individualisierenden Entscheidungscharakter. Siehe Christoph Möllers, Die drei Gewalten, 2008, 100 ff.
 
149
Oben Dritter Teil, Kap. 14, A., II., 2.
 
150
Oben Dritter Teil, Kap. 14, B., I.
 
151
In diesem Sinne auch Matthias Kottmann, Introvertierte Rechtsgemeinschaft, 2014, 296 ff.
 
152
Winfried Hassemer, Juristische Hermeneutik, ARSP 72 (1986), 195 (200).
 
153
Vgl. Gunther Teubner, Folgenkontrolle und Responsive Dogmatik, Rechtstheorie 6 (1975), 179 (181 f.), dem zufolge Folgenorientierung – offen oder verdeckt – zum Gerichtsalltag zählt.
 
154
Exemplarisch: OECD, The Economic Consequences of Brexit: A Taxing Decision, Policy Paper No. 16 (April 2016). Zum rechtlichen Rahmen für einen Austritt aus der EU, siehe Vassilios Skouris, Brexit: Rechtliche Vorgaben für den Austritt aus der EU, EuZW 2016, 806 ff.; Alexander Thiele, Der Austritt aus der EU – Hintergründe und rechtliche Rahmenbedingungen eines „Brexit“, EuR 2016, 281 ff.
 
155
Grundlegend zur Rolle des EuGH als Wächter der Unionsgrundrechte: Meike Hentschel-Bednorz, Derzeitige Rolle und zukünftige Perspektive des EuGH im Mehrebenensystem des Grundrechtsschutzes in Europa, 2012.
 
156
Eine spieltheoretisch vergleichbare Konstellation liegt vor, wenn das Volk eines Mitgliedstaats mittels eines Referendums über die Ratifizierung eines von allen Mitgliedstaaten beschlossenen europäischen Vertrags entscheidet. Seit der Gründung der EWG wurden insgesamt 17 solcher Referenden im Zusammenhang mit der Ersten Erweiterung der EG 1973, der Einheitlichen Europäische Akte, den Verträgen von Maastricht, Amsterdam, Nizza und Lissabon, sowie der geplanten Europäischen Verfassung und dem Europäischen Fiskalpakt durchgeführt, allein 7 davon in Irland. Nach der ursprünglichen Ablehnung der Ratifizierung des Vertrags von Maastricht durch Dänemark 1992 und des Vertrags von Nizza durch Irland 2001 wurde nach überwiegend symbolischen Zugeständnissen der anderen Mitgliedstaaten der Vertrag in einer zweiten Volksabstimmung durch das Volk abgesegnet. Dagegen brachten die ablehnenden Referenden in Frankreich vom 29.05.2005 und in den Niederlanden vom 01.06.2005 gegen die geplante Europäische Verfassung das Verfassungsprojekt zum Scheitern. Instruktiv zum Phänomen der EU-Vertragsreferenden: Patricia Roberts-Thomson, EU treaty referendums and the European union, J. Eur. Integrat. 23 (2001), 105 ff. Kritisch zur geringen Rolle von Vertragsreferenden in der EU: Andreas Auer, Editorial: The people have spoken: abide? A critical view of the EU’s dramatic referendum (in)experience, EuConst 12 (2016), 397 ff.
 
157
Diese Anpassungserfordernisse ergeben sich erstens daraus, dass infolge des geplanten Beitritts mit der EU und den Mitgliedstaaten erstmals zwei verschiedene Einheiten desselben föderalen Gebildes parallel Mitglieder der EMRK sein werden. Zweitens zeichnet sich der Vollzug in der EU dadurch aus, dass Regeln der EU in der Regel durch die Mitgliedstaaten vollzogen werden. Beides erschwert die Verantwortlichkeit für und Zurechenbarkeit von Konventionsverstößen. Siehe dazu näher Christoph Krenn, Autonomy and Effectiveness as Common Concerns: A Path to ECHR Accession After Opinion 2/13, German L.J. 16 (2015), 147 (150 f.).
 
158
Exemplarisch lässt sich dies am Verfahren der Vorabbefassung des EuGH in Mitbeschwerdegegnerfällen gemäß Art. 3 Abs. 6 ÜE illustrieren, das eine Umgehung des EuGH durch die EU-Mitgliedstaaten verhindern soll.
 
159
Siehe Robert Harmsen, The (Geo-)Politics of the EU Accession to the ECHR: Democracy and Distrust in the Wider Europe, in: Vasiliki Kosta/Nikos Skoutaris/Vassilis Tzevelekos (Hrsg.), The EU Accession to the ECHR, 2014, 199 (206 f.). Zum Verhandlungsprozess im Einzelnen, siehe Andrew Drzemczewski, The EU Accession to the ECHR: The Negotiation Process, in: Vasiliki Kosta/Nikos Skoutaris/Vassilis Tzevelekos (Hrsg.), The EU Accession to the ECHR, 2014, 17 ff.
 
160
Vgl. Lucas Lixinski, Taming the Fragmentation Monster through Human Rights?, in: Vasiliki Kosta/Nikos Skoutaris/Vassilis Tzevelekos (Hrsg.), The EU Accession to the ECHR, 2014, 219 (230 ff.).
 
161
Ebd., 232.
 
162
Gemeinsame Erklärung der Präsidenten von EGMR (Jean-Paul Costa) und EuGH (Vassilios Skouris) vom 24.01.2011, EuGRZ 2011, 95.
 
163
Vgl. Neal Tate/Torbjorn Vallinder (Hrsg.), The Global Expansion of Judicial Power, 1995.
 
164
Vgl. Matthias Jestaedt/Oliver Lepsius/Christoph Möllers/Christoph Schönberger (Hrsg.), Das entgrenzte Gericht, 2011.
 
165
Kritisch zum Verständnis der Verfassungsgerichtsbarkeit als die „Instanz des letzten Wortes“: Andrej Lang, Wider die Metapher vom letzten Wort: Verfassungsgerichte als Wegweiser, in: Dominik Elser u. a. (Hrsg.), Das letzte Wort – Rechtsetzung und Rechtskontrolle in der Demokratie, 2014, 15 ff.
 
166
Dazu schon ebd.
 
167
So ausdrücklich im Hinblick auf den US Supreme Court: Eugene Rostow, The Democratic Character of Judicial Review, Harv. L. Rev. 66 (1952), 193 (208): „[T]he Justices are inevitably teachers in a vital national seminar.“ Zustimmend Marna Tucker, The Judge’s Role in Educating the Public About the Law, Cath. U. L. Rev. 31 (1982), 201 (205); Aharon Barak, The Judge in a Democracy, 2006, 23.
 
168
Zu diesem normativen Gesichtspunkt: Oben Erster Teil, Kap. 4, A., II.
 
169
Vgl. oben, Erster Teil, Kap. 5, C. und Kap. 14, A., II., 1, a.
 
170
Zumal in Deutschland sowohl die Konservativen als auch die Linken traditionell europafreundlich sind. Es gibt keine relevante parlamentarische Opposition, die europaskeptische Bestrebungen in der Bevölkerung in das parlamentarische Verfahren einbringen könnte, so dass diese dort gehört, abgewogen und verworfen werden.
 
171
Der OMT-Beschluss betrifft nicht das europäische Vertragsrecht, sondern das abgeleitete Recht, übernimmt aber teilweise äquivalente Funktionen. Die Abgrenzung zwischen den Zwecken der Vertragskontrolle und der Kontrolle des abgeleiteten Rechts ist nicht immer trennscharf.
 
172
Jedenfalls erhalten die Beschwerdeführer um Herrn Gauweiler in den Vertragsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht regelmäßig die Kosten erstattet, obwohl sie im Rechtsstreit unterliegen, weil sie zur „Klärung grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Fragen“ beitragen. Siehe Christian Rath, Der Schiedsrichterstaat: Die Macht des Bundesverfassungsgerichts, 2013, 20. Grundsätzlich zu dieser Anreizstruktur: Alec Stone Sweet, Governing with Judges, 2000, 141 ff.
 
173
In Deutschland wird diese Gefahr durch die signifikante Rolle der Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG für den europäischen Integrationsprozess noch verstärkt, der selbst der Dispositionsbefugnis des verfassungsändernden Gesetzgebers entzogen ist.
 
174
In diesem Sinne J.H.H. Weiler, Editorial: Judicial Ego, ICON 9 (2011), 1 (2), der meint, dass das Bundesverfassungsgericht „has cried Wolf too many times to be taken seriously“.
 
175
Vgl. Reinhard Müller, Noch ein „Ja, aber“? Im EZB-Verfahren ruht wieder eine große Last auf dem Bundesverfassungsgericht, FAZ v. 31.01.2014, 10.
 
Metadaten
Titel
Kapitel 14: Das Vertragsrecht als Kontrollgegenstand
verfasst von
Andrej Lang
Copyright-Jahr
2020
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61442-6_14

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