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03.08.2021 | Künstliche Intelligenz | Schwerpunkt | Online-Artikel

Talentmanagement zwischen KI und Seelenheil

verfasst von: Michaela Paefgen-Laß

4:30 Min. Lesedauer

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Die selbstfahrende Organisation ist nur noch einen Steinwurf entfernt. Führungskräfte haben längst zu spüren bekommen, wie sich ihre Rolle mit fortschreitender Digitalisierung verändert. Eine Studie zeigt, wie KI nicht nur das Talentmanagement beeinflusst.

"Nicht jede Führungskraft wird akzeptieren wollen, dass digitale Technologien in bestimmten Bereichen einfach besser sind oder sogar aktuelle Rollen übernehmen", schreiben Wissenschaftler der School of International Business and Entrepreneurship (SIBE) der Steinbeis Hochschule im Fazit ihrer Delphi-Studie zur Rolle der Führungskraft im Talentmanagement der nahen Zukunft. 

Das Forscher-Team um Lehrstuhlinhaber Heiko von der Gracht hatte 103 Experten aus Industrie, Wissenschaft und Politik zum Thema Supply Chain Management (SCM), HR und digitales Management befragt. Zur Diskussion standen dreizehn provokative Projektionen für das Jahr 2040. Wie die Ergebnisse zeigen, wird sich die Rolle der Führungskraft verschieben und sie wird sich ihr Hoheitsgebiet mit Künstlicher Intelligenz teilen müssen. Die Aufgabenverteilung ist schon jetzt geregelt: SCM-Führungskräfte werden sich zunehmend der Führung von Menschen annehmen, während sich KI-Technologien um das Führen von "Dingen" kümmern.

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Chef und KI als Netzwerkpartner

Auf Kompetenzgerangel zwischen Führungskräften und digitaler Technologien werden sich Mitarbeitende der Zukunft aber nicht einstellen müssen. Die Studienergebnisse erwarten vorausschauend sogar, dass beide Seiten sich zunehmend zu kollektiven Netzwerken verbinden werden. Gleichberechtigte Kooperationen, in denen der Mensch von der Unterstützung durch die intelligente Maschine profitiert, lassen sich schon jetzt bei der Rekrutierung von Fach- und Führungskräften beobachten. 

Die Rollenverteilung ist festgelegt: Die Maschine selektiert Bewerber vor und macht Vorschläge, der Mensch entscheidet. In anderen Bereichen wie der Leistungskontrolle und der Vermittlung von technischem Know-how im Talentmanagement muss sich die Führungskraft allerdings geschlagen geben und ihr Revier an neue Technologien abtreten. 

So wird erwartet, dass auf dem Gebiet der Talententwicklung die zunehmende technologische Komplexität dazu führt, dass Lehre und Wissensbildung künftig noch stärker von digitalen Lernformaten übernommen wird. Der Grund: Der technologische Wandel vollzieht sich zu schnell, als dass Führungskräfte sich entsprechendes Wissen im geforderten Tempo aneignen und weitergeben können. Ihre Rolle bei der Entwicklung junger Talente wird künftig die des Beraters und Unterstützers sein. Wissensvermittlung ist Aufgabe hoch entwickelter künstlicher Formate.

So könnte im Jahr 2040 die Rollenbeschreibung der SCM-Führungskraft lauten:

  • The teaching of technical aspects can no longer be fully carried out by SCM executives according to the requirements.
  • The teaching of human aspects is the key role of SCM executives in talent development.
  • Daily performance monitoring and initiation of necessary technical development activities for SCM talents is carried out by artificial intelligence.
  • SCM executives have to take the role of a psychologist reducing the talent burn rate in SCM talent management. (von der Gracht et al.)

Auf dem Weg Richtung humane Organisation

Die Wissenschaftler vermuten, dass die Rolle der Führungskraft in rund 20 Jahren durch weitere Faktoren beeinflusst werden wird, die das Forschungsdesign allerdings gesprengt hätten. Ohne allzu spekulativ auftreten zu wollen, lässt sich dennoch ein Blick in die Kristallkugel wagen. Der technologische Wandel wird von Unternehmenslenkern und Mitarbeitenden noch immer gleichgesetzt mit Kontrollverlust, Überforderung und der Angst vor Jobverlust. 

Springer-Autor Florian Schnitzhofer erwartet vom selbstfahrenden Unternehmen keine technologische Allmacht. Er sieht voraus, dass Künstliche Intelligenzen Unternehmenserfolge sicherstellen, während Führungskräfte den Menschen in den Mittelpunkt rücken. In seiner Vision für das Jahr 2035 erblickt er Unternehmen, die nicht nur human sind, sondern auch humanitär: "Da alle operativen und taktischen Entscheidungen vom System getroffen werden, haben die Menschen den Kopf frei, über die humanitären Belange nachzudenken und diese zu verbessern." (Seite 6)

Chefs als Motivator und Unterstützer

Führungskräfte werden also bestenfalls von zeitraubenden Entscheidungen sowie ermüdenden Routinen entlastet. Aber fließen die so gewonnen Ressourcen auch wirklich in die Entwicklung junger Talente? Die Führungskraft wird Coach, Counselor und Trainer sein, prognostiziert Schitzhofer in "Der Mensch und die selbstfahrende Organisation": "Das Bedürfnis und die Zweckmäßigkeit von direkter Führungsverantwortung wird in den Hintergrund treten. Die direkte Personalverantwortung wird durch die Softwarealgorithmen administriert und selbstorganisierende Teams bedürfen keiner externen Führung: Sie brauchen Motivation und Leadership." (Seite 157) 

Der Chef als Motivator und psychischer Unterstützer: Damit decken sich die Annahmen des Springer-Autors mit den Erwartungen der Wissenschaftler. Unbeantwortet bleiben nach wie vor die Fragen, wie Führungskräfte sich künftig in der Talententwicklung positionieren sollen? Wer bringt ihnen die geforderten psychologischen Kompetenzen bei? Und sind sie überhaupt, wie eingangs bezweifelt, mit der neuen Rollenverteilung einverstanden? 

Wettbewerbsvorteile durch KI-Akzeptanz generieren

Es gibt vermutlich in den meisten Chefetagen kein ausgeprägtes Interesse daran, das Steuer aus der Hand zu geben und die Macht der Strategiefindung einer intelligenten Technologie zu überlassen. "Frisst die künstliche Intelligenz den Unternehmenslenker?", fragen die Springer-Autoren Konrad Wetzker und Peter Strüven. Ihr Antwort lautet, Künstliche Intelligenz ist nicht aufzuhalten. Aber es gibt drei Felder, in denen ihr von Chefs noch lange die Nase vor der Tür zugeschlagen wird (Seite 120):

  • beim Setzen von Zielen,
  • beim empathischen Verstehen von Menschen und Organisationen,
  • beim Überzeugen.

Wettbewerbsvorteile lassen sich künftig generieren, wenn Entscheider die Künstliche Intelligenz, dort akzeptieren, wo sie sich nicht mehr aus dem Raum verweisen lässt. Auf Bereiche, die für die KI allerdings noch nicht zu erfüllen sind, müssen Unternehmenslenker sich einstellen. Diese sind die Entwicklung einer humanen und humanitären Organisation und die Entwicklung von Talenten, die diese Organisationen in Zukunft empathisch, verstehend und mit Weitblick führen können: This is the synthesis on which I believe we must build our shared future: on AI’s ability to think but coupled with human beings’ ability to love. (Seite 126)

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