Skip to main content

2001 | Buch

Der Diskurs der Zivilgesellschaft

Politische Kontexte und demokratietheoretische Bezüge der neueren Begriffsverwendung

verfasst von: Ansgar Klein

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

Buchreihe : Bürgerschaftliches Engagement und Nonprofit-Sektor

insite
SUCHEN

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Der politische Diskurs der Zivilgesellschaft

Frontmatter
1. Zivilgesellschaft im politischen Kontext
Zusammenfassung
Für die Debatte über die Zivilgesellschaft, die die komplexen Bedeutungen des Begriffs der „bürgerlichen Gesellschaft“ aufnimmt und reinterpretiert, gilt die Einsicht der politischen Ideengeschichte in besonderem Maße, daß die Geschichte der politischen Theorien einen nicht abschließbaren Deutungs-prozeß darstellt, der überkommene Gedanken aufgreift und fortentwickelt. Die Diskussionen über die „Zivilgesellschaft“ oder die „Bürgergesellschaft“ im ausklingenden 20. Jahrhundert, in die die besonderen politischen, sozialen und kulturellen Zeitverhältnisse hineinspielen und in der sich die Bedeutung des Begriffes wandelt, erschließen sich im Rahmen einer zeitgenössischen Rezeptionsgeschichte des Begriffes der „bürgerlichen Gesellschaft“. Diesen komplexen Sachverhalt hat Helmut Dubiel pointiert zusammengefaßt: „Dieser aus dem Englischen ins Deutsche rückübersetzte Begriff griechisch-lateinischer Herkunft ist auch deshalb so verwirrend, weil es für das Phänomen, das er vordergründig bezeichnet, durchaus einen eingeführten deutschen Begriff gibt, nämlich den der »bürgerlichen Gesellschaft‘,, (Dubiel 1994a: 67).
Ansgar Klein
2. Zivilgesellschaft und Transformationsprozeß: Von den Dissidenten und Bürgerbewegungen Ostmitteleuropas zu weltweiten Prozessen der Demokratisierung
Zusammenfassung
Prominent wurde der Begriff der Zivilgesellschaft vor allem durch die ostmitteleuropäische Diskussion. Dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft in Osteuropa war in Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei ein in den späten 70er Jahren einsetzender Diskussionsprozess unter Dissidenten — und in Polen später auch innerhalb der Gewerkschaft Solidarnosc — vorausgegangen, der sich in der oppositionellen politischen Praxis unmittelbar auswirkte. Hier spielt der Begriff der Zivilgesellschaft vor allem eine wichtige Rolle innerhalb der politischen Strategie- und Theoriebildung, die ihren Fokus im Kampf gegen einen totalitären Staat hat. Eben gegen diesen gerät die Zivilgesellschaft in eine Konfrontationsstellung, die gerade nicht als Ausgangspunkt eines offenen Kampfes um die Macht, sondern eines schrittweisen Prozesses der Delegitimierung des Regimes verstanden wurde. Deutlich werden jedoch bereits in der ostmitteleuropäischen Diskussion unterschiedliche Schwerpunktsetzungen im Begriffsverständnis: In Polen dominiert eine reformstrategische Lesart, während in der Tschechoslowakei eine moralische und in Ungarn eine wirtschaftliche Begriffsverwendung im Vordergrund steht (2.1.).
Ansgar Klein
3. Jenseits der bürgerlichen Gesellschaft: Von den Diskussionen der Neuen Linken zur sozialistischen Zivilgesellschaft
Zusammenfassung
Gegen eine weit verbreitete Deutung, derzufolge die Zivilgesellschaftsdebatte in den westlichen Demokratien sich vor allem der Übernahme der ostmitteleuropäischen Diskussionen verdankt, möchte ich im folgenden auf die durchaus eigenständige Linie der Begriffsbildung hinweisen1. Im Westen erfolgte die Ausbildung des Begriffs der Zivilgesellschaft zuerst in den politischen Kontexten der Debatten einer postmarxistischen Linken und später vor allem der neuen sozialen Bewegungen. Auf die Eigenständigkeit der westlichen Diskussion verweist auch Habermas. Ihm zufolge stellt eine Selbstkritik der westlichen Linken eine wichtige Deutungsfolie der ostmitteleuropäischen Diskussionen und Ereignisse dar. Die Entwicklung der Zivilgesellschaftsdebatte aus den Kontexten einer linken Selbstkritik gilt es hier in ihren Grundzügen nach-zuvollziehen. Den zeitgeschichtlich-politischen Hintergrund bildet ein Zeitraum, der von den späten 50er Jahren bis in die 80er Jahre hineinreicht, eine Zeitspanne, die durch die Entstehung einer Neuen Linken, deren Rezeption durch die Studentenbewegung und durch theoretische Reaktionen auf das Entstehen neuer sozialer Bewegungen in den 70er Jahren gekennzeichnet ist.
Ansgar Klein
4. Neue soziale Bewegungen und Zivilgesellschaft
Zusammenfassung
Zwar ist die Studentenbewegung in ihrer kognitiven Orientierung, in ihrer ideologischen Ausrichtung und ihren ordnungspolitischen Vorstellungen von den neomarxistischen Konzeptionen der Neuen Linken maßgeblich geprägt worden. Doch als antiautoritäre und außerparlamentarische Bewegung ist sie zugleich ein wichtiger Impulsgeber für die neuen sozialen Bewegungen der 70er Jahre gewesen. Aus Sicht der Bewegungsforschung ist sie in ihrer Zwischenstellung deshalb ein Bindeglied zwischen der Arbeiterbewegung und den neuen sozialen Bewegungen.
Ansgar Klein
5. Die internationale Zivilgesellschaft
Zusammenfassung
Neben die inneren Herausforderungen nationalstaatlich organisierter Demokratie sind längst — mit vielfältigen, bislang ausgeblendeten Bezügen zur bisherigen Diskussion — tiefreichende Herausforderungen von außen getreten, die den juristisch definierten Zusammenhang einer sachlich nach innen und außen souveränen Staatsgewalt mit einem räumlich als Staatsgebiet eindeutig abgrenzbaren Territorium und einem sozial auf die Gesamtheit der Angehörigen bezogenen Staatsvolk (Habermas 1996a), den wir mit dem Begriff des Nationalstaats verbinden, in Frage stellen1. Im schillernden Begriff der Globalisierung (Beck 1997, Beck 1998a und Beck 1997b) tritt die nicht mehr zu übersehende Tatsache in Erscheinung, daß politische Territorialität wie wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen zunehmend nicht mehr deckungsgleich sind: „Globalisation can thus be defined as the intensification of worldwide social relations which links distant localities in such a way that local happenings are shaped by events occurring many miles away and vice versa“ (Giddens 1990: 64). In den viel zitierten Debatten über den „Standort“ scheint die Diskrepanz zwischen der Dynamik transnationaler Wirtschaftsund Finanzwelten und der Regression der Steuerungspotentiale nationalstaatlicher Politik auf (Habermas 1998: 805), die in neoliberaler Perspektive einen durchaus gewollten Effekt politischer Strategie darstellt (Beck 1997: 195ff.).
Ansgar Klein
6. Zivilgesellschaft im politischen Kontext: Eine Zwischenbilanz
Zusammenfassung
Die bisherigen Ergebnisse des Überblickes über die politischen Kontexte des Zivilgesellschaftsdiskurses werden im folgenden rekapituliert. Im Anschluß daran wird in einer knappen Skizze ein Blick auf die neuere reformpolitische Begiffsverwendung der Zivilgesellschaft geworfen. Die Zivilgesellschaft findet sich mittlerweile in fast allen programmatischen Texten politischer Akteure wieder. Die breite Streuung des Begriffsbezuges im gesamten Spektrum demokratischer Politik verdankt sich der Anschlußfähigkeit des Begriffes an die liberale wie die republikanisch-demokratische Begriffstradition. Kritiker monieren deswegen immer wieder die Diffusität des Begriffes. Demgegenüber ist auf die begriffliche Scharnierfunktion zu verweisen, die den Diskurs der Zivilgesellschaft auszeichnet: In ihm wird das Spannungsfeld von negativer und positiver Freiheit, von Liberalismus und Demokratie ausgelotet. Es bildet den normativ nicht auf eine der beiden Seiten reduzierbaren Hintergrund: Begriffsverwendungen, die eine solche Reduktion gleichwohl vornehmen — etwa eine neoliberale Vereinnahmung der Zivilgesellschaft als Gesellschaft freier Marktteilnehmer oder starke Versionen kommunitaristischer Zivilgesellschaft als homogener politischer Gemeinschaft, verfehlen das im Diskurs der Zivilgesellschaft verfochtene Zusammenspiel negativer und positiver Freiheit.
Ansgar Klein

Ideengeschichtlicher Hintergrund und demokratietheoretische Bezüge der neueren Begriffsverwendung

Frontmatter
1. Zivilgesellschaft und Demokratie: Ideengeschichtliche Bezüge und normative Binnendifferenzierung der Konzeptdebatte
Zusammenfassung
In die Darstellung der vorangegangenen Kapitel des 1. Teiles sind immer wieder Hinweise auf demokratietheoretische Positionierungen und Zuordnungen der Konzeptdebatte eingeflossen, die der Sache nach vor allem bezüglich der jeweiligen politischen Diskussionszusammenhänge erörtert werden konnten. Zu kurz kam bislang eine eigenständige und vertiefende Diskussion der ideengeschichtlichen Traditionslinien, in denen die Begriffsverwendung der Zivilgesellschaft ursprünglich zu verorten ist. Die innerhalb der Zivilgesellschaftsdebatte differierenden demokratietheoretischen Zugänge zum Begriffsverständnis, soviel ist schon deutlich geworden, bewegen sich in einem Spannungsfeld normativer Optionen, das nicht nur den Begriffsgebrauch von Zivilgesellschaft, sondern insgesamt das Feld der Demokratietheorie kennzeichnet. Dieses demokratietheoretische Terrain gilt es nunmehr systematisch auszuloten1.
Ansgar Klein
2. Von der „bürgerlichen Gesellschaft“ zur Zivilgesellschaft: Entwicklungslinien des Begriffswandels
Zusammenfassung
Untrennbar verbunden mit dem neueren Begriffsgebrauch von Zivilgesellschaft sind im Westen die Suche nach Möglichkeiten einer Ausdehnung des bürgerschaftlichen Engagements und eine Kritik an den Grenzen der Elitendemokratie und einer auf sie bezogenen „realistischen“ Demokratietheorie1. Neben einem intermediären Raum des Politischen, dem nicht mehr nur Parteien und Verbände, sondern auch soziale Bewegungen zugerechnet werden, und der Artikulation zivilgesellschaftlicher Assoziationen im öffentlichen Raum gehört zu den Konstituenten des Begriffes — dies haben vor allem die Diskussionen der Frauenbewegung und des Feminismus gezeigt — auch ein Verständnis der Familie als zivilgesellschaftlicher Assoziation und ein Neuarrangement der für die liberale Tradition grundlegenden Unterscheidung von Öffentlichkeit und Privatheit. Die für weitere Demokratisierung offene Zivilgesellschaft setzt ein Begriffsverständnis voraus, das die Zivilgesellschaft nicht mehr mit der Privatsphäre gleichsetzt und sie als einen politischen Raum konzipiert. Ideengeschichtliche Bezüge dieser repolitisierten Zivilgesellschaft bestehen zur „politischen Gesellschaft“ der republikanischen Tradition, der freilich die von der Zivilgesellschaft vorausgesetzte Unterscheidung von Staat und Gesellschaft fremd ist.
Ansgar Klein
3. Normative Binnendifferenzierungen zivilgesellschaftlicher Demokratie
Zusammenfassung
Die Zivilgesellschaft als ein Gefüge von Assoziationen und Öffentlichkeiten, die fundamentale Menschen- und Bürgerrechte voraussetzen, aber auch einfordern, erscheint in der demokratietheoretischen Diskussion zum einen als Ort politischer Lernprozesse, zum anderen als Voraussetzung einer Demokratisierung der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung wie auch der politischen Institutionen. In den Vordergrund der demokratietheoretischen Diskussion der Zivilgesellschaft tritt unter der Leitidee demokratischer Selbstbestimmung der Beitrag der Zivilgesellschaft zu einer politischen Vermittlung zwischen Staat und Gesellschaft. Aus diesem Blickwinkel ist die Politik nicht mehr im Staat konzentriert und es erlangt der institutionelle Zusammenhang staatlicher Entscheidungsprozesse mit Prozessen der Meinungs- und Willensbildung in der Zivilgesellschaft eine zentrale Bedeutung. Wie ein roter Faden ziehen sich die Probleme der institutionellen Vermittlung und der Herstellung einer Konzeption intermediärer Politik in ihren kulturellen und entscheidungsbezogenen Dimensionen seit Hegel durch die demokratietheoretischen Fragestellungen der Konzeptdebatte.
Ansgar Klein
4. Zivilgesellschaft und politische Integration
Zusammenfassung
Abschließend soll ein kurzes Resume der demokratietheoretischen Überlegungen zur Zivilgesellschaft gezogen werden. Zunächst rekapituliere ich knapp die behandelten Modelle demokratischer Selbstgesetzgebung, demokratischer Selbstregierung und reflexiver Demokratie. Das Konzept der reflexiven Demokratie diskutiert vor allem den möglichen Beitrag der Zivilgesellschaft zu einer Rationalisierung des politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses und entwickelt die in diesem Zusammenhang benötigten institutionenpolitischen Kriterien. Gleichwohl wirken die politischen Institutionen und demokratischen Verfahren ihrerseits auf die politische Sozialisation, die politische Kultur und auf die Ausbildung des Bürgersinns zurück. Den Zusammenhang zwischen Zivilgesellschaft und Werten der Demokratie möchte ich abschließend im Rahmen einer Diskussion des Verhältnisses von politischen Verfahren und bürgerschaftlichem Engagement diskutieren.
Ansgar Klein
Backmatter
Metadaten
Titel
Der Diskurs der Zivilgesellschaft
verfasst von
Ansgar Klein
Copyright-Jahr
2001
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-663-09597-2
Print ISBN
978-3-8100-2881-5
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-663-09597-2