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05.03.2024 | Logistik | Schwerpunkt | Online-Artikel

Friendshoring macht Lieferketten widerstandsfähig

verfasst von: Michaela Paefgen-Laß

5:30 Min. Lesedauer

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Vertrauenswürdige Beziehungen sind belastbare Beziehungen. Auch im Supply Chain Management nehmen die Dimensionen Freundschaft, Vertrauen und Werte einen immer wichtiger werdenden Vorposten ein.
 

Die Lieferbeziehungen der deutschen Wirtschaft mussten in den vergangenen Jahren zunehmend durch Engpässe und über Störungen hinweg navigiert werden. Verantwortlich dafür sind geopolitische Krisen, die Pandemie, klimabedingte Abbrüche sowie unvorhersehbare Ereignisse, zu denen etwa der Schiffsunfall im Suezkanal zählt oder aktuell die Huthi-Angriffe im Roten Meer. All das gefährdet die Versorgung und Distribution – führt in der Konsequenz zu Produktionsausfällen und Einnahmeverlusten. Weil Lieferketten und der laufende Betrieb in den Jahren 2021 und 2022 anhaltend gestört wurden, entgingen Unternehmen weltweit rund 1,6 Billionen US-Dollar potenzieller Einnahmen. Das rechnet Accenture in der Studie "Resiliency in the making" vor. 

Warum Unternehmen ihre Lieferketten neu ordnen

Angesichts dieser Herausforderungen investieren Unternehmen mittlerweile verstärkt in Maßnahmen, die dazu beitragen, flexiblere, transparentere und widerstandsfähigere Beschaffungsnetzwerke zu flechten. Bestehende Abhängigkeiten von globalen Zulieferern werden überdacht und Lieferketten strategisch neu ausgerichtet. 

Ziel etablierter und neuer Outsourcing-Strategien ist, besser auf Lieferkettenrisiken vorbereitet zu sein, in Krisensituationen flexibler reagieren zu können und durch robustere Beziehungen langfristige Stabilität zu erreichen. Als Trends zeichnen sich aktuellen Studien zufolge ab: Friendshoring und regionale Beschaffung. Beides wird neben den Vorteilen – Stabilität und Transparenz durch geteilte Werte, kurze Wege – auch als Anzeichen einer beginnenden Deglobalisierung verhandelt.

Was Friendshoring Unternehmen verspricht

Friendshoring erklärt das Frankfurter Zukunftsinstitut in einem Auszug seiner Megatrendstudie Globalisierung als einen noch jungen Ansatz in zwischenstaatlichen Beziehungen, der darauf ausgerichtet ist, strategische Partnerschaften zu ressourcenreichen Ländern von langfristigem Nutzen, auf gegenseitigem Vertrauen und einer gemeinsamen Wertebasis zu etablieren. Es geht darum, sich gemeinsam vor geopolitischen Stürmen zu schützen. 

Friendshoring reicht über die rein wirtschaftliche Dimension hinaus und fügt den bekannten erfolgskritischen Kriterien für Lieferketten (Effizienz, Resilienz und Nachhaltigkeit) das Merkmal der politischen Konvergenz hinzu, wie Günther Maihold in einer Publikation der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) schreibt. Das kontrovers diskutierte Konzept setzt auf offene Partnerschaften mit befreundeten Staaten sowie den Austausch von Technologien, Know-how und Innovationen.

Entscheidend dürfte sein, ob die Kooperationsbereitschaft der beteiligten Staaten groß genug ist, um diesen Schritt der geopolitischen Abgrenzung von Lieferketten auch wirklich zu vollziehen. (Günter Maihold in: SWP aktuell Nr. 45, Die neue Geopolitik der Lieferketten, 2022)

Friendshoring statt Nearshoring

Für Unternehmen bedeutet Friendshoring, die Kosteneffizienz bei der Gestaltung ihrer Lieferketten hintan zu stellen und den Fokus auf Partnerunternehmen aus jenen Ländern zu verlagern, die als verlässlich eingestuft und mit denen gemeinsame Werte, Arbeits- und Umweltstandards geteilt werden. Geprägt wurde der Begriff von US-Finanzministerin Janet Yellen im April 2022. Allianzen mit politisch verbündeten Ländern sollen die Lieferketten nach gemeinsamen Standards organisieren und stabilisieren. Mit der Übereinkunft auf verbindliche ethnische und verantwortungsvolle Prozesse profitierten die Partner von kontinuierlicher Effizienzsteigerung, lösten sich von Abhängigkeiten und sicherten sich dennoch die Vorteile der Globalisierung.

Als problematisch für deutsche Unternehmen wird die Abkehr auf Vorleistungen aus Staaten erachtet, die als nicht-demokratisch eingestuft sind. Dazu schreibt das Zukunftsinstitut mit Blick auf Zahlen aus dem Jahr 2022: "Der Anteil dieser Länder macht in Summe knapp 20 Prozent des Importvolumens aus. Ein Fünftel der Importe kommt also aus Ländern, zu denen das Vertrauensverhältnis mindestens fragwürdig ist." Zudem ist die Auswahl an Partnern mit natürlichen Rohstoffen unter diesen Vorgaben stark eingeschränkt. So fragt sich auch der Politikwissenschaftler Günther Maihold, wie tragfähig die geopolitische Neurodung von Lieferketten angesichts der geografischen Verteilung von Rohstoffen ist.

Friendshoring: Stabilität oder Abschottung?

Einen weiteren Knackpunkt formuliert Springer-Autor Di Fan in seinem Beitrag "Reglobalization". Er betont, dass Friendshoring neben allen Vorteilen auch die Gefahr der Selbstlimitierung berge, die sich auf lange Sicht negativ auf Entwicklung und Innovation auswirken könne: "Geographical proximity as well as shared political and economic systems can foster stability and predictability; however, these same factors can also create a form of dependency that limits a firm's capacity to seek resources and capabilities beyond their immediate region" (Seite 55).

Hauptformen der Übertragung von betrieblichen Wertschöpfungsaktivitäten auf Zulieferer (Outsourcing) sind (Yigit Kazancoglu et al.):

Outsourcing-Modell

Kennzeichen

Partnerländer aus europäischer Perspektive

Onshoring

Unternehmensaktivitäten werden von Dritten durchgeführt, die sich innerhalb der nationalen/regionalen Grenzen befinden.

direkte westeuropäische Nachbarn

Offshoring/Nearshoring

Verlagerung von betrieblichen oder unterstützenden Prozessen in Länder in der Nähe des Herkunftslandes

Länder in Nord-, Süd oder Ost-Europa

Offshoring/Farshoring

Auslagerung in Länder, die weit vom Herkunftsland entfernt sind

Nord-, Süd- und Zentral-Amerika, Mittlerer Osten, Asien, Nord- und Südafrika

Reshoring, Inshoring, Backshoring

Rückverlagerung der ausgelagerten Geschäftstätigkeiten an ihren ursprünglichen Standort

europäisches Herkunftsland

Deutsche Unternehmen investieren bereits in Friendshoring

Friendshoring gilt als zweischneidiges Schwert, das einerseits Stabilität verspricht, andererseits unter anderem strukturelle Kosten verursacht durch "Produktionsverlagerungen und Reibungskosten bei der Umstellung von Lieferketten" (Maihold), die von Unternehmen und Verbrauchern getragen werden müssen. Dennoch investieren 83 Prozent der für die Capgemini-Studie "Illuminating the Path" befragten deutschen Konsumgüter- und Handelsunternehmen in Friendshoring. Beim Organisieren ihrer Beschaffungsnetzwerke konzentrieren sie sich zunehmend auf Länder, die als politisch unbedenklich und wirtschaftliche verbündet gelten. Abhängigkeiten von unsicheren Ländern sollen abgebaut werden.

European countries, especially the Western Balkans, are potential friend-shore candidates, given their three-fold benefits of proximity, amity, and cost effectiveness. The Stabilization and Association Agreements (SAAs) in place with these countries support free trade links. Other possible EU friend-shore supply chain locations include the ASEAN countries. (Illuminating the Path, Capgemini)

Regionale Beschaffung ebenfalls auf Vormarsch

Warum überhaupt in die Ferne schweifen? Ganz oben auf der Agenda von Lieferkettenmanagern stehen aktuell auch der Umstieg auf regionale Beschaffung – Onshoring – und der Ausbau moderner Technologien. Insgesamt ist die Störunanfälligkeit ihrer Versorgungsnetzwerke den für "Resiliency in the Making" weltweit befragten Unternehmen durchschnittlich knapp über eine Milliarde US-Dollar wert. Die Summe wird investiert in:

  • die Verlagerung von Liefer- und Produktionsanlagen: 450 Millionen USD,
  • Automatisierung von Produktions- und Lagerstätten: 325 Millionen USD,
  • Digitalisierung von Produktion und Lieferketten: 250 Millionen USD.

Im Jahr 2026 könnten sich diese Investitionen auf 2,5 Milliarden US-Dollar erhöht haben. Bis dahin planen 65 Prozent der befragten Unternehmen ihre wichtigsten Produkte größtenteils von regionalen Zulieferern zu beziehen – bisher setzen erst 38 Prozent auf regionale Beschaffung und kurze Lieferketten. Außerdem planen 85 Prozent ihr Produkte dann überwiegend regional herzustellen und zu verkaufen, das hat bislang nur knapp die Hälfte der Befragten realisiert (43 Prozent). 

Widerstandsfähigkeit ist eine Reise, kein Tagesausflug

Das Volumen aller taktischen Investitionen ist enorm. Wettbewerbsvorteile seien nicht automatisch garantiert, warnen die Studienexperten. Die kostspieligen Veränderungen müssen nicht nur entschieden und vorgenommen werden, sondern auch auf Dauer von Bestand sein.

Therefore, organizations will need a compelling vision and clear accountability underpinning any investment to ensure they provide both short-term value and a foundation for long-term transformation.  This is ultimately a journey, not a step change. (Accenture, Resiliency in the Making)

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