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2011 | Buch

Mathematik Verstehen

Philosophische und Didaktische Perspektiven

herausgegeben von: Dr. Markus Helmerich, Prof. Dr. Katja Lengnink, Prof. Dr. Gregor Nickel, Dipl.-Math. Martin Rathgeb

Verlag: Vieweg+Teubner

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Über dieses Buch

In diesem Sammelband werden aus philosophischer und aus didaktischer Perspektive Fragen diskutiert wie: Was bedeutet es, einen mathematischen Sachverhalt zu verstehen? Wie entsteht Verstehen von Mathematik im Lernprozess? (Wie) können wir Mathematikunterricht verstehen? Wie lässt sich schließlich Mathematik als Ganzes verstehen, und was trägt ein solches Verstehen zu menschlichem Verstehen allgemein bei? Das Buch fördert eine breite Diskussion über Mathematik und ihrer Bedeutung für die Allgemeinheit; dabei geht es um eine Reflexion des Selbstverständnisses der Mathematik, ihres Verhältnisses zur "Welt" sowie um Fragen nach der Bedeutung mathematischen Tuns. Die für das Buch ausgewählten Beiträge stammen von Experten aus dem Bereich Didaktik und Philosophie der Mathematik, sie wurden im Rahmen einer Tagung international und interdisziplinär diskutiert.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Philosophische Perspektiven auf das Verstehen von Mathematik und durch Mathematik

Frontmatter
1. Verstehen verstehen
Zusammenfassung
Die Bemerkung des Philosophen Paul Ziff „to understand understanding is a task to be attempted and not to be achieved today, or even tomorrow“ hat auch nach vierzig Jahren ihre Berechtigung nicht verloren. Dies gilt für das Verstehen im Allgemeinen; es gilt im Besonderen für das Verstehen in der Mathematik, dessen gründliche Untersuchung noch in den Anfängen steckt. Ich möchte im Folgenden einen kleinen Beitrag zu beiden Aufgaben leisten.
Oliver R. Scholz
2. Orientierung durch Mathematik
Zusammenfassung
Die alltägliche Orientierung arbeitet mit individuellen Standpunkten, Horizonten, Perspektiven, Anhaltspunkten, Wertungen, Spielräumen des Zeichengebrauchs u. a., um sich auf immer neue Situationen einstellen und sie bewältigen zu können. Die Mathematik dagegen gebraucht explizit definierte Zeichen nach explizit fixierten Regeln, um eine allgemein gültige Richtigkeit der Orientierung zu erzielen; sie schließt alle Spielräume des Verstehens. Dazu sieht sie von den Bedingungen der alltäglichen Orientierung ab. Sie bleiben jedoch Bedingungen auch ihres Gebrauchs als Orientierungsmittel: ihre Anwendung ist wieder nur in Spielräumen möglich, und ihre Zusammenhänge sind individuell wiederum nur begrenzt nachvollziehbar. Im Folgenden wird in 12 Punkten dargestellt, was „Mathematik verstehen“ in der Sicht einer Philosophie der Orientierung heißt. Die Punkte 1. – 10. führen die dafür relevanten Grundzüge der Orientierung ein, die Punkte 11. – 12. ziehen daraus die Konsequenzen für das Verstehen von Mathematik.
Werner Stegmaier
3. Zeichen defizient verstehen
George Spencer Browns Zeichen sehen und mit Josef Simon verstehen
Zusammenfassung
Die Philosophie des Zeichens (1989) von Josef Simon liefert vorliegender Untersuchung nicht nur die Rede von einem „Kreis von Interpretationen“, sondern zudem die Perspektive auf ein Objekt. Bevor ich auf dieses eingehe, werde ich jene und die thematische Fokussierung zunächst charakterisieren und dafür drei Zitate besprechen. – Die Philosophie Simons ist eine Fundamentalphilosophie, die beim Zeichen und dem gelingenden Gebrauch von Zeichen ansetzt. Für diesen Ansatz spricht, dass klassische Erste Philosophien wie Metaphysik (und die Ontologie im Speziellen) in Zeichen formuliert und gedeutet werden müssen, aber umgekehrt nicht ontologisch festgelegt ist, was ein Zeichen und wofür ein Zeichen Zeichen ist; weiter bleibt jeder Versuch sprachlicher Fixierung von ‚Zeichen‛ einerseits auf Zeichen, andererseits darauf angewiesen, dass diese verstanden werden: „Ein von der Art des Verstehens abgetrenntes Zeichen existiert nicht.“ Zeichenphilosophie geht also der Ontologie und Sprachphilosophie voraus und bekommt sich selbst – im Sinne einer produktiven petitio principii – in den Blick, weil sie sich selbst als ein weiter ausdeutbares Zeichen gilt.
Martin Rathgeb
4. Mathematik – die (un)heimliche Macht des Unverstandenen
Zusammenfassung
Was der Geheimrat noch ironisch als ein harmloses Phänomen scheiternder Salon-Konversation beschreiben konnte, hat sich zu einem universalen Phänomen der Moderne ausgeweitet. Mathematik redet über (fast) alle wesentlichen gesellschaftlichen Belange mit, meistens jedoch auf eine völlig unverständliche Weise, und irgendwie hat man das Gefühl, dass die mathematische Beschreibung nicht mehr (genau) das trifft, was ursprünglich anlag. Die Situation ist gegenüber Goethes Salon noch insofern verschärft, als die Mathematik nicht mehr brav abwartet, bis sie auf das eine oder andere Thema angesprochen wird; vielmehr spricht sie selbst als erste und definiert die Agenda. Darüber hinaus kann ihr selbst der mathematikaffine Konversationspartner nicht einmal mehr in ihre Anfangsgründe folgen.
Gregor Nickel
5. Der Organismus der Mathematik – mikro-, makro- und mesoskopisch betrachtet
Zusammenfassung
Meist enden ähnliche Gespräche über Mathematik etwa an diesem Punkt, ohne dass der Nichtmathematiker von der Sinnhaftigkeit mathematischer Forschung, ja mathematischer Tätigkeit generell überzeugt werden konnte. Ich glaube nicht, dass dem Laien Blindheit für die Großartigkeit unserer Wissenschaft vorzuwerfen ist, wenn hier keine befriedigendere Kommunikation zustande kommt. Ich sehe als Ursache eher ein stark verkürztes Bild von der Mathematik, welches auch Fachleute oft zeichnen, weil ihnen eine angemessenere Darstellung ihres Faches zu viel Mühe macht – und das obwohl Mathematik nur betreiben kann, wer geistige Mühen sonst keineswegs scheut. Ich will versuchen, den Ursachen dieses eigentümlichen Phänomens auf den Grund zu gehen.
Reinhard Winkler
6. Mathematisches Bewusstsein
Zusammenfassung
Wenn jemand sagt, dass ein Bus um 9 Uhr abfährt – weiß man es dann? Angenommen, man ist darüber unterrichtet, dass die Busse unter der Woche immer zur vollen Stunde abfahren – von 7 Uhr morgens bis 7 Uhr abends, weiß man es dann mit dem Wissen um diese allgemeine Regel besser, dass der Bus um 9 Uhr abfährt? Macht es einen Unterschied, ob man den Fahrplan erstellt, den Bus lenkt oder nur mitfährt, um sich dieser Tatsache bewusst zu sein?
Rainer Kaenders, Ladislav Kvasz
7. Mathematik semantologisch verstehen
Zusammenfassung
Um zu verstehen, was Mathematik ist und bedeutet, reicht es nicht aus, mathematisches Denken und Wissen vielseitig zu erwerben. Hinzukommen muss stets ein angemessenes Verständnis der jeweiligen Bedeutungen mathematischer Denkformen, die in der aktual-realen Welt wirksam werden können. Beim Mathematik-Verstehen sollte es vor allem um ein Vermitteln des Selbstverständnisses der Mathematik, um ein Reflektieren des Bezugs der Mathematik zur realen Welt und um ein Beurteilen von Sinn, Bedeutung und Zusammenhang des Mathematischen in der Welt gehen.
Rudolf Wille

Verstehen im Mathematikunterricht ermöglichen

Frontmatter
8. Mathematik als Geisteswissenschaft Der Mathematikschädigung dialogisch vorbeugen
Zusammenfassung
Ursprünglich wollte ich Architekt werden getreu den Vorbildern von Vater und Großvater. Darum zeichnete ich bereits als neunjähriges Kind Pläne von Häusern in der Art, wie ich sie oft zu sehen bekam. Ein ausgemustertes Holzdreieck mit einem rechten und zwei halben rechten Winkeln war das einzige Konstruktionswerkzeug, das ich damals besaß und mit dem ich mich ans Werk machte. Zuerst einmal war da natürlich ein Rechteck als Grundriss des Hauses zu zeichnen: Eine Seite, ein rechter Winkel, die zweite Seite, wieder ein rechterWinkel, die dritte Seite in gleicher Länge wie die erste und dann der dritte rechte Winkel, dessen letzter Schenkel die vierte Seite gab.
Peter Gallin
9. Philosophieren als Unterrichtsprinzip im Mathematikunterricht
Zusammenfassung
Philosophieren und Mathematik scheinen zunächst gegensätzliche Bereiche zu sein, die sich kaum vereinbaren lassen. Dies trifft für eine Auffassung zu, die Philosophieren als „Gerede“ disqualifiziert und Mathematik als eine reine „Formelwissenschaft“ begreift. Beide Auffassungen werden den Gegenständen nicht gerecht.
Diana Meerwaldt
10. Zahlen und Rechenvorgänge auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus
Möglichkeiten der Entwicklung einer inklusiven Fachdidaktik auf der Grundlage historischer Perspektiven
Zusammenfassung
„Das Verständnis geht langsam vor sich!“ Diesen wichtigen Satz hörte ich bei einem Vortrag von Martin Lowsky. Auf die hier behandelte Fragestellung übertragen heißt das: Was eine Zahl ist und wie ich sie im Rechenvorgang einsetzen und interpretieren kann, das erschließt sich erst allmählich. Die Zahl des Rechenanfängers ist nicht dieselbe wie die des kompetenten Rechners und es ist nicht die Zahl des Lehrers oder der Lehrerin. Die Zahlen sind nur auf der Oberfläche der Worte und Zeichen gleich. Im Innern, im Verständnis, sind sie völlig verschieden! Ich glaube, dass die Missachtung dieser Divergenz dazu führt, dass manche Kinder in für den Lehrer und Lehrerin nicht nachvollziehbaren Routinen stecken bleiben, einfachste Informationen nicht wirklich integrieren. Die auf beiden Seiten wachsende Verunsicherung durch die nicht erkannte und daher nicht kommunizierbare Diskrepanz im inneren Zahlkonzept stört den allmählichen Aufbau strukturierter Zahlvorstellungen.
Klaus Rödler
11. Änderungen besser verstehen – Mathematik besser verstehen
Zusammenfassung
Wesentlich für die folgenden Überlegungen ist die Einordnung der Analysis in die Beschreibung von Änderungen. Diese Einordnung in eine „natürliche Umgebung“ scheint generell wichtig für den Unterricht in der Sekundarstufe II zu sein, weil sie Differenzen und KontinuitÄten zwischen Bekanntem und neu zu Lernendem aufzeigt und daher eine wichtige Hilfe zum Verstehen und zur Generierung von Sinn durch die Lernenden darstellt. VerstÄrkt werden sollten daher unterrichtliche Anstrengungen, die zum Erreichen eines Überblicks beitragen – und zwar nicht nur über einzelne Stoffgebiete, sondern auch gebietsübergreifend, auch über die gesamte Schulmathematik und darüber hinaus blickend: So stellt die Sprache einen natürlichen außermathematischen Ausgangspunkt für die (zunÄchst qualitative) Beschreibung von Änderungen dar und ist es wert, zum Thema des Mathematikunterrichts gemacht zu werden.
Franz Picher
12. Geometrie verstehen: statisch – kinematisch
Zusammenfassung
Dem Allgemeinen steht begrifflich das Besondere gegenüber. In diesem Sinne sind allgemeine Überlegungen zum Verstehen von Mathematik zu ergänzen durch Untersuchungen hinsichtlich des Verstehens der einzelnen mathematischen Disziplinen, insbesondere der Geometrie. Hier haben viele Schülerinnen und Schüler Probleme. Diese rühren hauptsächlich daher, dass eine fertige geometrische Konstruktion in ihrer statischen Präsentation auf Papier nicht mehr die einzelnen Konstruktionsschritte erkennen lässt; zum Nachvollzug müssen sie daher ergänzend in einer Konstruktionsbeschreibung festgehalten werden.
Ekkehard Kroll

Mathematikunterricht verstehen

Frontmatter
13. Fehler begehen – Mathematik verstehen Über die Bedeutung von Fehlern für das Verstehen
Zusammenfassung
Auch wenn eine historisch oder systematisch umfassende Darstellung zur Fehlerthematik bislang nicht vorliegt, ist die Idee, einer Fehleranalyse unter der Leitfrage, welche Fehler von Schülerinnen und Schülern aufgrund welcher epistemologischen Überzeugungen begangen werden, zentralen Raum für die Betrachtung von Verstehensprozessen einzuräumen, nicht neu. So ist es geradezu ein Charakteristikum einer modernen konstruktivistischen Didaktik, die eigenen Fehler von Lernenden als ihre individuellen Lerngelegenheiten zu begreifen, die einen wichtigen Motor für den subjektiven Lernfortschritt bilden. Diese Sichtweise wurzelt aus psychologischer Perspektive in Analysen in der Tradition Piagets, der in Abkehr von einer quantitativen, psychometrischen Beschreibung kognitiver Prozesse, wie sie sich zum Beispiel in Intelligenztheorien nach Binet findet, qualitativ zu beschreiben versuchte, in welcher Weise Kinder und Jugendliche denken und urteilen. Doch auch schon in der klassischen Philosophie sind entsprechende Ansätze zu finden. Prominente Beispiele hierfür sind die Idolenlehre Bacons und die Ideenlehre Platons.
Udo Käser
14. Wie verstehen Schülerinnen und Schüler den Begriff der Unendlichkeit?
Zusammenfassung
Wie Hilbert bereits feststellte, wirkt die Idee der Unendlichkeit, wie keine andere, schon seit Zeiten sehr anregend und fruchtbar auf den Verstand und bewegt das Gemüt der Menschen. Der Begriff der Unendlichkeit bedarf aber auch, wie kein anderer, der Aufklärung, denn mit ihm eröffnet sich ein weites Feld, welches nicht nur aus vielen verschiedenen Definitionen besteht, sondern auch aus völlig unterschiedlichen Disziplinen. Physiker suchen immer dringender nach einer „Theorie für Alles“ oder einer „Weltformel“, Kosmologen beschäftigen sich unter anderem mit der Ewigkeit des Universums, Theologen interessiert eher die Unendlichkeit Gottes, Philosophen diskutieren unter anderem Grenzfragen zwischen Naturwissenschaft und Philosophie und die Mathematiker versuchen den Paradoxien des Unendlichen einen Sinn zu geben. Und so wird ersichtlich, dass nichts abstrakter ist als das Unendliche: Obwohl die Unendlichkeit für die unterschiedlichsten Wissenschaften von großer Bedeutung ist, „[ist] in der Wirklichkeit das Unendliche nirgends zu finden, [egal] was für Erfahrungen und Beobachtungen und welcherlei Wissenschaft wir auch heranziehen“.
Tabea Schimmöller
15. Ebenen des Verstehens: Überlegungen zu einem Verfahren zum Wurzelziehen
Zusammenfassung
Wir bemühen uns, insbesondere bei Kindern, den Lernprozess auch im Mathematikunterricht durch den Einsatz von Materialien zu unterstützen. Die Arbeitsschritte dienen dabei oft der Vorbereitung oder Herleitung von Verfahren – in der Hoffnung, dass durch die Veranschaulichung Zusammenhänge besser verstanden werden. Worin dann das Verstehen besteht, wenn im Ergebnis ein Verfahren von den Kindern erfolgreich abgearbeitet wird, ist nicht unmittelbar zu sehen.
Martin Winter
16. Mathematikunterricht verstehen Zur Akzeptanz didaktischer Theorien bei angehenden Lehrkräften
Zusammenfassung
„Mein idealer Unterricht ist schülerzentriert und es herrscht eine angenehme Lernatmosphäre. Kein Schüler sollte Angst oder Hemmungen haben etwas nachzufragen. Außerdem sollte entdeckendes Lernen Teil des Unterrichts sein, da dies ein nachhaltigeres Lernen fördert. Verschiedene Methoden sollten eingesetzt werden, damit der Unterricht abwechslungsreich ist und es sollte kein Leistungsdruck herrschen.
Sebastian Schorcht
17. Sicherung mathematischer Grundkompetenzen am Beispiel des österreichischen Zentralabiturs
Zusammenfassung
Der österreichische Nationalrat (Parlament) hat im Sommer 2009 eine Neugestaltung der Reifeprüfung (Abitur) beschlossen; die wesentlichste Änderung besteht darin, dass die Aufgabenstellungen der für alle Schülerinnen und Schüler verbindlichen schriftlichen Reifeprüfung (sRP) in den Fächern Deutsch, Mathematik und einer lebenden Fremdsprache zentral und nicht wie bisher durch die jeweilige Klassenlehrerin bzw. den Klassenlehrer erfolgen. Für die Allgemeinbildenden Höheren Schulen („Gymnasien“) soll diese neue Regelung ab dem Schuljahr 2013/14 gelten, für die Berufsbildenden Höheren Schulen (u. a. höhere technische oder kaufmännische Schulen mit Abitur) ab dem Schuljahr 2014/15.
Werner Peschek
18. Mathematik im Kontext Bericht aus dem Projekt „Fächerkonzepte und Bildung“
Zusammenfassung
„Mathematik – das hab ich nie verstanden“. Wenn man diese Aussage im Alltag hört, dann ist damit in der Regel mehr gemeint als der bloße Hinweis auf gewisse individuelle Wissenslücken. Es geht auch (vielleicht sogar vorrangig) um eine mangelnde Vorstellung davon, worin eigentlich die Bedeutung dessen liegt, was man unter der Überschrift „Mathematik“ in der Schule gelernt hat.
Andreas Vohns

Außenperspektiven auf das Verstehen von Mathematik

Frontmatter
19. „Das Konkrete ist das Abstrakte, an das man sich schließlich gewöhnt hat.“ (Laurent Schwartz) Über den Ablauf des mathematischen Verstehens
Zusammenfassung
Die im Titel genannte Aussage findet sich in den Lebenserinnerungen von Laurent Schwartz (1915-2002), einem der fruchtbarsten Mathematiker, Mitglied der Gruppe Bourbaki. Im Original lautet die Aussage: „un objet concret est un objet abstrait auquel on a fini par s’habituer.“ Schwartz erläutert sie am Beispiel des Integrals über \({e^{-\frac{1}{2}{x^2}}}\) , das den Wert Wurzel aus 2π hat und in dem sich also die Zahlen e und π verknüpfen. Was Schwartz aber vor allem ausdrücken will, ist dies: Das mathematische Verständnisd geht langsam vor sich und es bedarf der Anstrengung. „Es ist eine Frage der Zeit und der Energie“, sagt Schwartz, und gerade dies mache es so schwer, die höhere Mathematik unter das Volk zu bringen. Das Lernen und Lehren von Mathematik laufe eben mühevoll und langsam ab.
Martin Lowsky
20. Zwischen Commonsense und Wissenschaft Mathematik in der Erziehungsphilosophie A. N. Whiteheads
Zusammenfassung
Obwohl Whitehead heute wie selbstverständlich als Philosoph rezipiert wird, so hat er seine wissenschaftliche Laufbahn doch als Mathematiker begonnen. Lange Zeit war er gemeinsam mit Bertrand Russell als Autor der Principia Mathematica unter Mathematikern und mathematischen Logikern deutlich besser bekannt als unter Philosophen. Doch selbst von denjenigen, die sich mit Whiteheads Überlegungen zur Metaphysik, zur Wissenschaftsgeschichte und zur Theologie befassen, werden seine Schriften zur Philosophie von Erziehung und Bildung häufig kaum beachtet. So entgeht es leicht, dass Whitehead nicht nur ein auf theoretischem Gebiet brillanter Mathematiker war, sondern sein theoretisches Fachwissen im Hinblick auf pädagogische und didaktische Relevanz fortwährend reflektiert hat.
Dennis Sölch
21. Der Begriff mathematischer Schönheit in einer empirisch informierten Ästhetik der Mathematik
Zusammenfassung
Dieses Zitat des britischen Mathematikers G. H. Hardy bringt pointiert die unter praktizierenden Mathematikern, aber auch unter Philosophen der Mathematik weithin akzeptierte Ansicht zum Ausdruck, dass mathematische Schönheit eine nicht zu vernachlässigende Rolle in der mathematischen Forschungspraxis spielt und sowohl interessante ästhetiktheoretische, epistemische als auch ontologische Aspekte aufweist. Danach beeinflusst also das Verständnis dessen, was mathematische Schönheit ist, auch das Verständnis dessen, was Mathematik ist: „Was sind die Träger mathematischer Schönheit?“ ist die Frage nach der Art der Gegenstände, für deren Schönheit Mathematiker sich begeistern und nach der sie streben. „Was sind die Kriterien für mathematische Schönheit?“ ist die Frage nach den Kategorien, unter denen Mathematiker ihre Arbeit bewerten. Egal, ob sich das Phänomen mathematischer Schönheit als Ausnahmemerkmal oder als ständiger Begleiter mathematischen Tuns erweist – ein adäquates allgemeines Mathematikverständnis sollte dieses Phänomen berücksichtigen und bestenfalls auch erklären können.
Eva Müller-Hill, Susanne Spies
22. Wissen und Handeln der Mathematiker Philosophische Analyse und Betrachtung ihrer Relevanz für die Industrie
Zusammenfassung
Die grundlegende Frage, mit der wir uns im Folgenden beschäftigen wollen, ist, welches die charakteristischen Fähigkeiten von Mathematikern sind und warum diese für die Industrie interessant erscheinen. Allgemein schreibt das Berufe-Lexikon über das Berufsbild des Mathematikers: „Mathematiker befassen sich mit der Entwicklung und Weiterentwicklung mathematischer Formeln, Methoden und Theorien und übertragen diese auf praxisbezogene Fragestellungen aus Naturwissenschaften, Medizin, Ingenieur- oder Wirtschaftswissenschaften. Das Berufsbild des Mathematikers variiert sehr stark in Abhängigkeit vom Einsatzfeld. Die meisten Mathematiker übernehmen eine Lehrtätigkeit an Schulen oder Hochschulen. Weiterhin arbeiten Mathematiker in Wirtschaftsbranchen, die mathematische Grundsätze für ihre Entscheidungsfindung nutzen. Hervorzuheben sind hier insbesondere Versicherungen, Kreditinstitute, Unternehmensberatungen, Software-Unternehmen und Pharmahersteller.“
Uwe V. Riss, Vasco A. Schmidt
Backmatter
Metadaten
Titel
Mathematik Verstehen
herausgegeben von
Dr. Markus Helmerich
Prof. Dr. Katja Lengnink
Prof. Dr. Gregor Nickel
Dipl.-Math. Martin Rathgeb
Copyright-Jahr
2011
Verlag
Vieweg+Teubner
Electronic ISBN
978-3-8348-9836-4
Print ISBN
978-3-8348-1395-4
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-8348-9836-4