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26.10.2016 | Nutzfahrzeuge | Interview | Online-Artikel

"Wir verlassen auch die Welt der klassischen Maschinensteuerung"

verfasst von: Andreas Burkert

6:30 Min. Lesedauer

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Interviewt wurde:
Prof. Dr. Ludger Frerichs

ist seit 2012 Institutsleiter und Universitätsprofessor für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge (IMN) an der Technischen Universität Braunschweig.

Das Internet der Dinge ist für die Landtechnik eine große Chance. Das erzählt Professor Ludger Frerichs, Institutsleiter mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge an der TU Braunschweig, im Gespräch mit ATZoffhighway. Lesen Sie im zweiten Teil des Interviews, wie die IT und die Elektromobilität die Landtechnik prägen werden.

Springer Professional: Ist die IT einer der wesentlichen Schlüssel in der Landtechnik, um etwa den Energieverbrauch zu senken?

Frerichs: Das ist richtig, durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik sowie durch Automatisierung lässt sich der Energieverbrauch in der Landtechnik verringern. Durch intelligente Nutzung des verfügbaren Wissens, können wir große Fortschritte im Energieverbrauch und in der CO2-Emission erreichen. Wenn wir Erfahrungen über die Abläufe analysieren und interpretieren, können wir die Maschine optimal einstellen und damit effizienter machen. Darüber hinaus stecken noch erhebliche Potenziale in der Verfahrensorganisation sowie im bedarfsgesteuerten Einsatz- und Flottenmanagement.

Damit verlassen wir auch die Welt der klassischen Maschinensteuerung.

Ja, aber das müssen wir auch, wenn wir über das Internet der Dinge sprechen. Wir kommen da unter anderem in den Bereich der Produktionssteuerung. Und da meine ich, können wir eine Menge von der modernen industriellen Produktion lernen. Kaizen, die Veränderung zum Besseren, und Muda, sprich Verschwendung vermeiden, das ist mir aus meiner Industriezeit noch gut in den Ohren. Auch müssen wir den Umgang mit Big-Data lernen. Wir können nicht überall einen Algorithmus dahinter legen. Stichwort wäre das "Deep Learning", also künstliche neuronale Netze aufbauen, um solche System zu verstehen und Schlüsse zu ziehen.

Seit 2012 leiten Sie das Institut für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge an der TU Braunschweig und Sie widmen sich dort unter anderem der Mobilhydraulik wie auch der Antriebstechnik. An welchen Initialprojekten arbeiten Sie derzeit?

Antriebstechnik und Mobilhydraulik sind sehr wichtige Themen für uns. Wir haben am IMN aber insgesamt fünf Schwerpunkte aufgebaut, weil ich möchte, dass wir bei aller notwendigen Konzentration auf einzelne Forschungsthemen nie das Gesamtsystem und den systemischen Ansatz aus den Augen verlieren. So kommen wir mit unseren Institutsschwerpunkten von der Prozesstechnik über die Antriebstechnik und Mobilhydraulik zu den Maschinen und den Maschinen im Verfahren hin zur Automatisierung und zu den Robotersystemen. Wir haben dafür in den letzten Jahren das Institut auf über 20 wissenschaftliche Mitarbeiter wachsen lassen, sodass die einzelnen Schwerpunkte für ein Hochschulinstitut gut besetzt sind.

In der Prozesstechnik arbeiten wir beispielsweise mit der Diskreten Elemente-Methode, um die Prozesse in den mobilen Maschinen, zum Beispiel das Schneiden und Fördern oder die Belastungen und den Verschleiß, noch besser zu verstehen und technische Entwicklungen schneller realisieren zu können. Für Hydraulikanlagen suchen wir Antworten auf Fragen hinsichtlich der besten Gestaltung von Versorgungssystemen. Luftabscheidung im Tank ist ein Stichwort oder, ob es zielführender ist, anstatt mit einer großen Pumpe zu arbeiten, vielleicht besser mit mehreren intelligent kombinierten kleinen Pumpen. Diese könnten dann im Wirkungsgradoptimum betrieben werden. Solche Effekte haben durchaus Auswirkungen auf das gesamte Antriebssystem, vor allem, wenn man die Betriebspunktoptimierung des Verbrennungsmotors hinzunimmt. Und diese zusammengenommen wirken sich wiederum auf die Maschine im Einsatz aus. Aber wie? Das herauszufinden ist beispielsweise eine Aufgabe in einem ziemlich umfangreichen Projekt mit vielen Partnern. Wir sind dabei, landwirtschaftliche Produktionsketten derart zu modellieren, dass wir die Effekte solcher Einzelmaßnahmen analysieren können.

Das bedeutet konkret?

Dass in der Praxis schnell ermittelt ist, dass eine Maschine durch ein bestimmtes technisches Feature, sagen wir, 10 Prozent effizienter arbeitet. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass wir diese Einsparung auch in der Produktionskette sehen. Der Effizienzvorteil im Beispiel wirkt sich vielleicht vorrangig bei bestimmten Arbeiten aus. Wir müssen also in dem besagten Projekt betrachten, wie sehr solche einzelnen Effekte aus der Prozesstechnik, den Antrieben, Fahrwerken etc. von den Einsatzprofilen der Maschine abhängen.

Welche Aufgaben stehen sonst noch oben auf der Agenda?

Ein weiteres aktuell stark wachsendes Forschungsfeld sind die Assistenz- und Robotersysteme. Hier betrachten wir überwiegend die Mehrmaschinenkooperation. Ich hatte ja schon gesagt, dass mobile Maschinen wie Landmaschinen selten für sich alleine arbeiten. So schaffen wir in einem Projekt die Voraussetzungen für neue Assistenz- und Automatisierungsfunktionen wie das Erkennen und automatische Koppeln von Traktor und Gerät. Dass wir mit Partnern in Braunschweig an der Entwicklung von Pflanzenbausystemen der Zukunft auf Basis automatisierter Maschinen arbeiten, hatte ich ja schon beschrieben. Ein weiteres Beispiel ist der Einsatz eines Multicopters in Verbindung mit Robotern auf dem Boden. Diese Geräte kommunizieren untereinander, sammeln über Sensorsysteme Daten und informieren koordiniert die Leitstelle, die das System einsetzt. Aus diesen Informationen lassen sich dann Handlungsempfehlungen erarbeiten. Wir arbeiten in diesem Projekt unter anderem mit der Fa. AirRobot sowie mit der Braunschweiger Feuerwehr und dem Küstenschutz zusammen.

Welche Chancen rechnen Sie angesichts der Fortschritte in der Elektromotorenentwicklung der Mobilhydraulik noch zu?

Das hört sich fast so an, als ob die Hydraulik aus der Mode kommen sollte. Das wird sie in mobilen Maschinen noch lange nicht. Wir haben heute keine vergleichbaren Systeme, mit der wir die erforderliche Leistungsdichte vor allem für Linearbewegungen darstellen können. Der geringe Bauraumbedarf der Aggregate, die Flexibilität der Anordnung oder auch, dass das Leistung übertragende Medium gleichzeitig Kühlmedium ist, sind nur einige gewichtige Gründe, warum die Hydraulik in den mobilen Maschinen noch lange ihre Bedeutung haben wird. Es ist aber keine Mode- oder gar Glaubensfrage, welche Technologie zum Tragen kommt. Es gilt ingenieurmäßig: "Das Bessere ist des Guten Feind".

Elektromotoren lassen sich allerdings leichter überall montieren.

Das würde ich für elektrische Direktantriebe hoher Leistung oder Momente nicht generell unterschreiben. Dennoch, Sie haben Recht, elektrische Antriebe werden mehr und mehr kommen. Und zwar zunächst da, wo sie ihre Vorteile ausspielen können und die Nachteile nicht zu sehr ins Gewicht fallen. Auch hier müssen wir wieder das Fahrzeug als Ganzes und im Einsatz sehen. Richtig konzipiert ist ein wesentlicher Vorteil des elektrischen Antriebssystems der Entfall von Energiewandlungsstufen und damit ein höherer Gesamtwirkungsgrad. Darüber hinaus fällt die Ansteuerung leichter, weil sie auf der gleichen Energieebene bleiben können. Zudem entfallen umfangreiche Servicearbeiten. Allerdings haben Elektromotoren derzeit in vielen Anwendungen noch den Nachteil, dass sie kostenmäßig nicht mit Hydrauliksystemen konkurrieren können.

Das scheint das Problem zu sein. Wie lange wird es dauern, bis der Elektromotor den Dieselmotor in der Landwirtschaft verdrängen wird?

Auch wenn wir uns sehr intensiv mit dem Thema Elektroantriebe auseinandersetzen, wird es noch seine Zeit in Anspruch nehmen. Doch vor dem Hintergrund immer strengerer Emissionsvorschriften und der Notwendigkeit höherer Effizienz wird es sicher nicht bis 2050 dauern. Die bisherige Nutzung von Verbrennungsmotoren und fossilen Kraftstoffen wird durch Verbote und die explizite Förderung alternativer Antriebskonzepte drastisch zurückgehen. Die Dekarbonisierung ist ein ausgesprochenes politisches Ziel und gegebenenfalls höhere Kosten wird man in Kauf nehmen. Ich persönlich erwarte in den nächsten Jahren einen Boom vor allem von batterieelektrischen Fahrzeugen, die nahe am Betriebshof eingesetzt werden. Das gilt für Landmaschinen genauso wie für Baumaschinen und für Maschinen im kommunalen Einsatz. Für leistungsfähige mobile Arbeitsmaschinen mit größerer Reichweite brauchen wir ganz neue Lösungen. Neue Kraftstoffe, Brennstoffzellenantriebe, elektrische Direktversorgung, intelligente Ladekonzepte, … wir werden es sehen. Auf jeden Fall sind das spannende Forschungsthemen, wozu wir am IMN in Braunschweig unseren Beitrag leisten werden.

Mehr vom Interview lesen Sie in der aktuellen ATZoffhighway 4-2016, die am 2. November 2016 erscheint.

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