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03.09.2013 | Rechnungswesen | Interview | Online-Artikel

"Nur gesunde Unternehmen sind langfristig profitabel und innnovationsfähig"

verfasst von: Sylvia Meier

5:30 Min. Lesedauer

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Die Springer-Autorin Nicole Roschker hat sich in ihrer Arbeit "Psychische Gesundheit als Tabuthema in der Arbeitswelt" mit dem Thema Mitarbeitergesundheit in der Berichterstattung der DAX-30-Unternehmen beschäftigt. Im Gespräch äußert sich Frau Roschker zur aktuellen Berichterstattung der Unternehmen und erläutert, wo sie noch Nachholbedarf sieht.

Frau Roschker, warum entscheiden sich Unternehmen dazu, das Thema psychische Erkrankungen in ihrer Berichterstattung anzusprechen?

Die Gründe hierfür sind sicherlich vielfältig. Zum einen gibt es Unternehmen, die die Relevanz des Themas für ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Innovationsraft erkannt haben und ernsthaft bemüht sind, die Gesundheit ihrer Mitarbeiter im ganzheitlichen Sinne zu erhalten. Darüber berichten sie in unterschiedlichen Medien der externen Kommunikation, in ihren Nachhaltigkeitsberichten ebenso wie in den Geschäftsberichten und im Internet.

Welche Rolle spielen dabei die Medien?

Die Aufmerksamkeit, die die Medien und damit die Öffentlichkeit dem Thema in den letzten zwei bis drei Jahren gewidmet hat, trägt sicherlich auch dazu bei, dass Unternehmen sich zum Thema psychische Gesundheit äußern. Seit vielen Jahren ist bekannt, dass bestimmte Faktoren unserer modernen  Arbeitswelt wie z.B. die zunehmende Entgrenzung von Arbeitszeit und –raum oder der zunehmender Zeit- und Leistungsdruck mit verantwortlich sind für die steigende Zahl der psychischen Erkrankungen von Erwerbstätigen. Die Medien haben Unternehmen hierfür oftmals sehr plakativ in die Verantwortung genommen. Das mag der Komplexität des Themas vielleicht nicht immer gerecht geworden sein, hat aber bewirkt, dass über die Rolle der Arbeitgeber im Zusammenhang mit steigenden Krankenzahlen diskutiert wird. Insofern steigt die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit, dass Unternehmen sich aktiv des Themas annehmen und auch hierüber informieren.

 In ihrer Arbeit beschäftigen Sie sich mit dem Thema  Mitarbeitergesundheit in der externen Berichterstattung der DAX-30-Unternehmen. Wie weit ist die Berichterstattung hier bereits?

Die Berichterstattung der DAX 30 zeigt eine große Bandbreite im Hinblick auf das Thema Mitarbeitergesundheit auf. Vier Unternehmen äußern sich gar nicht öffentlich zum Thema Gesundheit ihrer Mitarbeiter. Das mag unterschiedliche Gründe haben, zeigt aber, dass das Thema offensichtlich nicht als sozial und ökonomisch relevantes Issue eingeschätzt wird und somit nicht in die Berichterstattung einfließt. Die übrigen 26 Unternehmen äußern sich im Hinblick auf Umfang und Qualität der Informationen in sehr unterschiedlicher Weise. Bei einigen DAX 30-Unternehmen hat die Gesundheit von Mitarbeitern offensichtlich mittlerweile so hohe Relevanz, dass sie explizit Erwähnung in der Unternehmensstrategie, in übergeordneten Leitlinien oder dem Konzernlagebericht und hier insbesondere dem Risikobericht findet. Diese Unternehmen sind aber in der Minderheit – die Mehrzahl der Unternehmen berichtet über einzelne Programme und Maßnahmen im Rahmen einer betrieblichen Gesundheitsförderung.

Was ist Ihre Einschätzung, wie gehen Unternehmen mit dem Thema psychische Gesundheit um?

Das Thema ist bei den DAX 30 durchaus angekommen, auch wenn die Qualität der Berichterstattung hierzu wie erwähnt noch sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Diese spiegelt die Haltung der Unternehmen zum Thema wider. Insgesamt greifen 26 Unternehmen das Thema psychische Gesundheit auf. Die Mehrzahl hiervon artikuliert sich vorsichtig, indem sie z.B. über präventive, individuelle Maßnahmen zur Gesundheitsförderung wie Seminare zum Stressabbau, zur Burnout-Prävention oder zur Work-Life-Balance informiert. Das Thema wird somit nicht totgeschwiegen, doch wenn sich die Berichterstattung auf  individuelle, verhaltensbezogene Maßnahmen beschränkt, signalisieren die Unternehmen nach außen, dass sie die Verantwortung für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter ausschließlich bei diesen selbst sehen. Die Aktivitäten der Unternehmen beschränken sich dann auf die Bereitstellung von Angeboten im Rahmen der betrieblichen Gesund­heitsförderung, die die Mitarbeiter selbst wahrnehmen. Das ist sicherlich ein erster Schritt und auch absolut positiv zu bewerten, doch im Hinblick auf die steigende Anzahl von psychischen Erkrankungen sind solche Maßnahmen allein nicht ausreichend.

Und wie offen wird kommuniziert?

Zwölf der DAX 30-Unternehmen sprechen die Problematik vergleichsweise offen an, indem sie über die Planung und Umsetzung organisationaler Maßnahmen im Zusammen­hang mit psychischen Erkrankungen sprechen, die in der Verantwortung des Arbeitgebers liegen. Dies sind z.B. Richtlinien, die das Thema psychische Gesundheit konkret adressieren wie auch Maßnahmen zur Gefährdungsbeurteilung inklusive der Schulung von Führungskräften zur Früherkennung Erkrankter. Das heißt, diese Unternehmen sind sich der Tatsache bewusst, dass sie als Arbeitgeber im Hinblick auf die Arbeitsverhältnisse und die Arbeitsorganisation mit verantwortlich sind für die Gesunderhaltung ihrer Mitarbeiter.

Wo sehen Sie noch Nachholbedarf?

Es gibt noch erheblichen Nachholbedarf, beim Thema Mitarbeitergesundheit ebenso wie zu anderen Themen der sozialen Nachhaltigkeit. Ein umfassendes Verständnis von Gesundheit wird im Zusammenhang mit unternehmerischer Verantwortung noch viel zu selten artikuliert. Dass ein schonender Umgang mit Ressourcen nicht nur ökologische Aspekte beinhaltet, sondern auch die Verantwortung für das Wohlergehen und den Erhalt der Arbeitsfähigkeit von Menschen muss sich erst noch durchsetzen, nicht nur in der Berichterstattung. Darüber hinaus müsste das Thema Mitarbeitergesundheit im Rahmen der Bewertung von Unternehmen stärker berücksichtigt werden. Nur gesunde Unternehmen sind langfristig profitabel und innnovationsfähig, denn alle Unternehmen sind letztendlich abhängig von der Leistungsfähigkeit und der Motivation ihrer Belegschaft.    

In Ihrer Arbeit sprechen Sie von Reporting und Stakeholdern als Pull-Faktoren. Was ist damit gemeint?

Pull-Faktoren üben in Anlehnung an die Pull-Funktion im Marketing eine Sogwirkung aus – im Zusammenhang mit Reporting und Anspruchsgruppen werden Informationen aktiv einfordert und Unternehmen dazu veranlasst, diese bereit zu stellen. Reporting-Standards können diese Funktion ebenso ausüben wie Stakeholder von Unternehmen, seien es Analysten, Investoren, der Gesetzgeber sowie Interessensvertretungen oder die Medien, um nur einige zu nennen.

Die Berichterstattung von Unternehmen folgt bestimmten inhaltlichen und formalen Vorgaben, die durch gesetzliche Vorschriften und/oder Standards vorgeschrieben sind. Ziel ist es, die Unternehmen miteinander vergleichbar zu machen, um sie zu bewerten. Sofern also das Thema Mitarbeitergesundheit explizit im Rahmen von  Reporting-Vorgaben artikuliert wird und Informationen hierzu eingefordert werden, müssen Unternehmen diese bereitstellen. Derzeit basiert die Berichterstattung zu sozialen und ökologischen Belangen in Deutschland noch auf freiwilliger Basis, in anderen europäischen Ländern ist diese bereits verpflichtend und die CSR-Strategie der EU sieht zukünftig ebenfalls eine verpflichtendes Reporting für einen großen Teil der Unternehmen innerhalb der EU vor.

Anspruchsgruppen können ebenfalls aktiv Informationen von Unternehmen einfordern – hierzu gehören Politiker gehören ebenso wie z.B. Vertreter von Gewerkschaften oder die Medien. Setzen diese Anspruchsgruppen ein Thema wie die steigende Zahl der psychischen Erkrankungen in der Arbeitswelt auf ihre Agenda, so ist davon auszugehen, dass Unternehmen hier mit konkreten Forderungen, z.B. in Form schärferer Gesetze rechnen müssen. Dies ist durch die Novellierung des Arbeitsschutzgesetzes Ende Juni 2013 durch den Bundestag auch bereits erfolgt – Arbeitgeber sind zukünftig zu Präventionsmaßnahmen bei Arbeitsstress und psychischen Belastungen verpflichtet.

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