2006 | OriginalPaper | Buchkapitel
Verfassungsgerichtsbarkeit: zwei Modelle des Hüters der Verfassung
Erschienen in: Politik und Verfassung
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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„Hüter der Verfassung oder Lenker der Politik“297, „Hüter der Verfassung oder Ersatzgesetzgeber?“298 und „Justizialisierung von Politik“299 - das sind die plakativen Entgegensetzungen von Recht und Politik, die mit der Kritik an der Verfassungsgerichtsbarkeit einhergehen. Sie ist so alt wie die Idee der Verfassungsgerichtsbarkeit selbst
300
. Hierzu hält Klaus Stern fest:
„Sie hatten ihren Ahnherrn etwa in Hegel... oder in Bismarck, der sich 1863 vor dem Preußischen Landtag folgendermaßen äußerte: ‚Wenn... ein Gericht berufen würde..., die Frage zu entscheiden: ist die Verfassung verletzt oder ist sie es nicht?, so würde damit dem Richter zugleich die Befugnis des Gesetzgebers zugewiesen; er wäre berufen, die Verfassung authentisch zu interpretieren oder materiell zu vervollständigen...‘. Meist wird dieser Gedanke in die auf den französischen Historiker und Politiker Guizot zurückgehende Formel von der Juridifizierung der Politik und der Politisierung der Justiz gekleidet, bei der beide nichts zu gewinnen, wohl aber alles zu verlieren hätten. In der Gegenwart sind es mehr die Volkssouveränität und das Demokratieprinzip, die mit der Behauptung ins Feld geführt werden, sie verböten, daß von einem Richterkollegium Mehrheitsentscheidungen korrigiert... werden können“301. Im 20. Jahrhundert ist diese Kritik wohl am radikalsten und wirkmächtigsten von Carl Schmitt formuliert worden — und zwar gegen Hans Kelsens Herleitung institutionalisierter Verfassungsgerichtsbarkeit als ein Element pluralistischer Demokratie. Danach sei der Begriff der Verfassungsgerichtsbarkeit ein Widerspruch in sich selbst, unvereinbar mit der Gewaltenteilung und überhaupt unvereinbar mit der politischen Konzeption der (Volks)souveranität.