1 Einleitung: Zusammenspiel von IT, Energie, Industrie & Nachhaltigkeit
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Versorgungssicherheit: Der weltweite Primärenergieverbrauch steigt weiterhin an. Energie muss in dem Maße bereitgestellt werden, dass die Nachfrage von Wirtschaft und Bevölkerung gedeckt ist.
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(Soziale) Energiegerechtigkeit: Der Zugang der Bevölkerung zur Energieversorgung muss sichergestellt sein. Dies umfasst unter anderem bezahlbare Energiepreise.
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Ökologische Nachhaltigkeit: Ziel ist ein energieeffizientes Energiesystem und die Transformation zu erneuerbaren Energien.
2 Industrielle Nachfrageflexibilität trifft auf IT-Systeme
3 Entwicklung einer IT-Architektur zur Energieflexibilitätsvermarktung
4 Nachhaltigkeit durch IT: Potenziale und Auswirkungen durch den zielgerichteten Einsatz
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Steigende Transparenz: Die Grundlage hierfür stellt die Nutzung von (digitalen) Technologien, Sensorik und Aktorik, wie sie im Rahmen von IoT oder Industrie 4.0 Verwendung finden, als auch Expertenwissen über Zusammenhänge und dem Verhalten von Produktionsprozessen dar (Sauer et al. 2019). Durch den Einsatz der ESP gewinnen Unternehmen tiefere und neue Einblicke in ihre Produktionsinfrastruktur und ihren Energieeinsatz. Gerade bei der Identifikation von Energieflexibilitätspotenzialen und dem Modellieren von Flexibilitäten im EFDM lassen sich bisher unentdeckte Zusammenhänge von Produktion, Infrastruktur und Organisation ermitteln. Diese Erkenntnisse kommen nicht ausschließlich der Vermarktung und dem Einsatz von Energieflexibilität zu gute. Vielmehr lassen sich Synergien, beispielsweise mit der Produktion oder organisatorischen Abläufen, heben. So können zum Beispiel Ursachen von Lastspitzen, welche großen Einfluss auf die zu entrichtenden Netzentgelte haben, oder ein energetischer Fußabdruck von einzelnen Produkten und deren Wertschöpfungsstufen identifiziert werden, welche wiederum die Energiebezugskosten senken und eine bessere Kalkulation von Herstellungskosten erlauben (Rösch et al. 2019). Zusätzlich wird durch die gewonnene Transparenz des Energieverbrauchs eine Basis für ein betriebliches Energiemanagement geschaffen, welches wiederum im Produkt Lifecycle Management Optimierungspotenzial bietet (Zhang et al. 2017). Zudem schafft die Architektur der ESP durch die Nutzung von markt-, als auch unternehmensübergreifenden Services zur Informationsbeschaffung weitreichende Transparenz für den Einsatz von marktdienlicher, netzdienlicher und systemdienlicher Flexibilität.
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Vermeidung von Lock-In-Effekten: Die ESP verhindert sowohl auf der Unternehmens- als auch Marktseite langfristige Vendor-Lock-In-Effekte (Sauer et al. 2019). Auf der UP können weiterhin proprietäre Produkte, die nicht direkt auf die Integration von Flexibilität und zur Erfüllung klassischer Funktionen der Unternehmensplanung und -steuerung ausgelegt sind, unterstützt und integriert werden. Über die MP wird durch die standardisierte Kommunikation und die Vermarktung von Flexibilität der Wettbewerb zwischen den einzelnen (Service‑) Anbietern erhöht, da große Hemmschwellen zum Anbieterwechsel entfallen. Durch den erhöhten Wettbewerb ist eine zunehmend steigende Qualität mit verbessertem Preis-Leistungs-Verhältnis zu erwarten, welche dem Flexibilitätsanbieter bei der Vermarktung nochmals entgegenkommt. Zudem ist basierend auf Netzeffekten der Plattformarchitektur mit einem Wachstum der Anzahl und einer Diversifikation der angebotenen Services zu rechnen, sobald eine kritische Masse an Teilnehmern erreicht ist (Rösch et al. 2019; Evans und Schmalensee 2010). Dieses Wachstum zieht wiederum neue Kunden an und erweitert das Angebot an Energieflexibilität.
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Energieflexibilität als Geschäftsmodell: Unternehmen können Energieflexibilität als eigenständiges Geschäftsmodell betrachten (Haupt et al. 2020). Durch den Einsatz von Flexibilität können neben einer Senkung der Strombeschaffungskosten, z. B. durch die Minimierung von Lastspitzen oder der Verschiebung des Stromverbrauchs hin zu Zeiten mit niedrigeren Strompreisen, weitere Erlöse mit dem Einsatz von Flexibilitäten für beispielsweise Systemdienstleistungen erwirtschaftet werden. Weitere Ziele von Energieflexibilität können aus Verein Deutscher Ingenieure (2020) entnommen werden. Die informationstechnische Unterstützung der ESP mit Services auf der UP und MP ermöglicht, die Wirtschaftlichkeit des Flexibilitätseinsatzes auf die individuellen Anforderungen und Gegebenheiten anzupassen und zu optimieren.
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Interoperabilität der ESP: Die bestehenden IT-Systeme eines Unternehmens sind geschäftskritisch. Bei der Implementierung der ESP wurde besonderes Augenmerk auf eine offene Gestaltung der Schnittstellen unter Verwendung etablierter Standards gelegt, um diese mit geringem Aufwand in bestehende Systemlandschaften zu integrieren. Durch den integrativen Charakter der ESP werden die Funktionalitäten bestehender IT-Systeme weiterhin verwendet und um die Zielgröße Energieflexibilität erweitert. Dadurch bleiben etablierte Prozesse erhalten, wodurch Kosten und Effizienzeinbußen durch Umrüstungen und Mitarbeiterumschulungen vermieden werden. Mit standardisierten Schnittstellen zwischen UP und MP sowie vermittelten Services reduziert sich der Implementierungsaufwand zur Flexibilitätsvermarktung. Folglich reduziert sich die Kopplung und damit die Komplexität von Informationssystemen zum Handel von Energieflexibilität (Sauer et al. 2019). Zudem lassen sich neue innovative Services, welche den Funktionsumfang der ESP erweitern, durch Unternehmen selbst oder durch Independent Software Vendors unabhängig vom Plattformbetreiber entwickeln und anderen Plattformteilnehmern zur Verfügung stellen. Neben den Vorteilen der ESP ist für zukünftige Produktions-IT-Systeme eine offenere Gestaltung zur vollumfänglichen Integration erstrebenswert. Zwar existieren an unterschiedlichen Stellen Teillösungen zur Automatisierung, insbesondere die übergreifende Vernetzung und Aggregation von Daten und Informationen sind jedoch in Unternehmen oftmals mangelhaft (Vogel-Heuser et al. 2017). Da produzierende Unternehmen und Stromnetzbetreiber Experten in ihren Prozessen sind, und zum Aufbau, zur Weiterentwicklung und zum Betrieb von komplexen IT-Lösungen oftmals die notwendigen Kompetenzen und Ressourcen fehlen, müssen IT-Systeme interoperabel und einfach zu integrieren sein (Murthy Balijepalli et al. 2011; Götz et al. 2018).
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Stärkung der Organisationsstruktur: Die Auseinandersetzung mit Flexibilität und der Einführung zielgerichteter IT stärkt die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit und das Rollenverständnis in der Organisation – die häufig vorzufindenden Silostrukturen können aufgebrochen werden. Bei den Prozessen der Flexibilitätsvermarktung sind eine Reihe von Abteilungen, von der technischen Instandhaltung bis hin zur Schichtplanung der Produktion, involviert. Das abteilungsübergreifende Zusammenspiel fördert neben dem Ziel der energieflexiblen Fabrik den unternehmensinternen Austausch und bietet Potenzial für Prozessoptimierungen in jeglicher Hinsicht.
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Steigerung der Nachhaltigkeit in der Produktion: Bei produzierenden Industrieunternehmen gewinnt der Begriff der „Nachhaltigkeit“ zunehmend an Bedeutung. Sowohl ökologische, ökonomische als auch soziale Nachhaltigkeit sind Kriterien, an denen Unternehmen gemessen und von Investoren bewertet werden (Unruh et al. 2016; Birkel et al. 2019). Mit dem Einsatz von Energieflexibilität und damit einhergehender IT werden zu großen Teilen die Aspekte ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit adressiert. Durch die Flexibilisierung des Energieverbrauchs können mit der Verschiebung des Verbrauchs hin zu Zeiten mit erhöhtem Aufkommen von Erneuerbaren Energien die Treibhausgasemissionen gesenkt werden. Gleichzeitig sinken die Strombeschaffungskosten durch eine gezielte Ausnutzung von volatilen Strompreisen (Schott et al. 2019). Nichtsdestotrotz werden auch soziale Aspekte der Nachhaltigkeit, wie beispielsweise im zuvor aufgeführten Punkt – Stärkung der Organisationsstruktur – abgedeckt.