Skip to main content

2022 | Buch

Als Gleicher unter Verschiedenen?

Diskriminierung evolutionspsychologisch

insite
SUCHEN

Über dieses Buch

Warum fallen Menschen in alte, zerstörerische Verhaltensmuster zurück? Wegen schlechten Charakters oder einer schlimmen Kindheit? Wenn wir die evolutionär geformte Natur des Menschen berücksichtigen, erkennen wir Möglichkeiten zur Kooperation und zu regelhaft gestalteter Konkurrenz.
Soziale Diskriminierung als Begleiterscheinung der kulturellen Evolution kann kooperatives Verhalten untergraben. Konkurrenz als unverzichtbarer Bestandteil für den Prozess der Evolution muss dem gegenüber nicht notwendig in Feindschaft und Aggression münden, sondern kann menschengemachten Regeln folgen. Dieses Buch versucht zu zeigen, Ansatzpunkte in der frühen Phylogenese zu suchen und nicht zu große Hoffnungen auf unsere neuesten kultur-evolutionären Errungenschaften (gesinnungsethische Empfehlungen, Antidiskriminierungsgesetze, Änderung sprachlicher Symbole) zu setzen. Wenn die evolutionär geformte Natur des Menschen berücksichtigt wird, erkennen wir Möglichkeiten zur Kooperation und zu regelhaft gestalteter Konkurrenz. Dies wiederum kann helfen, dass evolutionspsychologische Erkenntnisse zur Vermeidung oder Verminderung sozialer Diskriminierung beitragen können.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Kapitel 1. Gleichheit und Diskriminierung
Zusammenfassung
Nach Darwin ist jeder Organismus einzigartig. Das ist so wegen der Verschiedenheit innerhalb der Art. Die Menschenrechte und Antidiskriminierungs-Gesetze verlangen die Gleichbehandlung von Menschen. Aus diesem Widerspruch ergeben sich schwer zu lösende Probleme, weil sich nicht nur die Menschen unterscheiden, sondern auch die Situationen, in die sie geraten. Außerdem müssen Strukturen sozialer Ordnung geschaffen werden, die auf der Einteilung von Menschen mit gleichen Merkmalen beruhen. Soziale Differenzierung kann unter bestimmten Bedingungen Diskriminierung zur Folge haben und/oder als solche erlebt werden.
Lydia Lange
Kapitel 2. Soziale Diskriminierung psychologisch
Zusammenfassung
Soziale Diskriminierungen sind Unterscheidungen, die Menschen gegenüber anderen Menschen zu deren Nachteil treffen. Sie werden im Alltag und in der Sozialpsychologie auf Vorurteile zurückgeführt. Vorurteile kann man zwar messen, aber sie können das Verhalten von Menschen häufig nicht korrekt voraussagen. (Man kann z. B. andere Menschen auch ohne Vorurteile diskriminieren.) Die Evolutionspsychologie versucht, das Verhalten unserer Art homo sapiens aus der Zeit zu verstehen, als unsere Vorfahren noch als Nomaden lebten. Das war Millionen Jahre lang der Fall. Erst vor etwa 12.000–13.000 Jahren wurden wir sesshaft. Wenn wir den Ursprung des gegenwärtigen Menschengeschlechts aus der Zeit der Jäger und Sammler (Nomaden) berücksichtigen, müssen wir feststellen, dass das menschliche Verhalten auch von tiefliegenden Strukturen (des Gehirns beispielsweise) gesteuert wird, die zu Konflikten im Kampf um Ressourcen führen können.
Lydia Lange
Kapitel 3. Die Gleichgültigkeit der Evolution
Zusammenfassung
Der Mensch ist ein vorläufiges Ergebnis der Phylogenese. In der Ontogenese treffen unsere genetischen Voraussetzungen auf äußere Bedingungen, die vom Menschen die Anpassung an die Lebensumstände erfordern. Hierbei spielen psychologische Prozesse eine wesentliche Rolle. Bestimmte Antriebe und Verhaltensweisen sprechen für eine frühe phylogenetische Basis, andere für eine spätere. Die psychologischen Faktoren sind diejenigen Bedingungen, mit denen wir menschliches Verhalten erklären. (Etwa: Er hat zugeschlagen, weil er geärgert wurde.) Sie werden in der Evolutionstheorie als „proximat“ bezeichnet. Die phylogenetisch festgelegten Faktoren unserer Art werden als ultimat bezeichnet. Sie können von uns nicht geändert, sondern allenfalls berücksichtigt werden.
Lydia Lange
Kapitel 4. Natürliche Auslese, Verschiedenheit und Anpassung bei Darwin und in der Psychologie
Zusammenfassung
Die Basisprozesse der Evolution, von Darwin als Vererbung, Variation und natürliche Auslese beschrieben, wurden und werden in ihrer Bedeutung oft missverstanden. Zum Teil ist das durch ungenaue (von Darwin monierte) Übersetzungen von Grundbegriffen, zum Teil durch die Vereinnahmung durch die Eugenik entstanden. Darwin hat die die Übersetzung von „struggle for existence“ in „Kampf ums Dasein“ abgelehnt. Außerdem ist „natürliche Auslese“ nicht mit sozialer Auslese zu verwechseln. Entscheidend war in der menschlichen Evolution der Übergang vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit. Was in der Zeit nach den Jägern und Sammlern von den Menschen im Bemühen, sich an Umweltgegebenheiten anzupassen, hervorgebracht wurde, wird als kulturelle Evolution bezeichnet. Durch die Entwicklung der Technik sowie durch medizinische, astronomische und weitere Erkenntnisse veränderten sich die Anpassungsmöglichkeiten an die Umweltgegebenheiten, ohne den Erfolg dieser Bemühungen zu garantieren. Diese Veränderungen können die biologischen Grundlagen der Evolution nicht ausschalten.
Lydia Lange
Kapitel 5. Psychologische Anpassungsprozesse
Zusammenfassung
Zwischen den biologischen Grundlagen unserer Existenz und den Anpassungszwängen und -bemühungen an die Umgebung wirken psychologische Prozesse. Die psychische Ausstattung dient der Übertragung von Informationen zwischen der biologischen und sozialen Umgebung auf der Basis eigener Bedürfnisse. Es handelt sich um Prozesse wie Lernen, Entscheiden, Vergleichen, Begriffsbildung auf der Basis unserer Sprache. Die Basis dieser Anpassungs- und Steuerungsmöglichkeiten ist affektiver und motivationaler Natur. Sie steuert unsere kognitiven Prozesse. Evolutionspsychologen haben dafür den Terminus „Ko-Evolution von Motivation und Kognition“ gewählt. Durch diese psychischen Vorgänge wird die Unterschiedlichkeit zwischen Menschen nicht verringert, sondern noch erweitert.
Lydia Lange
Kapitel 6. Diskriminierung infolge Gruppen-Zugehörigkeit
Zusammenfassung
Die Ergebnisse individueller psychologischer Vorgänge werden in Gruppen verändert. Mit unterschiedlichen experimentellen Paradigmen und aufgrund von Beobachtungen der kindlichen Entwicklung fanden Psychologen heraus, dass wesentliche Unterschiede bei der Interaktion zwischen Menschen von deren Gruppenzugehörigkeit abhängen. In Fachkreisen wird diskutiert, ob die Wir-Gruppen-Bevorzugung von der eigenen Identitätsentwicklung („Selbstbild“) abhängt oder vom Streben nach begrenzten Ressourcen. Beide Annahmen müssen sich nicht ausschließen. Ist Wir-Gruppen-Bevorzugung mit Außengruppen-Ablehnung oder -Benachteiligung verknüpft? Nicht immer, aber einige Voraussetzungen, die dabei eine Rolle spielen, lassen sich kaum beeinflussen. Die eigene Gruppe wird ontogenetisch bevorzugt noch bevor Außengruppen benachteiligt werden.
Lydia Lange
Kapitel 7. Veränderungen psychischer Vorgänge in der Gruppe und zwischen Gruppen
Zusammenfassung
Die menschliche Evolution spielt sich zwar auf individueller Ebene ab, aber jeder Mensch benötigt die Unterstützung von Artgenossen. Der Selektionsdruck erforderte bereits bei den Urmenschen die Gruppenunterstützung. In der Gruppe ändern sich die individualpsychologischen Vorgänge. Konformität kann auf unterschiedliche Weise erreicht werden: durch Sitten und Gebräuche, durch Gesinnung und Moral sowie durch Zwang. Abweichende Gruppenmitglieder werden diskriminiert. Die Kooperationsbereitschaft ist zwischen Gruppen in der Regel geringer als zwischen Individuen. Die Aggressionsbereitschaft ist gegenüber anderen Gruppen höher als gegenüber anderen Individuen. Für gemeinschaftliches Handeln vereinheitlichen sich die Gruppenmeinungen und Gruppenentscheidungen in eine bestimmte Richtung, in die des vorgestellten Gruppenvorteils (Divergenzeffekt). Interessendivergenz erhöht die Anzahl von Konkurrenzentscheidungen im Vergleich zu kooperativen Wahlen bei Gruppen stärker als bei Individuen.
Lydia Lange
Kapitel 8. Gegenseitigkeit und Komplementarität als evolutionäre Verteilungsmuster
Zusammenfassung
In der Gruppe und in den Beziehungen zwischen Gruppen gibt es die Möglichkeit, die Interaktionen in bestimmte Richtungen zu steuern. Das geschieht bereits auf früher phylogenetischer Ebene und kann vom Menschen berücksichtigt werden (Gegenseitigkeitswirkung). Im Zuge der kulturellen Evolution versuchen wir, u. a. durch Organisationsgestaltung, das menschliche Verhalten zu beeinflussen. Unter welchen Bedingungen funktioniert ein positiver Gegenseitigkeitseffekt? Wie kann man negative Gegenseitigkeit vermeiden? Wie kann man Unterstützung im Kampf um Ressourcen bekommen? Das ist möglich durch einzelne Menschen bzw. Gruppen, die komplementäre Bedürfnisse und Interessen haben. Diese Form von Zusammenarbeit gibt es bereits früh in der Phylogenese.
Lydia Lange
Kapitel 9. Koordination und Kommunikation in der kulturellen Evolution
Zusammenfassung
Wie kamen Menschen dazu, ihr Verhalten so zu gestalten, dass sie beim Drang nach Ressourcen in und mit Gruppen überleben konnten? Die dazu verwendeten Mechanismen werden als Prozesse der kulturellen Evolution aufgefasst. Charakteristisch für den Menschen ist die strukturierte Sprache, die die Kommunikationsmöglichkeiten im Vergleich zum Tierreich beträchtlich erweitert und unser Denken prägt. Im Zusammenhang mit Diskriminierung sind das vor allem Begriffe, die als Kategorien verwendet werden. Die auf Menschen bezogenen sprachlichen Kategorien sind wertgetönt und auf diese Weise besonders geeignet, den Affektgehalt des Gemeinten wiederzugeben. Sie können sich auf wahrnehmbare und nicht wahrnehmbare Merkmale beziehen. Die Gruppenkommunikation begann nicht erst bei der Sprache. Tanz und Gesang wurden bereits von Darwin als mögliche Fitness-Helfer der Evolution untersucht. Unsere Vorfahren, die Jäger und Sammler, verwendeten kategorielle Unterscheidungen nach Gesichtspunkten der Eignung von Gruppen anderer Menschen gemäß flüchtigen oder dauerhaften Merkmalen. Einteilungen nach dauerhaften (biologischen) Eigenschaften ließen sich für Unterscheidungen bei später als rassisch unterschiedenen Merkmalen in kognitionspsychologischen Experimenten der Schule von Cosmides und Tooby nicht finden. Anders ausgedrückt. Die Einteilung in Menschenrassen lässt sich evolutionspsychologisch nicht begründen.
Lydia Lange
Kapitel 10. Evolutionäre Versuche, Einmaligkeit und Gleichheit zu vereinen
Zusammenfassung
Der Mensch kann nicht allein überleben, er braucht die Gruppe bzw. soziale Strukturen. Er muss sich durch die Gruppe ergänzen, sich in sie einordnen und ein mit anderen Menschen gemeinsames Bezugssystem finden. Die Versuche, den Einzelnen in ein größeres soziales Gebilde einzufügen, haben zum Teil deutliche evolutionäre Ursprünge, zum Teil sind die durch die kulturelle Evolution veränderten Bedingungen artspezifisch für den rezenten Menschen. Der Mensch erwirbt ein Bild von sich selbst (die „Identität“) in der Gruppe, er ordnet sich ein (oder wird eingeordnet) in eine Hierarchie und er erwirbt oder konstruiert ein weltanschauliches Bezugssystem, um sich geistig zurechtzufinden. Über allen diesen Anpassungs- und Einordnungsversuchen „schwebt“ das biologische Interesse der Selbsterhaltung. Es kann mit den Gruppeninteressen in Konflikt geraten. Im Weiteren werden die genannten Strukturierungsprinzipien in folgender Reihenfolge analysiert: Selbstbild und Einmaligkeit als Ausdruck von Verschiedenheit. Ranggliederung als Komplementaritätsversuch. Gesinnung als Anpassungsleistung der kulturellen Evolution. Auf der Grundlage dieser Einordnungsversuche kann Komplementarität (Ergänzung zu anderen) im sozialen Zusammenhang erreicht werden. Dieser Versuch kann fehlgehen, d. h. der Rangplatz wird als zu niedrig empfunden, das geistige Bezugssystem (Gesinnung, Ideologie, Religion) wird nicht übernommen oder das Selbstbild ist negativ infolge des Gruppeneinflusses. In solchen Fällen kommt es zu sozialer Diskriminierung, die bis zur Verfolgung und sogar zur Vernichtung der Betreffenden führen können. Am deutlichsten ist das bei der („falschen“) Gesinnung.
Lydia Lange
Kapitel 11. Komplementarität in und zwischen Gruppen
Zusammenfassung
Das Ringen um Ressourcen führt auf Gruppenebene zu unterschiedlichen Formen des Umgangs miteinander oder gegeneinander, und das in Gruppen und zwischen Gruppen. Welche Bedingungen führen zu prosozialem Handeln, welche zu Konkurrenz, welche zu feindlichem Verhalten? Unter prosozialem Verhalten ist sowohl altruistisches Handeln als auch Kooperation zu verstehen. Altruismus ist das Verhalten zugunsten anderer bei eigenen Kosten. Die Kosten sind bei Kooperation nicht erforderlich, aber es kann Risiken geben. Auf Konkurrenz kann nicht verzichtet werden, sie ist ein Motor der Evolution. Konkurrenz muss nicht zu Feindschaft führen. Sie kann nach vorher aufgestellten Regeln oder gemäß Verträgen vor sich gehen. Dabei ist die Möglichkeit zur Betrugserkennung wichtig. Hängt Altruismus von genetischer Ähnlichkeit (Verwandtschaft) ab? Welche Formen der Kooperation gibt es in der Tierwelt? Welche Voraussetzungen sollten für die Kooperation zwischen Gruppen erfüllt sein? Altruismus muss nicht für alle Beteiligten hilfreich oder nützlich sein und nicht jede Kooperation ist freiwillig oder „auf Augenhöhe“. So kann auch Altruismus für andere Menschen schädlich und Kooperation mit sozialer Diskriminierung verbunden sein.
Lydia Lange
Kapitel 12. Konkurrenz und/oder Feindschaft?
Zusammenfassung
Nach Wrangham (2018) unterscheidet man zwischen proaktiver und reaktiver Aggression. Die proaktive Aggression wurde von Paläontologen an Spuren unserer Vorfahren untersucht. Sie galt schon immer als die gefährlichere der beiden Aggressionsformen. Auch heute sind die Reaktionen auf Angriffe psychologisch besonders heftig. Gewalttätige Handlungen werden beim Menschen eher toleriert, wenn sie der eigenen Verteidigung dienen. Proaktive Aggression hat psychologische Barrieren zu überwinden. Sie wird deshalb gern vor dem Angriff als reaktiv dargestellt. Soziale Diskriminierung kann proaktive Aggression vorbereiten. Feindschaft zeigt sich laut zoologischer und anthropologischer Forschung bei Tieren und Menschen auf unterschiedliche Weise. Dies ist besonders deutlich bei der Gewaltausübung innerhalb von Gruppen. Persönliche Ablehnung führt beim Menschen zu feindlichen Haltungen. Ideologien dienen dazu, Erbitterung, Zorn und Rachegefühle aufrechtzuerhalten und in Handlungen zu überführen. Das bekommen „Abgefallene“ aus der eigenen Gruppe deutlich zu spüren. Eine besondere Form der Aggression nach außen ist der menschenfeindliche Altruismus. Er ist moralisch getränkt.
Lydia Lange
Kapitel 13. Psychologische Regulierungsmöglichkeiten, die gegen Diskriminierung genutzt werden können
Zusammenfassung
Da sich soziale Diskriminierung nicht grundsätzlich verhindern lässt, lohnt sich die Suche nach Regulierungsmöglichkeiten, die an die evolutionär geprägte Natur des Menschen anknüpfen können. Bedingungen, die zu unerwünschte Folgen führen können, sollte man so zu gestalten versuchen, dass das Umschlagen in Feindschaft und deren ständige psychische Wiederbelebung vermieden wird. Dabei sind historische Zusammenhänge zu berücksichtigen. Es gibt verschiedene praktizierte Herangehensweisen, Diskriminierung zu bekämpfen, die evolutionspsychologisch nicht als erfolgversprechend anzusehen sind. Auch wenn Diskriminierung sich leicht auf sprachlicher Ebene äußern kann, sollte besser die Bedeutung des jeweiligen Begriffs im Zentrum von Ani-Diskriminierungs-Maßnahmen stehen als das verbale Zeichen. Verfolgte Personen, Gruppen und soziale Kategorien haben bis in die jüngste Vergangenheit und Gegenwart von sich aus Prozeduren entwickelt, mit ihren Stigmata zurechtzukommen, von denen auch Psychologen lernen können.
Lydia Lange
Metadaten
Titel
Als Gleicher unter Verschiedenen?
verfasst von
Lydia Lange
Copyright-Jahr
2022
Electronic ISBN
978-3-658-39543-8
Print ISBN
978-3-658-39542-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-39543-8

Premium Partner