China ist auf dem Weg zur automobilen Supermacht. Das Land der Mitte hat jetzt erstmals Japan als Export-Weltmeister abgelöst. Auch auf dem chinesischen Heimatmarkt übertreffen China-Marken erstmals die ausländischen Autobauer.
Zunehmend harte Zeiten für die europäische Automobilindustrie prognostiziert der Global Automotive Outlook 2023 des Beratungsunternehmens AlixPartners. So werden die europäischen OEMs immer stärker auch in ihren Heimatmärkten von chinesischen Herstellern unter Druck gesetzt. Der westlichen Autoindustrie blieben laut Studie nur noch wenige Jahre, um ihre Marktanteile auf heimischen Märkten zu verteidigen. Verluste bei der Wertschöpfung für die hiesigen Autobauer drohen. Auch auf der gerade gestarteten IAA Mobility zeigt sich: China ist auf der Überholspur. Die Anzahl der chinesischen Aussteller hat sich Vergleich zu 2021 mehr als verdoppelt.
Europäische Autobauer: ohne Fusionen Effizienzgewinne erzielen
Kommt mit der chinesischen Konkurrenz also die nächste Konsolidierungswelle? Glaubt man der aktuellen Allianz-Trade-Automobil-Studie, dann ist die Antwort eher nein. "Wir halten eine neue Konsolidierungswelle durch Fusionen und Übernahmen auf dem europäischen Markt für unwahrscheinlich – allein schon aus kartellrechtlichen Gründen, denn die Marktanteile der großen europäischen Automobilhersteller sind bereits sehr hoch", sagt Aurélien Duthoit, Branchenexperte bei Allianz Trade. Zudem würde die Übernahme von kleineren Marktteilnehmern die europäischen Autobauer nicht maßgeblich nach vorne bringen: Die chinesische Konkurrenz könne durch die Masse mit guten Preisen punkten.
Ausruhen sollten sich die Hersteller aber nicht. Um langfristig mithalten zu können, müssten die Europäer ohne Fusionen deutliche Effizienzgewinne erzielen. Dies gelinge durch drei Strategien: Erstens die Verdrängung kleinerer Anbieter aus dem europäischen Markt, zweitens die Entwicklung neuer Industriepartnerschaften und drittens eine weitere Konsolidierung der Produktion auf eine geringere Anzahl von Plattformen und Fabriken für eine höhere Standardisierung.
Chinesische OEMs lösen erstmals Japan als Export-Weltmeister ab
Doch die Zeit drängt. Chinesische Autohersteller sind seit Kurzem erstmals Export-Weltmeister. Verstärkt drängt das Land der Mitte mit Elektrofahrzeugen in die europäischen Märkte. So habe China laut AlixPartners-Studie im ersten Quartal 2023 Japan als Automobil-Export-Weltmeister abgelöst - 2020 sei China noch auf dem 6. Platz in dieser Rangliste gewesen. Das asiatische Land sei als Absatzmarkt, Exporteur und Produktionsstandort gleichermaßen auf dem Vormarsch. Auch auf dem chinesischen Heimatmarkt spiegele sich dies wider: Im Jahr 2023 werden zum ersten Mal seit Jahrzehnten chinesische Marken die ausländischen übertreffen (51 %) und bis 2030 einen Marktanteil von 65 % erreichen.
Geht es um die Elelktromobilität, ist China der absolute Leitmarkt: Mit knapp 6 Millionen verkauften E-Autos (plus 82 % im Vergleich zu 2021) liegt das Land deutlich vor Europa mit 2,6 Mio. verkauften Fahrzeugen und den USA mit knapp 1 Mio. E-Autos, wie der "McKinsey Electric Vehicle Index (EVI)" ermittelt hat, der regelmäßig die Entwicklung der E-Mobilität in den 15 wichtigsten Ländern misst. Das Wachstum in Europa liege mit nur 14 % Zuwachs auf dem Niveau von vor fünf Jahren. Die Berater von Berylls prognostizieren für China weiteres Wachstum: "Wir gehen davon aus, dass im Jahr 2030 etwa drei von vier in China verkauften Autos BEVs sein werden", so Alexander Timmer, Partner bei Berylls Strategy Advisors.
Dominanz entlang der Wertschöpfungskette
Was China in puncto Elektromobilität so stark macht: Das Land der Mitte ist entlang der gesamten Wertschöpfungskette dominant: "Nicht nur bei den Verkäufen und in der Produktion ist China vorne, auch entlang der gesamten Wertschöpfungskette bis hin zur Batterieproduktion und den Rohmaterialien hat China eine starke Position", sagt Patrick Schaufuss, Partner im Münchner Büro von McKinsey.
Auch im Ranking des "EV Charging Index" des Beratungsunternehmens Roland Berger, der sich auf Brancheninterviews und eine Umfrage unter 16.000 Teilnehmern aus Europa, Asien, Nord- und Südamerika sowie dem Nahen Osten stützt, übernimmt China erneut die Spitzenposition. Die Umfrageergebnisse zeigen einen wachsenden globalen Trend bei öffentlichen DC-Ladestationen sowie bei der Dichte von DC-Ladestationen im Allgemeinen. China ist bei der Einführung dominierend: Sein Anteil an DC-Ladestationen in öffentlichen Netzen lag beispielsweise im zweiten Halbjahr 2022 bei über 42 %. Obwohl der Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur in China überdurchschnittlich ist, kann er mit dem rasanten Anstieg der Verkäufe von Elektrofahrzeugen jedoch nicht Schritt halten. Europa und Amerika konnten ihre Quoten verbessern, wenn auch auf einem Niveau, das noch deutlich hinter China liegt.
Wachstum verlangsamt sich
Europäische Hersteller geraten also zunehmend unter Druck. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen sie ihre Kosten und Lieferketten kontrollieren. "China ist auf dem besten Weg zur automobilen Supermacht. Die europäischen OEMs hingegen sind in ihren angestammten Heimatmärkten zunehmend in die Rolle des Verteidigers von Marktanteilen", sagt AlixPartners-Automotive-Experte Fabian Piontek. Dazu kommt: Zwar wachse der weltweite Markt für Automobile wieder – aber signifikant langsamer als von vielen Experten vermutet. Die Konsequenz: Die Verkaufszahlen in Europa sollen langfristig um mehr als 15 % unter Vor-Covid-Werten liegen. Das setzt die OEMs unter Margendruck, da sich hohe Preise und Preissteigerungen immer schwerer realisieren lassen. Während sich die Branche auf Tesla konzentriert habe, so Piontek, sei es jetzt an der Zeit, sich auf die künftige Konkurrenz durch chinesische Importe vorzubereiten sowie von der chinesischen Automobilindustrie zu lernen.