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08.08.2016 | Boden | Interview | Online-Artikel

"Wir messen einen deutlichen Temperaturanstieg"

verfasst von: Günter Knackfuß

4 Min. Lesedauer

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Interviewt wurde:
Prof. Dr. Hans-Wolfgang Hubberten

Der Permafrost-Forscher trägt mit seinen Forschungsarbeiten zu einem verbesserten Verständnis der Vorgänge in Dauerfrostböden und in marinen Gashydraten bei.

Die seit Jahrhunderten dauerhaft gefrorenen Böden beginnen vielerorts aufzutauen. Springer Professional sprach mit Professor Hans-Wolfgang Hubberten über neue Erkenntnisse der Permafrost-Forschung.

Springer Professional: Wie dramatisch beurteilen sie die aktuelle Entwicklung in den betroffenen Regionen?

Hans-Wolfgang Hubberten: Die Arktis hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten um circa 1,5 bis 2 Grad erwärmt. Infolgedessen erwärmt sich auch der Permafrost. In den Bohrlöchern unseres internationalen, arktis-umspannenden Beobachtungsnetzwerkes GTN-P können wir in Tiefen von 30 bis 40 Metern einen deutlichen Temperaturanstieg messen. Die Erwärmung wiederum bewirkt eine Erhöhung der sommerlichen Auftautiefe sowie einen Rückzug der südlichen Permafrostgrenzen um einige zehner bis hundert Kilometer.

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Permafrost

“Permafrost” is a thermal condition and refers to ground (i.e., soil or rock) that remains at or below 0 °C at least for two subsequent years (three in Russian terminology); permafrost is part of the cryosphere, that part


Welche Konsequenzen sehen sie für arktische Landschaften und besiedelte Gebiete?

Wenn der Boden im Sommer immer tiefer auftaut, zieht das ein verstärktes Schmelzen des Eises im Untergrund nach sich. Diese Entwicklung kann in Regionen mit dickerem Permafrost zu einer Versumpfung der Landschaften führen. Außerdem hat sie einschneidende Konsequenzen für das Ökosystem und für die Infrastruktur in den Permafrostgebieten. Straßen, Häuser, Pipelines und Flugzeug-Landebahnen werden instabil, bekommen Risse, knicken ein oder verformen sich anderweitig. Die zunehmende Erosion der eisreichen Küsten führt zu eine immer schnelleren Zerstörung der Ortschaften an den Küstenlinien des Arktischen Ozeans und erfordert eine Verlagerung der Ansiedlungen mit ihrer gesamten Infrastruktur weiter in das Landesinnere.

Wie wirken sich die gegenwärtigen Trends auf den Treibhauseffekt aus?

Im Permafrost ist doppelt so viel Kohlenstoff gespeichert wie in der ganzen Atmosphäre. Dieser Kohlenstoff, der seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden in Form von Tier- und Pflanzenresten eingefroren war, wird im Zuge des Tauens nach und nach für den Umsatz durch Mikroorganismen bereitgestellt. Dies führt zu einem verstärkten Freisetzen der Treibhausgase Kohlendioxid und Methan. Zur Zeit sind die Arktischen Tundren wegen der günstiger werdenden Wachstumsbedingungen für Pflanzen noch eine Senke für CO2. Dieser Prozess kann sich aber in Zukunft umdrehen und zusammen mit der Bildung von Methan den Treibhauseffekt weiter anheizen. Nach heutigem Stand der Wissenschaft wird das Tauen des Permafrosts bis zum Ende des 21. Jahrhunderts circa 0,1 bis 0,2 Grad Celsius zur globalen Erwärmung beitragen.

Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) führen jedes Jahr Expeditionen in die Polarregionen durch. Haben sie Erkenntnisse darüber, wie lange der Permafrost noch stabil bleibt?

Wir führen seit 25 Jahren Expeditionen in die Permafrostgebiete durch: vor allem nach Sibirien, aber auch nach Kanada, Alaska, Spitzbergen oder auf das Tibet-Plateau und in die Antarktis. In den meisten Regionen hat der Permafrost eine Mächtigkeit von mehreren hundert Metern. In Sibirien misst er sogar bis zu 1.500 Meter. Dieser Permafrost wird auch in einigen hundert oder tausend Jahren noch existieren. An der Oberfläche jedoch ist der Permafrost schon seit Jahrzehnten nicht mehr stabil und wird sich in Zukunft auch noch weiter abbauen, mit allen dramatischen Konsequenzen für die Ökosysteme und die dort lebenden Menschen.

Mit welchen Techniken und Strategien kann den betroffenen Gebieten geholfen werden?

Seitdem es uns gelungen ist, das von der Internationalen Permafrost-Assoziation (IPA) initiierte arktisumspannende Beobachtungsnetzwerk mit über 600 Bohrlöchern (Global Terrestrial Network for Permafrost GTN-P) aufzubauen, können wir nicht nur kontinuierlich die Entwicklung der Temperatur im Permafrost messen. Auf Basis der gesammelten Daten sind auch Prognosen für die zukünftige Entwicklung verschiedener Regionen möglich. Das bedeutet, wir können nun Strategien erarbeiten, die den lokalen Entscheidungsträgern erlauben z.B. die Umsetzung von Ortschaften von der Küste in das Inland zu planen. Permafrost-Ingenieure sind heutzutage vor allem in den Städten Sibiriens, die auf Permafrost gebaut sind, gefordert. Sie müssen völlig neue Techniken für den Bau von Häusern, Straßen oder Pipelines entwickeln. Auf der 11. Internationale Permafrost-Konferenz ICOP wurden dazu sehr interessante Ansätze vorgestellt.

Neben dem Problem Permafrost beschäftigt sie auch die schwindende Eisfläche Grönlands…?

Das zunehmende Schmelzen der Grönländischen Eiskappe ist beunruhigend und geht in meine Gesamtbetrachtung der Arktischen Kryosphäre ein, ist aber nicht Gegenstand meiner eigenen Forschung.

Vor welchen Herausforderungen stehen jetzt die internationalen Polarforscher und Dauerfrostboden-Experten?

Auf der gerade zu Ende gegangenen 11. Internationalen Permafrost-Konferenz in Potsdam hat sich gezeigt, dass die verschiedenen Spezialdisziplinen der Permafrost-Forschung mehr und mehr zusammen arbeiten, um das Gesamtsystem "Permafrost im Klimasystem" und die Konsequenzen des fortschreitenden Tauens zu verstehen. Durch der Verknüpfung der Messkampagnen und Untersuchungsergebnisse mit immer besseren prognostischen Modellen besteht die Herausforderung an die Forschung darin, den "Permafrost" im nächsten Bericht des Weltklimarates noch besser einzubringen und darüberhinaus die gewonnenen Erkenntnisse der Öffentlichkeit und vor allem den Entscheidungsträger näher zu bringen. 

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