Unternehmen stehen zunehmend unter Druck, ihre nachhaltigen Aktivitäten offenzulegen. Viele Firmen tun dies dennoch nicht. Eine Hürde ist die Komplexität des Themas.
Nachhaltigkeit hat sich heute quasi jedes Unternehmen auf die Fahnen geschrieben. Zum einen, weil der Gesetzgeber dies verlangt. Zum anderen, weil die Gesellschaft Nachhaltigkeit von Unternehmen erwartet und die Reputation leidet, wenn Firmen dem zuwiderhandeln. Gleichzeitig reagiert die Öffentlichkeit allergisch auf Greenwashing. Strenge Berichterstattungsregeln sollen dies zudem erschweren.
Mehr Transparenz durch CSRD
In der EU gilt seit 2023 die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Danach sind in der EU tätige Unternehmen verpflichtet, Informationen zu ihrem Umwelt-, Sozial- und Governance-Verhalten (Environment Social Governance/ESG) in ihren Lageberichten zu liefern. Betroffen sind bis dato große Kapital- und Personengesellschaften mit ausschließlich haftungsbeschränkten Gesellschaftern. In den Jahren 2024 bis 2026 wird der Kreis sukzessive erweitert. Lediglich Kleinstunternehmen bleiben ausgenommen.
Ziel des Gesetzes ist eine umfassendere und einheitlichere Berichterstattung. Auch soll durch Kennziffern eine bessere Messbarkeit und Vergleichbarkeit erreicht werden. Denn die Art und Weise, wie Unternehmen mit dem Thema Nachhaltigkeit und Berichterstattung umgehen, differiert stark und ist häufig verbesserungswürdig.
Viele Mittelständler ohne Nachhaltigkeitsbericht
So ist offenbar die Mehrheit der mittelständischen Unternehmen hierzulande beim Thema Klimaschutzberichterstattung schlecht aufgestellt. Das legt die Studie "Climate Governance 2023" von FTI Andersch und der Leuphana Universität Lüneburg nahe, für die 152 Unternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistungen befragt wurden. Das sind die ernüchternden Kernergebnisse:
- 60 Prozent der befragten Unternehmen haben bisher keine Nachhaltigkeitsberichterstattung über Klimarisiken aufgelegt.
- 22 Prozent der Befragten plant kein ESG-Reporting - trotz der regulatorischen Anforderungen ab spätestens 2025.
- 53 Prozent der befragten Unternehmen haben Klimarisiken und -chancen bisher nicht in ihr internes Kontroll- und Risiko-System aufgenommen.
- 36 Prozent der Unternehmen geben an, ihre Emissionen nicht regelmäßig zu überprüfen.
- Beim Verfassen von Nachhaltigkeitsberichterstattung verlässt sich der größte Teil der Unternehmen auf ein individuell festgelegtes Rahmenwerk. 35 Prozent nutzen keinerlei Rahmenwerk.
- Nur jedes dritte Unternehmen lässt den eigenen Nachhaltigkeitsbericht prüfen.
"Dass ein signifikanter Anteil der befragten Unternehmen noch keine Nachhaltigkeitsberichterstattung betreibt, ist vor dem Hintergrund der neuen EU-Richtlinie bemerkenswert", erklärt dazu Professor Dr. Patrick Velte von der Leuphana Universität Lüneburg, der die Untersuchung wissenschaftlich begleitet hat. Immerhin würden alle befragten Unternehmen unter die Berichtspflicht der CSRD fallen.
Vor allem direkte Emissionen im Fokus
Wie die Untersuchung außerdem zeigt, liegt das Verarbeitende Gewerbe hinsichtlich Kontrolle und Berichterstattung deutlich vor Dienstleistern und Handel. Ein möglicher Grund: Hier entstehen viele direkte Emissionen und die lassen sich leichter kontrollieren. Dazu passt auch, dass Emissionen aus eingekaufter Energie und entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Befragung zufolge deutlich seltener erfasst werden.
Janina Hellwig, Studienautorin und Expertin für Energie und Klima bei FTI-Andersch rät Firmen aller Branchen, sich jetzt schon auf die Berichtspflichten und -standards einzustellen, die künftig gelten. So sollten schnellstmöglich die notwendigen Voraussetzungen in Prozessen und IT-Infrastruktur geschaffen werden. Denn insbesondere die Kontrolle der Emissionen in der Lieferkette werde alle Unternehmen vor immense Herausforderungen stellen.
Nachhaltigkeitsberichterstattung – eine Aufgabe für Viele
Dass das Thema höchst komplex ist, belegt auch der "Global ESG Practitioner Survey 2023" von Workiva. In der Befragung von weltweit 900 ESG-Fachleuten im Juli 2023 gaben 71 Prozent an, in ihrem Unternehmen seien drei oder mehr interne Teams an der Nachhaltigkeitsberichterstattung beteiligt. Allerdings fördert die Studie auch zutage, dass es große Unterschiede gibt, wie C-Level-Führungskräfte und Manager anderer Ebenen den Umgang mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung wahrnehmen.
Während nämlich fast zwei Drittel der Führungskräfte auf C-Level der Meinung sind, ihr Unternehmen lasse bei der ESG-Berichterstattung die gleiche Sorgfalt walten wie bei der Finanzberichterstattung, teilt nur ein Drittel der untergebenen Führungskräfte diese Ansicht. Zudem erklären 87 Prozent der Führungskräfte, aber nur 68 Prozent der Manager, in ihrer Firma gebe es Mitarbeiter für die Überwachung des ESG-Reportings.
Je länger in ESG engagiert, desto mehr Nutzen
Weitgehend einig sind sich die befragten ESG-Experten hingegen darüber, dass ein ambitioniertes Nachhaltigkeits-Reporting ihrem Unternehmen in den nächsten zwei Jahren Wettbewerbsvorteile verschaffen werde. Immerhin liefert die Studie auch Hinweise auf den konkreten Nutzen des ESG-Engagements: Demnach geben Befragte aus Unternehmen, die seit mindestens fünf Jahren Nachhaltigkeitsberichte veröffentlichen, eher an, dass ESG zu Kosteneinsparungen und einer verbesserten Markenbekanntheit und/oder Reputation für ihr Unternehmen geführt hat, verglichen mit Unternehmen, die erst seit maximal zwei Jahren über ESG-Themen berichten.
Als wesentlichen Faktor für einen erfolgreichen ESG-Berichtsprozess nennen 95 Prozent der Umfrageteilnehmenden eine angemessene Technologie, was nicht verwundert. Schließlich müssen für ein aussagekräftiges, CSRD-konformes Reporting zahlreiche Daten kontinuierlich erfasst und verarbeitet werden.
Die EU fordert mit der Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von den Unternehmen sehr differenzierte Informationen - auch über die gesamte Wertschöpfungskette - und genau definierte Kennzahlen.“ Nicolette Behncke, Partnerin im Bereich Sustainability Services bei PwC Deutschland, im Interview mit der Zeitschrift Nachhaltige Industrie (Ausgabe 4/2022).
Wenig aussagekräftig und schwer vergleichbar
Derweil stellt die aktuelle PwC-Studie "EU Taxonomy Reporting 2023" fest, dass europäische Industrieunternehmen und Finanzinstitute im Hinblick auf die EU-Taxonomie-Verordnung, bei der es um die Einstufung der Nachhaltigkeit von Organisationen geht, bis dato größtenteils wenig aussagekräftig und vergleichbar berichten. Dieses Fazit basiert auf der Analyse der Berichte von 706 Industrieunternehmen und 146 Finanzinstituten für das Geschäftsjahr 2022.
- Etwa die Hälfte der Industrieunternehmen integriert demnach ihre Taxonomieangaben im Nachhaltigkeitsbericht, ein gutes Viertel im Geschäftsbericht. Dabei legen 86 Prozent der Firmen die Kennzahlen für jede Wirtschaftsaktivität offen. Aber nur 66 Prozent nutzen die von der EU-Kommission herausgegebenen, verpflichtenden Mustertabellen für Umsatz, Investitions- und Betriebsausgaben.
- Bei den Finanzinstituten veröffentlicht die Hälfte die Taxonomieangaben im Geschäftsbericht, ein Drittel in einer separaten nichtfinanziellen Erklärung. Auffällig sei zum einen die große Spannbreite der Kennzahlen, die auf unterschiedliche Erhebungsmethoden hinweise. Zum anderen bleibe oftmals unklar, wie die Finanzinstitute ihre Taxonomiekennzahlen berechnen, so die PwC-Experten. Die Finanzunternehmen bemängeln in diesem Zusammenhang, dass sie für ihre eigene Taxonomieberichterstattung auf die Informationen und Daten der Industrieunternehmen angewiesen sind.
Strenge Kriterien für nachhaltige Fonds
Ein Finanzunternehmen, das sich ganz besonders für die Nachhaltigkeitsberichte von Unternehmen interessiert, ist Ökoworld. Denn der Fondsanbieter ist auf Fonds spezialisiert, die das Ziel verfolgen, "global in ausgewählte Unternehmen zu investieren, die nach Überprüfung von ökologischen, sozialen und ethischen Aspekten geeignet sind, sich durch ihre Produkte oder Dienstleistungen nachhaltig positiv auf die Umwelt oder die Gesellschaft auszuwirken", erklärt Verena Kienel, Leiterin des Nachhaltigkeitsresearch-Teams. Vor diesem Hintergrund gibt es auch einige Ausschlusskriterien für das Fondsportfolio von Ökoworld. Bestimmte Branchen (etwa Atom- und Tabakindustrie), Produktionsweisen (beispielsweise. Gentechnik) sowie Arbeitsbedingungen (Kinder- und Zwangsarbeit) seien tabu.
Ansonsten prüfe die Nachhaltigkeitsabteilung die Berichterstattung der Unternehmen hinsichtlich Produktgestaltung und -design, Herstellungsprozessen, Lieferketten, Produktionsstandorten, Herkunft der Rohmaterialien, Umweltmanagementsystemen und entsprechenden Zielsetzungen, sozialen Aspekten, aber auch ob Unternehmen über die Compliance hinausgehen. Positiv bewertet werde beim ESG-Reporting zudem ein transparenter Umgang mit Kontroversen.
Deutsche Firmen keine Vorreiter beim ESG-Reporting
"Idealerweise berichten Unternehmen in einem geprüften und umfangreichen Nachhaltigkeitsbericht gemäß den Standards der Global Reporting Initiative (GRI) und gemäß des Carbon Disclosure Project (CDP) - gleichwohl muss hier die Informationslage insgesamt im Markt noch verbessert werden, insbesondere im Hinblick auf die Berücksichtigung der planetaren ökologische Grenzen", betont Kienel. Alles in allem sieht sie deutsche Unternehmen nicht eben als Vorreiter bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung.
Im DACH-Raum würden indessen der Konsumgüterhersteller Henkel und die Schweizer Swisscom hinsichtlich ESG-Reporting und Transparenz besonders positiv auffallen. Darüber hinaus hebt die Nachhaltigkeitsexpertin verschiedene skandinavische Unternehmen hervor. So punkte etwa Elektrolux mit Berichterstattung nach GRI, an CDP zu Klimawandel und Wasser, TCFD-Berichterstattung, Zielsetzungen nach SBTi und sei Unterzeichner und damit Berichterstatter beim UN Global Compact.