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2022 | Buch

Der mobile Blick

Film, touristische Wahrnehmung und neue Screen-Technologien

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Über dieses Buch

Der Band thematisiert den Einfluss von Medien und neuen Screen-Technologien auf die touristische Wahrnehmung und Erfahrung. Die Beiträge gehen den vielfältigen Verzahnungen von Reisen und Medien nach: Die mediale Produktion touristischer Räume und die Reflexion von Reiseerfahrungen in Film und anderen audiovisuellen Medien werden ebenso thematisiert wie die Durchdringung touristischer Erfahrung durch Medien wie Handy, Digicam und Social Media.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Der mobile Blick – Visuelle Medien und touristische Wahrnehmung
Zur Einführung
Zusammenfassung
Die World Tourism Organisation (UNWTO) hat im Jahr 2018 rund 1,4 Milliarden grenzüberschreitende Touristen statistisch erfasst. Eine solche Zahl stellt nicht nur die ökonomische, sondern ebenso die gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung des Reisens heraus. Sowohl die Einschränkungen des nationalen und internationalen Reiseverkehrs im Zuge der Pandemiebekämpfung 2020 (und einige Monate später die Diskussionen über die Aufhebung dieser Beschränkungen), wie schon zuvor die Kritik an insbesondere Flug- und Kreuzfahrtreisen aus Erwägungen des Umweltschutzes heraus, haben diese Stellung einstweilen eher unterstrichen als die generelle Bedeutung des Reisens nachhaltig, zumal im weltweiten Maßstab, in Frage zu stellen.
Thomas Morsch

I

Frontmatter
Das Kino als topografische Maschine
Film und Tourismus
Zusammenfassung
Neben dem Film zählt zu den kulturprägenden visuellen Praktiken, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, auch der Tourismus. Film und Tourismus sind – in den beiden dafür zuständigen Theoriegebieten, also der Filmwissenschaft einerseits und der Kultursoziologie sowie der Kulturtheorie andererseits – bislang vorzugsweise am Leitfaden der Frage nach dem Blick behandelt worden.
Alexandra Schneider
Spiegel, Postkarte, Video
Zusammenfassung
Obwohl bereits in älteren Kulturen, insbesondere zu Zeiten des römischen Reichs, nicht allein aus Gründen der Notwendigkeit, des Handels oder der militärischen Eroberung, sondern auch zu privaten und Vergnügungszwecken gereist wurde, differenziert sich der moderne Tourismus als soziale Aktivität eigenen Rechts erst im Verlaufe des 18. und frühen 19. Jahrhunderts aus. Wenigstens fünf interdependente Faktoren sind hierfür ausschlaggebend: die Loslösung der Reise von der reinen Zweckgebundenheit, die ihr im Kontext der Grand Tour noch in Form eines Bildungsimperativs zukommt (so sehr dieser auch in der Praxis unterlaufen worden sein mag); die Demokratisierung des Reisens nach den napoleonischen Kriegen, in deren Zug sich ab ca. 1815 erstmals breitere Bevölkerungsschichten auf Reisen begeben (vgl. Hennig 1999, S. 15); die Ausbildung einer touristisch nutzbaren Infrastruktur, einerseits in Form des Straßenbaus, andererseits und vor allem aber in Form des Ausbaus des Schienennetzes, das nicht länger allein für den Transport von Gütern und Waren, sondern zunehmend für den Personenverkehr genutzt wird; die Verbreitung von Reiseführern und von verlässlichen Landkarten, durch die Reiseziele und –wege normiert, zugleich aber vorstellbar und planbar gemacht werden; und schließlich auf all diese Entwicklungen aufsattelnd die Etablierung organisierter Reiseformen in der Gestalt der ersten, von Thomas Cook eingeführten
Thomas Morsch

II

Frontmatter
Erfahrungen im Zwischenraum
Wahrnehmung und Passage
Zusammenfassung
Berichte über Postkutschenreisen sind voll von Klagen über die herrschenden Zustände. Man liest von eisenbeschlagenen Holzrädern, gebrochenen Achsen, widriger Witterung und Lärm. Beklagt werden außerdem die oft tagelange Zwangsgemeinschaft mit anderen Reisenden und die Langsamkeit der Kutschen (vgl. Roth 2005, S. 15f). „Nach den Fenstern guter Freundinnen kann man oft und lange zurücksehen“, merkt Ludwig Börne in seiner Monographie der deutschen Postschnecke an.
Susanne Müller
Die Reise nach dem typisch Niederländischen
Die Entdeckung der Niederlande als touristische Attraktion in frühen Publikationen von Thomas Cook (1869–1914)
Zusammenfassung
Es erfordert meist keine großen Mühen um Referenzen auf das Typische in diversen (Massen-)Medien zu entdecken, die sich an potenzielle Reisende richten. In den Geisteswissenschaften haben etwa John Urry, Jonathan Culler und John Fiske analysiert, wie bereiste Orten durch die Reisenden mit Bedeutung beladen werden (Culler 1988; Fiske 1989; Urry 2009). Diese Studien zeigten, dass sich Reisende und Reiseveranstalter für ihre Beschreibungen oft bekannter Klischees bedienen, um das Typische der bereisten Region hervorzuheben.
Sarah Dellmann
Heritage-Tourismus und Digital Cultural Heritage Content
Digitale Anwendungen im öffentlichen Raum
Zusammenfassung
Groß angelegte Digitalisierungsinitiativen in den letzten Jahren haben dazu geführt, dass immer mehr Digitalisate aus Archiv- oder Museumsbeständen der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Dieser Digital Cultural Heritage Content soll einer möglichst umfassenden Nutzung zugeführt werden. Im Heritage-Tourismus wird visueller Content für raumbezogene Digitalkonzepte verwendet, die über partizipative Zugänge zur Interaktion motivieren oder über mobile Applikationen neue ‚Wahrnehmungserlebnisse‘ schaffen sollen.
Edith Blaschitz

III

Frontmatter
Die visuelle Konstruktion kolonialer Überlegenheit im frühen Expeditionsfilm
Hans Schomburgks Im Deutschen Sudan (1917)
Zusammenfassung
Um die Jahrhundertwende, zum Höhepunkt des imperialen Zeitalters, kommt es zu einer enormen Verbreitung neuer populärwissenschaftlicher Unterhaltungsformen, die sich der Visualisierung des ,Ethnographischen‘ widmen: Ethnographische Dörfer auf Weltausstellungen und in Zoologischen Gärten, Sammlungen von Knochen indigener Völker in naturwissenschaftlichen Museen und gedruckte Darstellungen der Fremde in Form von Postkarten, Stereoskopen, sowie Photographien in Magazinen wie National Geographic erfreuen sich zunehmender Beliebtheit (vgl. Rony 1998, S. 10). Die Darstellung der noch relativ unbekannten Gebiete erfüllt dabei eine wichtige Funktion für die ideologische Legitimation kolonialer Herrschaftsansprüche. Der Film, dessen Entstehung in die Hochzeit des Kolonialismus fällt (vgl. Shohat/Stam 1994, S. 100), reiht sich nahtlos in diese Tradition ein und zeigt von Beginn an eine besondere Affinität zu Aufnahmen fremder Länder und als ethnographisch gekennzeichneter Subjekte.
Anna Jörke
Camping in Deutschland – Sehnsuchtsland Italien
Tourismus in der ost- und westdeutschen Kinowochenschau der 1950er/1960er Jahre
Zusammenfassung
„Die glücklichen Besitzer von Volkswagen können mit ihrem Auto in Zukunft nicht nur ins Blaue, sondern auch ins Land der Träume fahren. Ein kluger Kopf erfand das Autobett.“ So führt die Sprecherstimme der Neuen Deutschen Wochenschau vom 15. Juli 1952 in einen kurzen Film über eine neue Erfindung für Ausflüge und Urlaub ein.
Sigrun Lehnert
Heim ins Reisen
Zum Wandel der Funktion des Reisemotivs im westdeutschen Autoren- und Genrefilm 1945 bis 1965
Zusammenfassung
Es ist eine Binsenweisheit, dass die Nachkriegszeit ihren Namen der Tatsache schuldet, dass in ihr Ursachen und Folgen des Krieges nachwirken; angesichts der aktuellen politischen Entwicklung in Deutschland, könnte man sogar annehmen, dass mit der Angst vor Geflüchteten im Generationengedächtnis auch (immer noch) Nachkriegsverhältnisse aktualisiert werden (vgl. Kossert 2008). Hans Ulrich Gumbrecht hat in seinem 2012 erschienenen Buch 1945 deshalb noch einmal eindrücklich die These aktualisiert, dass die Beschäftigung mit dem Zweiten Weltkrieg, mit Völkermord und Holocaust deshalb andauere, weil sich deren Sinn nicht vollständig erschlossen habe; ebenso wie Anselm Haverkamp (2004) spricht er deshalb von „Latenz“.
Bernhard Groß

IV

Frontmatter
From there to here or here to here
Permanent Vacation oder die Dramaturgie der unmotivierten Fortbewegung
Zusammenfassung
In Jim Jarmuschs experimentellem Spielfilm Permanent Vacation (USA 1980) hat der klassische Flaneur des Fin de Siècle eine weitestgehende Modifikation durchlaufen. Weder moderne Mythen im Sinne Louis Aragons und Walter Benjamins lesend, noch beladen mit dem rebellischen Pathos situationistischer Verneinung einer kulturellen Umwelt des Spektakels, tritt hier der Protagonist Allie Parker (Chris Parker) als indifferenter drifter inmitten leerer Räume, und genau so leerer Situationen, von Manhattans Lower East Side auf.
Tina Kaiser
Zur filmischen Kritik des Tourismus
Zusammenfassung
Wenige Texte haben den bundesrepublikanischen Blick auf die Reisekultur so nachhaltig geprägt wie Hans Magnus Enzensbergers 1958 erschienene, im Titel etwas hochgegriffen als ‚Theorie‘ ausgewiesene Kritik des Tourismus. In der Erinnerung geblieben ist vor allem die These des Reisens als einer vergeblichen Fluchtbewegung aus dem restriktiven Alltag moderner Industriegesellschaften, mit der Enzensberger sich in die lange, und bereits hinter die Etablierung des modernen Massentourismus zurückreichende Geschichte der intellektuellen Kritik am Tourismus einzureihen scheint. Während die Anfänge des Massentourismus in den ersten, von Thomas Cook, Henry Gaze und John Frame organisierten Pauschalreisen in den 1830 Jahren liegen (Zuelow 2016, S. 62), beginnt die systematische Kritik am Touristen bereits nach dem Ende der Napoleonischen Kriege um 1815, als neben den Oberschichten erstmals größere Bevölkerungsgruppen auf Reisen gehen, wie Christoph Hennig in seiner Kritik der Tourismuskritik (Hennig 1999) festhält.
Thomas Morsch
Problematische Perspektiven
SPRING BREAKERS, die Visualität des Spring Break amp; die Relationalität der Bilder
Zusammenfassung
Von flackernden, neonfarbigen Schriftzeichen vor schwarzem Hintergrund, die den Titel des Films verraten – Spring Breakers (Harmony Korine, USA 2012) –, erfolgt ein Schnitt auf sonnendurchflutete Zeitlupenbilder unzähliger tanzender Körper in Bikinis und Badehosen, die die grellen Farben der Schriftzeichen wieder aufgreifen. Begleitet von elektronischer Tanzmusik gleitet die Kamera in variationsloser Dynamik und verschiedenen Einstellungen an den bewegten Körpern entlang; der Strand, an dem die Körper tanzen, ist zwischen ihnen nur noch zu erahnen, Raum ist er bestenfalls noch im Sinne eines Unter- oder Hintergrunds.
Michael Ufer
Sehen und Sterben
Zur Logistik der Wahrnehmung in postkolonialer Medialität
Zusammenfassung
Ausgangs- wie Zielpunkt meiner Überlegungen ist eine Autofahrt durch Johannesburg. Diese Autofahrt steht nicht nur im Zentrum von Mukunda Michael Dewils aktueller Arbeit Vehicle 19 (2013), sie nimmt auch die gesamte Laufzeit der knapp neunzigminütigen Produktion ein. Der Südafrikaner Dewil, den Cinéphile sicherlich nicht unbegründet zu den bemerkenswertesten jungen Vertretern des kontemporären Weltkinos zählen, und den der afroamerikanische Kritiker Armond White (2013) bereits mit Jean-Luc Godard verglich, setzt die Narration von Vehicle 19 auf experimentelle Weise als onirischen Trip durch seine Heimatstadt Johannesburg um, während dessen voller Dauer der Wagen des Protagonisten nicht ein einziges Mal verlassen wird, selbst wenn Letzterer das Fahrzeug verlässt (Abb. 1).
Ivo Ritzer
Backmatter
Metadaten
Titel
Der mobile Blick
herausgegeben von
Thomas Morsch
Copyright-Jahr
2022
Electronic ISBN
978-3-658-08411-0
Print ISBN
978-3-658-08410-3
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-08411-0