Der aktuelle Stand der Kapitalmarktforschung bleibt solange unvollständig, wie zentrale Fragen zum Verhalten menschlicher Individuen ausgeblendet oder negiert werden. Echte Fortschritte in der Kapitalmarktforschung erfordern deshalb eine bewusste Einbeziehung der „menschlichen Analyseebene“. Neueste Forschungsergebnisse aus Bereichen wie Psychologie, Neurowissenschaften, Kognitionsforschung und Komplexitätstheorie bieten dazu wertvolle Einsichten. Werden diese und andere relevante Erkenntnisbereiche interdisziplinär vernetzt, so entsteht - vielleicht erstmals - die Basis für eine grundlegend neue Sicht realer Kapitalmärkte. Diese neue Perspektive kann komplexe Phänomene wie Blasen, Crashes sowie andere „irrationale“ Bewegungen realer Kapitalmärkte kohärent und widerspruchsfrei erklären und geht damit weit über das bisherige Bild der „Behavioral Finance“ hinaus. Die zentralen Elemente dieses innovativen Erklärungsansatzes werden ausführlich dargestellt und unter dem neuen Begriff „Cognitive Finance“ zusammengeführt.
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In diesem Sinne auch Wilson (1998), Consilience, der eine zunehmende Fragmentierung von Wissen als Folge einer zunehmend kontraproduktiven wissenschaftlichen Spezialisierungstendenz beklagt.
Vgl. dazu die Ansätze von Keynes (1936), Theorie; und Hayek (1952), Sensory; sowie deren verblüffende Parallelität zu neueren Erkenntnissen der Psychologie und der Behavioral Finance; vgl. oben, Abschn. 2.3, 2.4.
Einer der wenigen konkreten Ansätze zur Überwindung des kartesianischen Paradoxons in der Forschung wird vom Santa Fe Institute in den USA verfolgt, das bewusst einem undogmatischen, ergebnisoffenen und stark interdisziplinären Ansatz folgt; vgl. dazu weiterführend die nachfolgenden Kapitel.
Sornette (2003), Crash, S. 16. Vgl. dazu ebenfalls sehr grundsätzlich die Arbeiten des Santa Fe Institute; exemplarisch: Arthur (2005), Out-of-Equilibrium; sowie ders. (2015), Complexity.
Rapp (1995), Marktverhalten, S. 13. Auch Miller (2003), Revolution, S. 143, äußert sich ähnlich: „Today, I believe, all fifteen possible links could be instantiated with respectable research.“
Das neoklassische Bild eines „Marktes im Gleichgewicht“ kann dann offensichtlich nur als grobe, stark simplifizierte und im Kern irreführende Ideal-Vorstellung interpretiert werden; vgl. in diesem Sinne bereits oben, Kap. 5; analog auch Arthur (1995), Complexity; Arthur (2013), Complexity; sowie Hagstrom (2013), Investing, Kap. 2 und 3.
Viele dieser Strukturen und Dispositionen werden im Forschungsfeld der „Behavioral Finance“ bereits deutlich herausgearbeitet, vgl. dazu oben, Kap. 4. Weitere zentrale Erkenntnisse liefert das Feld der Neurowissenschaft, vgl. dazu oben, Kap. 5.
Vgl. Keynes (1936), Theorie, S. 131–132; sowie eingehend bereits oben, Abschn. 4.3. Hier sei noch angemerkt, dass Keynes zu seiner Zeit ein kenntnisreicher, erfahrener und durchaus erfolgreicher Börsenspekulant war.
Dieses Bild entspricht dem bereits dargestellten Prinzip der „hedonistischen Tretmühle“, vgl. oben Kap. 5. Es findet sich analog bereits in psycho-dynamischen Kapitalmarktmodellen, vgl. Rapp (1997), Behavioral, aber auch in den Grundmodellen der Komplexitätsforschung, vgl. Arthur (1994), Certainty.
Die Entstehungsweise derartiger Phänomene – die in Kap. 5 bereits auf neurowissenschaftlicher Basis hergeleitet wurden – soll hier jedoch nicht weiter vertieft werden. Eine vollständige Darstellung findet sich bei Rapp (1997), Behavioral.
Vgl. Santa Fe Institute (https://www.santafe.edu); analog auch Hagstrom (2013), Investing, S. 36: „Common to the study of complexity is the notion that complex adaptive systems operate with multiple elements, each adapting or reacting to the patterns the system itself creates.“
Insbesondere fehlt der „AMH“ die stringente Einbindung zentraler Aspekte der neueren Komplexitätsforschung sowie anderer wichtiger Bereiche, die etwa im Rahmen der vorliegenden Ausarbeitung angesprochen werden.
Hagstrom (2013), Investing, S. 23 (Hervorhebung im Original). Analog auch bereits grundlegend: Arthur (2015), Complexity; Arthur et al. (1997), Emergence, S. 3–7; sowie oben, Abschn. 3.4.
Vgl. dazu u. a. Johnson (2007), Complexity, S. 39–66; insbesondere aber: Sornette (2003), Crash; sowie grundlegend: Mandelbrot und Hudson (2005), (Mis)behavior.
Hagstrom (2013), Investing, S. 43. Eine explizite Berücksichtigung von Elementen der Evolutionstheorie scheint ebenfalls geboten, soll hier jedoch nicht weiter vertieft werden; vgl. dazu aber: Arthur (2013), Complexity, S. 1: „This view, in other words, gives us a world closer to that of political economy than to neoclassical theory, a world that is organic, evolutionary, and historically-contingent.“
Dies betont auch Lo (2004a), Adaptive (Abstract): „Recent research in the cognitive neurosciences suggests that these two perspectives are opposite sides of the same coin.“
An dieser Stelle sei besonders auf die Thesen der Neurowissenschaft verwiesen, wonach „gelerntes Wissen“ und „physische Erfahrungsspeicher“ eine wesentliche Rolle bei der individuellen Informationsverarbeitung und Entscheidungsbildung einnehmen; vgl. dazu bereits oben, Abschn. 5.2.
Vgl. dazu grundlegend: Dörner (2003), Logik. Miller (1956) verweist sogar explizit auf das Problem menschlicher Gehirne, Problemstellungen mit mehr als 7 Variablen adäquat zu adressieren: „… it seems safe to say that we possess a finite and rather small capacity for making such unidimensional judgments.“ (Miller 1956, Number, S. 347).
Vgl. dazu konkret: FERI-WWF (2017), Carbon Bubble. Zum Problem der zeitlich ineffizienten Erkenntnis- und Diskontierungsfähigkeit realer Kapitalmärkte sowie zu den Phänomenen „Blind Spots“, „Long Waves“ und „Sudden Death“; vgl. ausführlich: Rapp (2009), Sudden Deaths.
Auch hierzu gibt es zahlreiche eindeutige Beispiele aus der experimentellen Wirtschaftsforschung, vgl. etwa Dörner (2003), Logik, S. 156–234. Vgl. dazu auch schon die alte Geschichte vom „Josephspfennig“, z. B. unter http://www.zins-zinseszins.de/geschichte-des-josephspfennig/.
Das erstgenannte Beispiel verhilft seit Jahren klugen Langfrist-Investoren wie Warren Buffet zu einer verblüffenden „Überrrendite“; die beiden anderen Beispiele sind in „Echtzeit“ im Rahmen aktueller Politik zu beobachten. Vgl. dazu auch: Acharja und Rajan (2013), Myopia.
Vgl. beispielhaft: Shleifer und Vishny (1990), Horizons; DeLong et al. (1989), Incidence; De Long et al. (1991), Survival; sowie: Sahlman und Stevenson (1987), Myopia.
Das „Ideal-Bild“ von Börsen als langfristig orientierten Diskontierungs – und Transaktions-Mechanismen wird etwa erörtert bei: Keynes (1936), Theory, S. 124–138.
Genau aus diesem Grund liegt hier ein zentraler Aspekt der Anwendungsorientierung kognitiver Analytik, wie nachfolgend im Kontext der „Cognitive Finance“ dargestellt, vgl. unten, Abschn. 6.7.
Zu den anfangs sehr zersplitterten und heterogenen Grundlagen der „Cognitive Sciences“, sowie deren Weiterentwicklung zu einer relativ geschlossenen wissenschaftlichen Konzeption, vgl. insbesondere Miller (2003), Revolution. Aufbauend auf dieser Sichtweise beschwört Miller (2003), Revolution, S. 144, den „…original dream of a unified science…“.
Vgl. dazu grundlegend: Miller (2003), Revolution. Ein ähnlicher Ansatz wird auch im Rahmen dieser Arbeit mehrfach vertreten, vgl. dazu oben Abschn. 4.5, sowie nachfolgend, Abschn. 6.8; speziell als Grundlage der „Cognitive Finance“-Methodik.
Miller (2003), Revolution, S. 143, und dort weiter präzisierend (S. 141): „… it was becoming clear in several disciplines that the solution to some of their problems depended crucially on solving problems traditionally allocated to other disciplines.“
In diesem Sinne dezidiert bereits Miller (2003), Revolution, S. 143: „Each [discipline], by historical accident, had inherited a particular way of looking at cognition and each had progressed far enough to recognize that the solution to some of its problems depended crucially on the solution of problems traditionally allocated to other disciplines.“
Dies entspricht den Überlegungen, die oben, in Kap. 4, bereits eingehend thematisiert wurden. Vgl. dazu analog auch Lo (2004a, 2004b), Adaptive, und Lo (2005), Behavioral.
Sowohl diese begriffliche Deutung als auch die entsprechende Methodik wurden entwickelt von Rapp, Heinz-Werner, in Zusammenarbeit mit der FERI AG, Bad Homburg, im Rahmen des „FERI Cognitive Finance Institute“. Sie sind dort unter anderem Grundlage und Gegenstand weiterführender Forschungsarbeiten und spezieller Praxisanwendungen. Der Begriff „FERI Cognitive Finance“ ist urheberrechtlich geschützt.
Vgl. dazu auch: FERI Cognitive Finance Institute, www.feri-cognitive-finance-institute.de, Sektion: „Cognitive Finance“ und die dort hinterlegten Texte und Dokumente.
Die verhaltenswissenschaftlich relevanten Teilaspekte sind hier meist „Overconfidence“ und „Illusion of Control“; vgl. dazu grundlegend Rapp (1997), Behavioral; sowie Rapp (2000), Wahnsinn.
Vgl. zu den beschriebenen Abläufen grundlegend Rapp (1997), Behavioral. Für derartige Phänomene ist die Dot.com-Blase des ausgehenden 20. Jh. ein sehr plastisches Beispiel.
Diese These wurde im Rahmen dieser Ausarbeitung bereits eingehend belegt; vgl. dazu insbesondere oben, Abschn. 3.4, 4.4, Kap. 5. sowie Abschn. 6.3–6.6. Sie bildet ferner die Grundlage für wegweisende Arbeiten des Santa Fe Institute und anderer, ähnlich gelagerter Forschungsinitiativen.
Ein sehr eindrückliches Beispiel ist die „Große Finanzkrise“ der Jahre 2008–2010; in analoger Weise auch der Absturz in die „Große Depression“ der 1930er Jahre.
Dennoch folgt ein Großteil der wirtschaftswissenschaftlichen und kapitalmarktrelevanten Forschung noch immer diesem Weg, meist jedoch mit wenig zielführendem Ergebnis.
Dies gilt speziell vor dem Hintergrund der gegenwärtigen „Sinnsuche“ im Bereich der Wirtschaftswissenschaften, die sich einer Öffnung und Weiterentwicklung bisheriger Theorien und Annahmen nicht länger verschließen kann; vgl. dazu auch: Häring (2016), Parallelwelt.
Vgl. dazu grundlegend: Minsky (1961), Artificial. Wie bereits an anderer Stelle gezeigt wurde, zählt „Künstliche Intelligenz“ zu den relevanten Teilbereichen der Kognitionswissenschaft; vgl. oben, Abschn. 6.7.