Obwohl in den letzten Jahren viel zu den Charakteristika des AfD-Elektorats geforscht wurde, gibt es bisher nur wenige Erkenntnisse darüber, inwiefern unterschiedliche soziale Gruppen und Milieus aus jeweils unterschiedlichen Motiven zur AfD neigen. Da es der AfD erfolgreich gelingt, sowohl Angehörige der Arbeiterklasse als auch Teile der Mittelklasse für sich zu mobilisieren, stellt sich die Frage, wie diese Koalition an AfD-Sympathisantinnen aus unterschiedlichen Klassenlagen zustande kommt und erklärt werden kann. In dem Beitrag wird mit Daten des ALLBUS 2018 untersucht, inwiefern sich die AfD-freundlichen Milieus innerhalb der Arbeiter- und der Mittelklasse in ihren Einstellungsprofilen zu vier politischen Konfliktdimensionen (Umverteilung, Migration, individuelle Freiheitsrechte und Leistungsethos) sowohl vom nicht-AfD-affinen Teil ihrer jeweiligen Klasse als auch voneinander unterscheiden. Anhand von Regressions- und Clusteranalysen kann gezeigt werden, dass der mit der AfD sympathisierende Teil der Arbeiterklasse ein national-solidarisches Weltbild aufweist und Gleichheitsansprüche einfordert, während in dem mit der AfD sympathisierenden Teil der Mittelklasse regressive Normalitätsvorstellungen vorherrschen und die AfD als Verteidigerin bestehender Hierarchien und Privilegien angesehen wird. Basierend auf diesen Ergebnissen wird abschließend diskutiert, wie es der AfD gelingt, durch eine Anrufung dieser Einstellungsmuster Milieus mit divergierenden ökonomischen Interessen für sich zu mobilisieren.
Die Originalversion dieses Beitrags wurde korrigiert: Aufgrund eines internen Fehlers, hat versehentlich der zweite Teil sowohl des deutschen als auch des englischen Titels in der finalen Version gefehlt. Der deutsche Titel lautet: „Die Milieukoalition des Rechtspopulismus. Kombinationen politischer Einstellungen innerhalb des potenziellen Elektorats der AfD“ und der englische Untertitel lautet: „The milieu coalition of right-wing populism. Combinations of political attitudes within the potential electorate of the AfD“.
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
1 Einleitung
Die AfD hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Während sie sich in ihren Anfangsjahren noch durch europakritische und wirtschaftsliberale Positionen auszeichnete, rückt die Partei seit einiger Zeit weiter nach rechts und vertritt offen ausländerfeindliche und rechtsextreme Positionen. Dieser programmatische und personelle Wandel hat sich auch auf das Elektorat der Partei ausgewirkt: Die AfD zieht immer stärker Personen mit extrem ausländerfeindlichen Einstellungen an (Arzheimer und Berning 2019; Bieber et al. 2018), was gleichzeitig auch eine sozialstrukturelle Veränderung der Wählerschaft mit sich bringt. Während die AfD in ihrer Gründungsphase eher gehobene bürgerliche Bevölkerungsschichten mobilisieren konnte, rekrutieren sich ihre Wählerinnen1 seit der inhaltlichen Neuausrichtung vermehrt aus unterprivilegierten sozialen Lagen (Niedermayer und Hofrichter 2016; Kroh und Fetz 2016). Die Partei gleicht sich damit an das typische Wählerinnenprofil anderer rechtsextremer Parteien Europas an (Klein et al. 2022; Arzheimer und Berning 2019). Dennoch ist die Frage, ob die AfD als Partei von Modernisierungsverliererinnen verstanden werden kann, umstritten. Eine Reihe von Autorinnen hat in Untersuchungen gezeigt, dass Arbeiterinnen, Arbeitslose sowie untere Einkommens- und Bildungsschichten bei den AfD-Wählerinnen überrepräsentiert sind und gehen deshalb davon aus, dass sich diese Personen aufgrund von Globalisierungs- und sozialen Entsicherungsprozessen abgehängt fühlen und für rechtspopulistische Angebote empfänglich werden (Tutić und von Hermanni 2018; Lux 2018). Der genaue Mechanismus, wie und warum Modernisierungsverliererinnen die AfD wählen, konnte in den genannten Arbeiten jedoch nicht geklärt werden. So ist es einerseits vorstellbar, dass die Modernisierungsverliererinnen mit der Wahl der AfD nur gegen ihre soziale Lage protestieren wollen. Es ist aber auch möglich, dass diese Personen vor allem Migrantinnen als eine ökonomische Bedrohung wahrnehmen.
Andere Forschungsarbeiten sehen dagegen in ausländerfeindlichen Einstellungen den zentralen Prädiktor für die Wahl der AfD, da Statusvariablen unter Kontrolle dieser Einstellungen insignifikant werden (Lengfeld und Dilger 2018; Rippl und Seipel 2018; Hansen und Olsen 2019). Es gibt hier also nur einen indirekten, über kulturelle Einstellungen vermittelten Einfluss der sozialen Lage auf die Wahrscheinlichkeit, die AfD zu wählen. Ein weiterer Forschungsstrang diskutiert die Bedeutung subjektiver Deprivationserfahrungen bzw. Status- und Abstiegsängste, die sehr unterschiedliche Gruppen gleichermaßen zur Wahl der AfD motivieren. Demnach haben AfD-Wählerinnen das Gefühl, im Vergleich zu ihren Eltern abgestiegen zu sein (Sthamer 2018), machen sich finanzielle Zukunftssorgen (Hilmer et al. 2017) oder fühlen sich exkludiert und haben Statusängste (Sachweh 2020).
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In den hier knapp vorgestellten Forschungsarbeiten zur AfD-Wählerinnenschaft wird zumeist der Versuch unternommen, das zentrale Motiv zu entdecken, welches den Erfolg der AfD erklären kann. Es gibt allerdings vergleichsweise wenige Erkenntnisse darüber, inwiefern unterschiedliche soziale Gruppen womöglich jeweils eigene Motive für AfD-Sympathien aufweisen. Im Folgenden soll dieser Frage aus einer milieutheoretischen Perspektive nachgegangen werden. Dafür wird zunächst der Mehrwert einer Milieuperspektive für Analysen politischer Konflikte vorgestellt (Abschnitt 2). Diese Herangehensweise bricht mit der Annahme, dass Gruppen mit ähnlichen Lebensbedingungen auch automatisch bestimmte politische Orientierungen miteinander teilen müssen und erlaubt eine stärkere Differenzierung zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen. In den darauffolgenden Abschnitten werden die für die empirischen Analysen relevanten Einstellungsdimensionen (3) sowie das methodische Vorgehen vorgestellt (4). Die empirischen Analysen zeigen, inwiefern sich potenzielle AfD-Wählerinnen aus den unteren und oberen sozialen Lagen hinsichtlich ihrer Einstellungen voneinander sowie von nicht-AfD-affinen Angehörigen aus derselben Klassenlage unterscheiden (5 und 6). Im AfD-freundlichen Teil der Arbeiterklasse herrscht eine national-solidarische Deutung der sozialen Welt vor, während im AfD-freundlichen Teil der Mittelklasse eine Ideologie der Ungleichheit, die bestehende Hierarchien jedweder Art verteidigt, anzutreffen ist. In Abschnitt 7 wird vor dem Hintergrund der herausgearbeiteten empirischen Ergebnisse diskutiert, wie es der AfD gelingt, eine Koalition aus derart unterschiedlichen Milieus zu mobilisieren und zusammenzuhalten. In einem Fazit werden die zentralen Ergebnisse noch einmal zusammengefasst (8).
2 Rechtspopulismus und soziale Milieus
Das Konzept der sozialen Milieus zielt auf die Beschreibung von Personengruppen, die sich durch ähnliche Klassenlagen und ähnliche Mentalitäten auszeichnen (Hradil 1987, S. 162 ff.). Milieus teilen also nicht nur bestimmte Lebensbedingungen, sondern bis zu einem gewissen Grad auch gemeinsame Interpretationen dieser Lebensbedingungen. Das Milieukonzept geht damit von einer relativen Autonomie von Lebensbedingungen und Mentalitäten aus: Objektive Lebensbedingungen determinieren Mentalitäten nicht, geben aber den Rahmen vor, innerhalb dessen die soziale Welt interpretiert werden kann. Milieukulturen können deshalb als eine Art Filter verstanden werden, durch den die eigenen Lebensbedingungen wahrgenommen werden (ebd.). Dieses Konzept wurde bisher vor allem zur Erforschung von Lebensstilen bzw. Prinzipien der Lebensführung angewandt (Vester et al. 2001), kann aber auch für die Erforschung politischer Konflikte fruchtbar gemacht werden. Es mag zwar Teile der Mittelklasse geben, die sich durch kosmopolitische Einstellungen und Lebensweisen auszeichnen, aber eben auch Gruppen innerhalb dieser Klasse, die sich davon diametral unterscheiden. Genauso gibt es Fraktionen innerhalb der Arbeiterklasse, die ihre Lage nationalistisch verarbeiten und deuten, aber eben auch Teile, die das nicht tun (Buchmayr 2022; Westheuser 2021). Gleichzeitig impliziert das Konzept der sozialen Milieus, dass es nicht unendlich viele mögliche bzw. wahrscheinliche Kombinationen von sozialen Lagen, Mentalitäten und politischen Einstellungen gibt. Soziale Milieus entstehen nicht spontan und willkürlich, sondern gehen aus bestimmten Milieutraditionen hervor. Diese Milieutraditionen können sich durch den sozialstrukturellen Wandel oder den Generationenwechsel ausdifferenzieren oder modernisieren, führen aber nichtsdestotrotz auch bestimmte Formen des Interpretierens der eigenen sozialen Lage sowie der sozialen Welt fort (Vester et al. 2001, S. 207).
In der politischen Soziologie wird zumeist untersucht, inwiefern soziale Gruppen innerhalb des Elektorats unterschiedlicher Parteien über- oder unterrepräsentiert sind (Oesch 2008; Bornschier und Kriesi 2012). So wichtig diese Analysen auch sind: Eine Analyse der sozialen und politischen Heterogenität innerhalb der Wählerschaft einer Partei und die Bildung elektoraler Koalitionen aus unterschiedlichen Milieus wird zumeist vernachlässigt. Dabei war der Erfolg von Parteien immer schon davon abhängig, vertikale Koalitionen aus unterschiedlichen Milieus mobilisieren zu können (Vester et al. 2001, S. 187). Es gibt einige Forschungsarbeiten, die sich derartigen elektoralen Koalitionen bereits gewidmet haben (Gingrich 2017; Falter 2020, S. 332 f.; Buchmayr 2022, S. 393 f.).2 Auch im Fall rechtspopulistischer Bewegungen wurden bereits einige Überlegungen angestellt. Zum einen gibt es empirische Arbeiten, die zeigen, dass sich Stadt- und Landbewohnerinnen (Harteveld et al. 2022), Personen aus unterschiedlichen Regionen (Manow und Schwander 2022) oder unterschiedlichen Wohlfahrtsregimen (Manow 2018) aus jeweils eigenen Motiven zu rechtspopulistischen Parteien hingezogen fühlen. Von besonderer Bedeutung für die vorliegende Untersuchung sind aber vor allem ungleichheitssoziologisch orientierte Analysen. Grob zusammengefasst zeigen diese, dass die Angehörigen unterer sozialer Lagen stärker aufgrund von ökonomischen Deprivationserfahrungen (Damhuis 2020, S. 118 ff.; Vester 2017, S. 15 f.; Lux 2022, S. 92 f.) zur Wahl rechtspopulistischer Parteien neigen, während bei den mittleren bzw. höheren sozialen Lagen eher die wahrgenommene Verletzung eines Leistungsethos (Damhuis 2020, S. 141 ff.), die Bewahrung traditioneller Hierarchien (Vester 2017, S. 12 f.; Vehrkamp und Wegschaider 2017, S. 36 f.) oder die Verteidigung fundamentalistischer religiöser Glaubenssysteme ausschlaggebend sind (Damhuis 2020, S. 164 ff.).
Der politische Erfolg rechtspopulistischer Parteien, so die Ausgangsthese, gründet daher im erheblichen Maße darin, eine heterogene Wählerinnenschaft aus den unteren, mittleren und oberen sozialen Lagen zu mobilisieren, die vergleichbare Wahrnehmungsmuster aufweisen. Dazu zählt etwa die Wahrnehmung, sich auf einer absteigenden sozialen Flugbahn zu befinden (Koppetsch 2018), dass der eigene Status in Gefahr ist (Sthamer 2018), oder dass die Prinzipien der eigenen Lebensführung öffentlich abgewertet werden (Vehrkamp und Wegschaider 2017; Flemmen et al. 2022; Westheuser 2020). Eine Milieukoalition fußt demnach auf bestimmten Ähnlichkeiten in den erfahrungsbedingten Wahrnehmungsmustern sozial heterogener Gruppen, die durch die Deutungsregister, die eine rechtspopulistische Partei bereitstellt, auf einen Nenner gebracht und politisch aktiviert werden. Um diesen Zusammenhang im Fall der AfD nachzuvollziehen, beschreibt die folgende Analyse zunächst deskriptiv die Koexistenz unterschiedlicher Milieus im Elektorat der Partei. Es wird hier davon ausgegangen, dass sich die potenziellen Unterstützerinnen der AfD aus unterschiedlichen Lagen rekrutieren. Die empirische Auswertung diskutiert dann vor diesem Hintergrund, ob und inwiefern unterschiedliche Gruppen des potenziellen AfD-Elektorats aus jeweils unterschiedlichen Gründen mit der AfD sympathisieren. Dafür wird zwischen unterschiedlichen Einstellungsdimensionen unterschieden, die Rückschlüsse auf spezifische ideologische Weltdeutungen und damit auf milieukonstituierende Mentalitäten ermöglichen. Im Folgenden werden zunächst zentrale politische Konfliktdimensionen vorgestellt.
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3 Dimensionen des politischen Konflikts
Obwohl politische Einstellungen die wichtigsten Indikatoren für Wahlmotive darstellen, gibt es bisher nur sehr wenige Arbeiten, die einstellungsbezogene Unterschiede innerhalb des Elektorats der AfD analysieren. In wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussionen stehen meistens die Einstellungen der AfD und ihrer Wählerinnen zum Thema Migration im Zentrum der Aufmerksamkeit. Wählerinnen der AfD heben sich demnach durch extrem ausländerfeindliche Einstellungen deutlich von Wählerinnen anderer Parteien ab (Lengfeld und Dilger 2018; Goerres et al. 2018; Hambauer und Mays 2018; Rippl und Seipel 2018; Schwarzbözl und Fatke 2016). Die ökonomischen Einstellungen der AfD-Wählerinnen werden hingegen oftmals vernachlässigt. Dabei zeigt ein Blick auf die internen Einstellungsdifferenzen des AfD-Elektorats, dass die Unterschiede bei kulturellen Einstellungen sehr gering sind, während es große interne Variationen hinsichtlich ökonomischer Einstellungen gibt (Schwarzbözl und Fatke 2016) – eine Heterogenität, die typisch für Wählerinnen rechtspopulistischer Parteien ist, weil sich diese Parteifamilie bei ökonomischen Sachfragen aus strategischen Gründen möglichst vieldeutig positioniert (Rovny und Polk 2020). Die zwei Kerngruppen rechter Parteien, die ungelernten Arbeiterinnen und die Kleinunternehmerinnen, weisen in der Regel diametral entgegengesetzte ökonomische Einstellungen auf, da Erstere zu linken Umverteilungspräferenzen und Letztere zu wirtschaftsliberalen Ansichten neigen (Ivarsflaten 2005).
Rechte Parteien scheinen also dazu in der Lage zu sein, sehr unterschiedliche ideologische Subgruppen ansprechen und mobilisieren zu können. Gidron bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt: „[T]here are many ways to be right: the right – more so than the left – attracts voters with diverse worldviews. […] [W]hile support for the left is common among voters with bundled progressive attitudes, it is enough to be conservative on one issue to turn right.“ (Gidron 2020, S. 20) Dieser Sachverhalt scheint auch auf die AfD zuzutreffen. In Abbildung 1 werden, basierend auf Daten der European Value Study (2017), die Positionen von Sympathisantinnen der deutschen Parlamentsparteien in einem zweidimensionalen politischen Raum abgebildet. Die Probanden wurden danach gefragt, welcher Partei sie am nächsten stehen. Durch eine Faktorenanalyse wurde je ein Faktor zu Umverteilungspräferenzen (Y-Achse) und ein Faktor zu Einstellungen zum Thema Migration (X-Achse) extrahiert (die verwendeten Items können Tabelle 2 im Online-Anhang entnommen werden). Durch Hexagonal-Diagramme kann die Dichte von Sympathisantinnen der Parlamentsparteien in unterschiedlichen Bereichen des politischen Raums veranschaulicht werden. Positive Werte stehen bei beiden Einstellungsdimensionen für linke Positionen und negative Werte für rechte Positionen. Je heller bzw. dunkler ein Sechseck ist, umso geringer bzw. größer ist die Dichte an Sympathisantinnen. Aus der Abbildung lässt sich erkennen, dass Anhängerinnen der AfD stark im kulturell rechten Teil des politischen Raumes der Einstellungen konzentriert sind, dort aber stark auf der ökonomischen Achse streuen. Das unterstreicht, wie homogen die Migrationseinstellungen und wie heterogen die ökonomischen Einstellungen im Elektorat der AfD sind.
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Um unterschiedliche Motive innerhalb des Elektorats der AfD identifizieren zu können, muss daher der Heterogenität der politischen Einstellungen und insbesondere der ökonomischen Einstellungen eine größere Bedeutung zugemessen werden, da diese entscheidend für die Beantwortung der Frage sind, ob mit der Wahl der AfD tatsächlich auch Hoffnungen nach ökonomischer Umverteilung einhergehen oder sie als ein Ausdruck des Protests gegen die Hegemonie des Neoliberalismus gedeutet werden kann, wie einige soziologische Zeitdiagnosen unterstellen (Fraser 2017; Nachtwey und Jörke 2017). Es bedarf also einer multidimensionalen Betrachtung der politischen Präferenzen und Wertorientierungen von potenziellen und tatsächlichen AfD-Wählerinnen, um deren Motive genauer nachvollziehen zu können.
Waren die politischen Auseinandersetzungen in Deutschland sowie anderen westeuropäischen Staaten über viele Jahrzehnte vor allem von ökonomischen Verteilungskonflikten geprägt, so gewinnen seit den 1970er- und 1980er-Jahren kulturelle Konfliktthemen und Freiheitsrechte an Bedeutung (Kitschelt 1994). „Nach dem Boom“ (Doering-Manteuffel und Raphael 2008) wurden Themen wie die rechtliche Gleichberechtigung von Frauen und sexuellen Minderheiten, das Recht auf Abtreibung oder die Entkriminalisierung von Drogenkonsum nachhaltig politisiert, was sich parteipolitisch nicht zuletzt im Aufstieg der Grünen manifestierte, der bis in die Gegenwart reicht. Seit den 1990er-Jahren ist dagegen zusehends das Thema Migration salient geworden (Kriesi et al. 2006; Lachat 2008). Auch im Kontext des vorliegenden Forschungsgegenstandes macht diese Unterscheidung zwischen Freiheitsrechten und Migration als zwei eigenständigen kulturellen Konfliktdimensionen Sinn, da es innerhalb der Wählerschaft rechter Parteien große Unterschiede in Bezug auf Einstellungen zu individuellen Freiheitsrechten gibt (Lancaster 2020).
In der Einstellungsforschung wird oftmals zwischen den genannten beiden kulturellen Konfliktdimensionen sowie einer ökonomischen Konfliktdimension unterschieden (Mau et al. 2020; Kitschelt und Rehm 2014). Im Folgenden sollen aber auch ökonomische Einstellungen und Auseinandersetzungen als multidimensional betrachtet werden. Der klassische ökonomische Antagonismus besteht zwischen den Befürworterinnen und den Gegnerinnen einer ökonomischen Umverteilung bzw. eines starken Wohlfahrtsstaats. Während diese Frage nach der gerechten Verteilung des gesellschaftlichen Wohlstandes die ökonomischen Konflikte zu Zeiten des Industriekapitalismus dominiert hat, wurden durch den Wandel von einem versorgenden zu einem aktivierenden Wohlfahrtsstaat auch Themen wie individuelle berufliche Aktivität und Leistungsbereitschaft stark politisiert (Lessenich 2012). In der empirischen Einstellungsforschung werden die Einstellungen jenseits der klassischen Umverteilungsdimension mit sehr unterschiedlichen Labeln versehen, doch alle drehen sich um die Frage, inwiefern eine individuelle Leistungsbereitschaft eingefordert wird oder alle Bürgerinnen unabhängig von ihrer ökonomischen Aktivität Unterstützung erfahren sollen (Achterberg et al. 2011; Attewell 2021; Cavaillé und Trump 2015).
Es wird daher nachfolgend zwischen insgesamt vier Einstellungsdimensionen (Migration, individuelle Freiheitsrechte, Umverteilung und Leistungsethos) unterschieden, die wichtige politische Spaltungslinien markieren und aus deren Überschneidungen sich Rückschlüsse auf die ideologischen Positionen des potenziellen Elektorats der AfD ziehen lassen. Wie bereits erwähnt, deutet die Forschungsliteratur zu den Wählerinnen rechtspopulistischer Parteien darauf hin, dass diese insbesondere hinsichtlich individueller Freiheitsrechte (Lancaster 2020) und einer Politik der Umverteilung (Rovny und Polk 2020) sehr unterschiedliche Einstellungen aufweisen. Bei den Einstellungen zur Migration ist dagegen von einer größeren Kohärenz auszugehen. Da sich jedoch die Individuen und möglicherweise auch bestimmte Milieus durch die Radikalität derartiger Einstellungen voneinander unterscheiden, wird auch diese Einstellungsdimension gesondert berücksichtigt. Die folgenden Analysen gehen nun der Frage nach, inwiefern sich systematische Unterschiede hinsichtlich der Kombinationen zentraler Einstellungsdimensionen bei potenziellen AfD-Wählerinnen feststellen lassen. Darüber hinaus wird untersucht, inwiefern diese Einstellungsprofile mit unterschiedlichen sozialstrukturellen Merkmalen assoziiert sind und Rückschlüsse auf unterschiedliche Milieus innerhalb des Elektorats der AfD zulassen.
4 Methodisches Vorgehen
Die folgenden Analyse greift zurück auf Daten des ALLBUS 2018. Dieser Datensatz umfasst 3477 individuelle Befragungen, die zwischen April und September 2018 durchgeführt wurden – also zu einem Zeitpunkt, als der inhaltliche und personelle Rechtsruck der AfD bereits stattgefunden hatte. Im ALLBUS wurde nach der Wahlabsicht bei der kommenden Bundestagswahl, nach der Wahlentscheidung bei der vergangenen Bundestagswahl sowie nach der Wahrscheinlichkeit auf einer Skala von 1 (sehr unwahrscheinlich) bis 10 (sehr wahrscheinlich) gefragt, die AfD zu wählen. Es wurden alle Personen zum potenziellen Elektorat der AfD gezählt, die es als eher wahrscheinlich einstufen, die AfD zu wählen, also mindestens den Wert 6 angaben, sowie Personen, die vorhaben, sie zu wählen bzw. sie in der Vergangenheit bereits gewählt haben (N = 480).
Dabei ist zu beachten, dass es sich bei der AfD um eine relativ junge Partei handelt, die bis dahin vergleichsweise wenig Zeit hatte, Wählerinnen in Form einer expliziten Parteiidentifikation an sich zu binden. Zudem wird die Anhängerschaft der AfD statistisch oftmals unterschätzt, da in Surveys die Neigung eher gering ist, offen mit der AfD zu sympathisieren (Bergmann und Diermeier 2017). Daher macht es Sinn, sich nicht nur die faktische, sondern auch die potenzielle Wählerschaft der AfD anzusehen und einen relativ großen Kreis an Personen in die Analyse miteinzubeziehen, die zumindest Affinitäten zur AfD aufweisen.
Die Analyse der Binnendifferenzierung des potenziellen Elektorats der AfD erfolgt in zwei Schritten. Zuerst wird durch Grafiken deskriptiv veranschaulicht, wie sich die politischen Einstellungen und Klassenlagen im potenziellen Elektorat der AfD überlappen. Da die Anzahl der AfD-Sympathisantinnen im Sample relativ gering ist, unterscheidet die Analyse aus forschungspragmatischen Gründen nur sehr grob zwischen einer unteren und einer oberen Klassenlage. Daher werden alle Personen aus eher privilegierten Bildungs-, oder Einkommensgruppen als Mittelklasse und jene aus weniger privilegierten Klassenlagen als Arbeiterklasse bezeichnet.3
Um nicht nur den Einfluss der genannten vier einzelnen Einstellungsdimensionen Migration, individuelle Freiheitsrechte, Umverteilung und Leistungsethos, sondern auch deren Überlappung und Kombination zu Einstellungsprofilen im potenziellen AfD-Elektorat zu untersuchen, wird darüber hinaus eine Clusteranalyse durchgeführt. Dadurch können typische Formen politischen Denkens innerhalb dieser Gruppen herausgearbeitet werden. Zudem kann anschließend analysiert werden, ob diese mit bestimmten sozialstrukturellen Merkmalen in einem Zusammenhang stehen. Für die Clusteranalyse wird eine Kombination unterschiedlicher clusteranalytischer Verfahren angewandt: Durch das Single-Linkage-Verfahren werden zunächst Ausreißer identifiziert und aus der Analyse ausgeschlossen; danach wird mit dem Ward-Verfahren auf ein hierarchisches Clusterverfahren zurückgegriffen, das als Basis eines im Anschluss durchgeführten K‑Means-Verfahrens dient, das eine zusätzliche Optimierung in der Zuordnung von Fällen zwischen den Clustern ermöglicht. Vor der Durchführung der Clusteranalyse wurden alle Einstellungsvariablen einer Z‑Standardisierung unterzogen und darüber hinaus so umcodiert, dass höhere Werte linke Positionen und niedrigere Werte rechte Positionen abbilden.
In einem nächsten Schritt soll herausgefunden werden, ob die Cluster mit bestimmten Klassenlagen korrespondieren. Dafür wurden logistische Regressionen mit allen AfD-Sympathisantinnen durchgeführt, die zeigen, ob bestimmte Klassenlagen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, zu einem der herausgearbeiteten Cluster zu gehören. Darüber hinaus wird die sozialstrukturelle Zusammensetzung der Cluster der AfD-Sympathisantinnen durch multinomiale logistische Regressionen auch mit der Gruppe der Nicht-AfD-Sympathisantinnen verglichen. Für die Konstruktion von Bildungsklassen wurde dazu zwischen Personen unterschieden, die maximal einen Hauptschulabschluss, maximal die mittlere Reife oder das Abitur haben. Für die Bildung von Einkommensklassen wurde das gewichtete Haushaltsäquivalenzeinkommen gebildet und in drei Gruppen unterteilt: Unterschicht (bis zu 75 % des Medianeinkommens), Mittelschicht (75 % bis 150 % des Medianeinkommens), Oberschicht (über 150 % des Medianeinkommens). Diese Operationalisierungen von Bildung und Einkommen fanden auch in einem Großteil der empirischen Studien zu AfD-Wahlmotiven Anwendung (Lux 2018; Lengfeld und Dilger 2018; Tutić und von Hermanni 2018) und ermöglichen somit eine hohe Vergleichbarkeit mit dem aktuellen Forschungsstand.
Darüber hinaus beinhalten alle berechneten Modelle weitere unabhängige Variablen, die einerseits als Kontrollvariablen für Bildung und Einkommen als Indikatoren von Klassenpositionen dienen, andererseits aber auch selbst Hinweise zu den Unterschieden zwischen den Subgruppen im potenziellen AfD-Elektorat liefern. Folgende Merkmale wurden berücksichtigt: Geschlecht, Alter, Region (Westdeutschland vs. Ostdeutschland), Religion und Stadt/Land. Für alle diese Merkmale liegen bereits Erkenntnisse über Zusammenhänge mit der Wahrscheinlichkeit vor, die AfD zu wählen. So wurde gezeigt, dass Männer und Personen aus den neuen Bundesländern eine erhöhte Wahrscheinlichkeit aufweisen, die AfD zu wählen (Hambauer und Mays 2018; Lengfeld und Dilger 2018; Lux 2018; Tutić und von Hermanni 2018), genauso wie nicht-religiöse (Arzheimer und Berning 2019; Tutić und von Hermanni 2018), junge bzw. mittelalte (Arzheimer und Berning 2019; Lengfeld und Dilger 2018; Rippl und Seipel 2018) und in ländlichen Regionen lebende Personen (Franz et al. 2018). Durch die Regressionsanalyse wurde daran anschließend untersucht, ob diese Personenmerkmale möglicherweise nur in bestimmten Subgruppen überproportional vertreten sind. Das Alter wurde daher in vier Gruppen umcodiert: 68 und älter, Personen zwischen 53 und 67, zwischen 37 und 52 sowie jene, die 36 Jahre oder jünger sind. Hinsichtlich der Urbanität des Wohnorts wurde zwischen drei Kategorien unterschieden: Personen, die in Dörfern mit unter 5000 Einwohnern leben, Personen, die in Städten mit bis zu 100.000 Einwohnern leben, und Personen, die in Städten mit über 100.000 Einwohnern leben. Alle Personen, die zumindest ein paar Mal im Jahr in die Kirche gehen, wurden als religiös und alle, die seltener in die Kirche gehen, als nicht religiös codiert. In Tabelle 1 sind die Unterschiede in der Verteilung über die genannten Variablen zwischen AfD-Sympathisantinnen und jenen, die keine Affinität zu dieser Partei aufweisen, aufgelistet. Im ALLBUS 2018 wurde zudem gefragt, inwiefern die Befragten das Gefühl haben, dass sich ihre wirtschaftliche Lage in den letzten Jahren verschlechtert hat sowie dass sie in der Gesellschaft nicht ihren gerechten Anteil erhalten. Diese zwei Items zu Deprivationserfahrungen sind ebenfalls berücksichtigt.
Tabelle 1
Deskriptive Übersicht der sozioökonomischen Merkmale der AfD-Sympathisantinnen und Nicht-AfD-Sympathisantinnen im Untersuchungssample; Angaben in Prozent (Quelle: ALLBUS 2018; eigene Berechnung)
Nicht-AfD-Sympathisantinnen
AfD-Sympathisantinnen
85,4
14,6
Geschlecht
Weiblich
50,7
36,7
Männlich
49,3
63,3
Altersgruppen
68+
22,0
14,2
53-67
29,8
31,0
37-52
25,2
29,8
18-36
23,0
25,0
Region
Ostdeutschland
29,5
45,6
Westdeutschland
70,5
54,4
Stadt/Land
Land
19,3
28,5
Kleinstadt
51,8
54,3
Großstadt
28,9
17,2
Religiosität
Nicht religiös
68,0
82,1
Religiös
32,0
17,9
Bildung
Hauptschule
23,7
27,4
Mittlere Reife
32,9
47,5
Abitur
43,4
25,1
Einkommensklassen
Unterschicht
21,7
26,5
Mittelschicht
46,7
52,9
Oberschicht
31,5
20,6
N
2810
480
Um die Ergebnisse zu validieren und um die Robustheit der Clusteranalysen zu überprüfen, wurden alle Analysen zusätzlich mit Daten des European Social Survey 9 sowie der European Value Study 2017 durchgeführt. Die Ergebnisse, die sich weitgehend mit den Analysen des ALLBUS 2018 decken, können im Online-Anhang nachvollzogen werden.
5 Politische Einstellungen und Klassenlagen
Im Folgenden werden zunächst die einstellungsbezogenen Unterschiede zwischen Personen mit und ohne Affinität für die AfD deskriptiv dargestellt, wobei für beide Gruppen zwischen je zwei Bildungs- und Einkommensgruppen unterschieden wird: bei den Bildungsgruppen zwischen Personen mit und ohne Abitur, beim Einkommen zwischen einer oberen und unteren Einkommensgruppe, wobei die mittlere Einkommensgruppe aus der Analyse ausgeschlossen bleibt (siehe dazu Beschreibung der Bildung von Einkommensgruppen in Abschnitt 4). Die durchschnittlichen Positionen dieser vier Gruppen werden hinsichtlich der Einstellungen zu Umverteilung und zur Migration sowie hinsichtlich des Leistungsethos und des kulturellen Liberalismus in jeweils zwei separaten politischen Räumen dargestellt (siehe Abbildung 2). Positive Abweichungen vom Nullpunkt stellen überdurchschnittlich progressive, also politisch linke, negative Abweichungen vom Nullpunkt hingegen überdurchschnittlich regressive, also politisch rechte Positionen dar. Die Gegenüberstellungen zeigen zunächst, dass sich die AfD-Sympathisantinnen durch ausgesprochen migrationsfeindliche Einstellungen von Nicht-Sympathisantinnen in ihrer Bildungs- und Einkommensgruppe abheben.
×
Das trifft in etwas weniger ausgeprägter Form auch auf die Einstellungsdimension des kulturellen Liberalismus zu. Denn hinsichtlich ihrer Einstellungen zu Umverteilung unterscheiden sich AfD-Sympathisantinnen nicht von anderen Angehörigen ihrer Klassenlage: Höhere Bildungs- oder Einkommensgruppen stehen einer Politik der Umverteilung skeptischer gegenüber als Personen aus unteren sozialen Lagen. Der AfD-freundliche Teil aus höheren sozialen Lagen weist also eine konservativere Form politischen Denkens auf als der AfD-freundliche Teil aus unteren sozialen Lagen, da alle Formen von Gleichheit stark abgelehnt werden. Zudem ist die Distanz in allen Einstellungsdimensionen zu anderen Angehörigen der eigenen Klasse im Fall des AfD-freundlichen Teils der Mittelklasse weitaus größer als in der Arbeiterklasse. Dies zeigt sich auch bei den Einstellungsdimensionen Leistungsethos und kultureller Liberalismus, wo die AfD-freundlichen Angehörigen höherer Bildungs-, und Einkommensgruppen mit ihren rechten Einstellungen relativ stark von nicht-AfD-affinen Angehörigen ihrer Klassenlage abweichen. Der Bruch mit den hegemonialen Einstellungen der eigenen Bildungs- oder Einkommensgruppe ist im Fall von AfD-Sympathisantinnen aus der Mittelklasse also besonders hoch.
Um zu analysieren, ob die Bedeutung kultureller und ökonomischer Einstellungen für die Sympathie mit der AfD in höheren und unteren Klassenlagen gleich groß ist, wurden Regressionsanalysen mit Interaktionen zwischen den Einstellungsdimensionen und Klassenindikatoren durchgeführt und grafisch dargestellt, da dies eine sichere Interpretation der Koeffizienten ermöglicht. In Abbildung 3 werden die Effekte aller vier Einstellungsdimensionen auf die Wahrscheinlichkeit, mit der AfD zu sympathisieren, getrennt für Personen mit und für Personen ohne Abitur dargestellt. Die Interaktionseffekte gehen für die Einkommensgruppen in die gleiche Richtung (siehe Abbildung 9 im Online-Anhang), sind aber im Fall der Bildungsgruppen am prononciertesten. Auch in den zusätzlichen Analysen mit dem ESS 9 und der EVS 2017 zeigen sich fast nur im Fall von Bildungsklassen und deren kulturellen Einstellungen signifikante Ergebnisse (siehe die Abbildungen 10–13 im Online-Anhang).
×
Insgesamt bestätigen die Analysen die deskriptiven Befunde aus Abbildung 2. Kulturell konservative Einstellungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, mit der AfD zu sympathisieren. Dieser Effekt ist bei Personen mit Abitur aber größer als bei jenen ohne Abitur. Gebildete Personen werden also besonders stark durch kulturell regressive Einstellungen dazu motiviert, die Wahl der AfD potenziell in Betracht zu ziehen. Auch ein strenges Leistungsethos hat bei gebildeten Personen einen positiven Effekt auf die Affinität zur AfD, bei ungebildeten Personen spielt es hingegen fast keine Rolle. Interessant ist darüber hinaus das Ergebnis, dass progressive Umverteilungseinstellungen in unteren sozialen Lagen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, mit der AfD zu sympathisieren, während sie in höheren sozialen Lagen die Wahrscheinlichkeit senken, wenngleich es sich nur um einen sehr schwachen Effekt handelt. Nichtsdestotrotz scheint die AfD tendenziell vor allem bei einer ökonomisch konservativen Mittelklasse und einer ökonomisch progressiven Arbeiterklasse auf Interesse zu stoßen. Die Ergebnisse zu den beiden ökonomischen Einstellungen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, da sich diese Effekte in dieser Ausprägung bei den Analysen mit dem ESS 9 sowie der EVS 2017 nicht zeigen (siehe ebenfalls die Abbildungen 10–13 sowie die Tabellen 3 und 4 im Online-Anhang).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sowohl gebildete als auch ungebildete AfD-Sympathisantinnen kulturell konservativer sind als andere Angehörige ihres Bildungsniveaus. Das stellt keine große Überraschung dar. Allerdings unterscheiden sich diese AfD-affinen Milieus auch voneinander, da Personen mit Abitur im Vergleich zu Personen ohne Abitur zu umverteilungsskeptischen Positionen sowie einem strengeren Leistungsethos neigen. Darüber hinaus ist der Effekt kulturell konservativer Einstellungen in höheren sozialen Lagen etwas größer. Homophobie, xenophobe Einstellungen und ein strenges Leistungsethos motivieren dort also besonders stark dazu, mit der AfD zu sympathisieren.
6 Analyse von Einstellungskombinationen
In diesem Abschnitt rückt nun die Kombination der vier Konfliktdimensionen in den Blick. Denn erst durch eine Analyse typischer Kombinationen politischer Einstellungen sind Rückschlüsse auf ideologische Glaubenssysteme im potenziellen AfD-Elektorat möglich. Deshalb werden zunächst die typischsten Einstellungsprofile innerhalb dieser Gruppe durch Clusteranalysen herausgearbeitet (Abschnitt 6.1.), die dann durch Regressionsmodelle hinsichtlich ihrer sozialstrukturellen Merkmale untersucht werden (Abschnitt 6.2.).
6.1 Clusteranalyse
Um die angemessene Anzahl an Clustern zu bestimmen, wurde auf den Calinski-Harabasz-Index zurückgegriffen, der Maßzahlen über die Distinktheit unterschiedlicher Clusterlösungen bereitstellt (siehe Tabelle 5 im Online-Anhang). Dieser weist für die Daten des ALLBUS 2018 eine 4‑Clusterlösung als geeignetste aus. Ein Vergleich zwischen den drei Datensätzen offenbart allerdings sehr starke Ähnlichkeiten zwischen den unterschiedlichen 2‑Clusterlösungen, was darauf hindeutet, dass es sich hier um ein besonders robustes Muster handelt. Dies wird dadurch untermauert, dass auch die Anwendung anderer clusteranalytischer Verfahren in allen drei Datensätzen sehr ähnliche Ergebnisse bei den 2‑Clusterlösungen hervorbringt. So zeigt auch die alleinige Anwendung des Ward-Verfahrens die gleichen Clusterlösungen (siehe Abbildung 15 im Online-Anhang). Umgekehrt führt auch die alleinige Anwendung des K‑Means-Verfahrens (ohne eine Ausgangslösung durch das Ward-Verfahren) zu vergleichbaren Ergebnissen (siehe Abbildung 14 im Online-Anhang). Darüber hinaus wurde auch eine latente Profilanalyse durchgeführt, die die vorgefundene 2‑Clusterlösung ebenfalls bestätigt.
Aus diesem Grund sollen im Folgenden die Ergebnisse der 2‑Clusterlösung fokussiert werden. Die Clusteranalysen wurden darüber hinaus auch separat für West- und Ostdeutschland durchgeführt (siehe Abbildung 16 im Online-Anhang), die jedoch erst in Abschnitt 6.2. genauer betrachtet werden, wo auch die Effekte regionaler Zugehörigkeiten auf die Wahrscheinlichkeit, einem der beiden Cluster anzugehören, Thema sind. In Abbildung 4 sind die Ergebnisse der 2‑Clusterlösungen für alle drei Datensätze abgebildet. Auf der linken Seite werden die Abweichungen der unterschiedlichen Einstellungsdimensionen vom Mittelwert des potenziellen AfD-Elektorats dargestellt, auf der rechten Seite die Abweichungen vom Gesamtmittelwert aller Befragten. In allen drei Datensätzen findet sich ein Cluster (im Folgenden Cluster 1 genannt) mit rechten Einstellungen in (fast) allen vier Dimensionen. Allein in den Daten der EVS vertritt dieses Cluster ein nur durchschnittlich strenges Leistungsethos und ist in dieser Hinsicht sogar weniger regressiv als das Cluster 2. In allen Clusterlösungen ist zudem erkennbar, dass sich die beiden Cluster in Bezug auf die Einstellungen zur Migration fast überhaupt nicht voneinander unterscheiden.4
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Cluster 2 hebt sich in allen Datensätzen von Cluster 1 vor allem durch linke Umverteilungspräferenzen ab und steht auch in den anderen beiden Dimensionen Leistungsethos und kultureller Liberalismus in der Regel weiter links als Cluster 1. Allerdings gibt es hier zwischen den Datensätzen auch Unterschiede, so vor allem in Bezug auf die Dimension des Leistungsethos im EVS 2017, was womöglich darauf zurückzuführen ist, dass sich die Items in dieser Dimension zwischen den Datensätzen besonders stark unterscheiden (siehe Tabelle 2 im Online-Anhang). Es lässt sich nichtsdestotrotz ein klares Muster erkennen: Cluster 1 weist ein durchweg rechtes Einstellungsprofil auf, während sich Cluster 2 vor allem durch die Kombination von linken Umverteilungspräferenzen und rechten Migrationseinstellungen auszeichnet.
Da nicht alle Personen, die mit der AfD sympathisieren, sich mit dieser auch identifizieren, ist auch eine Analyse der Parteiidentifikation der beiden Cluster möglich. Demzufolge identifizieren sich Angehörige von Cluster 1 vergleichsweise stark mit der CDU, während Cluster 2 besonders häufig dazu tendiert, sich mit keiner Partei zu identifizieren (siehe Abbildung 18 im Online-Anhang). In Abbildung 17 im Online-Anhang ist zudem das Verhältnis der AfD-Sympathisantinnen zum politischen System dargestellt, indem zwischen vier Dimensionen unterschieden wird: Interesse an Politik, Politische Partizipation, Anti-Elite-Einstellungen, Vertrauen in Politik (die Items zu diesen Dimensionen finden sich in Tabelle 6 im Online-Anhang). Cluster 2 weist in allen Dimensionen eine stärkere Distanz zum politischen System auf, vertraut politischen Institutionen weniger, kritisiert Eliten stärker, partizipiert seltener in Vereinen und interessiert sich insgesamt weniger für Politik.
6.2 Regressionsanalysen
Im nächsten Schritt werden die sozialstrukturellen Merkmale der beiden Cluster analysiert. Durch eine logistische Regression mit den beiden Clusterzugehörigkeiten als abhängiger Variable kommen zunächst die Unterschiede zwischen den beiden Clustern in den Blick. Die Ergebnisse dieser Analyse werden in Abbildung 5 durch einen Koeffizientenplot dargestellt, wobei Cluster 2 die Referenzkategorie darstellt. Auch die Analysen mit den anderen beiden Datensätzen decken sich mit diesen Ergebnissen (siehe Abbildung 19 im Online-Anhang). Es zeigt sich, dass Angehörige von Cluster 1 mit höherer Wahrscheinlichkeit aus Westdeutschland sowie aus höheren Bildungs- und Einkommensschichten kommen. Diese Ergebnisse decken sich mit den Analysen aus Abschnitt 5, die gezeigt haben, dass der AfD-freundliche Teil der Mittelklasse zu rechten Einstellungen in allen vier Dimensionen neigt und eine Ideologie der Ungleichheit vertritt. Ein geschlossenen rechtes Weltbild findet sich also tendenziell in oberen statt in unteren sozialen Lagen. Diese Ergebnisse korrespondieren mit den theoretischen Überlegungen von Koppetsch (2018, S. 387) und Vester (2017, S. 8), die ebenfalls von der Existenz eines spezifischen, traditionell-konservativen Mittelklassemilieus ausgehen, welches Ungleichheiten als etwas Natürliches ansieht und auf der Erhaltung des Bestehenden besteht. Diese Gruppe wählt die AfD also nicht, weil sie eine gerechtere ökonomische Ordnung, sondern weil sie die Aufrechterhaltung von Privilegien verlangt. Es gilt, den Status quo und vermeintlich unter Beschuss stehende traditionelle Wertordnungen zu verteidigen.
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Die Kombination von ökonomisch progressiven und kulturell regressiven Einstellungen ist hingegen in unteren Bildungs- und Einkommensklassen überrepräsentiert. Hier liegt die Interpretation nahe, dass ein Oben-Unten-Konflikt in einen Innen-Außen-Konflikt transformiert wird (Dörre 2020, S. 172). In diesem national-solidarischen Weltbild artikuliert sich der Wunsch der Arbeiterklasse nach mehr ökonomischer Gleichheit. Gleichzeitig sehen die Angehörigen dieses Milieus in der vermeintlich bevorzugten Behandlung von Migrantinnen eine Verletzung dieses Gleichheitsanspruchs. Daher fühlen sie sich gegenüber dieser Gruppe benachteiligt (Damhuis 2020, S. 118) und wähnen sich in einem Verteilungskonflikt mit ihr (Koppetsch 2018, S. 388). Wie Didier Eribon (2016) in seinen Ausführungen zu den politischen Orientierungen in der französischen Arbeiterklasse betont, entspringt indes nicht jeder xenophobe Reflex wohlfahrtschauvinistischen Ressentiments. So vertrat auch seine Familie schon lange vor der Hinwendung zum Front National rassistische Stereotypen. Neu ist allerdings, dass Xenophobie zum zentralen politischen Ordnungsprinzip geworden ist und Migrantinnen als Chiffre für gebrochene Gleichheitsversprechen fungieren (ebd., S. 136 f.).
Darüber hinaus zeigt die Regressionsanalyse, dass das Gefühl, im Vergleich zu anderen nicht seinen gerechten Anteil zu erhalten, einen positiven Einfluss darauf hat, Cluster 2 anzugehören, während der Effekt der negativen Evaluierung der eigenen wirtschaftlichen Lage zwar auch in die gleiche Richtung zeigt, aber nicht signifikant ist. Diese Gruppe fühlt sich also nicht primär materiell depriviert, sondern hat vor allem das Gefühl, dass die eigenen Anstrengungen gesellschaftlich nicht anerkannt werden. Auch Gidron und Hall (2017) zeigen, dass rechtspopulistische Wählerinnen aus der Arbeiterklasse in jüngerer Zeit dazu neigen, eine Bedrohung und Marginalisierung des eigenen Status wahrzunehmen. Trotz enormer Anstrengungen breitet sich immer mehr das Gefühl aus, in einer abgewerteten Arbeiterexistenz „festzustecken“ (Dörre 2020, S. 179). Interessant ist vor diesem Hintergrund, dass ein stark positiver Effekt eines ostdeutschen Wohnorts insignifikant wird, sobald für subjektive Deprivationswahrnehmungen kontrolliert wird. Das macht durchaus Sinn, da in Ostdeutschland tief verankerte ökonomische Gleichheitsideale durch Deindustrialisierung, Privatisierung, Arbeitslosigkeit sowie die symbolische Entwertung unzähliger Biografien fundamental verletzt wurden. Neben der starken Prävalenz von ausländerfeindlichen Einstellungen in Ostdeutschland (Arzheimer 2021; Pesthy et al. 2021) bilden auch diese subjektiven Deprivationserfahrungen einen idealen Nährboden für den durch Cluster 2 repräsentierten Typus der AfD-Sympathisantin. Die separaten Clusteranalysen für West- und Ostdeutschland zeigen, dass linke Umverteilungspräferenzen in Ostdeutschland stärker verbreitet sind als in Westdeutschland, weshalb 2‑Clusterlösungen für die ostdeutsche Bevölkerung kein strikt rechtes Einstellungsprofil zutage fördern, sondern zwei Variationen des national-solidarischen Einstellungsprofils (Cluster 2) (siehe dazu Abbildung 16 im Online-Anhang). Strikt rechte Einstellungsprofile innerhalb der potenziellen AfD-Wählerschaft sind hingegen eher in West- als in Ostdeutschland anzutreffen.
Um zu überprüfen, ob sich die stärkere Konzentration von Angehörigen der Mittelklasse in Cluster 1 sowie von Angehörigen der Arbeiterklasse in Cluster 2 auch im Vergleich zum gesamtgesellschaftlichen Durchschnitt zeigt, wird eine multinomiale logistische Regression durchgeführt und werden marginale Effekte berechnet. Referenzkategorie stellt hier die Gruppe jener Personen dar, die nicht mit der AfD sympathisieren. Auch die Ergebnisse dieser Analyse werden in einem Koeffizientenplot grafisch zusammengefasst (siehe Abbildung 6; der Datensatz findet sich in Tabelle 8 im Online-Anhang). Es zeigt sich, dass sich Cluster 1 – also jene Gruppe mit rechten Einstellungen in allen Dimensionen – sozialstrukturell kaum von der Gruppe der Nicht-AfD-Sympathisantinnen unterscheidet. Die Überrepräsentation höherer Bildungs- und Einkommensklassen in Cluster 1 findet sich also nur im direkten Vergleich mit dem Einstellungsprofil von Cluster 2, nicht aber im Vergleich mit dem gesamtgesellschaftlichen Durchschnitt. Das bedeutet, dass der AfD-freundliche Teil der Mittelklasse zwar zu einem rechten Einstellungsprofil neigt, ein rechtes Einstellungsprofil umgekehrt aber kein Alleinstellungsmerkmal der Mittelklasse darstellt, sondern dieses rechte Cluster insgesamt sozialstrukturell relativ heterogen ist. Die Überrepräsentation von Männern in Cluster 1 im Vergleich zum gesellschaftlichen Durchschnitt überrascht dabei wenig, da es dieser Gruppe darum geht, Privilegien zu verteidigen und traditionelle Hierarchieverhältnisse festzuschreiben – ein Vorhaben, welches nicht nur den Kampf gegen ein kosmopolitisches Miteinander betrifft, sondern auch der Verteidigung heroischer Männlichkeitsbilder und traditioneller Geschlechterverhältnisse dient, deren Auflösung rechte Bewegungen und Parteien als eine Bedrohung für das eigene Volk imaginieren (Bargetz und Eggers 2021; Sauer 2017).
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Hinsichtlich der sozialstrukturellen Merkmale von Cluster 2 zeigt sich nicht nur relational zu Cluster 1, sondern auch im Vergleich mit dem gesellschaftlichen Durchschnitt, dass die Angehörigen dieses Clusters überproportional stark aus den unteren Einkommens- und Bildungsschichten sowie aus Ostdeutschland kommen. Darüber hinaus ist Cluster 2 männlich, säkular und eher jung, wenngleich die Alterseffekte in den Regressionsanalysen mit den Daten des ESS 9 und der EVS 2017 zumeist nicht signifikant sind (siehe Tabelle 8 und Abbildung 20 im Online-Anhang). Dennoch deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass jüngere Personen schwächer in sozialdemokratische Milieus eingebunden sind und damit nicht in gleichem Maße gegen die Wahl von Rechtspopulisten immunisiert sind wie ältere Personen mit ähnlichen Einstellungen (Bornschier und Kriesi 2012). Das Narrativ von enttäuschten Sozialdemokratinnen, die in großem Umfang zu den Rechtspopulisten wechseln, findet in der empirischen Forschungsliteratur kaum Bestätigung: Alte Arbeiterinnen halten zum Großteil immer noch der SPD die Treue, während die junge Arbeiterklasse seit den 1980er-Jahren immer seltener zur Wahl zu geht (Elff und Roßteutscher 2017). Da Nichtwählerinnen – und nicht Sozialdemokratinnen – das wichtigste Wählerinnenreservoir für die AfD darstellen (Vehrkamp und Wegschaider 2017), kann davon ausgegangen werden, dass viele junge Angehörige der Arbeiterklasse von vorn herein niemals linke Parteipräferenzen entwickelt haben und dadurch in den letzten Jahren zu einem Kernklientel der AfD werden konnten.
Die zentrale Frage ist also nicht, warum Sozialdemokratinnen zu den Rechten überlaufen, da die Zahl dieser Wechselwählerinnen eher begrenzt ist (Brenke und Kritikos 2020, S. 302). Entscheidender ist die Frage, was der Grund für die abnehmende Integrationskraft der SPD ist, die es immer weniger geschafft hat, jüngere Generationen von Arbeiterinnen überhaupt an sich zu binden. Diese Generationen wurden in einem politischen Feld sozialisiert, in dem sozialdemokratische Parteien in ganz Europa bereits ökonomisch nach rechts gerückt waren, neoliberale Dogmen übernommen hatten und sich in ihren politischen Positionen immer weniger von Mitte-Rechts-Parteien unterschieden (Evans und Tilley 2012). Viele junge Arbeiterinnen haben die sozialdemokratische Partei also niemals als Patron ihrer Klasseninteressen erlebt und wahrgenommen. In den neuen Bundesländern hatte die SPD zudem nie in relevantem Ausmaß zivilgesellschaftlichen Rückhalt in der Arbeiterklasse, etwa in Form eines dichten, parteinahen Vereinslebens. Die Linkspartei artikuliert zwar insbesondere mit Blick auf den Osten den Anspruch, unterprivilegierte Milieus zu repräsentieren, ihre Wählerinnenschaft rekrutiert sich aber aus sehr unterschiedlichen sozialen Gruppen. Daher hat sie im Osten eher den Charakter einer Regionalpartei, die sehr unterschiedliche Milieus aus dieser Region mobilisiert (Spier 2017).
7 Die Milieukoalition der AfD
Die AfD-Sympathisantinnen innerhalb der Arbeiter- wie der Mittelklasse konstituieren eigene Milieus, insofern sie die soziale Welt anders interpretieren als andere Angehörige der Arbeiter- und Mittelklasse. In beiden Fällen sind es – wenig überraschend – kulturell konservative Mentalitäten und Orientierungen, durch die sie sich von anderen Arbeiter- und Mittelklassemilieus unterscheiden. Gleichzeitig unterscheiden sich die AfD-freundlichen Milieus innerhalb der Arbeiter- und Mittelklasse auch untereinander in ihren Motiven, mit der AfD zu sympathisieren. So wird im AfD-affinen Milieu der Arbeiterklasse ökonomische Gleichheit befürwortet, die man aber auf einen ethno-nationalen Kontext begrenzt. Darüber hinaus kritisieren Angehörige dieses Milieus nicht nur ökonomische Ungleichheiten, sondern nehmen auch eine symbolische Entwertung ihrer Arbeiterklassenexistenz wahr (Dörre 2020, S. 179; Beck und Westheuser 2022, S. 305), die sie im politischen System nicht mehr repräsentiert sehen (Vester 2003). Sie gehen daher entweder überhaupt nicht wählen, da sie ihre Anliegen als „machtlose Kritik von der Seitenlinie“ interpretieren (Beck und Westheuser 2022, S. 308), oder sie wählen die Rechtspopulisten, um den allgemeinen Repräsentationsanspruch der etablierten Eliten zumindest zu irritieren (Eribon 2016, S. 127).
Der AfD-freundliche Teil der Mittelklasse weist hingegen ein konsequent rechtes Weltbild auf. Er verlangt die Einhaltung von Hierarchien und Traditionen in allen Lebensbereichen und sieht in der AfD eine Kämpferin für die Aufrechterhaltung des Status quo. Das AfD-freundliche Milieu innerhalb der Mittelklasse unterscheidet sich damit besonders stark von den Positionen anderer Angehöriger dieser Klasse. Und es kann davon ausgegangen werden, dass es sich bewusst insbesondere vom kosmopolitischen Mittelklassemilieu abgrenzt, das sich durch die explizite Stilisierung progressiver kultureller Einstellungen und Praktiken auszeichnet. Der Kulturessenzialismus dieses konservativen Mittelklassemilieus kann als Gegenbewegung zur Logik des Besonderen der neuen Mittelklasse verstanden werden, insofern hier nicht Individuen, sondern kulturelle Kollektive, denen sich die Individuen zu beugen haben, singularisiert und symbolisch aufgeladen werden (Reckwitz 2017, S. 419). Das ermöglicht es ihr zugleich, sich dem voraussetzungsvollen Wettbewerb der neuen Mittelklasse um möglichst einzigartige und authentische Lebensstile zu entziehen (ebd., S. 433). Die beiden Mittelklassemilieus kämpfen im sozialen Raum also um die Durchsetzung einer hegemonialen Ordnung symbolischer und kultureller Praxen, und die unterschiedlichen politischen Orientierungen beider Milieus lassen sich als Teil dieser symbolischen Grenzziehungsprozesse verstehen (Lamont 1987, S. 1504).
Bis zu diesem Punkt wurde unter dem Begriff der Milieukoalition sehr pragmatisch die Koexistenz unterschiedlicher Milieus im Elektorat einer bestimmten Partei, in diesem Fall der AfD, verstanden. Fragen nach dem Zustandekommen solcher Milieukoalitionen, ihre sozialen Gemeinsamkeiten und Differenzen, wurden hingegen bisher außen vor gelassen. Die vorliegenden Daten reichen auch leider nicht aus, um dies umfassend zu beantworten. Jedoch ist es zumindest möglich, einige Hypothesen aufzustellen. So ist zum einen davon auszugehen, dass unterschiedliche Wählerinnenmilieus unabhängig voneinander mobilisiert werden können. Dafür müssen sich politische Eliten in der Kunst der „multivocality“ üben, also der Fähigkeit, mehrere Sprachen gleichzeitig zu gebrauchen und so unterschiedliche soziale Gruppen zugleich zu erreichen, ohne sich überdeutlich zu widersprechen (Gidron 2016, S. 30 f.). Rechtspopulistische Parteien sind in diesem Handwerk besonders geübt, da sie z. B. die heterogenen ökonomischen Positionen innerhalb ihres potenziellen Elektorats durch eine möglichst schwammige und vieldeutige Kommunikation miteinander zu versöhnen suchen (Rovny 2013; Rovny und Polk 2020). Zum anderen können Milieukoalitionen auch als das Ergebnis bestimmter Gemeinsamkeiten zwischen unterschiedlichen Milieus, die bestimmte soziale oder kulturelle Merkmale miteinander teilen, interpretiert werden. Diese Milieus werden nicht separat durch das Sprechen unterschiedlicher Sprachen, sondern auf der Basis geteilter Interpretationen der Welt durch eine gemeinsame Sprache mobilisiert – beispielsweise durch Adressierung von Erfahrungen und/oder Wahrnehmungen einer absteigenden sozialen Flugbahn der individuellen Biographie und/oder der eigenen Bezugsgruppe (Koppetsch 2018, S. 388; Sthamer 2018; Kurer und Staalduinen 2022; Gest et al. 2018). Während das AfD-freundliche Arbeiterklassenmilieu im Vergleich zu den Eltern prekärere ökonomische Verhältnisse und eine symbolisch entwertete Arbeiteridentität vorfindet (Gidron und Hall 2017), beklagt das AfD-freundliche Mittelklassemilieu den Verlust der Hegemonialität der eigenen Lebensführungsmuster (Koppetsch 2018, S. 389; Reckwitz 2017, S. 266).
Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen unterschiedlichen AfD-freundlichen Milieus gründet womöglich in ähnlichen Lebensstilen und Prinzipien der Lebensführung. Rechte Milieus aus unterschiedlichen Klassenlagen können demnach durchaus durch eine gemeinsame Sprache mobilisiert werden – und nicht nur durch ambivalente Mehrsprachigkeit. Diese Sprache zeichnet sich durch Verweise auf das Bodenständige, Normale und Authentische aus, die in Abgrenzung zur Artifizialität des Hochkulturellen in Anschlag gebracht werden (Westheuser 2020, S. 260 ff.).5 Die Analysen von Zollinger (2022) zeigen, dass die Affinität zum Bodenständigen auch Teil des Selbstverständnisses und der Identitäten von Wählerinnen der radikalen Rechten ist. Vor allem für die Arbeiterklasse sind symbolische Grenzziehungen gegenüber privilegierteren Milieus sehr zentral (Jarness und Flemmen 2019), wobei Privilegien durchaus zugestanden werden, solange nicht der Eindruck erweckt wird, dass man sich für etwas Besseres hält. Durch glaubwürdige „Performances der Bodenständigkeit“ (ebd., S. 183) ist es deshalb durchaus möglich, die Gunst von Arbeiterinnen zu gewinnen und klassenübergreifende Allianzen zu schmieden.
Ob unterschiedliche Milieus aus der Arbeiter- und Mittelklasse auch durch eine gemeinsame Dissoziation von einer als dekadent und arrogant wahrgenommenen kosmopolitischen Mittelklasse zusammengehalten werden, da sie dem hegemonialen Imperativ zur Selbstverwirklichung nicht nachkommen können (Reckwitz 2017, S. 433), ist allerdings fraglich. Beck und Westheuser (2022) konstatieren in ihrer qualitativen Studie über das politische Bewusstsein von Arbeiterinnen, dass diese gegen ein diffuses „Oben“ oder ein ominöses „System“ aufbegehren. Abgrenzungen gegenüber der neuen Mittelklasse und ihrem Lebensstil scheinen hingegen eine eher untergeordnete Rolle zu spielen (ebd., S. 307). Auch Jarness und Flemmen (2019) zeigen, dass die Elitenkritik von Arbeiterinnen oftmals nicht sehr spezifisch ist und nicht gesondert eine kulturell-ökonomische Mittelklasse ins Visier nimmt. Das Schreckgespenst einer kosmopolitischen und globalistischen Klasse, wie sie beispielsweise von AfD-Funktionär Alexander Gauland (2018) in Anschlag gebracht wurde, ist also möglicherweise nur für rechte Eliten und privilegiertere Milieus aus der Mittelklasse, nicht aber für die Arbeiterklasse von identitätsstiftender Bedeutung.6
Im politischen Feld werden die Weltdeutungen der unterschiedlichen Milieus nicht einfach nur passiv repräsentiert, sondern auch aktiv hergestellt (Bourdieu 2001, S. 51 ff.). Gemeinsame Identitäten, etwa auf der Basis bestimmter Lebensstile oder Prinzipien der Lebensführung, werden von politischen Eliten strategisch genutzt, bedient und mithergestellt (Ostiguy 2017). Lebensstile erzeugen nicht automatisch politische Differenzen, sondern entstehen mitunter erst durch Diskurse politischer Eliten, die bestimmte Praxen (Fahrrad vs. Auto, Kuh- vs. Hafermilch, etc.) als Brennpunkt einer Konfliktlinie identifizieren. Auch die Wahrnehmungen von auf- oder absteigenden sozialen Flugbahnen können als Ergebnis einer Koproduktion zwischen politischer Nachfrage und politischem Angebot verstanden werden, da politische Eliten Narrative einer vermeintlich goldenen Vergangenheit nicht selten überhaupt erst explizieren. Soziale Ungleichheiten stellen also nur eine Art „Rohmaterial“ dar, das – durch politische Diskurse unterschiedliche Bedeutungen erhalten kann (Laclau 1981, S. 139 f.). Trotz unterschiedlicher Lebensrealitäten kann die politische Repräsentationsarbeit also gemeinsame Identitäten und Interessen herstellen und bestimmte Differenzen affektiv aufladen und akzentuieren. In diesem Sinne sind Milieukoalitionen immer sowohl als soziale wie auch als politische Phänomene zu interpretieren.
8 Fazit
In den letzten Jahren wurde viel darüber diskutiert, ob der Erfolg der AfD als ein ökonomisches oder ein kulturelles Phänomen zu verstehen ist. Doch die Gräben zwischen den beiden Lagern sind nicht so groß wie oftmals angenommen. Auch Lengfeld und Dilger (2018), die kulturelle Erklärungsmodelle in den Vordergrund stellen, gehen nicht davon aus, dass ein niedriger sozialer Status für die Identifikation mit der AfD keine Rolle spielt, sondern betonen lediglich, dass der Effekt über Migrationseinstellungen vermittelt wird. Sie zeigen zudem, dass sich die Bedeutung wirtschaftlicher und kultureller Faktoren für die Identifikation mit der AfD je nach Statuslage unterscheidet (ebd., S. 194). Lux (2018), auf der anderen Seite der Diskussion positioniert, sieht umgekehrt ebensowenig in ökonomischer Deprivation die als alleinige Erklärung für den Wahlerfolg der AfD, nicht zuletzt, da sich der Großteil des AfD-Elektorats, trotz der Überrepräsentation von Arbeiterinnen, aus der Mittelschicht rekrutiert (Lux 2018, S. 267).
Eine milieutheoretische Perspektive ist für einen Brückenschlag zwischen kulturellen und ökonomischen Erklärungen des AfD-Erfolges besonders geeignet, da sich im Milieubegriff gewissermaßen beide Perspektiven vereinen. Milieus beschreiben kulturelle Bearbeitungen ökonomischer Klassenlagen und erlauben eine differenziertere Analyse des Zusammenspiels von Sozialstruktur und Einstellungen als dies in gängigen Zeitdiagnosen, die Spaltungen zwischen einer kosmopolitischen Mittelklasse und einer kommunitaristischen Arbeiterklasse imaginieren (dazu: Merkel und Zürn 2019), der Fall ist. Vor diesem Hintergrund habe ich das potenzielle Elektorat der AfD als Milieukoalition konzipiert und bin der Frage nachgegangen, ob und wie sich die mit der AfD sympathisierenden Angehörigen der Arbeiter- und der Mittelklasse voneinander und von den nicht-AfD-affinen Angehörigen ihrer Klasse unterscheiden. Es konnte gezeigt werden, dass die AfD-affinen Angehörigen der Mittelklasse keine moderatere Spielart des regressiven Denkens repräsentieren, sondern im Gegenteil in allen Einstellungsdimensionen zu konservativen Positionen neigen. Im Zentrum steht der Wunsch danach, den Status quo zu erhalten und Hierarchien, Traditionen und Rangunterschiede jedweder Art zu verteidigen. Mit ihren Einstellungen stehen sie in einem besonders prononcierten Gegensatz zu den Orientierungen anderer Milieus innerhalb der Mittelklasse, und es ist wahrscheinlich, dass sie starke symbolische Grenzen gegenüber der kosmopolitischen „neuen Mittelklasse“ (Reckwitz 2019) ziehen. Sie weisen neben der Affinität zur AfD im Prinzip auch starke Affinitäten zur CDU/CSU auf, die unter der Führerschaft einer pragmatischen Angela Merkel aber immer weniger als Verteidigerin des Status quo wahrgenommen wurde. Es überrascht deshalb nicht, dass die Mitte-Rechts-Parteien derzeit Themen wie das Gendern oder die „Political Correctness“, die Gegenstand kultureller Hegemoniekämpfe sind, in der Hoffnung aufgreifen, das beschriebene Milieu durch diesen konservativen Kulturkampf um das „Normale“ und den „gesunden Menschenverstand“ für sich zurück zu gewinnen (Huke 2019).
Das AfD-affine Milieu innerhalb der Arbeiterklasse weist hingegen ökonomisch progressive Einstellungen zur Umverteilung auf und unterscheidet sich von anderen Arbeitermilieus durch xenophobe Einstellungen und eine national-solidarische Deutung der Welt. Sie ist zwar auch hinsichtlich individueller Freiheitsrechte relativ konservativ eingestellt, allerdings motiviert sie die Festschreibung einer traditionellen Lebensführung nicht so stark, wie dies beim AfD-freundlichen Teil der Mittelklasse der Fall ist. Stattdessen artikuliert sie gebrochene Gleichheitsversprechen (Beck und Westheuser 2022, S. 305) und hat das Gefühl, trotz immenser Anstrengungen keine gesellschaftliche Wertschätzung zu erfahren. Dieses Milieu scheint in Ostdeutschland besonders stark verwurzelt zu sein, womöglich auch, weil die Verletzung von Gleichheitsversprechen und -ansprüchen hier besonders stark erlebt wird (Pesthy et al. 2021; Dörre et al. 2018, S. 70). Diese beiden Milieus repräsentieren bis zu einem gewissen Grad auch die innerparteilichen Grabenkämpfe der AfD. Auf der einen Seite stehen ostdeutsche Landesverbände, die einen völkischen Nationalismus mit Fragen sozialer Gerechtigkeit kombinieren wollen.7 Auf der anderen Seite finden sich westdeutsche Landesverbände, die lange wirtschaftsliberale Positionen vertraten und die heterodoxe Fundamentalopposition ihrer Kolleginnen ablehnten. Um diese Gräben zuzuschütten, verfolgt die AfD eine Strategie des „position blurring“ (Rovny 2013): Man ist darum bemüht, sich nach außen nur sehr schwammig hinsichtlich der ökonomischen Konfliktdimension zu positionieren. Die AfD hat zwar immer noch ein durch und durch wirtschaftsliberales Parteiprogramm, ergänzt dieses aber zunehmend durch eine soziale Rhetorik (Pühringer et al. 2021).
Diese strategische Ambiguität hinsichtlich ihrer ökonomischen Positionen stellt eine mögliche Erklärung für das Zustandekommen der oben beschriebenen Milieukoalition von AfD-Sympathisantinnen aus unterschiedlichen Klassenlagen dar. Darüber hinaus scheint aber auch die zunehmende Salienz kultureller Einstellungen von großer Bedeutung zu sein. Durch die inhaltliche Konvergenz der großen Parteien haben ökonomische Positionen an Bedeutung für Wahlentscheidungen verloren (Evans und Tilley 2012). Personengruppen, die ökonomisch linke mit kulturell rechten Positionen kombinieren (siehe dazu schon Lipset 1959), treffen ihre Wahlentscheidungen nun immer öfter vor allem auf Grundlage ihrer kulturellen Einstellungen (Spies 2013). Darüber hinaus werden auch ökonomische Verteilungskonflikte zusehends kulturalisiert bzw. nationalisiert und Antagonismen zwischen einem Oben und Unten zu einem Innen-Außen-Konflikt umgedeutet (Dörre et al. 2018, S. 70). Hinzu kommt die Tatsache, dass ökonomisch progressive Wählerinnen rechter Parteien dazu neigen, die ökonomische Progressivität ihrer Parteien systematisch zu überschätzen (Steiner und Hillen 2021), was unterschiedliche Gründe haben kann. So können Wählerinnen aus der Arbeiterklasse die AfD insofern als vermeintlich ökonomisch progressive Kraft ansehen, als sie eine gerechtere Verteilung von Ressourcen zugunsten von Einheimischen verspricht. Gestützt wird das durch den Eindruck, dass die AfD aufgrund ihrer peripheren und streitbaren Position im politischen Feld eine antihegemoniale Kraft darstellt. Zwar kann die AfD aufgrund der Heterogenität der ökonomischen Positionen ihrer Wählerschaft nicht mit konkreten ökonomischen Forderungen Wahlkampf machen. Doch wie jüngste Wahlerfolge und das aktuelle Umfragehoch zeigen, ist sie durchaus erfolgreich in der Lage, ökonomische Unsicherheiten für politische Mobilisierungen nutzen, insofern es dafür keiner konkreten Forderungen bedarf, sondern ein antielitärer Gestus und eine pauschale Elitenkritik auszureichen scheinen.
In dieser Studie konnte aufgrund der relativ kleinen Fallzahl an AfD-Sympathisantinnen sozialstrukturell nur grob und zwischen einem Oben und Unten unterschieden werden. Dennoch stellt eine milieutheoretische Betrachtung rechtspopulistischer Mobilisierungen eine vielversprechende Herangehensweise für zukünftige Analysen in diesem Forschungsfeld dar. Eine noch feingliedrigere Betrachtung von Einstellungsclustern und eine noch stärkere Ausdifferenzierung unterschiedlicher AfD-naher Milieus wären sinnvoll. Denn die vorgestellte Analyseperspektive ermöglicht es, auch Ergebnisse der internationalen Rechtspopulismusforschung besser zu kontextualisieren. So haben bisherige Forschungsarbeiten sehr unterschiedliche Ergebnisse zu den ökonomischen Einstellungen dieses Elektorats zutage gefördert: Einige Studien berichten keinen Effekt ökonomischer Einstellungen (Cavallaro und Zanetti 2020; Arzheimer 2008), andere einen schwach positiven (van der Brug et al. 2012) oder gar negativen Effekt ökonomisch linker Einstellungen (Bornschier und Kriesi 2012; Ivarsflaten und Stubager 2012; Zhirkov 2014). Aus der vorgestellten Perspektive lässt sich begründet vermuten, dass auch dieser Heterogenität die Koexistenz unterschiedlicher Milieus mit entgegengesetzten ökonomischen Präferenzen in den Elektoraten zugrundeliegt.
Mit den vorliegenden Daten des ALLBUS von 2018 konnten somit erste Hinweise über milieuspezifische Motivlagen im potenziellen Elektorat der AfD identifiziert werden. Diese Ergebnisse können als relativ robust eingestuft werden, da zusätzliche Analysen mit den Datensätzen des ESS 9 und EVS 2017 trotz teilweise unterschiedlicher Items zu sehr ähnlichen Ergebnissen geführt haben. Zukünftige Forschungsarbeiten sollten vor allem die Ursachen und Funktionsweisen rechter Milieukoalitionen stärker in den Blick nehmen. So gibt es bisher kaum Untersuchungen, die analysieren, welche Bedeutung politische Einstellungen und Wahlpräferenzen für symbolische Grenzziehungspraktiken zwischen Milieus haben. Insbesondere qualitative Forschungsarbeiten könnten dabei helfen, Beziehungen zwischen den Milieus, ihre gegenseitigen Bewertungen sowie die daraus resultierenden politischen Konfliktlinien oder Potenziale für Allianzen zu ergründen.
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Das Berliner Journal für Soziologie veröffentlicht Beiträge zu allgemeinen Themen und Forschungsbereichen der Soziologie sowie Schwerpunkthefte zu Klassikern der Soziologie und zu aktuellen Problemfeldern des soziologischen Diskurses.
Ferner gibt es Forschungsarbeiten, die zentrale Unterstützungskoalitionen von Akkumulationsregimen wie dem Neoliberalismus (Fraser 2017) oder den Wohlfahrtsstaaten herausarbeiten (Esping-Andersen 1990, S. 30 f.; Gingrich und Häusermann 2015).
Die Begriffe Arbeiter- und Mittelklasse sollen eine grobe Differenz zwischen einem Oben und Unten abbilden. Deshalb wird im Folgenden auch die untere Einkommensklasse der Arbeiterklasse zugeordnet, wohingegen der Begriff in der Forschung normalerweise mit Arbeitsverhältnissen nur im produzierenden Gewerbe oder entsprechenden Arbeitslogiken identifiziert wird.
Die überdurchschnittlich migrationsfeindlichen Einstellungen innerhalb des AfD-Elektorats für beide Cluster in den Daten der EVS 2017 kommen dadurch zustande, dass in diesem Datensatz durch das Single-Linkage-Verfahren besonders viele Ausreißer identifiziert wurden, die in diesem Fall vergleichsweise migrationsfreundliche Einstellungen aufwiesen.
Zahlreiche Studien zeigen, dass sich Wählerinnen rechtspopulistischer Parteien durch ein stärker ökonomisches als kulturelles Kapitalportfolio auszeichnen, was zumeist mit einer relativen Opposition zu kulturellen Selbstverwirklichungsidealen korrespondiert (Damhuis 2020; Flemmen et al. 2022; Bourdieu 1982, S. 708).
Aufgrund der Vagheit der antielitären Haltungen der Arbeiterklasse bleiben diese auch in Zukunft für linke Projekte mobilisierbar (Jarness und Flemmen 2019, S. 184; Beck und Westheuser 2022, S. 309). Die Entfremdung der Arbeiterklasse von linken Elitemilieus stellt demnach kein unumkehrbares Schicksal dar.
Die Kombination kulturell rechtsextremer und ökonomisch progressiver Positionen wird als „new winning formula“ rechter Parteien bezeichnet (de Lange 2016). Es zeigt sich in der Tat eine leichte Tendenz rechter Parteien, bei ihren ökonomischen Positionen ein wenig nach links zu rücken (Eger und Valdez 2019; Rovny und Polk 2020), womit gleichzeitig aber auch die Schwammigkeit ihrer Positionen zugenommen hat.