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1983 | Buch

Einführung in die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts

Band 1: Unter dem Absolutismus

verfasst von: Gisbert Lepper, Jörg Steitz, Wolfgang Brenn

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

Buchreihe : Grundkurs Literaturgeschichte

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einleitung

Einleitung
Zusammenfassung
Als Germaine de Staël 1803 Deutschland bereist, erscheint es ihr als Land des Ostens. Sie berichtet von der Stagnation des gesellschaftlichen Lebens, von der strikten Trennung der Stände, vom Fortbestehen erdrückender mittelalterlicher Institutionen.1
Gisbert Lepper, Jörg Steitz

Ständisch gebundene bürgerliche Bildung

1. Gottscheds klassizistische Literatur- und Theaterreform
Zusammenfassung
Wollte man ein repräsentatives Bild der literarischen Verhältnisse zu Beginn des 18. Jahrhunderts zeichnen, so würden die Gedichte zu Gelegenheit einer Hochzeit, Geburt, ausgestandenen Krankheit, Beerdigung, erlangten akademischen Würde u. ä. einen nicht unbeträchtlichen Teil davon ausmachen. Das frühe 18. Jahrhundert ist noch weit von einer Bestimmung des Schönen und der Dichtung entfernt, wie sie mit der bürgerlichen Literatur geläufig wird. Mit den Begriffen Genie, Kunsterlebnis und Werk werden später Entstehung und Lektüre von Literatur zu einem nach innen verlagerten Vorgang gemacht. Dieser privaten Existenzform der Literatur steht die öffentliche entgegen, die die vorbürgerliche Literatur kennzeichnet. Nur in der Bindung an einen sozialen Zweck haben literarische Produkte eine legitime Grundlage. Die Begriffe „privat“ und „öffentlich” beziehen sich dabei auf den Gebrauchscharakter der literarischen Produkte. Der so bezeichnete Sachverhalt ist Ausdruck der vorkapitalistischen Entwicklungsstufe des Buchgewerbes (vgl 7.). Bei den an unmittelbare Gelegenheiten gebundenen Gedichten ist diese gebrauchsorientierte Zweckbindung meist am Titel selbst erkennbar. Doch auch die höfischen und galanten Romane sind ohne die Zweckbindung nicht zu denken. Mit den Argumenten der poetischen und rhetorischen Theorie kennzeichnet Sigmund von Birken in der Vorrede zur Aramena des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig (1669) die höfischen Romane und schreibt, sie
„vermälen den nutzen mit der Belustigung, tragen güldene Äpfel in silbernen Schalen auf, und versüssen die bittere aloe der Wahrheit mit dem honig der angedichteten umstände. Sie sind Gärten, in welchen, auf den Geschichtstämmen, die Früchte der Staats- und Tugendlehren, mitten unter den Blumenbeeten angenehmer Gedichte, herfürwachsen und zeitigen. Ja sie sind rechte Hof- und Adels-Schulen, die das Gemüte, den Verstand und die Sitten recht adelich ausformen, und schöne Hofreden in den mund legen.”1
Jörg Steitz
2. Publizistik und Literatur im frühen 18. Jahrhundert
Zusammenfassung
Diese moralpädagogischen, in kleinen Wochenheften erscheinenden „Zeitungen” sind ein erstes Anzeichen, daß sich das gehobene Bürgertum insgesamt von der Wiederholungslektüre (vgl. Einleitung) abzuwenden beginnt. Sie entstehen in Deutschland ab 1720. Zur Entwicklung der politischen Presse, die sich damals in Deutschland noch auf der Vorstufe von Handelsnachrichten und staatlichen Intelligenzblättern befindet, tragen sie kaum etwas bei; denn sie besitzen keine zeitgeschichtliche Aktualität. Daß es sich um ein Übergangsstadium zwischen der Wiederholungs- und der Zeitungslektüre handelt, ist daraus zu ersehen, daß sie alle nach einen festen, von dem englischen Spectator vorgegebenen, Schema geschrieben sind, das bis in die 70er Jahre bloß thematisch variiert wird. — Die Moralischen Wochenschriften sind eine zeitspezifische, für das Selbs-verständnis des deutschen Bürgertums bezeichnende Form der Publizistik. Sie sind der Versuch einer ersten Konzeption der bürgerlichen Allgemeinbildung.
Jörg Steitz
3. Poetische Säkularisierung der Erbauungsschriften — Gegner Gottscheds: Bodmer, Breitinger, Klopstock
Zusammenfassung
Die Schweizer, Bodmer und Breitinger, gelten in der deutschen Literaturgeschichte als die überlegenen, zukunftsweisenden Gegner des ‚trockenen’ Rationalisten Gottsched — aus der Vorliebe, die Brecht angreift. Sie gelten als die theoretischen Wegbereiter der „empfindsamen” Literatur und des Sturm und Drang. — Tatsächlich ist Bodmer, wie später Klopstock, für das Ideal einer höheren „biblischen” gemütsbewegenden Dichtung eingetreten, Breitinger hat es mit philosophischen Argumenten zu begründen versucht. In der Querelle des Anciens et des Modernes nehmen sie als christliche Moralisten für die Moderne Partei: sie schätzen die antiken Schriftsteller als Stilisten, ihre Vorbilder aber sind Dante, Tasso und Milton.
Gisbert Lepper
4. Moralische Oppositionsliteratur
Zusammenfassung
Am Beispiel Christian Fürchtegott Gellerts sowie seines literarischen und publizistischen Umfeldes lassen sich einige wichtige Momente der Entwicklung der deutschen Aufklärung in den vierziger und fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts veranschaulichen. Ist Gottsched noch versucht, bürgerliches Können dem Staat zur Verfügung zu stellen, so verzeichnet bereits Gellerts Lebenslauf den vollzogenen und dennoch widersprüchlichen Bruch mit dem absoluten Staat. In den späten vierziger Jahren wird der entscheidende Einfluß Gottscheds gebrochen und noch zu Gellerts Lebzeiten verliert Leipzig seine Bedeutung als das herausragende Zentrum der neuen literarischen Bewegung.
Gisbert Lepper
5. Orientierungssuche bürgerlicher Bildungsdichtung
Zusammenfassung
Es ist den Vertretern eines aufklärerischen Programms der Literatur seit Beginn des Jhs. bewußt gewesen, daß ihre an klassizistischen und antiken Vorbildern orientierten Vorstellungen in den Widerspruch geraten konnten, „nur für Liebhaber des Alterthums gemacht zu seyn”.1 Denn die zum Verständnis der ergötzlichen und belehrenden Dichtung notwendigen Kenntnisse der antiken Mythologie und Literatur sind ein Privileg der Gelehrten. Sowohl in der Geschichte als auch in der Gegenwart des ‚Volks’ wird daher nach den Stoffen gesucht, die eine nationale Dichtung stimulieren konnten, die der Vorstellung, die sich die Autoren von der Position der Homerischen Epen in der griechischen Kultur machten, vergleichbar sein sollte. Doch die Realität des zerstückelten Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation mit seinen französisch sprechenden und französisch-höfische Kultur pflegenden Herrschern hat da wenig zu bieten. Dennoch hat die nationale Germanistik seit der zweiten Hälfte des 19. Jhs, an der Legende vom Aufschwung der deutschen Literatur infolge des Siebenjährigen Krieges (1756–1763) gesponnen. Sie stützt sich dabei vor allem auf Gedichte des preußischen Offiziers und Lessing-Freundes Ewald von Kleist, namentlich dessen Ode an die Preussische Armee (1757), sowie auf die Sammlung Preussische Kriegslieder. Von einem Grenadier (1758) des Ana-kreontikers Gleim.
Wolfgang Brenn
6. Konstituierung geschlechtsspezifischer Identität im bürgerlichen Roman
Zusammenfassung
Im Vorbericht zu seinem Versuch über den Roman läßt Friedrich von Blankenburg 1774 einen Romanübersetzer und -Schreiber fragen, was von einer Schrift zu erwarten sei,
„in welcher gewöhnlich die Heldin ein tugendhaft Frauenzimmer ist, das der Verfasser durch allerhand Gefährlichkeiten zu Wasser und zu Land herum führt, tausend Versuchungen, zuweilen gar gewaltthätigen Unternehmungen aussetzt, und am Ende durch diese oder jene Peripetie krönt? Das Mägdchen muß Schiffbruch leiden, um zur Sclavinn gemacht zu werden; ihre Tugend wird auf die Probe gesetzt, entweder von einem Bassa oder Thersander, oder einem jungen Liebesritter in Paris, London, oder wo es ist. — Die Romanen aller Nationen scheinen dies mit einander gemein zu haben: — daß Männer ihre Zeit, ihre Ruhe, ihre höhere Bestimmung, zuweilen ihre Gesundheit, oder so gar das Leben dem anderen Geschlechte aufopfern”1, — um die Heldin aus den oben genannten ‚Gefährlichkeiten’ für sich zu retten.
Elke Kiltz, Heidrun Harlander
7. Literaturmarkt I
Zusammenfassung
Die bisher angeführten literarischen Neuerscheinungen sind Anzeichen für die Entstehung einer bürgerlichen Bildungsschicht innerhalb der Ständegesellschaft und für ihre kulturelle Emanzipation von der Kirche. Der Buchhandel verbreitet seit den 50er Jahren die Wochenschriften und die neuentstandene moralische Erzählliteratur bis in die Landstädte hinein und beginnt dort, den kulturellen Regionalismus aufzuheben. Brockes, Haller, Hagedorn, Geliert, Klopstock und Lessing werden in Zeitschriften gedruckt und besprochen. Über Anthologien werden ihre Dichtungen nun auch im katholischen Süden bekannt; in den nördlichen Ländern werden sie Unterrichtsgegenstand der städtischen Oberschulen. In Landstädten beginnen die bürgerlichen Honoratioren, Pfarrer, Beamte, Kaufleute und Gastwirte, sich zusammenzutun, um die neuen Zeitschriften oder Zeitungen im Gemeinschaftsabonnement zu bestellen; solche Initiativen bereiten die seit Ende der 70er Jahre entstehenden Lesegesellschaften vor. — Von Habermas ist der kulturelle Zusammenhang, der vor allem durch den überregionalen Buchhandel zustande kommt, als „literarische Öffentlichkeit” bezeichnet worden.1 Es ist ein Konnex von vereinzelter Lektüre, literarischen Briefen und Freundschaften, Buchbesprechungen und reagierenden Neuveröffentlichungen. Er geht über das hinaus, was herkömmlicher Weise in Deutschland „Gelehrtenrepublik” heißt. Herder nennt ihn, in Anspielung auf den den Regionalismus und Staatsgrenzen überwindenden Handelsverkehr, das „commercium der Geister und der Herzen“.
Gisbert Lepper

Bürgerliche Intelligenz zwischen Stand und Staat

8. „Sturm-und-Drang“ — Ausbruch aus der Ständeordnung
Zusammenfassung
Der Sturm-und-Drang ist eine zeitlich kurze literarische Bewegung. Sie beginnt 1770 und endet 1780. Vorläufer finden sich in den sechziger Jahren: Johann Georg Hamann und Heinrich Wilhelm von Gerstenberg etwa; ein berühmter Nachzügler ist in den Achtzigern Schiller. Sucht man nicht nur auf dem Höhenkamm der Literatur, dann finden sich direkte Nachwirkungen bis zum Anfang des neuen Jahrhunderts. Triviale „Wertheriaden“ z. B. tauchen in den drei folgenden Jahrzehnten in Leihbibliotheken auf; sie sind Lesestoff für die unteren sozialen Schichten.
Wolfgang Brenn, Jörg Steitz
9. Selbstreflexion, Resignation, literarische Reise: Moritz, Jung-Stilling; Goethe, Heinse; Wezel
Zusammenfassung
Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre des 18. Jhs. gliedert sich die bürgerliche Aufklärung in Deutschland mehr und mehr auf. Während die Spätaufklärer mit Zentrum in Berlin (vgl. 10.2.) die Geschäfte der Früh- und Hochaufklärung auf erweiterter Grundlage fortführen, sich erst mit den Stürmern und Drängern und in den achtziger Jahren mit Kant herumschlagen, umwälzende Neuerungen zurückweisen bzw. ignorieren und auf stetige Ausdehnung ihres menschenwürdigen Tuns setzen —, werden die Stürmer und Dränger und in die genannten Schulen nicht ohne weiteres einordenbare Literaten wie Moritz, Heinse, Wezel entweder zur Resignation getrieben, zur Aufgabe literarischer Produktion oder zum Rückblick auf die mit dem Aufstieg verbundenen Gewinne und Verluste und zur Frage, wie es weitergehen solle.
Wolfgang Brenn
10. Politisierung und Kompromisse
Zusammenfassung
Weimar ist der kulturelle Ehrenpunkt des bürgerlichen Deutschland gewesen. Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs ist sein Name auch zu einem politischen Begriff geworden. 1919 hat die erste Republik in der Stadt Goethes und Schillers ihre verfassungsgebende Nationalversammlung eröffnet und hat sich danach benannt. Seitdem gilt Weimar als der Gegenpol zu Potsdam, dem historischen Ausgangsort und der Kultstätte des deutschen Imperialismus.
Gisbert Lepper, Jörg Steitz, Wolfgang Brenn
11. Literaturmarkt II
Zusammenfassung
Zur Zeit der Französischen Revolution sind in Deutschland die Institutionen der bürgerlichen Kultur vollständig ausgebildet. Akademiker stellen mit Erstaunen — auch mit Übertreibung — fest, daß sich im Laufe der vergangenen drei Jahrzehnte Wissen und regelmäßige Lektüre durch alle Stände verbreitet hätten. In der Wochenschrift Der Weltbürger heißt es 1791:
„In keinem Land ist die Leseliebhaberei ausgebreiteter als in Deutschland, und nie war sie es mehr als in der gegenwärtigen Periode. (...) Die Wissenschaften haben nicht nur aufgehört, das Eigenthum eines gewissen Standes zu seyn, sondern es ist auch, wenigstens öberflächliche, Kenntniß derselben, so gar Bedürf-niß aller gebildeten Menschenklassen geworden. Man findet jetzt die Werke guter und schlechter Schriftsteller in den Cabineten der Fürsten, und hinter dem Werkstule, und um nicht roh zu erscheinen, dekoriren die Vornehmern ihre Zimmer mit Büchern statt der Tapeten. Ein Buch in der Hand eines Soldaten wäre im vorigen Jahrhundert die Losung zum beissendsten Spotte gewesen, in unserm würde ein Offizier ohne Belesenheit verächtlich; — unsre Mütter kleideten früh die Kinder an und bereiteten sich ihre Geschäfte, unsre Töchter aber lesen in den Morgenstunden Gedichte und Zeitschriften, und durchwandeln abends das einsame Thal mit dem Romane in der Hand. Ja schon lesen die Bauern einander in der Dorfschenke das Noth- und Hülfs-Büchlein vor ...“1
Gisbert Lepper
Backmatter
Metadaten
Titel
Einführung in die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts
verfasst von
Gisbert Lepper
Jörg Steitz
Wolfgang Brenn
Copyright-Jahr
1983
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-91929-8
Print ISBN
978-3-531-11529-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-91929-8