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2007 | Buch

Einzelinteressen und kollektives Handeln in modernen Demokratien

Festschrift für Ulrich Widmaier

herausgegeben von: Nils C. Bandelow, Wilhelm Bleek

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Über dieses Buch

Nils C. Bandelow und Wilhelm Bleek Ulrich Widmaier feiert am 22. Januar 2007 seinen 63. Geburtstag. Zum großen Bedauern seiner Freunde, Kollegen, Schüler und Studierenden muss er bereits zu diesem Zeitpunkt aus gesundheitlichen Gründen als Lehrstuhlinhaber für V- gleichende Regierungslehre und Politikfeldanalyse an der Ruhr-Universität - chum ausscheiden. Mit dem vorliegenden Band nutzen wir diesen Anlass, um das Werk und die Person Uli Widmaier zu ehren. Alle Beiträge knüpfen an die Perspektive und an Ergebnisse des wissenschaftlichen Werks des Jubilars an. Uli Widmaier hat sich stets zum Ziel gesetzt, wissenschaftliche Erklärungen politischer Varianzen mit großem Informationsgehalt zu finden. Er drängt darauf, zunächst klare und re- vante Fragestellungen zu formulieren. Es soll nach möglichst allgemeinen Erk- rungen gesucht werden, die idealerweise auf wenigen und plausiblen Annahmen beruhen. Komplexere und fallspezifische Erklärungen lehnt er aber nicht ab. Sie müssen aber jeweils ihren jeweiligen Erklärungsbeitrag verdeutlichen und damit die Notwendigkeit eines Verzichts auf einfachere Modelle legitimieren.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Einleitung
Auszug
Die Diskussion-über die Organisation von Einzelinteressen in unterschiedlichen institutionellen Kontexten prägt seit Ende der 1970er Jahre die Debatte in der neuen politischen Ökonomie (vgl. Widmaier 1978). Zuvor wurde bis Ende der 1960er Jahre üblicherweise bei Gruppen mit übereinstimmenden Interessen ein kollektives Handeln als selbstverständlich angenommen. Diese Annahme findet sich gleichermaßen bei marxistischen wie bei neopluralistischen Theorien. Die Infragestellung dieser Erwartung basiert auf dem Perspektivwandel in der politischen Ökonomie, der letztlich auf Joseph Schumpeter zurückgeht (vgl. Widmaier 2005: 146–149). Nach einer Anwendung dieses neuen Paradigmas auf Wahlen und Parteien, die als Stimmenmarkt interpretiert wurden (Downs 1957), weitete Mancur Olson diesen Ansatz zu seiner allgemeinen These vom „Paradox“ kollektiven Handelns aus (Olson 1965). Olson zeigte, dass unter der Voraussetzung individuell nutzenmaximierender Akteure die Annahme keineswegs zutrifft, dass Gruppen mit gemeinsamen Interessen immer auch gemeinsam für diese Interessen eintreten. Vielmehr ist es für Individuen oft rational, sich als Trittbrettfahrer zu verhalten und keinen Beitrag zur Bildung von Interessenverbänden oder anderen Kollektivgütern der Gruppe zu leisten. Olson differenzierte seine These ursprünglich vor allem im Hinblick auf die Zusammensetzung der Gruppe und die Art der jeweiligen Güter. Danach treten Kollektivgutprobleme vor allem in großen, heterogenen Gruppen auf. Sie werden verstärkt, wenn der Nutzen für das Individuum klein und die individuellen Kosten groß sind.
Nils C. Bandelow, Wilhelm Bleek
Probleme einer Demokratisierung der Europäischen Union — oder: Warum es so schwer ist, einen gemeinsamen Nenner zu finden
Auszug
Seit über zehn Jahren wird die Europaforschung geprägt von der Debatte über das europäische Demokratiedefizit, zu dessen Behebung eine überzeugende und konsensfähige Lösung nach wie vor nicht in Sicht ist — weder theoretisch noch praktisch. Das sollte eigentlich verwundern, wird doch bei offiziellen Anlässen immer wieder darauf verwiesen, dass Europa in den ‚abendländischen Werten’ geeint sei, und zu diesen zählt in vorderster Linie das Bekenntnis zum ‚demokratischen Verfassungsstaat’. In der Tat verstehen die Mitgliedstaaten sich alle ‚irgendwie’ als Demokratien (das ist schließlich die Beitritts-Voraussetzung), doch liegt der Verdacht nahe, dass sie mit dem Begriff Demokratie ganz Unterschiedliches verbinden.
Heidrun Abromeit
Vom nationalen Wohlfahrtsstaat zum europäischen Sozialmodell?
Auszug
Die europäischen Wohlfahrtsstaaten sind zurzeit einem starken Reformierungs-druck ausgesetzt. Sozialpolitik wird angesichts externer und interner Herausforderungen als eines der wichtigsten politischen Handlungsfelder betrachtet. Die Entwicklung der Wohlfahrtsstaaten wird dabei von einer politikwissenschaftlichen Debatte begleitet, die es sich grundsätzlich zur Aufgabe gemacht hat, Veränderungen in modernen Wohlfahrtsstaaten zu beschreiben, zu vergleichen und zu erklären. Die Vielzahl der Beiträge zum Thema „Wohlfahrtsstaat“ steht dabei gleichermaßen für eine Vielzahl an unterschiedlichen Fragen mit verschiedenen methodischen Ansätzen und unterschiedlichen theoretischen und praktischen Zielen. Angesichts dieser Fülle an Beiträgen zur Sozialstaatsforschung erscheint es notwendig, immer wieder aufs Neue den Versuch zu unternehmen, Struktur in die scheinbare Unübersichtlichkeit zu bringen. Denn nur so ist es möglich, vergangene und gegenwärtige Auseinandersetzungen zu überschauen und effektiv zur Klärung strittiger Fragen beizutragen. Daher besteht ein erstes Ziel dieses Beitrags darin, die sozialpolitischen Debatten der letzten 15 Jahre zu bündeln und die Themenschwerpunkte der Wohlfahrtsstaatsforschung in modernen Demokratien zu identifizieren. Dabei sind vor allem die Begriffe „Globalisierung“ und „Europäisierung“ zentrale Schlagwörter der einschlägigen politischen und politikwissenschaftlichen Debatte. Mit diesen Prozessen sehen sich alle europäischen Staaten konfrontiert.
Hendrik Meyer, Klaus Schubert
Interessenvermittlung und Policy-Making im europäischen Mehrebenensystem. Vom Korporatismus zum Pluralismus zur organisierten Anarchie?
Auszug
Interessenverbände fokussieren sich auf die Institutionen des politischen Systems, ähnlich wie Blumen sich der Sonne zuneigen—um ein klassisches Bild aufzugreifen. Daher wird mit zunehmender Bedeutung der Europäischen Union diese zum Gegenstand verbandlicher Strukturbildungen und Aktivitäten. Dazu liegt inzwischen eine Fülle an Forschungsergebnissen vor, bei denen zunehmend speziellere Thesen und elaboriertere Methoden zum Einsatz gebracht worden sind Dabei—so die kritische Intention dieses Beitrags—lässt sich ein gewisser Bias zugunsten von Rationaliät und Ressourcen erkennen, der die Komplexität des Interessenvermittlungssystems und die daraus resultierenden Kontingenzen und mikropolitischen Spielpotenziale unterschätzt. Im folgenden Beitrag soll in einem groben Dreischritt vom Korporatismus zum Pluralismus zur organisierten Anarchie eine konzeptionelle Alternative vorgestellt und das System der Interessenvermittlung auf europäischer, Ebene knapp skizziert werden.
Josef Schmid
Das Europäische Puzzle oder: Warum das Europäische Parlament an Macht gewonnen hat
Auszug
Eine der Hauptaufgaben der Politikwissenschaft ist die Beschreibung und Erklärung von politischen Entscheidungen, durch die in Gesellschaften die Verteilung von öffentlichen und privaten Gütern geregelt wird. Die Fokussierung auf politische Entscheidungen ist eine disziplinäre Gemeinsamkeit von Politikwissenschaftlern, ohne daraus einen disziplinären Alleinanspruch auf deren Erforschung abzuleiten. Ganz im Gegenteil, mit dem Politischen bzw. mit politischen Entscheidungen beschäftigen sich zahlreiche andere Disziplinen, die entweder die Erklärungskraft ihrer Theorien am Beispiel politischer Entscheidungen überprüfen oder einen politischen Einfluss auf ihr „Gut“ bzw. ihre „Güterqualität“ in Rechnung stellen. Groβe disziplinäre Nähen finden sich zur Ökonomie, Soziologie und bisweilen Psychologie, aber auch zu den Geisteswissenschaften und der Rechtswissenschaft gibt es zahlreiche Berührungspunkte. Im Grunde genommen lebt die Politikwissenschaft von diesen Berührungspunkten zu anderen Disziplinen, denn bislang gelang es weder, eine eigenständige politikwissenschaftliche Theorie wie die eines homo oeconomicus, sociologicus oder psychologicus zu begründen, noch entwickelte die Politikwissenschaft eine zur Geschichts- oder Rechtswissenschaft vergleichbare Methodik, die als gemeinsames Fundament der politikwissenschaftlichen Ausbildung und Denkens erachtet werden kann. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass sich die Politikwissenschaft trotz ihres disziplinären Fokus auf politische Entscheidungen zu einem interdisziplinären Sammelsurium an Ansätzen, Vorgehens- und Denkweisen entwickelt hat, oder anders ausgedrückt, über ein Arsenal an Instrumenten und Erklärungsweisen für die Erforschung politischer Entscheidungen verfügt (vgl. Lehner/Widmaier 2002, insbes. Teil I: Grundlagen der Vergleichenden Regierungslehre).
Thomas König
Kollektive und individuelle Interessenvermittlung großer Unternehmen im europäischen Mehrebenensystem
Auszug
Die Interessenvermittlung großer Unternehmen veranschaulicht in besonderer Weise das Spannungsverhältnis zwischen Einzelinteressen und kollektivem Handeln in modernen Demokratien. Differenzierte Verbandsysteme in den unterschiedlichen Politikfeldern führen deutlich vor Augen, dass die kollektive Vertretung gemeinsamer Interessen für die Unternehmen längst zum politischen Alltag gehört. Auch die direkte Vertretung ihrer Einzelinteressen gegenüber politischen und administrativen Akteuren stellt bereits eine traditionsreiche Form der Interessenvermittlung von Unternehmen dar. Im Unterschied zu kollektiven Strategien steht die Möglichkeit der individuellen Interessenvermittlung aber nicht allen Unternehmen gleichermaßen offen. Ergebnisse politikwissenschaftlicher Forschung haben vielmehr verdeutlicht, dass die Betriebsgröße und die damit einhergehenden Ressourcen ausschlaggebend für die Fähigkeit von Unternehmen sind, ihre Interessen nicht nur kollektiv über Verbände, sondern auch „individuell“ gegenüber staatlichen Akteuren vertreten zu können. Zudem stellt die Betriebsgröße einen entscheidenden Faktor dafür dar, dass Unternehmen ihre Einzelinteressen nicht nur auf der nationalen und/oder subnationalen Ebene, sondern auch auf der europäischen Ebene direkt verfolgen sowie mehrere Strategien auf unterschiedlichen Ebenen simultan nutzen können. Große Unternehmen können daher ihre Interessen im europäischen Mehrebenensystem auch außerhalb von Verbänden erfolgversprechend vertreten, während kleine und mittlere Unternehmen aufgrund ihrer begrenzten Ressourcen vorwiegend auf kollektive Formen der Interessenvermittlung angewiesen sind (vgl. z.B. Coen 1997 Bennett 1999).
Diana Schumann
Der nordamerikanische „Softwood Lumber War“: Unterschiedliche Interessenvermittlung durch Parteien und Verbände in USA und Kanada
Auszug
Die USA und Kanada eignen sich ideal für einen Vergleich der Auswirkungen von Parlamentarismus und Präsidentialismus. Beide Staaten ähneln sich in vielfacher Weise. In politischer Hinsicht handelt es sich gleichermaßen um entwickelte föderale Demokratien mit einer engen Anbindung an die europäische demokratische Tradition und Politik. In sozioökonomischer Sicht sind beide Flächenstaaten, durch einen fortgeschrittenen Industralisierungsgrad und eine andauernde Einwanderung multikulturell geprägt. Vor dem Hintergrund dieser Ähnlichkeiten lassen sich im Rahmen einer Differenzmethode (Mill 1843) die Auswirkungen des zentralen Unterschieds beider politischen Systeme auf die jeweilige Politik analysieren.
Wilhelm Bleek
Verwaltungspolitik im Bundesländervergleich — Große Entwürfe statt inkrementalistische Reformen?
Auszug
In den 1990er Jahren war die allgemeine nationale und internationale Diskussion um Verwaltungsreformen vor allem durch das „Paradigma“ des New Public Managements geprägt (vgl. Naschold/Bogumil 2000; Jann u.a. 2004). Konkrete Reforminitiativen sind in Deutschland in dieser Zeit vor allem auf der kommunalen Ebene im Bereich von Binnenm odernisierungsmaßnahmen zu beobachten. Die Aktivitäten der zweiten zentralen Verwaltungsebene, der Länder, können in diesem Bereich eher als zurückhaltend interpretiert werden (vgl. Reichard 2004). Zu Beginn des 21. Jahrtausends aber beginnen in den Bundesländern — von vielen Beobachtern relativ unerwartet — verstärkte Diskussionen und Aktivitäten im Bereich der Verwaltungsstrukturen und der Verwaltungsverfahren. Hintergrund dieser aktuellen Verwaltungsstrukturreformen in allen deutschen Bundesländern ist die Finanzknappheit der öffentlichen Kassen.
Jörg Bogumil
Zur Neujustierung von privaten und öffentlichen Interessen in der europäischen Infrastrukturpolitik— das Beispiel der Wasserversorgung
Auszug
Über Jahrzehnte hinweg hat es zum Kernbestand deutscher Sozialstaatlichkeit gehört, dass der Staat nicht nur als Garant der Daseinsvorsorge fungiert, sondern auch selbst diese Leistungen erbracht hat. Dies gilt in erster Linie für die Kommunen. Mit ihren Stadtwerken, Verkehrsbetrieben und Wohnungsgesellschaften, aber auch Krankenhäusern, Kindergärten, Sport- und Freizeitanlagen stellen sie für die Bürger ein breites Spektrum an Versorgungsleistungen bereit, und zwar zu Preisen, die nicht ausschließlich und primär an Rentabilitätskriterien ausgerichtet sind. Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge werden als öffentliche Güter betrachtet, deren Erbringung dem Gemeinwohl dienen soll, und die von daher nicht am freien Markt ver- und gekauft werden.
Heiderose Kilper
Unwissen als Problem politischer Steuerung in der Verkehrspolitik
Auszug
Räumliche Mobilität gehört zu den wichtigsten Einzelinteressen in modernen Demokratien. Individuen wollen und müssen sich selbst oder Güter möglichst schnell und flexibel transportieren. Ermöglicht wird die individuelle Mobilität durch das Mittel des Verkehrs (vgl. Becker/Gerike/Völlings 1999: 13). Die Organisation des Verkehrs erfordert angesichts vielfältiger Konflikte zwischen konkurrierenden Einzelinteressen oder zwischen Einzelinteressen und einem Gemeinwohl kollektive Entscheidungen. Die Formulierung und Umsetzung verbindlicher Entscheidungen zur Steuerung des Angebots und der Nutzung unterschiedlicher Verkehrsträger bilden den Gegenstand der Verkehrspolitik.
Nils C. Bandelow
Einzelinteressen und kollektives Handeln in Organisationen. Das Dilemma der Steuerung wissensintensiver Arbeit
Auszug
Ein Grundproblem jeder Organisation ist die Frage, wie Einzelinteressen und kollektive Interessen zusammengebracht werden können (vgl. Widmaier 1978). Das Problem wird in freiwilligen Organisationen und in Unternehmen ganz unterschiedlich gelöst. In freiwilligen Organisationen, wie Interessenorganisationen, Parteien und Vereinen, stimmen — zumindest in der idealtypischen Definition — Einzelinteressen und Kollektivinteressen immer überein. Ein Akteur tritt genau deshalb einer freiwilligen Vereinigung bei, weil sie seine Individualinteressen vertritt. Der Briefmarkensammlers tritt deshalb einem Philatelisten-Verein bei, weil er dort Gleichgesinnte trifft. Bei Unternehmen stimmen Einzelinteressen und Kollektivinteressen nie überein. Vielmehr werden die Einzelinteressen durch monetäre und nicht-monetäre Anreize mit den Kollektivinteressen in Übereinstimmung gebracht. Der einzelne Akteur lässt sich sein Interesse abkaufen. Der Opelarbeiter geht nicht jeden Morgen ans Band, weil er so gerne Autos baut, sondern weil er Geld verdien muss.
Uwe Wilkesmann
Die Verankerung der sozioökonomischen Konfliktlinie in den deutschen Eliten
Auszug
Nach der Cleavage-Theorie von (1967) hat die sozioökonomische Konfliktlinie bei der Entstehung der westeuropäischen Parteiensysteme eine zentrale Rolle gespielt. Andererseits hat jedoch die neuere Wahlforschung ergeben, dass im Verlauf der letzten vier Jahrzehnte die Bedeutung der Klassenzugehörigkeit für das Wahlverhalten zurückgegangen ist. Dies ist vor allem auf Veränderungen in der Struktur der Erwerbsbevölkerung sowie die Pluralisierung der Lebensbedingungen zurückzuführen. Allerdings existieren beträchtliche länderspezifische Unterschiede hinsichtlich des Grads der Verankerung der sozioökonomischen Konfliktlinie in der Wählerschaft wie auch in der Geschwindigkeit ihrer Abnahme (vgl. u.a. Brettschneider et al. 2002).
Ursula Hoffmann-Lange, Trygve Gulbrandsen
Deutschland im OECD-Vergleich: Ein statistischer Annäherungsversuch
Auszug
Dieser Beitrag widmet sich der Frage, wie sich die wirtschaftliche Lage Deutschlands im OECD-Vergleich darstellt und welches die Größen sind, die mit den Unterschieden zwischen den einzelnen OECD-Ländern in Verbindung gebracht werden können. Es erfolgt also—und dies sei vorweg betont—eine Beschränkung auf gesamtwirtschaftliche Aspekte, während Stichworte wie beispielsweise Sozialstruktur, Rechtssystem, Demographie oder andere, die unter vergleichenden Gesichtspunkten selbstverständlich auch von Interesse sein könnten, hier nicht betrachtet werden bzw. nur insoweit in den Blick genommen werden, soweit sie direkt mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Beziehung gesetzt werden können oder müssen.
Werner Voß
Gemeinwohl—a posteriori oder a priori? Ein Blick in die politische Ideengeschichte in pluralistischer Absicht
Auszug
Dass der Mensch zuerst an sich und erst dann — wenn überhaupt — an die Gemeinschaft denken könnte, der er als Bürger angehört, ist seit jeher die Sorge politisch denkender Menschen gewesen. Um diese Sorge teilen zu können, muss man politisch allerdings nicht unbedingt so denken, wie man denkt, dass politisch denkende Menschen denken würden. Die Sorge ist selbst dann berechtigt, wenn man unter „Politik“ nicht ein Denken und Handeln im „Interesse der Gemeinschaft“ versteht, sondern damit ein Denken und Handeln verbindet, bei dem es um Fragen von „Macht“ und „Herrschaft“ geht. Wer politisch in diesem letzteren Sinne denkt, geht nicht weniger, sondern erst recht davon aus, dass der Mensch zuerst an sich und seine Interessen denken könnte und erst dann — wenn überhaupt — an diejenigen der Gemeinschaft. Er zieht nur eine ganz andere Schlussfolgerung daraus. Statt zu versuchen, das Problem an seinen Wurzeln zu beheben und darauf zu bauen, dass aus Menschen durch Erziehung, durch Vernunft, Einsicht und Tugend Bürger werden könnten, die von vorneherein erst an die Gemeinschaft denken und erst dann an sich und ihre Interessen (in diesem Sinne hat Rousseau im ersten Buch seines Émile gemeint, dass Platons Staat kein „politisches Werk“ sei, „wie diejenigen denken, die Bücher nur nach ihren Titeln beurteilen„), hofft er darauf, das Problem allein im Hinblick auf seine Auswirkungen in den Griff zu bekommen. Wer unter „Politik“ ein Denken und Handeln in den Kategorien von „Macht“ und „Herrschaft“ versteht, glaubt sozusagen, die rohen Kräfte des Menschen selbst zur Problemlösung nutzen zu können, indem er Interessen durch Interessen zu beharrschen sucht und insofern darauf setzt, dass sich Machtstreben am besten durch Machtstreben begegnen lässt.
Lothar R. Waas
Jenseits von Webers Bürokratietheorie: Einzelinteressen und parteipolitisches Handeln
Auszug
Im vorliegenden Aufsatz soll Max Webers Bürokratietheorie nach falsifizierbaren Hypothesen abgesucht werden. Bei dieser Suche ergeben sich drei Hypothesen, die die Notwendigkeit der Bürokratie und Rechtstaatlichkeit in kapitalistischen Gesellschaften, die Effizienz der Bürokratie und die Unzerstörbarkeit der Bürokratie, sobald es sie mal gibt, behaupten. Während bei der Notwendigkeitshypothese vielleicht nur eine Modifikation erforderlich ist, müssen die Effizienz-und Unsterblichkeitsthesen zurückgewiesen werden. Wenn Webers Bürokratietheorie in weiten Teilen deshalb unbefriedigend ist, weil sie das Anreizproblem vernachlässigt, dann bietet sich der Vergleich von Webers Theorie mit ökonomischen Bürokratietheorien an, wobei hier neben Smith’ vor allem Mises’ und Hayeks Einsichten Webers Gedanken gegenübergestellt werden sollen. Was die Affinität von Bürokratie und Sozialismus angeht, sollen Ähnlichkeiten und Kontraste zwischen Weber und Mises herausgearbeitet werden. Schließlich soll noch gezeigt werden, dass sich die Probleme der Wissensmobilisierung, der Innovation und des Zusammenhangs von Bürokratie und Wachstum in demokratischen Industriegesellschaften am besten ‚jenseits von Weber’ und mit Hilfe ökonomischer Ansätze analysieren lassen.
Erich Weede
Wissenschaft als soziales Ereignis
Auszug
Auf Ulrich Widmaier wartete bei der Berufung auf den Lehrstuhl für Politikwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum nicht nur ein Lehrstuhl, der neugierig auf den neuen Chef war. Die “;Panel-Studie zu den technischen, organisatorischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Einsatzes flexibler Arbeitssysteme” (NIFA-Panel) wurde bereits 1989 im Rahmen des Sonderforschungs-bereichs “Neue Informationstechnologien und flexible Arbeitssysteme” an der Ruhr-Universität Bochum ins Leben gerufen. Lehrstuhl und Projektleitung waren miteinander verbunden. Als Ulrich Widmaier diese Herausforderung annahm, hatte er ein mehr als zehnköpfiges Team aus Sekretärin, wissens chaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Hilfskräften hinter sich — und stand dabei natürlich vor der im Wissenschaftsbetrieb eher ungewöhnlichen Situation, dass in dieser Konstellation weder der Chef sich seine Mitarbeiter aussuchen konnte noch die Mitarbeiter die Auswahl des Chefs beeinflusst hätten.
Peter Hauptmanns, Hiltrud Niggemann, Barbara Ostendorf, Wolfgang Rogalski
Einzelinteressen und kollektives Handeln in unterschiedlichen politischen, historischen und kulturellen Kontexten
Auszug
Das Spannungsverhältnis zwischen Einzelinteressen und kollektivem Handeln, das haben die vielfältigen Beiträge dieses Ulrich Widmaier gewidmeten Sammelbandes gezeigt, ist weder politisch auf moderne Demokratien beschränkt noch ist seine politikwissenschaftliche Analyse auf bestimmte Ansätze wie die neue politische Ökonomie oder die Rational-Choice-Überlegungen begrenzt. Es handelt sich vielmehr um ein klassisches Phänomen der Politik, das in unterschiedlichsten politischen, historischen und kulturellen Kontexten von grundlegender Bedeutung ist und aus verschiedenartigsten theoretischen und methodo-logischen Perspektiven ausgeleuchtet werden kann. Der wissenschaftlichen Diskussion zu diesem Thema nicht nur in der Politikwissenschaft, sondern in den Sozialwissenschaften in ihrer Gesamtheit stellt sich aber die Aufgabe, diese einzelnen Sichtweisen zusammenzuführen, zu einer gemeinsamen Sicht eines universalen Problems zu kommen.
Nils C. Bandelow, Wilhelm Bleek
Backmatter
Metadaten
Titel
Einzelinteressen und kollektives Handeln in modernen Demokratien
herausgegeben von
Nils C. Bandelow
Wilhelm Bleek
Copyright-Jahr
2007
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-90303-3
Print ISBN
978-3-531-14877-9
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-90303-3