Skip to main content

02.04.2024 | Energiewende | Interview | Online-Artikel

"Wir ziehen immer häufiger Abwärme oder Abwasser in Betracht"

verfasst von: Frank Urbansky

6 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
print
DRUCKEN
insite
SUCHEN
loading …

Seit diesem Jahr gilt das Gesetz zur kommunalen Wärmeplanung und Dekarbonisierung der Wärmenetze. Bis 2028 müssen alle Kommunen eine solche Planung vorlegen. Im Interview erklärt Jannik Hartfil, Fachgebietsleiter Kommunale Wärmeplanung bei dem Energienetzbetreiber EWE Netz, wie das gelingen kann.

springerprofessional.de: Welche Kommunen oder angehörigen Stadtwerke betreut EWE Netz bereits bei der kommunalen Wärmeplanung?

Jannik Hartfil: Lassen Sie mich vornweg ein paar grundlegende Dinge zur kommunalen Wärmeplanung sagen. Mit ihr legen Städte und Gemeinden ein Konzept fest, wie Gebäude in ihrem Gebiet künftig beheizt werden. Dafür wird zunächst der Ist-Zustand beim Wärmebedarf und bei der Wärmeversorgung im Ort ermittelt. Dann schauen sich Experten an, welche Potenziale es sowohl für die Verringerung des Bedarfs durch energetische Gebäudesanierung als auch für die Erzeugung von regenerativer Energie gibt. Aus diesen Daten entwickeln sie ein Szenario für die künftige Wärmeversorgung.

Die kommunale Wärmeplanung legt anschließend sogenannte Vorranggebiete fest, in denen jeweils eine Heiztechnologie zum Einsatz kommen soll, zum Beispiel Wärmepumpen in Kombination mit Solarstrom. Oder auch Nah- oder Fernwärme. Welche Technologie wo zum Einsatz kommen soll, kann innerhalb einer Kommune von Viertel zu Viertel und sogar von Wohngebiet zu Wohngebiet unterschiedlich sein.

Sie ist also sehr individuell und bei weitem nicht trivial. 

Wir als Netzbetreiber unterstützen Kommunen bei diesem Prozess mit unserem Know-how, da uns viele Daten bereits vorliegen. In 16 Städten und Gemeinden in unserem niedersächsischen und brandenburgischen Netzgebiet arbeiten wir bereits an der Kommunalen Wärmeplanung. Viele andere Kommunen sind gerade dabei, die Ausschreibung für den Planungsprozess vorzubereiten.

Denn laut Gesetzgebung müssen Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern die Wärmeplanung bis Juni 2026, solche mit mehr als 10.000 Einwohnern bis Juni 2028 abgeschlossen haben. Wir sind also gerade in den Anfängen.

Da der Kommunale Wärmeplan ja seit diesem Jahr Pflicht ist: Wie ist EWE Netz hier vor allem für die an seinem Mutterkonzern EWE AG beteiligten Unternehmen und Kommunen aufgestellt?

Das Wärmeplanungsgesetz hat ja zwei Hauptinhalte: Erstens die bundesweite Verpflichtung zur Wärmeplanung ab 2024 und zweitens die Transformation bestehender Wärmenetze. Wir haben uns frühzeitig auf den Weg gemacht, um unsere Netzinfrastruktur zukunftssicher zu machen. Bereits vor drei Jahren haben wir in einem umfassenden Strategieprojekt begonnen, mögliche zukünftige Versorgungstechnologien zu betrachten. Ein Wärmeplanungsgesetz wurde damals schon diskutiert.

Dann kam das niedersächsische Klimaschutzgesetz, das Mittel- und Oberzentren zur Wärmeplanung verpflichtet, eine kommunale Wärmeplanung zu erstellen. Dieses Gesetz wird jetzt in Niedersachsen auch ab 2024 wirksam, aber es wird natürlich an die Bundesgesetzgebung angepasst. Wir sind als Netzbetreiber und Dienstleister in diesen Planungsprozess der Kommunen involviert und liefern wichtige Daten.

Durch unsere Rolle als Netzbetreiber und Datenlieferant ist es aus unserer Sicht sinnvoll, dass wir diesen Wärmeplanungsprozess komplett begleiten. Wir bieten diese Dienstleistung daher dort an, wo wir als Netzbetreiber aktiv sind. Also im Nordwesten Deutschlands und in Teilen von Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.

Welche Rolle wird EWE Netz in diesem Prozess einnehmen?

Grundsätzlich ist die Kommune immer die Entscheiderin. Wir gehen nicht hin und sagen: 'Danke für den Auftrag, wir kommen in einem Jahr wieder mit dem Wärmeplan.' Es ist ein Prozess, in dem wir eng mit der Kommune zusammenarbeiten. Wir haben alle zwei bis drei Wochen Termine, um Zwischenergebnisse zu präsentieren und zu besprechen. Vor allem in der Anfangsphase, der Bestandsanalyse, benötigen wir die Mitarbeit der Kommune, um Daten zu sammeln: Wo die Kanalisation ist, welche Neubaugebiete geplant sind, wo kommunale Liegenschaften liegen. Und natürlich bringen wir auch unsere bestehende Datenbasis mit Struktur- und Verbrauchsdaten ein, die uns als Energienetzbetreiber vorliegen.

Wie würde ein Vorgehen von EWE Netz bei einem Kommunalen Wärmeplan aussehen?

Wir stimmen unsere Dienstleistung auf die Bedürfnisse ab und arbeiten eng mit der Stadt oder der Kommune zusammen. Wenn wir beispielsweise den Bestand analysiert haben, halten wir Workshops ab, um die Ergebnisse abzugleichen. Die Kommune ist immer an der Spitze, und wir unterstützen, wo wir können, um die Grundlagen für Entscheidungen zu schaffen.

Unser Ziel ist es, das gesamte Wärmesystem zu betrachten, nicht nur einzelne Teile. Deswegen bieten wir unsere Dienstleistung dort an, wo wie Energienetze betreiben und über entsprechende Daten verfügen. Das hilft immens und wird gut angenommen. Für die Kommunale Wärmeplanung nutzen wir zudem ein Softwaretool, den sogenannten digitalen Zwilling. Darin werden alle relevanten Daten zusammengeführt, anschaulich visualisiert und Maßnahmen abgeleitet.

Die Software ermöglicht auch eine automatisierte, regelmäßige Aktualisierung in Form von Fortschreibungen und ein Controlling der Umsetzungsfortschritte und reduziert den zukünftigen Aufwand beträchtlich. Zudem können dank elektronischer Schnittstellen auch zahlreiche Synergien zu anderen kommunalen Bereichen sowie weiterer GIS- und IT-Systeme auf Wunsch und unter Wahrung der Vorgaben des Datenschutzes erschlossen werden.

Für unsere eigene Netzplanung, die mit in die Kommunale Wärmeplanung einfließt, nutzen wir ebenfalls eine entsprechende Software. Diese ermöglicht es, unsere Netzplanung vorausschauend zu gestalten und die lokalen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Dafür arbeiten wir mit externen Dienstleistern zusammen, aber auch intern haben wir Experten. Wir sind jetzt neun Leute im Wärmeplanungsteam und bauen weiter Ressourcen auf, je nach Marktlage und Bedarf.

Welche Technologien halten Sie für die Wärmewende insbesondere im Nordwesten Deutschlands für vielversprechend?

Das ist schwierig zu sagen, weil wir wirklich ganz unterschiedliche, lokal sinnvolle Ansätze verfolgen. Jede Kommune wird individuell beleuchtet. In jeder Kommune gibt es unterschiedliche Potenziale. Alles ist grundsätzlich offen und wir sind auf der Suche nach sinnvollen Möglichkeiten für eine Dekarbonisierung der Wärmeversorgung, auch wirtschaftlich.

Eine etwas größere Stadt hat vielleicht ein eher gewisses Potenzial für eine leitungsgebundene Wärmeversorgung, also Nah- oder Fernwärme. Aber ob dies letztendlich umsetzbar ist, das ist eine andere Frage.

Wir ziehen auch immer häufiger Abwärme aus industriellen Prozessen oder Abwasser in Betracht. Technologieoffenheit ist bei einem Prozess wie der Kommunalen Wärmeplanung enorm wichtig. Denn es gilt einerseits, die zukünftige Wärmeversorgung klimafreundlich zu gestalten, und andererseits, die Umsetzbarkeit auch wirtschaftlich zu betrachten. Was nutzen Maßnahmen, die am Ende niemand bezahlen kann.

Was vermissen Sie an den derzeitigen Vorgaben zum Kommunalen Wärmeplan und zum Gebäudeenergiegesetz?

Wir wissen, dass die Länder auf Bundesebene verpflichtet sind, ihre Planungsverantwortlichen, also die Kommunen, zur Wärmeplanung zu verpflichten, und dafür gibt es einen Geldtopf. Aber momentan wissen wir noch nicht, welche Beträge konkret pro Kommune und Einwohnerzahl zur Verfügung stehen werden.

Vor dem Bundesgesetz war es einfacher: In Niedersachsen gab es etwa einen Sockelbetrag von 16.000 Euro, plus 0,25 Euro pro Einwohner für jedes der drei Planungsjahre. Und wenn man nicht verpflichtet war, griff die Förderrichtlinie, und man konnte den Wärmeplanungsprozess bis zu 90 Prozent fördern lassen. Beides ist aktuell noch unklar. Aber das wird sich in Kürze ändern.

Die Länder sind jetzt gefragt. Sie müssen jetzt festlegen, ob und wie viel Fördermittel es je Kommune geben wird. Fakt ist, durch das Wärmeplanungsgesetz werden alle Kommunen bundesweit in die Verpflichtung genommen, eine Kommunale Wärmeplanung umzusetzen.

print
DRUCKEN

Weiterführende Themen

Die Hintergründe zu diesem Inhalt

Das könnte Sie auch interessieren

09.01.2024 | Wärme | Schwerpunkt | Online-Artikel

Gesetz für Wärmeplanung und -netze

21.12.2023 | Energie | Schwerpunkt | Online-Artikel

2023 – ein Jahr des energiepolitischen Chaos

27.01.2022 | Wärme | Schwerpunkt | Online-Artikel

Ohne radikale Kurskorrektur keine Wärmewende