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07.03.2023 | Fahrwerk | Schwerpunkt | Online-Artikel

Das sind Strategien für eine nachhaltigere Reifenproduktion

verfasst von: Christiane Köllner

5 Min. Lesedauer

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Recyceltes Gummi, Reishülsen, PET-Flaschen: Alternative Materialien halten Einzug in die Reifenproduktion. So werden Reifen nachhaltiger in Herstellung, Einsatz und Recycelbarkeit. 

Die Konstruktion von Autoreifen und das Zusammenspiel der eingesetzten Materialien sind komplexer, als es auf den ersten Blick aussieht. Nach Angaben von Continental bestehen Pkw-Reifen aus bis zu einhundert unterschiedlichen Rohmaterialien, um die gewünschten Eigenschaften je nach Einsatzzweck, Jahreszeit und Umgebung zu erreichen. Die genaue Zusammensetzung der Reifen ist dabei ein komplexer Balanceakt. Entsprechend anspruchsvoll ist es, die verwendeten Rohstoffe durch alternative Materialien zu ersetzen. Doch genau daran arbeiten die Materialexperten und Reifeningenieure von Continental. 

Bereits heute sind in einem Standard-Pkw-Reifen von Continental rund 15 bis 20 % nachwachsende oder wiederverwertete Materialien verbaut. Bis spätestens 2050 sollen alle Reifen ausschließlich aus nachhaltigen Materialien bestehen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden mehrere Maßnahmen verfolgt. Dazu gehören Abfallprodukte aus der Landwirtschaft – wie zum Beispiel die Asche von Reishülsen –, Kautschuk aus Löwenzahn, recyceltes Gummi oder PET-Flaschen.

Statt tropischem Kautschukbaum: Naturkautschuk aus Löwenzahn und Guayule

Naturkautschuk ist für die Funktionalität von Reifen unerlässlich. Zwischen 10 und 40 % des Gesamtgewichts moderner Hochleistungsreifen, so Continental, besteht aus dem Naturprodukt. Zu den besonderen Eigenschaften gehören eine hohe Stoßfestigkeit und Haltbarkeit, die durch die Dehnungskristallisation des Kautschuks hervorgerufen wird. Mit mehr als 70 % ist die Reifenindustrie der größte Abnehmer der globalen Kautschukproduktion. Bislang deckt der tropische Kautschukbaum den Bedarf. Dessen Anbau verursacht aber zunehmend ökologische Probleme. Alternativen müssen her.

Mit dem Taraxagum-Projekt verfolgt Continental einen Ansatz, um künftig unabhängiger vom heute - vor allem in Südost-Asien – angebauten Naturkautschuk zu werden. Gemeinsam mit Partnern forscht der Reifenhersteller an der Industrialisierung der Gewinnung von Naturkautschuk aus speziell gezüchteten Löwenzahnpflanzen. "Durch den Anbau von Löwenzahn werden Bedarfsspitzen abgefangen, tropische Regenwälder geschützt und die Reserven an fossilem Erdöl, das die Grundlage für synthetisch hergestellten Kautschuk bildet, sichtbar geschont", erklären Forschende des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie (IME) im Kapitel Naturkautschuk aus Russischem Löwenzahn (Seite 330) des Buchs Ressourceneffizienz. Da der Löwenzahn in gemäßigtem Klima wachse, minimiere die lokale Produktion zudem die Transportwege und reduziere den CO2-Ausstoß.

Neben Löwenzahn ist auch der Guayule-Naturkautschuk eine Alternative. Der Reifenhersteller Bridgestone hat bislang rund 100 Mio. US-Doller in die Guayule-Forschung investiert und bereits Reifen für den Einsatz im Motorsport mit einer Seitenwand aus dem nachhaltigen Material des Wüstenstrauchs entwickelt. Die Markteinführung von Reifen mit Guayule-Kautschuk soll bis zum Ende des Jahrzehnts erfolgen. Bis 2050 will auch Bridgestone Reifen aus 100 % nachhaltigen Materialien produzieren.

Nachhaltige Füllstoffe auf pflanzlicher Basis

Neben Kautschuk sind Füllstoffe wie Silika für den Reifenbau essenziell. Silika zum Beispiel trägt laut Continental dazu bei, Reifeneigenschaften wie Grip, Rollwiderstand und Laufleistung zu optimieren. Künftig sollen Reishülsen Ausgangsmaterial für nachhaltig hergestelltes Silika sein. "Reishülsen sind ein Abfallprodukt der Reisproduktion und können nicht als Nahrungsmittel oder Tierfutter verwendet werden. Aus der Asche von Reishülsen gewonnen, ist die Herstellung von Silika energieeffizienter als aus herkömmlichen Materialien wie Quarzsand", erklärt Continental. Solvay, Hersteller von hochdisperser Kieselsäure, will voraussichtlich 2024 kreislauffähiges hochdisperses Siliziumdioxid (HDS) produzieren, das aus biobasiertem Natriumsilikat aus Reishülsenasche hergestellt wird. Die biozirkuläre Kieselsäure von Solvay soll auch in Continental-Reifen zum Einsatz kommen. Auch in einem nachhaltigen Reifen-Prototypen des Herstellers Goodyear Tire & Rubber Company kommt aus der Asche von Reisschalen gewonnenes Silika zum Einsatz.

Bereits heute bieten pflanzliche Öle – wie beispielsweise Rapsöl und Harze, basierend auf Reststoffen der Papier- und Holzindustrie – eine Alternative zu rohölbasierten Füllstoffen in Reifen von Continental. Hierbei werde ausschließlich Öl technischer Qualität genutzt, das für den Verzehr ungeeignet ist, so das Unternehmen. Öle und Harze sollen Reifenmischungen flexibel machen und so die Haftungsfähigkeit des Materials verbessern.

Zirkuläres Wirtschaften in der Reifenproduktion

Eine weitere Strategie für mehr Nachhaltigkeit ist die Nutzung recycelter Rohstoffe in der Reifenproduktion. Altreifen werden oftmals deponiert, obwohl sie eine wertvolle Quelle für Industrieruß, ein Füllstoff in Gummimischungen, sind. Dieser lässt sich wiederum zum Herstellen neuer Reifen verwenden. "Die Altreifen werden dafür mittels Pyrolyse in ihre Bestandteile zerlegt, unter anderem eben Ruß, der an jedem Reifen einen Anteil von 15 bis 20 % hat. Continental will mit dem Pyrolysespezialisten Pyrum Innovations genau dafür eine eigene Kreislaufwirtschaft aufbauen", erklärt Frank Urbansky im Artikel Warum Autos komplett recycelt werden können und müssen (Seite 12) aus der MTZ 11-2022. Auch das Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP hat ein Verfahren entwickelt, um Industrieruß aus Altreifen zu recyclen.

Neben der Pyrolyse setzt Continental auch auf die mechanische Aufbereitung von Altreifen. Dabei werden vor allem Gummi, Stahl und Textilcord voneinander getrennt. Das Gummi wird anschließend so aufbereitet, dass es wieder als Bestandteil neuer Gummimischungen verwendet werden kann. Unter dem Projektnamen BlackCycle will auch Michelin Altreifen in eine Kreislaufwirtschaft überführen und so zurückgewonnene Materialien in die Neureifenproduktion zurückführen.

Recycelte PET-Flaschen in der Karkasse von Reifen

Continental macht sich auch Kunststoffflaschen zunutze. Aus recycelten PET-Flaschen gewinnt das Unternehmen gemeinsam mit Partnern Polyestergarn für Reifen. Häufig landen PET-Flaschen sonst in Müllverbrennungsanlagen oder Deponien. Das recycelte PET ersetzt bereits in einigen Continental-Reifen den herkömmlichen Polyester in der Konstruktion der Reifenkarkasse. Mit seiner ContiRe.Tex-Technologie lassen sich je nach Reifengröße zwischen neun und fünfzehn PET-Flaschen pro Reifen wiederverwenden. Die eingesetzten PET-Flaschen werden laut Continental ausschließlich aus Regionen bezogen, in denen es keinen geschlossenen Recyclingkreislauf gibt. Auch Michelin nutzt alte PET-Flaschen für neue Autoreifen. Der französische Reifenhersteller möchte bis 2030 40 % und bis 2050 100 % nachhaltige Materialien bei der Reifenproduktion einsetzen.

Weiterführende Themen

Die Hintergründe zu diesem Inhalt

2017 | OriginalPaper | Buchkapitel

Naturkautschuk aus Russischem Löwenzahn

Grundlage für die Erschaffung eines neuen, biobasierten Industriezweigs
Quelle:
Ressourceneffizienz

2017 | OriginalPaper | Buchkapitel

Bestandteile Reifen und Räder

Quelle:
Fahrwerkhandbuch

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