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17.05.2017 | Finanzbranche | Kolumne | Online-Artikel

"Der Brexit ist eine Chance für Frankfurt"

verfasst von: Prof. Dr. Martin Faust

4 Min. Lesedauer

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Seit Jahren sinkt die wirtschaftliche Bedeutung der Finanzbranche sowie die Zahl der Banken und Mitarbeiter am Finanzplatz Deutschland kontinuierlich. Jetzt ergibt sich zumindest für den Finanzplatz Frankfurt ein Lichtblick, meint Bankenexperte Martin Faust.

Durch den Brexit verlieren bisher in London ansässige Banken ihren EU-Pass und damit den Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Wollen sie auch weiterhin Kunden in der Europäischen Union (EU) betreuen und Geschäfte in Euro abwickeln, müssen sie dies nun über eine Tochterbank im Euro-Raum tun. Hiermit ist die Verlagerung Zehntausender Jobs verbunden. So erwarten die Europäische Zentralbank (EZB) und die europäische Bankenaufsicht (EBA) von den Banken beispielsweise, dass sie nicht nur die Kundenbetreuung, sondern auch die Abwicklung und zentrale Funktionen wie Risikomanagement und Compliance, in die EU verlagern. 

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Der BREXIT trifft die deutsche Wirtschaft schon in 2016/2017 negativ, wobei es sektorale Schwerpunkte gibt. Deutschlands Automobilindustrie ist schon kurzfristig betroffen, wie man an der durch Opel erfolgten Ankündigung vom 19.

Darüber hinaus ist die EU-Kommission bestrebt, zumindest einen Teil des Euro-Clearings und damit auch des Derivatehandels in Euro, auf den Kontinent zu verlagern.

Der Glaube an die Jobmaschine

Frankfurt am Main sieht sich angesichts der Nähe zur EZB und der dort angesiedelten Bankenaufsicht in einer sehr guten Position. Es wird mit mehr als Zehntausend neuen Jobs gerechnet, die in der Mainmetropole entstehen könnten. Dies hätte unter anderem positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt am Finanzplatz, die Steuereinnahmen sowie die Kaufkraft. Die Brexit-Euphorie in Frankfurt ist jedoch verfrüht. Es gibt einige Argumente, die dafür sprechen, dass die Wirkungen geringer ausfallen und erst später eintreten werden als erhofft. Denn neben Frankfurt als Standort werben weitere europäische Finanzplätze intensiv um die potenzialträchtigen Auslandsbanken, so unter anderem Paris, Luxemburg und Dublin. Dass hier durchaus mit harten Bandagen gekämpft wird, belegen Meldungen, wonach die Länder mit Vergünstigungen locken und auch die Aufsichtsbehörden Entgegenkommen signalisiert haben. Bereits in der Vergangenheit haben insbesondere Irland und Luxemburg ihre Flexibilität in der Bankenaufsicht bewiesen. Darüber hinaus entfallen in Irland sprachliche Hürden. Paris lockt insbesondere als Weltmetropole und mit schnellen Bahnverbindungen nach London.

Sollte es trotz des starken Wettbewerbs gelingen, eine Vielzahl von Kreditinstituten zu begeistern, sich in Frankfurt am Main anzusiedeln, dann bedeutet dies nicht, dass die positiven Wirkungen auch eintreten. So werden diejenigen, die sich deutlich höhere Steuereinnahmen erwarten, enttäuscht werden. Haben es doch die Geldhäuser in der Vergangenheit sehr gut verstanden, Gewinne in steuerlich attraktivere Länder zu verschieben.

Banken verlagern nur Teilbereiche

Auch die prognostizierten Wirkungen auf dem Arbeitsmarkt sind fraglich. Da London auch nach dem Brexit eines der wichtigsten Finanzzentren bleiben wird, werden nicht ganze Banken, sondern nur einzelne Bereiche ihrer Organisationen abwandern. Darüber hinaus ist es technisch heute unproblematisch, Geschäfte außerhalb des eigentlichen Geschäftsgebietes durchzuführen und abzuwickeln. So erfolgt der Großteil der Euro-Derivategeschäfte und ihre Abwicklung nicht im Euroland, sondern in London. Da viele ausländische Geldhäuser bereits mit Tochterinstituten in Frankfurt vertreten sind, verfügen sie außerdem schon über die erforderlichen organisatorischen und personellen Strukturen. Insbesondere der Vertrieb und die Kundenbetreuung im Privat- und Firmenkundengeschäft erfolgen bereits von Deutschland aus. Daher sind in diesem Bereich nur wenige neue Stellen zu erwarten. Dies gilt auch für den Handel und die Zentralbereiche. Da es sich vielfach um hochqualifizierte Arbeitnehmer handelt, die Finanzhäuser nicht einfach ersetzen können, wird erwartet, dass viele zwischen ihrem neuen Standort und London pendeln werden. Erst mittelfristig würden diese ihren Lebensmittelpunkt auf den Kontinent verlegen oder lokale Arbeitnehmer eingestellt.

Darüber hinaus hat die EU-Aufsicht bereits signalisiert, dass sie in einer Übergangsphase Doppelfunktionen von Führungskräften und Mitarbeitern in London und innerhalb der EU tolerieren wird. Diese werden daher nur wenige Tage in der Woche vor Ort tätig sein. Eine höhere Zahl von Arbeitsplätzen wäre bei einer Verlagerung des Euro-Clearings und dessen Abwicklung betroffen. Denn mehr als 250.000 Arbeitnehmer sind in diesem Bereich in London bei Banken, Finanzdienstleistern und Börsen beschäftigt. Sollte die Aufsicht strenge Auflagen stellen, dann werden die betroffenen Unternehmen die Gelegenheit nutzen, die Digitalisierung zu beschleunigen sowie Prozesse weiter zu optimieren und zu automatisieren. Daher ist nicht davon auszugehen, dass in London weggefallene Arbeitsplätze im gleichen Maß auf dem Kontinent neu aufgebaut werden. Zu befürchten ist eher, dass die Mehrzahl der höher qualifizierten Arbeitsplätze mit bereits vorhandenen Mitarbeitern besetzt und überwiegend einfachere Tätigkeiten vom lokalen Arbeitsmarkt eingekauft werden.

Viele Entscheidungen bei den Banken werden jetzt davon abhängen, welche konkreten Vereinbarungen in den Verträgen zwischen der EU und Großbritannien getroffen und welche Auflagen von den Aufsichtsbehörden gefordert werden. Sicher ist, dass die britische Regierung aufgrund der hohen wirtschaftlichen Bedeutung den Finanzsektor mit allen Mitteln schützen wird.

Aufsicht muss flexibel sein

Die Geldinstitute sind aufgrund des Wettbewerbs der potenziellen Standorte in einer sehr guten Position und können diese gegeneinander ausspielen. Daher sind von der deutschen Politik und Aufsicht Flexibilität und – da die Standortentscheidungen der Banken schon bald getroffen werden müssen – auch Schnelligkeit gefordert. Beides sind nicht unbedingt deutsche Stärken.

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