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1993 | Buch

Grundstrukturen agrarpolitischer Willensbildungsprozesse in der Bundesrepublik Deutschland (1949–1989)

Zur politischen Konsens- und Konfliktregelung

verfasst von: Jens-Peter Gabriel

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

Buchreihe : Sozialwissenschaftliche Studien

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einleitung

Frontmatter
1. Allgemeine Einführung in die Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit
Zusammenfassung
Die Geschichte der ‚alten‘ Bundesrepublik (1949–1990) ist gekennzeichnet durch einen ausgeprägten Wandlungsprozeß, der das politische, wirtschaftliche und soziale Gefüge des Landes stark verändert hat. Insbesondere die Struktur der Landwirtschaft hat sich durch den Wandel der vergangenen vier Jahrzehnte grundlegend verändert. Die Ausscheidungsrate unwirtschaftlicher Betriebe ist aufgrund des sogenannten landwirtschaftlichen Strukturwandels im Verlauf der 40jährigen Geschichte im Vergleich mit anderen volkswirtschaftlichen Branchen beeindruckend hoch gewesen.
Jens-Peter Gabriel
2. Abgrenzung des Analysebereichs
Zusammenfassung
Mit dieser Studie wird nicht der Anspruch erhoben, die 40jährige Geschichte der agrarpolitischen Willensbildungsprozesse in allen Details beschreiben und erklären zu wollen. Es handelt sich vielmehr um die bewußte Herausnahme einzelner Teilaspekte aus der Komplexität eines umfassenden Prozesses. Die EG-Ebene, und dies heißt insbesondere die seit den 60er Jahren vollzogene Supranationalisierung der Agrarpolitik, muß dabei miteinbezogen werden. Die „Vergemeinschaftlichung“ der Agrarpolitik beschränkt den politischen Handlungsspielraum bundesdeutscher Agrarpolitiker. Demgemäß müssen vor allem die hiermit verbundenen Restriktionen und Kompetenzverluste dargestellt werden.
Jens-Peter Gabriel
3. Erläuterung der Vorgehensweise
Zusammenfassung
Innerhalb der politikwissenschaftlichen Analysekategorien ist die Aufgabenstellung dieser Arbeit der Politikfeldanalyse zuzurechnen. Bei der Operationa-lisierung des Arbeitsvorhabens bezieht sich der Verfasser auf die im angelsächsischen Raum übliche Differenzierung und Anwendung des umfassenden Politikbegriffs — im vorliegenden Fall der „Agrarpolitik“ — in „Polity“, „Politics“ und „Policy“. Dazu folgende Begriffsklärung:
Unter „Polity“ wird die Gesamtordnung eines politischen Systems, die formale Dimension von Politik verstanden, in der verfassungsrechtliche Aspekte im Vordergrund stehen. Hierunter fällt die Analyse des agrarpolitischen Ordnungs-, Normen- und Organisationsgefüges in der Bundesrepublik, soweit sie zur Erörterung der inhaltlichen Problemstellung notwendig erscheint. Regeln und Institutionen sind für die Politik als Handlungspotentiale und Handlungsschranken anzusehen, die sich wiederum erst in der Konfrontation mit bestimmten politischen Zielen und Instrumenten und den gegebenen Handlungsbedingungen in ihrer konkreten Bedeutung erschließen lassen.
Jens-Peter Gabriel
4. Zum Forschungsstand
Zusammenfassung
In der Wissenschaft findet die staatliche Agrarpolitik ein geteiltes Echo. Mit der Agrarpolitik auf theoretischer und praktischer Ebene beschäftigt sich vornehmlich die Agrarwissenschaft. Ihre Betrachtungsweise orientiert sich überwiegend an Kriterien der ökonomischen Effizienz der agrarpolitischen Instrumente (vgl. Köster 1987 u.1988, de Haen 1987, Plate 1968,1969, 1988). In dieser Literatur wurde und wird der zunehmend irrationaler werdende, sich nicht an ökonomische Rationalität haltende Einsatz agrarpolitischer Instrumente angeprangert. Im erklärten Selbstverständnis vieler Agrarwissenschaftler liegt es jedoch nicht, agrarpolitische Ziele zu formulieren bzw. den Weg ihrer Implementation anzugeben, sondern den Politikern eine zuverlässige Grundlage für ihre Urteilsbildung über die ökonomische Bedeutung und Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft und deren soziale Bedürfnisse bereitzustellen. In den 80er Jahren spielten allerdings auch ökologische Belange eine größere Rolle (vgl. Priebe 1985; Poppinga/Schmidt 1986; Weinschenck 1986).
Jens-Peter Gabriel

Zur Entwicklung des landwirtschaftlichen Strukturwandels

Frontmatter
1. Der systemimmanente Strukturwandel und seine Auswirkungen auf den Agrarsektor
Zusammenfassung
Der einst von griechischen Philosophen erkannte Grundsatz, daß sich alles in einer fließenden Bewegung befinde, gilt nach über 2000 Jahren unverändert fort. Infolge eines stetigen gesamtwirtschaftlichen Aufschwungs ändern sich die ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und mit ihnen die Ziel- und Wertvorstellungen in der heutigen Gesellschaft dermaßen schnell, daß jede berufliche und gesellschaftliche Gruppe im Interesse ihrer Existenzsicherung zu einer permanenten Anpassung gezwungen ist.
Jens-Peter Gabriel
2. Entwicklungen und Prognosen der Arbeitskräfte- und Betriebsstrukturen in der westdeutschen Landwirtschaft
Zusammenfassung
Infolge der zunehmenden Mechanisierungen und Technisierungen in der Landwirtschaft und der Substitution und Verteuerung arbeitsintensiver Produktionsprozesse gingen die Beschäftigtenzahlen stark zurück.
Jens-Peter Gabriel
3. Zur inter- und intrasektoralen Einkommensdisparität
Zusammenfassung
Um einen genaueren Überblick über die Einkommenssituation in der Landwirtschaft und in anderen Wirtschaftsbranchen sowie über die Disparität innerhalb der Landwirtschaft selbst zu gewinnen, ist es angebracht, die Begriffe der intersektoralen und der intrasektoralen Einkommensdisparität einzuführen.
Jens-Peter Gabriel

Voraussetzungen und Bestimmungsgründe im agrarpolitischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß im parlamentarischen Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland

Frontmatter
I. Begriffsbestimmungen
Zusammenfassung
Politische Willensbildung wird in der politischen Alltagssprache häufig mit dem Begriff Politik gleichgesetzt. Darunter wird generell der gesamte Handlungskomplex subsumiert: Wie kommen politische Grundentscheidungen zustande? Wo werden sie gefallt? Wer ist daran beteiligt? Dieses Begriffsverständnis gilt es, zu hinterfragen und in bezug auf unsere Themenstellung zu präzisieren. Zunächst einmal müssen beide Begriffe, sowohl Willensbildung wie Entscheidung, auf das Wechselverhältnis von Gesellschaft und Staat ausgerichtet werden. Politische Willensbildung soll mit Steffani „auf jenen Teil des politischen Prozesses bezogen bleiben, in dem ein politischer Wille gebildet wird, dem jedoch rechtliche Verbindlichkeit fehlt“ (Steffani 1986, S. 357). Dies geschieht normalerweise in Vereinen, Verbänden und Parteien. Unter dem sich anschließenden Entscheidungprozeß soll, mit Steffani, die der Willensbildung folgende „Beschlußfassung durch verfassungsrechtlich dazu ermächtigte und direkt oder indirekt demokratisch legitimierte Staatsorgane“ verstanden werden, „mit dem Ziel, Verbindlichkeiten herzustellen“ (ebd.).
Jens-Peter Gabriel
II. Grundbedingungen agrarpolitischer Willensbildung in der parlamentarischen Demokratie
Zusammenfassung
Die Entwicklung von Bewußtseinslagen, Wertvorstellungen und Ideologien ist Voraussetzung dafür, um im politischen Willensbildungsprozeß Einfluß auf die letztlich praktizierte Politik und somit auch auf die Agrarpolitik zu nehmen. Die Beschäftigung mit dieser Problematik dient der näheren Beschreibung und Erklärung der ideengeschichtlichen und historischen Grundlagen der bundesdeutschen Agrarpolitik.
Jens-Peter Gabriel
III. Die agrarpolitischen Akteure, ihre Interessenlagen, Adressaten und Erfolgsbedingungen
Zusammenfassung
Die an der agrarpolitischen Willensbildung Beteiligten lassen sich grob in zwei Gruppierungen klassifizieren:
Gruppe A: Organisierte Interessen im intermediären Bereich (Verbände, Parteien, andere gesellschaftliche Organisationen)
Gruppe B: Organisierte Interessen in den staatlichen Organen (Parlament, Regierung und Verwaltung)
Jens-Peter Gabriel
IV. Zwischenergebnisse
Zusammenfassung
In der Bundesrepublik beteiligt sich an der agrarpolitischen Willensbildung ein breites gesellschaftliches Meinungsspektrum, das sich durch unterschiedliche Bewußtseins- und Interessenlagen sowie durch unterschiedliche Konfliktfähigkeit auszeichnet. Eine maßgebende Rolle spielen vornehmlich die in Großverbänden organisierten landwirtschaftlichen und industriellen Interessen. Sie sind gegenüber den politischen Entscheidungsträgern sowohl als Interessenübermittler, die Forderungen stellen, als auch als Sachverständige, die den aktuellen Stand der Meinungsbildung repräsentieren (sollen), zu wichtigen Gesprächspartnern geworden. Ob solche Großverbände allerdings tatsächlich die objektiv vorhandenen Interessenlagen widerspiegeln und sich auch für diese im politischen Entscheidungsprozeß verwenden, ist nicht nur umstritten. Ein Beweis dafür, daß das nicht so ist, zeigt das Aufkommen der oppositionellen Bewegung zum Deutschen Bauernverband in den 80er Jahren. In der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft sind vornehmlich kleinund mittelbäuerliche Landwirte organisiert, die gerne eine umweltverträgliche Landbewirtschaftung betreiben würden, sich aber aufgrund fehlender Rahmenbedingungen dazu nicht in der Lage sehen. Sie dokumentieren in öffentlichkeitswirksamen Aktionen, daß sie sich nicht mehr von den Spitzenfunktionären des DBV vertreten fühlen, können die Masse der Bauern aber nicht hinreichend motivieren, aus dem DBV auszutreten.
Jens-Peter Gabriel

Agrarpolitische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse in der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Berücksichtung ihrer Einbindung in die europäische Agrarpolitik (1949–1965)

Frontmatter
I. Das Bedingungsfeld bundesdeutscher Agrarpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg
Zusammenfassung
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges änderten sich die Voraussetzungen für die staatliche Agrarpolitik in der neu gegründeten Bundesrepublik grundlegend. Diese lassen sich in grob vereinfachter Form unter drei Gesichtspunkten zusammenfassen:
1.
Neben einer nahezu völligen Zerstörung der ökonomischen Infrastruktur und der physischen Auszehrung der Bevölkerung als sichtbare Folgen des Krieges galt es, die mangelnde Versorgung mit Grundnahrungsmitteln zu überwinden. Aufgrund der Versorgungskrise im Frühjahr 1947 lautete der Appell an die Landwirtschaft: „Produktionssteigerung um jeden Preis“ (vgl. Niklas 1951). Um die Mangelsituation zu überwinden, übernahmen die alliierten Militärverwaltungen den funktionsfähigen Bewirtschaftungsapparat des Reichsnährstandes. Die Landwirtschaft in den westlichen Besatzungszonen konnte das Versorgungsproblem aber nicht allein lösen, was eine Abhängigkeit von ausländischer Nahrungsmittelhilfe mit sich brachte. Diese wurde im wesentlichen durch die Gelder des Marshall-Planes finanziert (vgl. Magura 1970, S. 146).
 
Jens-Peter Gabriel
II. Agrarpolitische Willensbildung im Zeichen wirtschaftlicher Not
Zusammenfassung
Die Agrarpolitik des ersten Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Wilhelm Niklas (CSU), stand ganz im Zeichen der ökonomischen und sozialen Notsituation der bundesdeutschen Bevölkerung und des notwendigen Abbaus der Zwangswirtschaft. Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) hatte in seiner Regierungserklärung vom 20. September 1949 bereits die zukünftigen agrarpolitischen Herausforderungen benannt. Dazu gehörten die erwähnte Produktionssteigerung, der Abbau der Zwangsbewirtschaftung, der Ausbau der Veredelungswirtschaft in der Landwirtschaft und die Drosselung des Agrarimports (vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode, Stenographische Berichte, Bd. 1, Bonn 1950, S. 39–40).
Jens-Peter Gabriel
III. „Agraranpassungsideologie“ contra „Agrarschutzideologie“ — der Willensbildungsprozeß zum Landwirtschaftsgesetz
Zusammenfassung
Bundeskanzler Adenauer trug den DBV-Forderungen in seiner Regierungserklärung vom 20. Oktober 1953 Rechnung, als er feststellte, daß die Landwirtschaft aufgrund der Entwicklung der „Preis-Kosten-Schere“29 nicht mehr voll am allgemeinen Wirtschaftsaufschwung teilnehmen könne (BA Koblenz, B 116,881, Bl. 226–234). Durch seinen neuen Landwirtschaftsminister Heinrich Lübke30 (1953–1959) ließ er am 19. November 1953 ein Agrarprogramm vorstellen, das den Bedingungen der rasch prosperierenden Volkswirtschaft mit zeitweise zweistelligen Wachstumsraten (s. S. 22) und wenig später der „Europäisierung“ der Agrarpolitik Rechnung tragen sollte.
Jens-Peter Gabriel
IV. Agrarpolitische Willensbildung zu Beginn der 60er Jahre
Zusammenfassung
Nachdem die sechs Gründerstaaten der EWG ihre Bereitschaft zur gemeinsamen Agrarpolitik signalisiert und durch die Vereinbarungen von Rom (1957) und Stresa (1958) bekräftigt hatten, löste sich die bundesdeutsche Agrarpolitik schrittweise aus ihrer starren nationalen Orientierung. Die Voraussetzungen für einen problemlosen, wenn auch nur den Status quo erhaltenden Übergang von bundesdeutscher zu gemeinsamer Agrarpolitik, begünstigten die deutschen Bauern jedoch nicht. Die Ergebnisse der staatlichen Agrarpolitik zeigten, daß landwirtschaftliche Einkommenszuwächse nur mit einer Beschleunigung des Prozesses des landwirtschaftlichen Höfesterbens möglich war. Davon waren besonders kleinbäuerliche Betriebe betroffen (vgl. BMELF (Hg.) Statistisches Jahrbuch 1961, S. 23, ebd., 1964, S. 23; vgl. Röhm 1964, S. 79). Der Gesamtverschuldungsgrad der westdeutschen Landwirtschaft stieg im Zeitraum von 1950 bis 1960 von 3,7 Mrd. DM auf 11,9 Mrd. (vgl. BMELF (Hg.), Statistisches Jahrbuch 1965, S. 159). Der Beitrag des Agrarsektors zum Bruttoinlandsprodukt sank demgegenüber von 10,4 % 1950 auf 6,6 % 1960 (vgl. BMELF (Hg.), Statistisches Jahrbuch 1961, S. 16). Die generelle Konjunkturentwicklung der Volkswirtschaft war indes von jährlich hohen Wachstumsraten begleitet (s. S. 22), das außerlandwirtschaftliche Vergleichseinkommen nahm zu (vgl. ebd.).
Jens-Peter Gabriel

Agrarpolitische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse im Zeichen des forcierten Strukturwandels (1965–1982)

Frontmatter
1. Wachstumsorientierte Agrarpolitik (1965–1975) — neue Akzentsetzungen durch Hermann Höcherl (CSU) und Josef Ertl (F.D.P.)
Zusammenfassung
Als Nachfolger des CDU-Politikers Werner Schwarz trat — vornehmlich aus Gründen des Parteiproporzes innerhalb der Koalitionsregierung aus CDU/CSU und F.D.P. — am 26.10.1965 der bisherige Bundesinnenminister Hermann Höcherl das Amt des Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten an. Die CSU erhoffte sich von diesem Wechsel, daß die agrarpoliti-schen Belange des Südens stärker als bisher in Rechnung gestellt würden. Im übrigen erfreute sich der zukünftige Minister im Norden der Repubkik und auch über die Parteigrenzen hinweg einer hohen Wertschätzung (vgl. Agra-Europe Jg. 6, Nr. 43 v. 2.11.1965; u. Länderberichte, S. 6f.)
Jens-Peter Gabriel
2. Aufweichung der wachstumsorientierten Agrarpolitik (1975–1982)
Zusammenfassung
Die wesentliche Ursache der veränderten gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen (eine stagnierende Nachfrage nach Agrarprodukten, nach 4,7 Prozent reales Wirtschaftswachstum 1973, 0,2 Prozent Zuwachs 1974 und eine negative Quote von -1,4 Prozent 1975, steigende Preise sowie steigende Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik (1975 erstmals über eine Million)) lag in der sogenannten Ölkrise des Winters 1973/74 (vgl. Grosser 1989, S. 78; Wirtschaft und Statistik 1977, Heft 2). Die Steuerbarkeit des landwirtschaftlichen Strukturwandels wurde Gegenstand einer sehr heftigen Kontroverse zwischen Agrarpolitikern, -Wissenschaftlern und -praktikern, wobei sich die Meinungsverschiedenheiten vor allem um vier Fragekomplexe entzündeten:
1.
Lassen sich Defizite der Agrarpreispolitik durch strukturpolitische Maßnahmen ausgleichen?
 
2.
Sollte gezielt oder global gefördert werden?
 
3.
Sollte die Strukturpolitik auf bestimmte Betriebsgrößen gerichtet sein?
 
4.
Liegt die Priorität bei der sozialen oder bei der wirtschaftlichen Ausrichtung der Strukturpolitik?
 
Jens-Peter Gabriel
3. Zwischenergebnisse
Zusammenfassung
In welchem Maße sich die Politik (hier: Agrarstrukturpolitik) an ökonomischen Rahmenbedingungen ausrichten muß, machten die Amtsperioden der Agrarminister Hermann Höcherl (1965–1969) und Josef Ertl (1969–1982) besonders deutlich. Der CSU-Politiker Höcherl und der F.D.R-Politiker Ertl orientierten sich mit ihren agrarpolitischen Akzentsetzungen an den damals vorherrschenden gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Diese waren gekennzeichnet durch eine sich ab Mitte der 60er Jahre abzeichnende Konjunkturschwächung, die u.a. zu Kürzungen und einer gezielten Mittelumverteilung im bundesdeutschen Agrarhaushalt führte. Beide Minister interpretieren ihre eingeleitete Rationalisierungspolitik und die damit verbundene Verschärfung des landwirtschaftlichen Betriebssterbens als Politik des Sachzwangs, den sie selbst nicht verhindern könnten, der aber aus Gründen der Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft in der EG unumgänglich sei.
Jens-Peter Gabriel

Agrarpolitische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse im Zeichen einer verschärften Problemlage und einer notwendigen Neuorientierung (1982–1989)

Frontmatter
I. Das Bedingungsfeld für die praktische Agrarpolitik zu Beginn der 80er Jahre
Zusammenfassung
Im Herbst 1982 brach die sozial-liberale Koalition nach 13 Jahren Regierungszeit auf Bundesebene auseinander. Als Ursachen dafür sind u.a. die tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten in der Wirtschafts- und Fiskalpolitik sowie in der Sicherheitspolitik anzusehen. Die F.D.P. verlangte ultimativ die Einführung einer angebotsorientierten Politik mit der Folge, daß die Steuer- und Abgabenlast eingeschränkt, die Neuverschuldung des Staates gebremst und damit verbunden bei den Sozialleistungen eingespart werden sollte. Die führende Regierungspartei SPD war jedoch nicht bereit, die von seiten der F.D.P. als erforderlich angesehenen Einschnitte bei den Sozialleistungen hinzunehmen. Damit war der Weg frei, daß sich CDU/CSU und F.D.P. auf ein neues Regierungsbündnis unter der Führung von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) verständigten.
Jens-Peter Gabriel
II. Institutionell geprägte Neuausrichtungsdebatte ab Mitte der 80er Jahre
Zusammenfassung
Mit der wachsenden Unzufriedenheit der Landwirte über ihre Einkommenssituation (vgl. Agrarbericht 1985, S. 16ff.)49, den wachsenden Agrarüberschüs-sen, der Finanzmisere, den Agrarhandelskonflikten sowie zunehmenden Umwelt- und Verbraucherbelastungen wuchsen auch der politische Handlungsbedarf und das agrarpolitische Engagement der Parteien. Inwieweit dazu Vermutungen über den Verlauf der bevorstehenden Kommunal- und Landtagswahlen im Jahr 1986 (Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein, Landtagswahlen in Niedersachsen, Bayern und Hamburg) beigetragen haben, läßt sich nicht eindeutig belegen (vgl. Uttitz 1987, S. 243–252). Einer von der in Münster erscheinenden überregionalen Fachzeitschrift „top agrar“ durchgeführten Umfrage zufolge, fühlten sich im Dezember 1985 40,7 % von 1600 befragten Landwirten von keiner Partei mehr vertreten. 23 % gaben an, in den Jahren 1986 und 1987 an keiner Wahl teilnehmen zu wollen (vgl. top agrar, Nr. 12/1985). Dies mag ein „Alarmzeichen“ vor allem für die Union gewesen sein darauf hinzuwirken, die Landwirte im Vorfeld dieser Wahlen durch eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit wieder etwas freundlicher zu stimmen.
Jens-Peter Gabriel
III. Die Zuspitzung des „Nord-Süd-Konfliktes“ in der agrarpolitischen Willensbildung — ein „Jahrhundertvertrag für die deutsche Landwirtschaft“?
Zusammenfassung
Verfolgt man die agrarpolitische Diskussion in Deutschland seit 1949, so läßt sich mit bestimmter Regelmäßigkeit feststellen, daß sie sich immer wieder gewisser Gegenstände und Fragestellungen annimmt. Dazu gehören z.B. der Wert und die Überlebenschancen des bäuerlichen Familienbetriebes. Wie bereits angedeutet, gibt es diesbezüglich zwei markante Positionsunterschiede. Einerseits wird auf die bewahrenswerten Eigenschaften dieser Betriebsform verwiesen, welche den agrarpolitischen Protektionismus rechtfertigen, um sie vor dem rücksichtslosen Wettbewerb mit den großbetrieblichen Organisa-tionsformen auf dem Kapital-, Boden- und Absatzmärkten zu schützen (s. „Agrarschutzideologie“). Andererseits wird auf die Notwendigkeit eines forcierten landwirtschaftlichen Strukturwandels hingewiesen. Die landwirtschaftlichen Betriebe müßten sich in ihrer Betriebsführung an den technischen und bio-chemischen Fortschritten orientieren, und dies erfordere eine zweckmäßige Organisationsform. Diese Ansicht hatte vor allem Ende der 60er Jahre „Hochkonjunktur“, einer Phase, in der hohe gesamtwirtschaftliche Wachstumsraten als etwas Selbstverständliches galten. Oftmals hieß es, der bäuerliche Familienbetrieb sei zum baldigen Absterben verurteilt.
Jens-Peter Gabriel
IV. Vom „Solidarvertrag“ zum „Strukturgesetz“ — auf der Suche nach der richtigen Politik für die bäuerliche Landwirtschaft
Zusammenfassung
Das BMELF veröffentlichte Ende Dezember 1987 eine aufschlußreiche Dokumentation über „Maßnahmen zur Sicherung bäuerlicher Familienbetriebe, insbesondere Maßnahmen gegen Konzentrationstendenzen in der Tierhaltung“. Die Begriffe „Jahrhundertvertrag“ oder „Solidarvertrag“ kamen darin nicht vor. Vielmehr wurde das Pro und Contra des in den Koalitionsverhandlungen angekündigten „Strukturgesetzes“ diskutiert. Nach Auffassung des BMELF sprachen gegen ein eigenständiges „Strukturgesetz“ folgende Gründe:
a)
In der bäuerlichen Landwirtschaft würden damit zu große Erwartungen geweckt, die auch in finanzieller Hinsicht nicht zu erfüllen seien.
 
b)
Notwendige strukturelle Anpassungen würden behindert, bestimmte Betriebsstrukturen im Bundesgebiet festgeschrieben. Dadurch nehme die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Betriebe in der EG weiter ab. Dies sei eine Entwicklung, die im Widerspruch zu der Zielsetzung „Sicherung der bäuerlichen Landwirtschaft und ihrer Wettbewerbsfähigkeit“ stehe, wie sie in den Koalitionsvereinbarungen vom Frühjahr 1987 verankert sei.
 
c)
Anstelle eines „Strukturgesetzes“es könne „eine Konzentration staatlicher Hilfen auf bestimmte landwirtschaftliche Betriebe, wie bisher, durch entsprechende Einzelregelungen bei den jeweiligen Maßnahmen erreicht werden.“
 
Jens-Peter Gabriel

Fazit

Frontmatter
I. Pluralität agrarpolitischer Willensbildungsträger im Rahmen der konkurrierenden Willensbildung
Zusammenfassung
Im Gegensatz zu den zentralgeleiteten Wirtschaftsordnungen und den totalitären Regierungsformen Osteuropas mit einer dadurch bedingten zentralen agrarpolitischen Willensbildung, ist für die Geschichte der ‚alten‘ Bundesrepublik (1949–1989) die konkurrierende Willensbildung charakteristisch. Bedingt durch die demokratisch-parlamentarische Regierungsform ist die Bevölkerung an der Staatsgewalt mittelbar vor allem durch die demokratische Wahl von Volksvertretern beteiligt. Der demokratischen Kultur entsprechend wird auch der in der Agrarpolitik gefundene Mehrheitswille respektiert. Eine gegen die konventionelle Agrarpolitik opponierende Minderheit hat es jedoch unter den gegebenen Bedingungen sehr schwer, auf der staatlichen Konfliktebene die Meinungsführerschaft zu erringen. Dafür sind verschiedene Ursachen verantwortlich, die in den nachfolgenden Ausführungen benannt werden.
Jens-Peter Gabriel
II. Agrarpolitische Willensbildung im Spannungsfeld zwischen politischer und ökonomischer Rationalität
Zusammenfassung
Anhand der in den Kapiteln D., E. und F. gekennzeichneten Phasen der agrar-politischen Willensbildung ließ sich an der tatsächlich implementierten Agrarpolitik unter jeweiliger Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und dem daraus resultierenden Tempo des landwirtschaftlichen Strukturwandels (Kapitel B.) der Zusammenhang zwischen Politik und Ökonomie verdeutlichen. Dabei wurden die häufigen Gegensätze bzw. Widersprüche zwischen politischer Absichtserklärung („Erhaltung des bäuerlichen Familienbetriebes“), den tatsächlich eingeleiteten strukturpolitischen Maßnahmen (Subventionierung wachstumsfähiger Betriebe (z.B. EFP), bei zunehmend restriktiver Preispolitik), deren Implementation (Förderung des Wachsens oder Weichens in der Landwirtschaft) und den konkreten Auswirkungen (Verstärkung der innerlandwirtschaftlichen Einkommensdisparität) auf die Lebensbedingungen im ländlichen Raum offensichtlich. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Form des Agrarprotektionismus die innerlandwirtschaftliche Einkommensdisparität in den vergangenen vier Jahrzehnten eher vergrößert als verringert hat.
Jens-Peter Gabriel
III. Agrarpolitische Willensbildung auf der politisch-administrativen Konfliktebene
Zusammenfassung
Der agrarpolitische Willensbildungsprozeß stellt sich in der Bundesrepublik über die Jahrzehnte hinweg als äußerst komplexes Gebilde dar. Es mußte u.a. die Balance zwischen den Wünschen der Erzeuger und den Wünschen der Verbraucher eingehalten werden. Hierzu gehören vor allem: unterschiedliche Be-wußtseinslagen und Wertvorstellungen über die anzustrebende Agrarpolitik; historische Politikvorgaben; innen-und außenpolitische, ökonomische, ökologische und soziale Rahmenbedingungen; wirtschaftstheoretische Alternativvorschläge und Mutmaßungen über empirische Wirkungszusammenhänge. All diese Konstellationen trafen und treffen im Vergleich zu anderen Politikfeldern in der agrarpolitischen Willensbildung in besonderer Vielfalt aufeinander.
Jens-Peter Gabriel

Quellenverzeichnis

H. Quellenverzeichnis
Jens-Peter Gabriel
Metadaten
Titel
Grundstrukturen agrarpolitischer Willensbildungsprozesse in der Bundesrepublik Deutschland (1949–1989)
verfasst von
Jens-Peter Gabriel
Copyright-Jahr
1993
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-663-10234-2
Print ISBN
978-3-663-10235-9
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-663-10234-2