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2007 | Buch

Interessenverbände in Deutschland

herausgegeben von: Dr. Thomas von Winter, Dipl.-Pol., Dr. phil Ulrich Willems, Dipl.-Soz.

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Über dieses Buch

Vorwort An dieser Stelle gilt es vor allem Dank für erfahrene Unterstützung abzustatten. Dank gebührt zunächst der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung, die durch ihre großzügige finanzielle Förderung eine Tagung der Autorinnen und Autoren im Juni 2004 überhaupt erst ermöglichte und die anschließende redaktionelle Bearbeitung der Beiträge erheblich erleichterte. Zu Dank verpfli- tet sind wir auch dem Institut für Politikwissenschaft der TU Darmstadt und der Fachschaft des Fachbereichs Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften der TU Darmstadt, die den Organisatoren und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Tagung in den Räumen des Lernzentrums Gastfreundschaft gewährten. D- ken möchten wir zudem Lisa Freese und Julian Reinfeldt, die für die reibungslose Organisation dieser Tagung sorgten. Schließlich gilt unser Dank Sonja Hillerich, die die Manuskripte für die Drucklegung sorgfältig redaktionell bearbeitet hat. Berlin und Münster, im Mai 2006 Thomas von Winter / Ulrich Willems Vorwort 11 I. Grundlagen Interessenverbände als intermediäre Organisationen 13 Ulrich Willems/Thomas von Winter Interessenverbände als intermediäre Organisationen. Zum Wandel ihrer Strukturen, Funktionen, Strategien und Effekte in einer veränderten Umwelt Interessenverbände als intermediäre Organisationen „In demokratischen Ländern ist die Lehre von den Vereinigungen die Grundwissenschaft; von deren Fortschritt hängt der Fortschritt aller anderen ab.“ (Tocqueville 1976: 599) 1 Einleitung

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Grundlagen

Frontmatter
Interessenverbände als intermediäre Organisationen. Zum Wandel ihrer Strukturen, Funktionen, Strategien und Effekte in einer veränderten Umwelt
Zusammenfassung
Der Interessenverband als Typus politischer Organisation hat in Deutschland ebenso wie in vielen anderen westlichen Gesellschaften eine einzigartige Erfolgsgeschichte aufzuweisen. Die Zahl der Interessenverbände ist seit der Herausbildung dieses Akteurstypus im 19. Jahrhundert in mehreren Mobilisierungswellen enorm gestiegen (vgl. dazu Kleinfeld in diesem Band). Die jüngste und bis heute andauernde Welle begann in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts mit einem regelrechten Gründungsboom, der eine Phase geradezu exponentiellen Wachstums organisierter Interessen einleitete. Heute existiert kaum ein gesellschaftliches Interesse, das nicht direkt oder stellvertretend auch seinen organisatorischen Ausdruck finden würde. Die Bundesrepublik wird daher mit Recht als eine „verbandsstrukturierte Gesellschaft“ (Weippert 1985) oder auch als eine „organisierte Gesellschaft“ (von Alemann 1989) bezeichnet. Sie ist damit wie andere westliche Demokratien auch maßgeblich geprägt von komplex strukturierten Organisationen, die einen festen Platz als Mittler zwischen Gesellschaft und Staat einnehmen. Ihr wesentliches, lange Zeit übersehenes Merkmal ist dabei ihre Multifunktionalität. Die Rolle der Interessenverbände erschöpft sich nämlich nicht in der Einflussnahme auf den politischen Entscheidungsprozess und die Beteiligung an der Umsetzung seiner Ergebnisse. Verbände erbringen vielmehr auch Dienstleistungen für Mitglieder und Klienten, übernehmen staatliche Aufgaben in Eigenregie und prägen als Orte politischer Sozialisation und Kommunikation die politische Kultur (vgl. Kleinfeld et al. 1994: 1). Gleichwohl hat sich die Aufmerksamkeit von Politikwissenschaft und Öffentlichkeit bis heute auf die Beteiligung der Verbände an politischen Entscheidungen, ihren Einfluss auf Politikergebnisse und Implementationsprozesse sowie auf die Voraussetzungen und Folgen dieser Beteiligung und Einflussnahme konzentriert. Dies ist insofern angemessen, als die Bedeutung der Interessenverbände für die politischen Entscheidungsprozesse im Zeitverlauf eher noch zugenommen hat und die Politik ihrerseits die moderne Gesellschaft nach ihrer Fundamentalpolitisierung, durch die virtuell alles politisch werden kann (Greven 1999), immer weiter und tiefer durchdringt.
Ulrich Willems, Thomas von Winter
Die historische Entwicklung der Interessenverbände in Deutschland
Zusammenfassung
Dieser Aufsatz erörtert die historische Entwicklung von Interessenverbänden in Deutschland und stellt dabei das Verhältnis von Verbänden und Staat in den Mittelpunkt. Eine derartige Untersuchungsperspektive hat bei der politikwissenschaftlichen Behandlung von Verbänden lange Zeit dominiert und wurde erst in jüngerer Zeit durch die Betrachtung von Verbänden als Akteure des Dritten Sektors und der Zivilgesellschaft ergänzt. Die Bedeutung der Beziehungen von Verbänden und Staat liegt für Deutschland angesichts der mehrfachen politischen Regimewechsel in den letzten 125 Jahren auf der Hand. Die Darstellung konzentriert sich auf die Zeit von den Anfängen der Verbände bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, da eine differenzierte Analyse der Verbände in der alten und neuen Bundesrepublik Gegenstand dieses Bandes sind.
Ralf Kleinfeld
Das bundesdeutsche Verbandssystem in vergleichender Perspektive. Politische Spannungslinien und politische Ökonomie
Zusammenfassung
Lange Zeit galt das deutsche Modell der Interessenvermittlung als eine optimale Lösung der Konfliktkanalisierung und Kompromissfindung einer sich mäßigenden Interessenpolitik und als zentraler Bestandteil der erfolgreichen „Politik des mittleren Weges“ (Schmidt 1987). In den letzten zwei Jahrzehnten ist angesichts der geringen wirtschaftlichen Dynamik und der negativen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zunehmend Kritik an der Verbandlichung von Politik in Deutschland, der ausgeprägten Vetomacht zentraler Verbände und der Überregulierung der Wirtschafts- und Arbeitsbeziehungen geäußert worden. Die ehedem als Vorteil gepriesene Kapazität, durch verhandlungsdemokratische Elemente ökonomische und soziale Krisenerscheinungen erfolgreich abpuffern und abwenden zu können, scheint sich ins Negative gekehrt zu haben, politische Flexibilität und Reformfähigkeit zu stark eingeschränkt zu sein. Das legt die Frage nahe, ob und in welchem Ausmaß sich das deutsche Verbandssystem von dem anderer Länder unterscheidet und ob es Eigenheiten in seinen Kooperations- und Koordinationsstrukturen aufweist, die es von anderen Verbandssystemen in Europa in einer Weise absetzt, die die Kritik am deutschen Modell der Interessenvermittlung rechtfertigt.
Bernhard Weßels
Mobilisierung und Organisation von Interessen
Zusammenfassung
„Interessengruppen/Interessenverbände“ werden in dem von Dieter Nohlen, Rainer-Olaf Schultze und Suzanne S. Schüttemeyer herausgegebenen siebten Band des Lexikons der Politik definiert als „dauerhaft organisierte, i.d.R. auf freiwilliger Mitgliedschaft basierende Zusammenschlüsse wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Gruppen mit dem Zweck, nach außen gemeinsame Interessen zu artikulieren und direkt oder indirekt auf polit[ische] Entscheidungsprozesse Einfluß zu nehmen sowie nach innen die unter Umständen divergierenden Einzelinteressen ihrer Mitglieder zu koordinieren und zusammenzufassen“ (Thibaut 1998: 281). In diesem Sinne sind Interessenverbände Resultat von mobilisierten Interessen, die – mit einer inneren Ordnung versehen – auf Dauer gestellt sind, um den Unwägbarkeiten kurzfristigen sozialen Engagements zu entgehen (vgl. auch: Hirschman 1982; von Alemann 1989: 29-31; Weber 1976: 71-73).
Werner Reutter, Peter Rütters
Die Institutionalisierung der Politikbeteiligung von Verbänden in Deutschland
Zusammenfassung
Die Beurteilungen der Verbände und ihrer Rolle in der Politik fallen ambivalent aus. Auf der einen Seite wird die „Herrschaft der Verbände“ (Eschenburg 1955) beklagt, wobei nicht nur die Einflussnahme der Verbände auf staatliche Entscheidungen auf Bedenken stößt, sondern auch ihre „Ausübung autonomer Steuerungsmacht“ (Kielmannsegg 1979: 145f.). Auf der anderen Seite werden die Verbände als legitime und unverzichtbare Elemente der modernen Gesellschaft bejaht. Diese Ambivalenzen sind nicht überraschend. Problematisch sind die Verbände vor allem deshalb, weil sie das Spektrum der Interessen und Präferenzen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen nicht ungebrochen widerspiegeln, sondern in verzerrter Weise in den politischen Raum einspeisen. Innerverbandliche Demokratie ist ebenso wenig selbstverständlich wie das in den Pluralismustheorien vielfach unterstellte „Gleichgewicht der Kräfte“ im Außenverhältnis (vgl. Beyme 1980: 121). Und weil davon ausgegangen werden muss, dass die Verbände mit ihrer Interessenpolitik durchaus auch etwas bewirken – sei es in Form von „pressure“, „capture“ oder „Klientelismus“ – besteht immer die Gefahr, dass sich die politischen Entscheidungen nicht mit den Bedürfnissen und Präferenzen der Gesellschaft decken.
Helmut Voelzkow

Verbändetypen

Frontmatter
Gewerkschaften
Zusammenfassung
Gewerkschaften sind die Interessenverbände der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenüber Arbeitgeberverbänden und dem Staat. Die Strukturen und Funktionen von Gewerkschaften unterscheiden sich nach Ländern, Sektoren, Berufsgruppen und über die Zeit hinweg. Traditionell hatten Gewerkschaften drei wesentliche Funktionen: erstens Arbeitnehmer durch Versicherungsleistungen gegen soziale Risiken abzusichern, zweitens mit Arbeitgebern in Tarifverhandlungen Standards der Arbeitsbedingungen zu entwickeln und drittens durch politische Lobbyarbeit individuelle und kollektive Rechte der Arbeitnehmer zu sichern (Webb/Webb 1894; siehe auch von Beyme 1977). Auch heute sind Gewerkschaften noch in diesen drei Feldern aktiv. Allerdings ist die Bedeutung der sozialen Sicherung mit dem Ausbau moderner Wohlfahrtsstaaten zunehmend in den Hintergrund gerückt.
Anke Hassel
Arbeitgeberverbände
Zusammenfassung
Arbeitgeberverbände gehören zur Gruppe der Unternehmerverbände, die angetreten sind, um kollektives Handeln von wirtschaftlichen Konkurrenten zu organisieren, indem sie versuchen, gemeinsame Interessen gegenüber dem Staat, den Gewerkschaften und der „Wirtschaft“ selbst zu artikulieren, zu repräsentieren und durchzusetzen. Hinsichtlich der verschiedenen Märkte, auf denen Unternehmen agieren, besteht die wesentliche organisatorische Ausdifferenzierung in Deutschland in einer güter- und einer arbeitsmarktbezogenen Verbändelandschaft, also in Wirtschaftsverbände einerseits und Arbeitgeberverbände andererseits. Die meisten anderen OECD-Länder kennen diese Trennung nicht. Arbeitgeberverbände schließen mit den Gewerkschaften bindende Regelungen (Tarifverträge) ab, vertreten die sozialpolitischen Interessen der Mitgliedsfirmen gegenüber staatlichen und halbstaatlichen Organisationen und beteiligen sich an staatlichen Gremien sowie an der Selbstverwaltung der Sozialversicherungen.
Wolfgang Schroeder
Wirtschaftsverbände. Verbandspolitik im Spannungsfeld von divergierenden Interessen und hierarchischer Integration
Zusammenfassung
Das verhandlungsdemokratische Modell des „rheinischen Kapitalismus“ hat die Transformation zur „Berliner Republik“ nicht unbeschadet überstanden (Hampton/Soe 1999; Kitschelt/Streeck 2004). Die Gründe hierfür liegen in den Nachwirkungen der Wiedervereinigung und in der zunehmenden Internationalisierung von Wirtschaft und Staat in Deutschland, die einen erheblichen Anpassungsdruck auf die traditionellen gesellschaftlichen Strukturen ausüben.
Achim Lang, Volker Schneider
Wohlfahrtsverbände. Interesse und Dienstleistung
Zusammenfassung
Die Wohlfahrtsverbände weisen im Unterschied zu anderen Interessenverbänden in Deutschland wichtige Besonderheiten auf. Verbandstätigkeit umfasst bei ihnen nicht nur die „klassischen“ Verbandstätigkeiten der Interessenaggregation und -vermittlung, sondern auch die Durchführung und Organisation von Dienstleistungen. Dies trifft auf alle sechs Wohlfahrtsverbände bzw. „Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege” (als offizieller Sammelterminus) in Deutschland zu: auf die Arbeiterwohlfahrt, den Caritasverband, das Diakonische Werk, den Paritätischen Wohlfahrtsverband, das Deutsche Rote Kreuz und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden sowie auf deren jeweils nachgeordnete Verbandsgliederungen. Die Wohlfahrtsverbände weisen aufgrund dieser Doppelfunktion spezifische, sie von anderen Verbänden unterscheidende Charakteristika auf (Schmid 1992; Backhaus-Maul/Olk 1994).
Josef Schmid, Julia I. Mansour
Ärzteverbände. Niedergang eines Erfolgsmodells?
Zusammenfassung
Ärzteverbände gehören zu den erfolgreichsten Interessenverbänden der Bundesrepublik Deutschland. Spätestens seit der erfolgreichen Beteiligung führender Vertreter der Ärzteverbände an der Blockade der von Arbeitsminister Theodor Blank in den 1960er Jahren geplanten Gesundheitsreformen (vgl. Naschold 1967; Safran 1967: 99-125) gilt die „Lobby in Weiß“ (Rauskolb 1976) als unüberwindbarer faktischer Vetospieler in der deutschen Gesundheitspolitik (vgl. Wiesenthal 1981: 28-39; Rosewitz/Webber 1990; Immergut 1992). Politikwissenschaftliche Studien haben diesen besonderen Erfolg deutscher Ärzteverbände zunächst unter einflusstheoretischer Perspektive auf besondere Machtressourcen und Organisationsstrukturen zurückgeführt (vgl. Stobrawa 1979). Spätere Arbeiten haben das Phänomen aus steuerungstheoretischen Perspektiven analysiert (vgl. etwa Veith 1988; Wanek 1994; Gerlinger 2002). Andere Studien – vor allem aus den 1980er Jahren – behandelten die besondere Rolle und die Entwicklungen, die Ärzteverbände im spezifischen Mesokorporatismus des deutschen Gesundheitswesens spielten. Hier wurden zunächst die Werkzeuge der theoretischen Ansätze des klassischen Tauschkorporatismus genutzt (vgl. Lehmbruch 1988). Anfang der 1990er Jahre traten korporatismustheoretische gegenüber netzwerkanalytischen Perspektiven zunächst in den Hintergrund (vgl. etwa Döhler 1990). Unter Nutzung eines veränderten Korporatismusverständnisses erlebt die korporatismustheoretische Sicht allerdings in den letzten Jahren zumindest begrifflich eine Renaissance (Jochem/Siegel 2003).
Nils C. Bandelow
Bauernverbände. Agrarische Interessenpolitik, institutionelle Ordnung und politischer Wettbewerb
Zusammenfassung
Der 1948 als Einheitsverband gegründete Deutsche Bauernverband (DBV) gilt als einer der schlagkräftigsten Interessenverbände in Deutschland, was nicht zuletzt auf die außerordentlich hohe Organisationsdichte und sein bis in die 1990er Jahre hinein erfolgreich behauptetes Repräsentationsmonopol zurückzuführen ist. Die Land- und Agrarwirtschaft unterliegt in Deutschland seit anderthalb Jahrhunderten einer staatlichen Dauerintervention, die besonderen Verbands- und Machtstrukturen den Boden bereitet hat. Der DBV ist das Paradebeispiel für eine kontextgesteuerte Interessentenpolitik. Die überragende Bedeutung der staatlichen Agrarförderung für die Lebenslage der landwirtschaftlichen Erwerbsbevölkerung hat dafür gesorgt, dass die „Einflusslogik“ der Agrarpolitik sehr viel stärker Strukturen und Strategien der Bauernverbände bestimmte als die sozial- und erwerbsstrukturellen Merkmale der Mitglieder. Die umfassende Abhängigkeit der Landwirtschaft von Staatshilfen und die Allgegenwart einer behördlichen Betriebsberatung, die personalpolitisch eng mit dem DBV verknüpft ist, sind die hauptsächlichen Gründe, warum die rund 190.000 Haupterwerbslandwirte zu fast 99 % und die rund 250.000 Nebenerwerbslandwirte zu mehr als zwei Dritteln Mitglieder in einem der Landes- oder Fachverbände des DBV sind. Die politische Privilegierung des DBV war das Ergebnis institutionell vorstrukturierter Handlungs- und Einflussmöglichkeiten. Aus diesem Grund waren und sind es sehr weitgehend die Strukturen und Inhalte der staatlichen Agrarpolitik, die bestimmen, welche Ideen und Interessen in der agrarischen Verbandspolitik mit welchem Gewicht zum Tragen kommen.
Elmar Rieger
Kirchen
Zusammenfassung
Die beiden großen christlichen Kirchen und die unzähligen Organisationen in ihrem Umfeld zählen zweifellos zum Kreis der einflussreichen und erfolgreichen Akteure in der bundesdeutschen Politik. Als mitgliederstarke, finanzkräftige, sozial- und arbeitsmarktpolitisch relevante und mit einem vorteilhaften rechtlichen Status und zahlreichen weiteren Privilegien versehene gesellschaftliche Organisationen beteiligen sich die Kirchen intensiv an der politischen Willensbildung. Was den Umfang und die Reichweite ihrer politischen Aktivitäten anbelangt, so existieren wohl nur wenige politische Fragen, zu denen sich die Kirchen nicht schon einmal geäußert hätten. Ihre Zugangs- und Einflusschancen beruhen nicht zuletzt darauf, dass nach wie vor ein großer Teil der politischen Elite Mitglied in einer der beiden Kirchen ist. Doch das politikwissenschaftliche Wissen über die Kirchen in der Bundesrepublik ist begrenzt. Denn die Kirchen zählten und zählen nicht zu den etablierten Forschungsgegenständen der deutschen Politikwissenschaft. Das gilt auch für die Verbandsforschung. So liegen zu Art und Weise sowie Ausmaß des Einflusses der Kirchen nach wie vor nur wenige Studien vor. Dieses Forschungsdefizit lässt sich nicht nur darauf zurückführen, dass es sich bei den Kirchen um komplexe Gegenstände handelt (Oberndörfer/ Schmitt 1983: 8) und dass sie auf dem Hintergrund des säkularisierungstheoretischen Hintergrundkonsenses des Faches vom unvermeidlichen Niedergang der Religion in der Moderne keine zukunftsträchtigen Forschungsgegenstände abgaben (Willems 2001b: 78). Umstritten ist vielmehr auch, ob die Kirchen überhaupt zu den Interessenverbänden gerechnet werden können. Zudem ist unklar, welche ‚Interessen‘ sie im politischen Prozess geltend machen (2). Im Anschluss an die Diskussion dieser Fragen werden die Organisationsstrukturen der Kirchen als politische Akteure skizziert (3). Vor diesem Hintergrund werden dann die Ressourcen, Strategien und Instrumente kirchlicher Einflussnahme diskutiert (4-6). Eingangs soll jedoch in wenigen Strichen ein Bild von den Kirchen als gesellschaftlichen Akteuren gezeichnet werden (1).
Ulrich Willems
Sozialverbände
Zusammenfassung
Gesellschaftliche Gruppen außerhalb des Erwerbssystems (von Winter/Willems 2000: 14 ff.) haben sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend in eigenen Zusammenschlüssen formiert, um Strukturen für die Bewältigung von sozialen Problemen zu schaffen und um sozialpolitische Anliegen nach außen zu vertreten. Die zahlreichen Kriegsopfer- und Behindertenverbände, Altenorganisationen, Patientenvereinigungen, Arbeitslosen- und Sozialhilfeinitiativen, die hier zusammenfassend als Sozialverbände charakterisiert werden, bilden einen eigenen Sektor im Verbändespektrum, der sich mittlerweile neben erwerbsbezogenen Organisationen, Public Interest Groups und Wohlfahrtsverbänden fest etabliert hat (Sebaldt 1997: 80, 137-138). Die selbstorganisierte Vertretung sozialpolitischer Ansprüche bildet allerdings nur die Klammer für ein Spektrum von Organisationen, die sich hinsichtlich der sozialen Merkmale der Mitgliederklientel, des Ausmaßes der Institutionalisierung und der politischen Handlungsfähigkeit stark unterscheiden. Ein Vergleich der Sozialhilfeinitiativen mit ihren nur wenigen, kaum politisch aktiven Mitgliedern und der schwachen überregionalen Vernetzung mit den großen, bundesweit gut organisierten Kriegsopfer- bzw. Sozialverbänden macht die große Spannweite der im Sektor Sozialverbände angesiedelten Zusammenschlüsse deutlich. Für die Mehrzahl der Gruppen gilt jedoch, dass ihre Mitglieder über wenige Ressourcen verfügen und/oder mit geringem Interessenbewusstsein ausgestattet sind. Im Folgenden werden Sozialverbände unter dem Gesichtspunkt betrachtet, welche Gruppen sich in welchem Ausmaß zu welchem Zeitpunkt organisieren, welche Mittel ihnen zur Stabilisierung von Organisationsstrukturen zur Verfügung stehen und in welcher Weise sie politische Interessenvertretung betreiben.
Thomas von Winter
Umweltverbände
Zusammenfassung
Die deutschen Umweltverbände sehen sich derzeit mit zwei scheinbar unvereinbaren Anpassungserfordernissen gleichzeitig konfrontiert: Gesellschaftliche Wandlungsprozesse einerseits und Veränderungen der politisch-institutionellen Kontextbedingungen andererseits lassen vermuten, dass ein Zielkonflikt zwischen der umweltverbandlichen Ressourcenmobilisierung und der Interessendurchsetzung entstanden sein könnte. Umweltverbände bilden einen Modellfall, bei dem sich hinsichtlich des von Verbändeforschern generellals vielschichtig beschriebenen Input-Output-Spannungsverhältnisses zwischen verbandlicher Mitglieder-und Einflusslogik gut demonstrieren lässt, wie auf gleichzeitig auftretende und dabei anscheinend in entgegengesetzte Richtung wirkende Herausforderungen mit Modifikationen von Verbandsstrukturen und -zielen sowie mit Veränderungen von input- und outputgerichteten Strategien und Aktionsformen reagiert wird. Nach einem knappen Portrait der deutschen Umweltverbandsszene werden daher zunächst die Herausforderungen und dann die daraus resultierenden Probleme eines gleichzeitigen Wandels der Strategien der Ressourcenmobilisierung und der Interessendurchsetzung dargestellt. In einem weiteren Schritt werden die von den Verbänden vorgenommenen Strategieanpassungen vorgestellt. Dabei wird sich zeigen, dass die Umweltverbände, anders als man vermuten würde, die Professionalisierung der Interessendurchsetzung nicht mit Verlusten bei der Ressourcenmobilisierung bezahlt haben. Der Beitrag mündet schließlich in die These, dass die Umweltverbände durch den gleichzeitigen Wandel der Strategien der Ressourcenmobilisierung und der Interessendurchsetzung eben nicht in ein Dilemma geraten sind, weil sie auf die Rekrutierung eines neuen Typus von Unterstützern gesetzt haben, der bereit ist, eine (stellvertretende) Repräsentation von moralischen Anliegen finanziell zu unterstützen, ohne sich selbst aktiv beteiligen zu wollen oder zu können.
Joachim Amm

Verbände in gesellschaftlichen und politischen Prozessen

Frontmatter
Verbände als Dienstleister und Träger öffentlicher Aufgaben
Zusammenfassung
„Wenn Sie Mitte fünfzig sind, weiblich, sportbegeistert (Golfen), gern reisen und Chopin lieben, dann teilen wir eine Reihe Gemeinsamkeiten – ein gute Basis zum Kennenlernen. Rufen Sie mich an oder schreiben Sie ein E-Mail.“
Annette Zimmer
Verbände in Politiknetzwerken
Zusammenfassung
Unkonventionelle Kooperationen und Allianzen mit und zwischen Verbänden sind heutzutage kaum noch ungewöhnlich. Vermehrt weichen Interessengruppen und -vereinigungen von eingeschliffenen Kooperationspfaden ab und überwinden – da wo es ihren eigenen Interessen dient – alte Feindbilder. Direkte Konkurrenten um das Vertretungsmandat von Interessen, Verbände aus vollkommen unterschiedlichen Politikfeldern und Organisationen, die auf unterschiedlichen politisch-hierarchischen Ebenen angesiedelt sind, kooperieren, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Kurzfristige Allianzen sind genauso anzutreffen wie langfristige Formen der Zusammenarbeit. Ebenso wie unkonventionelle Kooperationen rücken zunehmend – zumindest bislang – ungewöhnliche Konfrontationen ins Rampenlicht der Öffentlichkeit.
Ursula Bazant, Klaus Schubert
Verbände und Parteien
Zusammenfassung
Parteien und Interessenverbände bilden zwei Grundtypen politischer Organisation, die im Rahmen politischer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse Chancen und Funktionen der Interessenvermittlung wahrnehmen. Wie sie sich zueinander verhalten, erfordert Klärungen in drei Richtungen: a) zu den Unterschiedenzwischen ihnen, b) zu ihren gegenseitigen Beziehungsmustern, und c) zu den Faktoren, die Struktur und Entwicklung dieser Unterschiede und Beziehungen beeinflussen und somit erklären können. Im Folgenden werden zunächst konzeptionelle Differenzierungen auf deskriptiver Ebene zu Unterschieden und Beziehungsmustern vorgenommen (1.). Im zweiten Kapitel werden wichtige besondere Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 skizziert. Ein Zwischenkapitel (3.) umreißt das Grundmuster für die Bundesrepublik. Schließlich werden im Kapitel 4 allgemeinere Entwicklungstrends auf ihre Erklärungskraft abgeklopft.
Theo Schiller
Das Spannungsfeld von Verbänden und Medien: Mehr als öffentlicher Druck und politischer Einfluss
Zusammenfassung
Das Verhältnis von Interessenverbänden und Medien ist bislang weithin eine Grauzone geblieben. Es wird von beiden Seiten nur schwach beleuchtet, da man das Verhältnis sowohl in der Verbändeforschung als auch in der Medienforschung für eher sekundär hält. Im Vordergrund steht bei der einen Forschungsrichtung stattdessen das Verhältnis von Verbänden und Staat, bei der anderen das Verhältnis von Medien und Parteien. Das Verhältnis von Verbänden und Medien ist dementsprechend im Schatten geblieben. Es soll im Folgenden gezeigt werden, dass die Beziehung zwischen den Organisationstypen sowohl die Verbandspolitik und ihre Leistungen als auch die Medienpolitik und ihre Ergebnisse in hohem Maße prägt.
Gerhard Vowe
Verbände im Transformationsprozess Ostdeutschlands
Zusammenfassung
Die Wiedervereinigung Deutschlands im Jahre 1990 stellte auch die Verbände vor große Herausforderungen. Willy BrandtsLosung, dass nunmehr zusammenwachse, was zusammen gehöre, war gerade im Bereich zivilgesellschaftlicher Strukturen umso schwieriger zu befolgen, als in der DDR ein pluralistisches System organisierter Interessen per definitionemnicht hatte existieren können. Die vorliegende Abhandlung geht daher der Frage nach, wie dieses gesamtdeutsche verbandliche „Organisationsproblem“ (Löbler/Schmid/Tiemann 1992) gelöst wurde bzw. welche Probleme noch heute ihrer Bewältigung harren. Dabei werden zunächst die Grundlinien der Diskussion nachgezeichnet, die sich in der Verbandsforschung seit der Wiedervereinigung nachweisen lassen. Die Diskussion nahm ihren Ausgang von Gerhard LehmbruchsInstitutionentransfer-These (Lehmbruch 1991) und kreiste im folgenden Jahrzehnt im Grunde um eine Kernfrage: In welchem Ausmaß ist die verbandliche Wiedervereinigung durch einen Transfer etablierter westdeutscher Organisationsstrukturen in die neuen Bundesländer erfolgt bzw. durch die Fusion autonom entstandener west- und ostdeutscher Interessenstrukturen?
Martin Sebaldt

Verbände auf unterschiedlichen Politikebenen

Frontmatter
Nationale Verbände und soziale Bewegungen in Europa
Zusammenfassung
Die dynamische Entwicklung der Europäischen Union (EU) und ihre gestiegene politische Bedeutung haben weitreichende Auswirkungen auf die Mitgliedstaaten. Die Konsequenzen der europäischen Integration für nationale Akteure, Strukturen und Prozesse werden in der EU-Forschung zusammenfassend mit dem Begriff der Europäisierung beschrieben. In diesem Beitrag geht es um die Europäisierung der Interessengruppen sowie der Strukturen der Interessenvermittlung in Deutschland. Dazu betrachte ich zunächst die Veränderung der politischen Opportunitätsstrukturen in der EU und ihre Konsequenzen für nationale Verbände. Daraufhin untersuche ich die Anpassung der verbandlichen Organisation und Willensbildung an das EU-Mehrebenengefüge. Während im Mittelpunkt dieser Abschnitte Unternehmen und Wirtschaftsverbände stehen, rücken im folgenden Kapitel soziale Bewegungen und deren Verbände ins Zentrum der Analyse. Des Weiteren geht es um die Konsequenzen des Mehrebenensystems für den Einfluss staatlicher Akteure und privater Interessengruppen. Schließlich untersuche ich die Wirkung der EU auf die deutschen Muster der Interessenvermittlung und verbandlichen Selbstregelung. Zentrales Resultat der Analyse ist, dass die Europäisierung der Interessengruppen und Interessenvermittlung nicht zu einer grundlegenden Umwälzung der Machtstrukturen und Arbeitsteilung im deutschen Verbandssystem führt, sondern eine Ausweitung bzw. Modifikation etablierter Praktiken zur Folge hat.
Rainer Eising
Verbände auf kommunaler Ebene
Zusammenfassung
Zum Themenbereich Verbände auf kommunaler Ebene sind bisher nur wenige Überblicksaufsätze publiziert worden (Gabriel 1981; Heinze/Voelzkow 1998). Insofern fragt sich, ob eine Beschäftigung mit diesem Thema überhaupt lohnend ist. Betrachtet man jedoch die Besonderheiten von Verbandstätigkeit vor allem im Bereich der kleinen und mittleren Städte und Gemeinden, so kann man diese Frage getrost bejahen. Denn hier zeigen sich Strukturen einer personenvermittelten, konfliktvermeidenden und eher intransparenten Interessenvertretungspolitik, die sich von den Strukturen auf anderen Politikebenen in charakteristischer Weise deutlich unterscheiden. Im Folgenden werden zunächst diese Besonderheiten von Verbänden auf lokaler Ebene skizziert, bevor anschließend gefragt wird, ob die vorherrschende Interessenvertretungsstruktur aufgrund neuerer kommunaler Trends unter Veränderungsdruck gerät. Etablieren sich auf lokaler Ebene nun Strukturen einer transparenteren und konflikthafteren Interessensvertretungspolitik? Dieser Frage wird im dritten Kapitel anhand von vier Skizzen der kommunalen Verbändelandschaft in wichtigen Politikfeldern nachgegangen. Eine Zusammenfassung rundet den Argumentationsgang ab.
Lars Holtkamp, Jörg Bogumil
Backmatter
Metadaten
Titel
Interessenverbände in Deutschland
herausgegeben von
Dr. Thomas von Winter, Dipl.-Pol.
Dr. phil Ulrich Willems, Dipl.-Soz.
Copyright-Jahr
2007
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-90602-7
Print ISBN
978-3-531-14589-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-90602-7