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30.04.2018 | Kläranlagen | Interview | Online-Artikel

"Vierte Reinigungsstufe löst nicht das Spurenstoff-Problem"

6 Min. Lesedauer

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Anthropogene Spurenstoffe in der aquatischen Umwelt sind nicht ohne Folgen für Ökosysteme und Menschen. Professor Klaus Kümmerer fordert bei der Lösungssuche stärker an der Quelle anzusetzen.

Springer Professional: Welche wesentlichen Erkenntnisse liegen zu den Spurenstoffen vor und was kann daraus abgeleitet werden?

Klaus Kümmerer: Wir können festhalten, dass anthropogene Spurenstoffe überall in der aquatischen Umwelt nachweisbar sind, häufig auch in ähnlichen Konzentrationen. In den letzten Jahren wurde ebenfalls festgestellt, dass in Konzentrationsbereichen wie wir sie in der Umwelt finden, durchaus mit Wirkungen auf Organismen in der Umwelt zu rechnen ist. Wenn es dabei auch nicht um akute Toxizität geht, so doch chronische Toxizität bis hin zu Verhaltensveränderungen bei Fischen. Hinzu kommt, dass die Einzelstoffbewertung wahrscheinlich nicht ausreichend ist, da wir in der Praxis Stoffgemische haben. Aktuelle Untersuchungen deuten darauf hin, dass insbesondere durch oxidative Behandlung, wie beispielsweise Behandlung mit Ozon, bestimmte resistente Bakterien einen Selektionsvorteil haben könnten.

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Der DWA-Präsident Otto Schaaf forderte kürzlich bei der Suche nach Lösungen an der Quelle anzusetzen, was wichtiger sei, als den Kläranlagenbetreibern die Verantwortung zuzuweisen. Ist der Technologieglaube in Deutschland zu groß, als dass die Industrie, Landwirtschaft, Gesundheitswesen und die Gesellschaft ihr Handeln mehr reflektieren und Verhalten ändern?

In der Tat waren wir in Deutschland mit technischen Ansätzen zur Abwasserreinigung in der Vergangenheit sehr erfolgreich und haben damit viele Probleme gelöst. Die Einführung der konventionellen Abwasserreinigung, nicht zuletzt zur Hygienisierung, ist wohl einer der größten Fortschritte. Mit den Spurenstoffen kommen wir nun aber an Grenzen, denn es zeigt sich, dass die in Diskussion befindliche erweiterte Abwasserreinigung das Problem nicht lösen kann, sondern verdeckt oder gar verlagert. Keines der Verfahren kann die Mehrheit der Stoffe voll umfänglich entfernen, oft gar nicht. Insbesondere die chemischen Oxidationsverfahren und Behandlungen mit Licht oder in Kombination davon führen häufig nicht zur vollständigen Mineralisierung, das heißt zum Abbau zu Kohlendioxid und Wasser. Meist bleibt der Abbau der Stoffe auf einer Stufe dazwischen stehen. Dabei werden neue Moleküle gebildet, mit neuen und oft unbekannten Eigenschaften was Umweltverhalten und Toxizität anbelangt. Viele dieser Stoffe kennen wir nicht und können wir auch nicht quantifizieren.

Insbesondere für die Spurenstoffe müssen wir daher zurück zur Quelle, denn was gar nicht erst eingetragen wird, was sich nicht im Abwasser findet, muss auch nicht entfernt werden. Insbesondere alle endverbrauchernahen Produkte, dazu gehören die Bereiche die sie genannt haben sowie weitere, die häufig sogar bestimmungsgemäß in die aquatische Umwelt und ins Abwasser gelangen, gelangen dort ja nicht hin, weil etwas falsch gemacht wird, sondern weil die Stoffe und Produkte die verwendet werden, nicht die Eigenschaft haben in der Umwelt oder in der Kläranlage schnell und vollständig mineralisiert zu werden. Bei Maßnahmen an den Quellen sind alle Akteure gefragt.

Sie sagen ohne Chemie gibt es keine nachhaltige Entwicklung und beschäftigen sich mit nachhaltiger Chemie. Welchen Beitrag kann ihr Fachgebiet leisten, damit zum Beispiel Antibiotika, Schmerzmittel und Pestizide nicht in die Gewässer oder ins Trinkwasser gelangen können?

Auch wenn es heutzutage vielen nicht präsent ist, unsere ganze materielle Welt auf der unser Lebensstandard beruht, sämtliche Produkte wie Textilien, Arzneimittel, Flammschutzmittel, Wärmedämmstoffe, Materialien der Elektronik und somit der Digitalisierung, Farben, Pestizide, Waschmittel et cetera sind letztendlich chemische Produkte. Diese müssen beispielsweise künftig so gestaltet sein, dass sie, sofern sie in die Umwelt gelangen, dort schnell und vollständig abbaubar sind. Diesen Beitrag kann natürlich nur die Chemie leisten, da nur die Chemiker und Chemikerinnen die entsprechende Expertise haben, wie dies gemacht werden kann. Zumal die für die Anwendung notwendigen Eigenschaften ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Nachhaltige Chemie geht noch einen Schritt weiter. Sie fragt zuerst, warum bestimmte Stoffe angewendet werden. Das heißt, es geht um ihre Funktion um deren Willen wir sie nutzen. Niemand will ja Chemikalien oder andere chemische Stoffe nur deshalb nutzen, weil es chemische Stoffe sind, sondern wegen der Funktion die sie liefern, wie Flammschutz, Weichmacher in Kunststoffen, Pflanzenschutz oder eben bestimmte Wirkungen eines Arzneimittels. Das Verständnis der nachhaltigen Chemie setzt an dieser Stelle an und fragt, gibt es nichtchemische Alternativen in denen anders gehandelt wird oder wo Verfahrensabläufe anders gemacht werden können.  

Sie arbeiten an der Entwicklung umweltverträglicher Pharmawirkstoffe und konnten sogar schon welche patentieren. Welche sind das und auf welches Interesse stoßen die Ergebnisse bei der Industrie?

In der Tat arbeiten wir genau an diesem Punkt, wie man Arzneimittel beziehungsweise ihre Wirkstoffe und andere Inhaltsstoffe, aber auch andere Chemikalien so gestalten kann, dass sie die für ihre Anwendung notwendige Eigenschaft, also beispielsweise pharmazeutische Wirkung, behalten oder vielleicht noch besser sind und gleichzeitig nachdem sie in die Umwelt gelangt sind, dort schnell und vollständig abbaubar sind. Der Gedanke dabei ist nicht von Stabilität eines Stoffes um jeden Preis auszugehen, sondern zu überlegen, wo muss er eine bestimmte Lebenszeit haben und wo sollte er möglichst schnell abbaubar sein. Das heißt, wir kommen zum eigentlichen chemischen Denken zurück, nämlich Denken in Reaktivitäten und fragen, an welchen Stationen entlang des Lebenslaufes herrschen welche Bedingungen die wir nutzen können, um die erforderlichen Eigenschaften und schnelle oder langsame Reaktionen zu ermöglichen. So ist der pH-Wert im menschlichen Magen ganz anders als beispielsweise in der Umwelt oder in der Kläranlage. Auch die Bakterien, die involviert sind, sind unterschiedlich, der Zutritt von Licht ist unterschiedlich. Da gibt es also eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten. Wir haben mit verschiedenen Ansätzen was Methodik und Vorgehensweise anbelangt, am Beispiel von Betablockern und für zwei Antibiotika aus der Gruppe der Fluorchinolone gezeigt, dass es neue Stoffe geben kann die wirksam sind, die die für die Anwendung notwendigen Eigenschaften erfüllen und die gleichzeitig in der Umwelt abbaubar sind.

Eine Spurenstoff-Strategie des Bundes gibt es noch nicht, aber mehrere Stakeholder-Dialoge werden geführt. Wo müssen jetzt Prioritäten liegen?

Aufgrund ihrer Grenzen ist zumindest die vierte Reinigungsstufe nicht die alleinige Lösung, sondern sie ist eher als kritisch und als im Ausnahmefall, zum Beispiel in der Industrie, anwendbar zu betrachten. Es müssen vielmehr auch andere Maßnahmen an der Quelle, bei der Verwendung der Stoffe bedacht und in die Praxis eingeführt werden. In diesen Bereichen müssen die Prioritäten liegen, ohne eine Verbesserung der Abwasserreinigung grundsätzlich auszuschließen, soweit es da noch sinnvolles Potenzial gibt. Neben neuen und guten Ideen braucht es sicher mehr Forschung in diesem Bereich und es müssen wie zum Teil schon geschehen alle Stakeholder einbezogen werden. Dazu zählen nicht nur die Industrie und Anwender und im Fall der Pharmazeutika der Ärzte und Apotheker, sondern auch die Verbraucher. Daneben aber auch beispielsweise die großen Handelsketten, denn die bestimmen ebenfalls maßgeblich mit, was in ihren Produkten drin ist oder nicht drin ist, beziehungsweise enthalten sein sollte. 

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