Das Stufenmodell besteht aus vier Stufen: die materielle und allgemeine Unsichtbarkeit (I), die lokale Sichtbarkeit (II), die öffentliche Sichtbarkeit (III) und die öffentliche Anerkennung der Tailings als Ursache eines sozial-ökologischen Problems (IV). Die Stufen sind dabei allerdings kein permanenter Zustand eines Tailings, sondern stellen Etappen des (Un-)Sichtbarkeitsprozesses dar. Ein gleicher Fall kann innerhalb des Modells im Laufe der Zeit wiederholt auf- und absteigen. Die (Un-)Sichtbarkeitsanalyse soll es darüber hinaus ermöglichen, die untersuchten Fälle weder rein mikrosoziologisch zu analysieren noch die beobachteten Phänomene allein auf makrosoziologische Erklärungsansätze zurückzuführen. Wie die Forschungsergebnisse der einzelnen Fälle gezeigt haben, setzt sich die (Un-)Sichtbarkeit aus sehr unterschiedlichen Faktoren innerhalb der einzelnen Stufen zusammen, die allesamt von großer Bedeutung sind, um die (Un-)Sichtbarkeitsausprägungen und ihre Ursachen zu begreifen. Um in diesem Kontext die handelnden Akteure und ihre (inter)actions zu untersuchen, müssen gleichzeitig sowohl die materiellen und sozialen Gegebenheiten sowie der sozioökonomische Gesamtkontext der chilenischen Gesellschaft und die strukturellen Rahmenbedingungen, in denen sie handeln und die ihr Handeln teilweise direkt beeinflussen, berücksichtigt werden.
9.1.1 Erste Stufe der (Un-)Sichtbarkeit
Die materielle Unsichtbarkeit der Schadstoffe und die gesellschaftliche Unsichtbarkeit der Betroffenen
Die Großzahl der heute in Chile bestehenden bekannten und registrierten Tailings befinden sich auf Stufe I. Sie werden demnach weder öffentlich als sozial-ökologisches Problem wahrgenommen noch von den Betroffenen klar als solches identifiziert. Diese Stufe stellt so etwas wie den Idealtypus eines
slow violence-Phänomens dar. Auf dieser Stufe bestehen die beteiligten Akteure hauptsächlich aus den Betroffenen,
5 den zuständigen staatlichen Behörden und dem verursachenden Unternehmen, wobei letzteres in der Regel nicht mehr existiert oder nicht mehr vor Ort aktiv ist. Viele der Tailings aktiver Bergwerke und so gut wie alle inaktiven und historischen Tailingdeponien sind in Chile derzeit gesellschaftlich komplett unsichtbar. Der in dieser Forschung untersuchte Fall von Pabellón ist einer von ihnen. Ausschlaggebend für die Unsichtbarkeit der Tailings in Pabellón sind in erster Linie die materiellen und sozial-ökonomischen Gegebenheiten. Die meisten Tailings – wie auch die in Pabellón – zeichnen sich durch ihre
materielle Unsichtbarkeit aus. Da sie sich hauptsächlich aus Elementen aus der Umgebung zusammensetzen (Erze), sind sie ohne das Wissen über ihre Existenz meist nicht von ihrer Umgebung unterscheidbar. Zu der Schwierigkeit, die Tailingdeponien selbst von ihrer Umwelt zu unterscheiden, kommt noch die Tatsache hinzu, dass die in ihnen enthaltenen Schadstoffe (eine Mischung unterschiedlicher Chemikalien und Schwermetallen) für die menschlichen Sinne nicht wahrnehmbar sind und somit die Kernmerkmale der
slow violence (Nixon 2011) aufweisen, indem sie sich schleichend und unbemerkt auf die Umgebung ausbreiten, in Pflanzen, Körper und ganze Nahrungsketten und Ökosysteme eindringen und ihre Wirkung meistens kumulativ und über lange Zeiträume entfalten. Besonders bei historischen Tailings ist ihre Existenz und Zusammensetzung durch die heutige Abwesenheit der verursachenden Produktionsstätten und das über die Jahre eingetretene
kollektive Vergessen meistens nicht mehr rekonstruierbar.
Neben der materiellen Unsichtbarkeit der Tailings ist es besonders die gesellschaftliche
Unsichtbarkeit der Betroffenen selbst, die zur Unsichtbarkeit ihrer Probleme beiträgt. Bei den BewohnerInnen von Pabellón handelt es sich größtenteils um sozial und ökonomisch benachteiligte und gesellschaftlich marginalisierte Bevölkerungsgruppen. Sie verfügen weder über grundlegende Infrastruktur
6 noch können sie sich bei der Gemeinde Gehör für ihre Anliegen verschaffen. Über die Gemeinde hinaus sind sie für staatliche Behörden größtenteils inexistent. Die mangelhafte Infrastruktur und das fehlende „ökonomische“ und „soziale Kapital“ (Bourdieu 1983) schränkt sowohl ihren Zugang zum bestehenden offiziellen Wissen über Tailings als auch ihre Handlungsmöglichkeiten erheblich ein. Weder sie selbst noch ihre Probleme werden in den meisten Fällen von den Behörden, den (Sozial-)Wissenschaften oder von den öffentlichen Medien berücksichtigt, was sie zu gesellschaftlich
unsichtbaren Betroffenen macht. Pabellón stellt in dieser Hinsicht keinen Extremfall dar, eine derartige Unsichtbarkeit der Betroffenen ist bei
slow violence-Phänomenen häufig der Fall (Nixon 2011:4). Die Unsichtbarkeit der Betroffenen verringert die Wahrscheinlichkeit einer gesellschaftlichen Sichtbarkeit von Tailings. Dies gilt sogar in solchen Fällen, in denen eine klare Gefahrenwahrnehmung der lokalen BewohnerInnen gegenüber der Tailings besteht.
Das Verhältnis von (Nicht-)Wissen und inaction zur Unsichtbarkeit der Tailings
Unter den BewohnerInnen von Pabellón konnte sowohl eine
allgemeine Ungewissheit bezüglich der Tailings als auch Personengruppen mit unterschiedlichen Formen des Nichtwissens identifiziert werden. Diese reichen von vereinzelten Personen die ein
nicht-gewusstes Nichtwissen (Wehling 2011:118ff) über die Anwesenheit der Tailings aufweisen, über eine große Mehrheit, die angibt zu vermuten, zu ahnen oder sich sogar sicher zu sein, dass es sich um Tailings handelt, allerdings ein
gewusstes Nichtwissen (ebd.) über ihre Bestandteile und möglichen Folgen beschreiben, bis hin zu einigen wenigen BewohnerInnen, die unterschiedliche Wissensformen aufweisen, die ihnen ermöglichen, die Tailings sicher als Risikoquelle einzustufen. Insgesamt bleibt der Wissensaustausch unter den BewohnerInnen weitestgehend aus.
7 Alle weisen ein großes Maß an Ungewissheit auf und verweisen diesbezüglich auf den fehlenden Zugang zu offiziellen Daten. Dennoch besteht unter knapp der Hälfte der Betroffenen eine
individuelle Gefahrenwahrnehmung. Interessant dabei ist, dass die Risikowahrnehmung nicht direkt mit der Art des (Nicht-)Wissens in Verbindung steht. BewohnerInnen mit einem ähnlichen Wissensstand und -grad über die Tailings weisen teilweise entgegengesetzte Wahrnehmungen auf.
8 Oft werden sogar die gleichen Faktoren als Beweise für eine bestehende Gefahr oder die Harmlosigkeit der Bergbaurückstände herangezogen. Im Alltag sind weder die Tailings an sich noch das Wissen über sie oder die unterschiedlichen Gefahrenwahrnehmungen ihnen gegenüber ein präsentes Thema unter den BewohnerInnen. In Pabellón sind die Tailings demnach kein kollektiv wahrgenommenes sichtbares Problem.
Auch wenn unter den BewohnerInnen eine allgemeine inaction gegenüber der Tailings zu beobachten ist und jegliche Formen des Widerstandes oder der Entstehung eines sozial-ökologischen Konflikts ausblieben, konnten unter einigen von ihnen Alltagspraktiken identifiziert werden, die dem Schutz ihrer Gesundheit vor den möglichen schädlichen Wirkungen durch die Tailings dienen. Sie sind als individuelle Antwort auf die unter manchen von ihnen bestehende toxische Frustration (siehe unten) zu deuten, als einzige mögliche Form sich der ungewissen, aber in diesen Fällen bewussten Gefahr zumindest teilweise zu entziehen. Ohne den Zugang zu offiziell generiertem Wissen über die Tailings und ohne das notwendige soziale und ökonomische Kapital ist die Bevölkerung – auch im Falle der Entstehung einer kollektiven Risikowahrnehmung – in ihren Handlungsmöglichkeiten stark eingeschränkt.
Auch die staatlichen Behörden zeichnen sich im Fall von Pabellón durch ihre allgemeine
inaction bezüglich einer Problemlösung aus. Ohne äußeren Druck
9 scheint sich das Vorhandensein wissenschaftlich erzeugten Wissens über die möglichen ökologischen und gesundheitlichen Risiken, die von den Tailings auf dieser Sichtbarkeitsstufe ausgehen, kaum auf die Praktiken und Handlungen der zuständigen staatlichen Behörden auszuwirken. Obwohl zu den Tailings in Pabellón mittlerweile reichlich anerkanntes Wissen über ihre Zusammensetzung und den deutlich über den Richtwerten liegenden Schadstoffkonzentrationen besteht, Pabellón (zusammen mit Totoralillo) die Prioritätenliste des Umweltministeriums anführt und in dem 2012 ins Leben gerufenen Programm
10 zur Aufarbeitung und Wiederherstellung der durch den Bergbau kontaminierten Böden in Chile als erstes behandelt werden sollte, wurden bis zur letzten Feldforschungsreise 2019 weder Maßnahmen zur Abschwächung der Umweltverschmutzung vorgenommen noch die Betroffenen oder die Gemeinde informiert. Auch die im Rahmen des staatlichen Programms erhobenen Daten wurden bisher weder veröffentlicht noch die Betroffenen informiert. Darüber hinaus ist der Wissensaustausch zu anderen beteiligten Behörden – wie etwa dem Bergbau- und Gesundheitsministerium oder dem Sernageomin – mangelhaft bis inexistent. Hinzu kommt, dass die genauen Zuständigkeiten bezüglich der Tailings auch innerhalb und unter den Behörden unklar sind und im Falle einer klaren Zuständigkeit – wie beim oben erwähnten Programm des Umweltministeriums – die finanziellen Mittel fehlen, um diese umzusetzen. Das Ergebnis ist, dass sich die
actions der Behörden bisher darauf beschränken, weiteres Wissen über die wenigen bereits bekannten Fälle zu generieren, ohne dass dieses später verbreitet oder zur Behebung des Problems angewandt würde. Diese hier aufgeführten Faktoren, Umstände und Prozesse bilden zusammen das, was ich in dieser Forschung als
toxische Institutionalität bezeichne. Sie führt beispielsweise dazu, dass die Umweltbehörden im Fall von Pabellón zwar über reichlich offiziell anerkanntes Wissen über die Tailings verfügen und dennoch gleichzeitig unter ihnen lange Zeit ein
ungewusstes Nichtwissen bezüglich der Existenz der dort Lebenden und von ihnen betroffenen Menschen bestand. Dass sowohl das Regionalbüro als auch die für Tailings zuständige Abteilung des Umweltministeriums in Santiago auch nach der Durchführung der ersten Untersuchungen vor Ort mehrmals darauf hingewiesen haben, dass in Pabellón keine direkt Betroffenen vorzufinden seien, zeigt einmal mehr die Unsichtbarkeit dieser Betroffenen sowie das inkohärente Agieren der Behörden.
11 Dieses
ungewusste Nichtwissen über die Existenz von Betroffenen hat sich im Laufe der Zeit in Richtung eines
gewussten Nichtwissen über die gesundheitlichen und sozialen Folgen der Tailings für die Betroffenen verschoben.
Eine völlige Ausnahme und einen großen Unterschied zu anderen Tailings auf dieser (Un-)Sichtbarkeitsstufe stellt auch die Tatsache dar, dass in Pabellón seit 1998 eine Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen von verschiedenen nationalen und internationalen Institutionen durchgeführt wurde. Wie in Kapitel
6 ausführlich dargestellt wurde, zeichnen sich diese dadurch aus, dass kein Wissensaustausch zwischen den einzelnen Behörden und Forschungsinstituten stattgefunden hat und sie sich nicht aufeinander beziehen. Als Folge einer
toxischen Institutionalität sind sie vom
kollektiven Vergessen betroffen und weisen aufgrund dieses
verlorenen Wissens wiederum heute mangelndes Wissen über den Entstehungsprozess der Bergbaurückstände auf, was Probenentnahmen teilweise willkürlich macht und zu einer großen Varianz in den Ergebnissen führt. Das
kollektive Vergessen und das der Wissenschaft inhärente Nichtwissen sind die zwei Hauptgründe für die wissenschaftliche
Produktion von Unbestimmtheit. Die wenigsten dieser Studien sind außerdem heute öffentlich verfügbar und es konnte in dieser Forschung konstatiert werden, dass das in ihnen gesammelte Wissen teilweise aktiv zurückgehalten wurde, woran vorwiegend staatliche Behörden beteiligt waren.
12
Während zu den in dieser Forschung untersuchten Tailings von Pabellón – im Vergleich zu allen anderen verlassenen historischen Tailings – überdurchschnittlich viel wissenschaftliches Wissen vorliegt, wurden zu der großen Mehrheit der 641 inaktiven oder verlassenen Tailingdeponien (Sernageomin 2020) bisher keine wissenschaftlichen Untersuchungen durchgeführt. Neben diesem
gewussten Nichtwissen über die Zusammensetzung der bisher identifizierten Tailings besteht innerhalb der Behörden außerdem ein
ungewusstes Nichtwissen über die tatsächliche Anzahl historischer und verlassener Tailings
13 in Chile sowie deren Lage und Standort, Zusammensetzung und den von ihnen möglicherweise ausgehenden Risiken.
Auch wenn die Untersuchung in Pabellón bezüglich des Wissensbestandes über verlassene und inaktive Tailings ein verzerrtes Bild darstellt, lässt sich anhand der geführten Interviews mit WissenschaftlerInnen, ExpertInnen und MitarbeiterInnen der verschiedenen staatlichen Behörden sowie durch die Aufarbeitung der bestehenden Literatur und den zugänglichen wissenschaftlichen Untersuchungen ein allgemeines Nichtwissen über die Zusammensetzung dieser Art von Tailings sowie teils auch über die Existenz dieser Tailings konstatieren. Dieses und das der Wissenschaft inhärente Nichtwissen über Aus-, Wechsel- und Langzeitwirkungen von Chemikalien und Schwermetallen (Vogel 2008) hat sowohl eine
allgemeine Ungewissheit (Roberts und Langston 2008) unter allen beteiligten Akteuren sowie eine offiziell als Evidenz anerkannte
Produktion von Unbestimmtheit zur Folge und führt gleichzeitig zu dem was Peter Wehling (2011) eine
Gouvernance des Nichtwissens nennt. Solange kein manifester und medial wirksamer sozial-ökologischer Konflikt oder ein tragischer Unfall in Zusammenhang mit Tailings besteht, ist unter staatlichen Behörden vorwiegend eine
toxische Institutionalität zu beobachten. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass die historischen und inaktiven Tailings zu einem kaum beachteten Randthema gemacht werden, dem so gut wie keine Ressourcen zugeteilt werden.
14 Das hat auch damit zu tun, dass die Umweltproblematik dieser Tailings weder öffentliche Aufmerksamkeit genießt noch ihr aktuelle politische Relevanz zukommt. Lokale Behörden und die betroffenen Gemeinden werden nicht über die möglichen Risiken der dort bestehenden Tailings eingeweiht. Orte wie Pabellón zeichnen sich deshalb nicht nur durch die Tatenlosigkeit der Behörden aus, sondern auch durch einen komplett
abwesenden Staat.
Die toxische Kombination aus Ungewissheit und Machtlosigkeit
Die prekäre sozio-ökonomische Situation der Betroffenen und die Überlappung mehrerer Umweltprobleme vor Ort lassen in Pabellón einen eindeutigen Fall der environmental injustice (Pulido 1996, 2015; Newton 2009) identifizieren. Dass von Tailings vorwiegend gesellschaftlich benachteiligte Gruppen betroffen sind, liegt teils daran, dass Bergwerke besonders häufig in abgelegenen und strukturschwachen Gebieten vorkommen. Andererseits liegen historische, verlassene und inaktive Tailingdeponien meistens brach, was dazu führt, dass Personengruppen ohne Grundbesitz sich vermehrt (meist unwissentlich) auf den schadstoffbelasteten Geländen niederlassen, wie es auch in Pabellón der Fall war. Hier konnte beobachtet werden, dass einerseits eine Reihe unmittelbarer und dringlicher sozialer, ökonomischer und ökologischer Probleme das slow violence-Phänomen im Alltag fast gänzlich überlagern, während andererseits die Betroffenen selbst und mit ihnen auch ihre Probleme größtenteils gesellschaftlich unsichtbar sind. Im Fall von Pabellón schildern die BewohnerInnen ihre allgemein schlechten Lebensbedingungen und andere dringlichere Umweltprobleme, wie etwa den Wassermangel oder die Kontamination durch Pestizide als zentrale Gründe für die mangelnde Priorität des Problems der Tailings in ihrem Alltag. Sie nennen außerdem ein allgemeines Ungerechtigkeitsgefühl sowie eine tiefe Machtlosigkeit gegenüber den Unternehmen und dem Staat, die zu Ohnmacht und einer erzwungenen Normalisierung ihrer Probleme führen. Fälle wie Pabellón sind in Chile meistens durch einen abwesenden Staat sowie kaum existierende Handlungs- und Einflussmöglichkeiten seitens der Betroffenen gekennzeichnet. Die Ungewissheit bezüglich der möglichen Risiken der Tailings stößt dabei auf die Gewissheit ihrer eigenen Machtlosigkeit. Die Situation der BewohnerInnen von Pabellón lässt sich hinsichtlich der Mehrheit von ihnen als toxische Ungewissheit (Auyero & Swinstun 2008a) bezeichnen. Bei einer zweiten, kleineren Gruppe besteht zwar kein Zugang zu offiziell anerkanntem Wissen, dennoch aber eine klare Risikowahrnehmung und die Gewissheit über die Tailings als Gefahr für die eigene Gesundheit und Umwelt. Diese BewohnerInnen sind dem Risiko in vollem Bewusstsein darüber ausgesetzt, was sich in Kombination mit der Gewissheit ihrer Machtlosigkeit in einer toxischen Frustration äußert (Singer 2011).
Die beschriebenen materiellen, sozialen und ökonomischen Gegebenheiten, die allgemeine Ungewissheit und der fehlende Zugang zu offiziell anerkanntem wissenschaftlichem Wissen über die Tailings sowie die beschränkten Handlungsmöglichkeiten der Betroffenen verhindern in Pabellón die Entstehung eines latenten oder manifesten sozial-ökologischen Konflikts und somit einer der wenigen Möglichkeiten der Sichtbarwerdung des bestehenden Umweltproblems. Die Kombination aus Unsichtbarkeit, Ungewissheit und Machtlosigkeit der Betroffenen führt dazu, dass auch eine klare Gefahrenwahrnehmung keinen großen Einfluss auf die Sichtbarkeit hat. Während der Wechsel zwischen den anderen (Un-)Sichtbarkeitsstufen teilweise fließend geschieht, ist diese Stufe oftmals ein permanenter Zustand der Unsichtbarkeit, indem sich die materielle Unsichtbarkeit der Tailings und die Unsichtbarkeit der Betroffenen gegenseitig verstärken.
9.1.2 Zweite Stufe der (Un-)Sichtbarkeit
Kollektive Gefahrenwahrnehmung und lokale Sichtbarkeit der Tailings
Auf der zweiten (Un-)Sichtbarkeitsstufe besteht zwar eine kollektive Gefahrenwahrnehmung bezüglich der Tailings unter den Betroffenen, die Sichtbarkeit des Umweltproblems bleibt allerdings partiell und tritt nicht über die lokale Ebene hinaus. In diesen Fällen besteht unter den Betroffenen größtenteils das Wissen über die Existenz der Tailings und meistens auch eine Risikowahrnehmung gegenüber diesen. Die materielle Unsichtbarkeit der Tailings wird in diesen Fällen zumindest insofern überwunden, dass die Betroffenen die durch die Produktion der Tailings entstehenden Veränderungen in der Umgebung, beobachten und wahrnehmen können. Deshalb handelt es sich hierbei oft um Tailings die einem aktiven Bergwerk angehören. Dies war beispielsweise anfangs in Chañaral der Fall, als sich die Tailings von Codelco Mitte des letzten Jahrhunderts langsam an der Bucht anhäuften und auf diese Weise eine physische Veränderung des Strandes sowie den drastischen Rückgang der vorher vorhandenen biologischen Vielfalt verursachten. Auch in Tierra Amarilla, einer Kleinstadt, in der der Bergbau allgegenwärtig ist, konnten die BewohnerInnen über Jahre die Entstehung eines großen „Berges“ in unmittelbarer Nähe zur Stadt durch die Anhäufung der Tailings beobachten. Auf diese Weise haben die Tailings in beiden Fällen eine Wirkungskraft (Kärger et al 2017:99) auf die menschliche Wahrnehmung und Handlung ausgeübt und konnten von den BewohnerInnen als mögliche Risikoquelle wahrgenommen werden. Auch die Betroffenen selbst sind bei den auf dieser Stufe zugeordneten Fällen nicht gänzlich gesellschaftlich unsichtbar, wie es bei den BewohnerInnen von Pabellón der Fall ist. Dennoch sind auch unter ihnen prekäre Lebensumstände und Arbeitsbedingungen sowie eine mangelhafte und teilweise ausbleibende staatliche Infrastruktur zu beobachten. Es besteht also sowohl eine Gefahrenwahrnehmung unter den BewohnerInnen von Tierra Amarilla sowie eine Art der kollektiven Sichtbarkeit des Problems, die allerdings meistens nicht über einen latenten Konflikt hinaus geht und durch unterschiedliche Faktoren auf der lokalen Ebene gehalten wird.
Wie schon angedeutet erlangen meistens jene Tailings diese zweite (Un-)Sichtbarkeitsstufe, die einem aktiven Unternehmen zugeordnet werden können. Dies konnte anhand der aktuellen Lage von Tierra Amarilla und der Geschichte Chañarals beobachtet werden und stimmt mit den Ergebnissen der bestehenden Forschungen zu ähnlichen Fällen überein (Svampa 2019:71ff; Bechtum 2022; Ureta 2022; Ureta & Contreras 2020, Vergara 2011). Neben den BewohnerInnen sind die zentralen Akteure auf dieser Stufe demnach die Unternehmen, von denen die Bergbaurückstände stammen. Während die Gemeinde sowohl in Tierra Amarilla als auch in der Geschichte von Chañaral eine aktive Rolle bezüglich des Umweltproblems eingenommen hat, tendieren regionale und nationale Behörden dazu, sich aus diesen Gebieten zurückzuziehen oder sind von vornherein kaum anwesend. Besonders wenn es sich um große Bergbaukonzerne handelt, bilden sich extraktivistische Enklaven (Svampa 2019:71ff) wobei der Staat eine passive Komplizenschaft eingeht, einen Großteil der Bereiche staatlicher Zuständigkeit auf lokaler Ebene diesen Unternehmen überlässt, welche dadurch ihre territoriale Macht (Landherr & Graf 2017, 2021) erweitern.
Die Produktion von Ungewissheit durch Unternehmen, toxische Institutionalität und actions zur (Un-)Sichtbarkeit der Tailings auf lokaler Ebene15
Während das Wissen der BewohnerInnen von Tierra Amarilla von gewusstem Nichtwissen über die genauen Bestandteile und möglichen Wirkungen der Tailings bis hin zu unterschiedlichen Wissensformen reicht, die größtenteils aus ihren Erfahrungen oder aus der Arbeit im verursachenden Bergwerk stammen, haben auch hier die Betroffenen größtenteils keinen Zugang zu wissenschaftlich generiertem Wissen, das ihre Gefahrenwahrnehmung offiziell bestätigen würde. Dennoch konnte auf lokaler Ebene eine kollektive Gefahrenwahrnehmung beobachtet werden, die sich in einem meist latenten, aber zwischenzeitlich auch manifesten, sozial-ökologischen Konflikt äußert. Dabei werden besonders die gesundheitlichen Folgen und die Häufung der Krankheiten vor Ort von den meisten BewohnerInnen direkt mit den Tailings als Schadstoffquelle in Verbindung gebracht. Die actions der Bevölkerung reichen in Tierra Amarilla von Protestaktionen und direkten Forderungen an das Bergbauunternehmen seitens einzelner BewohnerInnen und Nachbarschaftsorganisationen (juntas de vecinos) bis hin zu einem durch die Gemeinde eingeleiteten juristischen Verfahren gegen das Unternehmen. Hier kam es zu einem kurzzeitigen Überschreiten auf die dritte Stufe der (Un-)Sichtbarkeitspyramide. Dabei trug allerdings besonders der fehlende Zugang zu anerkannten wissenschaftlichen Daten über die Bestandteile der Tailings und ihre gesundheitlichen und ökologischen Auswirkungen dazu bei, dass der Konflikt immer wieder in seinen latenten Zustand zurückkehrte. Durch dieses fehlende Werkzeug zur breiteren öffentlichen Bestätigung und Anerkennung des Problems konnten die Wissensformen, die ihrer Gefahrenwahrnehmung zugrundeliegen, vom Unternehmen und teilweise auch von staatlichen Behörden immer wieder delegitimiert und als ungültige „Mythen“ (Ureta & Contreras 2021) abgestempelt werden. Auf diese Weise wurden dem Konflikt im Laufe der Zeit immer wieder die „objektiven“ Grundlagen entzogen. Die Mehrheit der Betroffenen verfallen deshalb heute – trotz Gefahrenwahrnehmung – einer toxischen Frustration und damit einhergehend einer alltäglichen inaction gegenüber der Tailings.
Mit Blick auf die Akteurskonstellation auf der zweiten Stufe ist zu beachten, dass die Sorgen der Bevölkerung den Interessen der Bergbauunternehmen meistens direktkonträr gegenüberstehen. Das Unternehmen besitzt das Wissensmonopol über den Produktionsprozess und die genaue Zusammensetzung der Tailings und somit gleichzeitig auch über die möglichen Risiken, die diese bergen. Dieses Wissen ist weder für die Öffentlichkeit noch für staatliche Behörden zugänglich. Nur in den seltenen Fällen, in denen das Unternehmen wissenschaftliches Wissen generiert hat, um einen „Mythos“ der Bevölkerung zu widerlegen, wurden die Untersuchungen medial inszeniert und die Ergebnisse unter Anwesenheit nationaler Medien verkündet. Durch die vom Unternehmen kontrollierte Wissensproduktion und das gezielte Zurückhalten von Informationen und Daten wird die gezielte Produktion von Ungewissheit vorangetrieben und Zweifel in die kollektive Gefahrenwahrnehmung gebracht. Durch die materielle Unsichtbarkeit der Bestandteile der Tailings und das fehlende staatlich generierte Wissen über sie, können diese Ergebnisse von anderen Akteuren wiederum nur schwer widerlegt werden. Diese Phänomene des doubt producing durch Unternehmen (Nixon 2011:40) wurden in Tierra Amarilla auch von Sebastián Ureta und Andrés Contreras (2021) wissenschaftlich belegt.
Solange ein Konflikt ausbleibt oder latent ist, beschränken sich die unternehmerischen
actions durch unterschiedliche Unternehmenspraktiken der „guten Nachbarschaft“ (
políticas del buen vecino) auf die Vermeidung möglicher Konflikte. Vorwiegend handelt es sich dabei um
Corporate Social Responsability (CSR)-Politik (siehe auch Bechtum 2022), die von Infrastrukturprojekten, diversen Freizeitangeboten, kulturellen Veranstaltungen und Weiterbildungsangeboten bis hin zu Katastrophenhilfe und der Finanzierung von Förderprogrammen, Stipendien und in der nahegelegenen Regionalhauptstadt Copiapó sogar ganzer Universitäten und Krankenhäuser reicht. All diese Projekte und Unternehmenspraktiken werden vom Unternehmen dokumentiert und medial verbreitet, wobei sich das Unternehmen als sozial und nachhaltig inszeniert, indem es sich als „guter Nachbar“, Vorreiter des
green mining und Pionier in der Sicherheit der ArbeiterInnen darstellt. Sobald Widerstand seitens der BewohnerInnen entsteht, greift das Unternehmen direkt und aktiv ein, um das Problem schnellstmöglich zu lösen. Dies geschieht meistens einerseits durch die Entschädigung einzelner sichtbarer Köpfe sozialer Bewegungen oder Vorsitzender der Nachbarschaftsorganisationen, was nicht nur treibende Kräfte aus der Bewegung nimmt, sondern gleichzeitig oftmals zur inneren Spaltung dieser führt. Andererseits werden widerständige Akteure oftmals auch durch eine feste Anstellung in das Unternehmen integriert. Wenn der Konflikt – wie 2014 in Tierra Amarilla – nicht mehr auf diese Weise gelöst werden kann, sind auch Abkommen zwischen der Gemeinde und dem Bergwerkbetreiber zur Niederlegung des Konflikts gegen Zahlungen des Unternehmens üblich. In der Öffentlichkeit konnte das Problem somit damals vorerst als gelöst dargestellt werden
16 und dadurch die notwendige Umweltzulassung zur Verlängerung der Abbaugenehmigung des Unternehmens erlangt werden.
Hinter dem genannten Abkommen zwischen Gemeinde und Bergbauunternehmen in Tierra Amarilla verbargen sich allerdings noch weitere Praktiken und
actions des Unternehmens, die teilweise auch der dritten (Un-)Sichtbarkeitsstufe entsprechen: Als der Konflikt kurzzeitig manifest wurde und durch das juristische Verfahren sowie Auftritte des damaligen Bürgermeisters im öffentlichen Fernsehen drohte, die Stufe der lokalen Sichtbarkeit zu verlassen, nutzte das Unternehmen nicht nur die starke Lobby des Sektors, sondern auch informelle Kontakte und Netzwerke der besitzenden Klasse zur politischen Elite des Landes. Auf diese Weise konnte – trotz des juristischen Verfahrens – nicht nur die Unterstützung des Umweltministers zur Verlängerung der Abbaugenehmigung des Unternehmens erlangt werden, sondern darüber hinaus die Gemeinde dazu gebracht werden, ihre Anzeige zurückzuziehen und das oben genannte Abkommen mit Candelaria zu unterzeichnen, um das Problem als gelöst darzustellen. Der hinter dieser Einigung stehende Bestechungsskandal wurde dann 2019 öffentlich und zeigte die Beteiligung von amtierenden ParlamentarierInnen und PolitikerInnen auf nationaler und regionaler Ebene, Lobbyisten, den damaligen Präsidenten und Vizepräsidenten von Candelaria und indirekt sogar Repräsentanten anderer großer Unternehmensgruppen auf. Dieser Bestechungsfall ist kein Einzelfall unter den in Chile operierenden großen Bergbauunternehmen und Teil einer ganzen Reihe an Korruptionsfällen, die in den letzten Jahren aufgedeckt wurden.
17 Im Mittelpunkt dieser Aushandlungen und Abmachungen steht für das Unternehmen die Aufrechterhaltung der extraktiven Tätigkeiten des Bergbauunternehmens. Zusammenfassend kann gesagt werden: Je stärker die Sichtbarkeit des durch Tailings verursachten Umweltproblems und der Druck anderer Akteure – in diesem Fall der Betroffenen – desto aktiver setzen Unternehmen ihre Machtressourcen ein, um die öffentliche Sichtbarkeit des Problems zu verhindern. Das Augenmerk liegt dabei nicht auf der Lösung des Problems, sondern darauf, den Konflikt latent zu halten und zu verhindern, dass er die nächste Sichtbarkeitsstufe erreicht.
Während sich die Aushandlungsprozesse in Tierra Amarilla auf lokaler Ebene vorwiegend zwischen lokalen Organisationen oder der Gemeinde und dem betrachteten Bergbauunternehmen abspielen, halten sich regionale und nationale Behörden zurück und überlassen dem privaten Unternehmen zentrale staatliche Funktionen vor Ort. Der Staat ist in Tierra Amarilla und Pabellón in vielerlei Hinsicht abwesend. In besonderem Maße gilt dies allerdings mit Blick auf die Tailings. Obwohl in der Gemeinde von Tierra Amarilla eine sehr große Anzahl an Tailingdeponien – darunter laut staatlicher Untersuchungen auch mehrere der landesweit giftigsten – liegen, gibt es weder einen Wissensaustausch noch eine Zusammenarbeit des Umweltministeriums mit der Umweltbeauftragten der Gemeinde. Die Gemeinde hat nicht einmal Zugang zu den bisher nicht veröffentlichten Untersuchungsergebnissen. Die wenigen bestehenden, staatlichen, wissenschaftlichen Studien – in diesem Fall des Gesundheitsministeriums – werden vom jeweiligen Regionalbüro durchgeführt, ohne die Gemeinde einzubeziehen oder zu informieren. Weitere Untersuchungen und darauffolgende staatliche Handlungen blieben trotz hoher Schwermetallkonzentrationen unter den getesteten BewohnerInnen aus und sind nicht geplant. Die toxische Institutionalität in Bezug auf staatliche Wissensgenerierung zu Tailings wird dadurch gesteigert, dass die Zusammenarbeit und der Wissensaustausch zwischen den Behörden und Ministerien über die Tailings quasi inexistent ist. Deshalb kommt es auch wiederholt zu einer Gouvernance des Nichtwissens (Wehling 2011), die im Extremfall etwa zu staatlichen Sozialbauten auf einer Tailingdeponie führt, wie in dieser Forschung mehrmals konstatiert wurde. Die Gemeinde von Tierra Amarilla wiederum fungiert weniger als staatliche Instanz, sondern vorwiegend als Zwischenspieler zwischen Unternehmen und Bevölkerung, der von beiden Seiten unter Druck steht, dabei langfristig allerdings meistens dem Druck des Unternehmens erliegt. Ein entscheidender Grund dafür sind die knappen staatlichen finanziellen Mittel, die der Gemeinde zugeteilt werden, was sie stark von der externen Finanzierung durch die anliegenden (Bergbau-)Unternehmen abhängig macht. LokalpolitikerInnen und Gemeinde waren sowohl an den actions zur Sichtbarmachung der Umweltprobleme seitens der Bevölkerung als auch später an den actions des Unternehmens zu ihrer Unsichtbarmachung beteiligt. Dies und die wiederholten Korruptionsfälle haben die Gemeinde als vertrauenswürdige Ansprechpartner unter der Bevölkerung delegitimiert.
Territoriale Macht und abwesender Staat: lokale Grundstrukturen der Unsichtbarkeit
Die territoriale Macht der Unternehmen, die bei extraktivistischen Enklaven besonders stark ausgeprägt ist (Svampa 2020: 78f; Landherr & Graf 2021), beruht vorwiegend auf der Kontrolle über natürliche Ressourcen vor Ort durch den Besitz oder die Konzessionierung von Land, Wasser und Untergrund sowie dem Einfluss auf die lokale soziale Infrastruktur, die örtlichen öffentlichen Güter und besonders auch auf den regionalen Arbeitsmarkt (Landherr & Graf 2017, 2021). Hinzu kommt die Kontrolle über lokale Medien und der beschriebene starke Einfluss auf lokale PolitikerInnen und Behörden. Die Anwesenheit von großen extraktiven multinationalen Konzernen wie Candelaria in Tierra Amarilla, geht häufig mit der Zerstörung der lokalen Ökonomie sowie der Verdrängung anderer Wirtschaftssektoren sowie der Subsistenzwirtschaft einher (Svampa 2019:71ff; Landherr & Graf 2021) und erhöht dadurch die ökonomische Abhängigkeit der BewohnerInnen von diesen großen Unternehmen. Die BewohnerInnen von Tierra Amarilla sind allerdings selten direkt beim Unternehmen angestellt. Diejenigen, die trotzdem für Candelaria oder in anderen Bergwerken arbeiten, tun dies meist für Subunternehmen unter schlecht bezahlten, unsicheren und prekären Arbeitsbedingungen. Dennoch hängen die meisten BewohnerInnen indirekt ökonomisch vom Bergbau ab, was bei vielen von ihnen einen Interessenkonflikt zwischen der Umweltbelastung, ihren gesundheitlichen Folgen und der verminderten Lebensqualität einerseits und ihrer ökonomischen Abhängigkeit von Bergbau andererseits hervorruft. Die Abhängigkeit von den extraktiven Unternehmen wird dadurch verstärkt, dass an Orten wie in Tierra Amarilla häufig eine hohe Arbeitslosenquote sowie durch den abwesenden Staat hervorgerufene mangelhafte Gesundheits- und Bildungseinrichtungen vorherrschen. Neben der schlechten sozialen Infrastruktur herrscht in vielen Stadtteilen ein Mangel an Grundversorgung wie etwa Kanalisation, Trinkwasser oder Straßen. Genauso wie in Pabellón ist auch in Tierra Amarilla darüber hinaus eine Überlappung vieler gleichzeitig bestehender Umweltprobleme (besonders Wassermangel und -verschmutzung sowie Boden- und Luftverschmutzung durch Pestizide, Sprengungen und die nahegelegene Gießereianlage) und der sozialen Ungleichheit zu beobachten, die typisch für eine environmental injustice ist (Pulido 1996, 2015; Newton 2009). Die Möglichkeit einer Festanstellung stellt sich für viele als Chance des sozialen Aufstiegs und als Versprechen an der Teilhabe der peripheren imperialen Lebensweise dar. Dieses Teilhabeversprechen trägt wiederum direkt zur Legitimation der Kosten der Bergbauindustrie bei (Landherr & Graf 2022).
Unter den BewohnerInnen ist in Tierra Amarilla – noch deutlicher als in Pabellón – eine toxische Frustration (Singer 2011) zu beobachten. Die empfundene Ohnmacht wird in diesem Fall insbesondere dadurch verstärkt, dass gegen das Unternehmen nicht einmal mit einem Gerichtsstreit anzukommen ist. Die BewohnerInnen nehmen das Unternehmen deshalb als unbesiegbar war. Der schon immer abwesende Staat, aber besonders der Bestechungsfall und andere Korruptionsfälle in der Gemeinde und innerhalb von Nachbarschaftsorganisationen, haben ihnen laut eigener Aussagen die letzte Hoffnung einer Lösung der Umwelt- und Gesundheitsprobleme genommen. Gleichzeitig hat sich das oben beschriebene Teilhabeversprechen in der Praxis für die Mehrheit als unrealisierbar entpuppt. Einige BewohnerInnen sehen deshalb langfristig keinen anderen Ausweg als die Migration.
Die schon in dieser zweiten (Un-)Sichtbarkeitsstufe vom Unternehmen Candelaria angewendeten Machtressourcen zur Vermeidung der öffentlichen Sichtbarkeit der in Tierra Amarilla bestehenden Umweltprobleme, werden in der nächsten Stufe besonders relevant. Wenn die
strukturelle und
territoriale Macht sowie die Praktiken des Unternehmens nicht ausreichen, um die Sichtbarkeit der von den Tailings ausgehenden Risiken für die Umwelt und die Gesundheit der Bevölkerung lokal zu begrenzen, greift das Unternehmen auch auf seine
informelle, hegemoniale und
institutionelle Macht18 zurück (Landherr & Graf 2017). Sie nutzen dabei ihre direkte Beziehung zur politischen Elite des Landes und wenden unterschiedliche, teils unsichtbare, politische Praktiken oder sogenannte
quiet politics (Culpepper 2011) sowie Mechanismen und
actions zur
aktiven Unsichtbarmachung des Problems an.
9.1.3 Dritte Stufe der (Un-)Sichtbarkeit
Manifeste sozial-ökologische Konflikte um öffentliche Sichtbarkeit
Nur sehr wenige Umweltprobleme, die von Tailings ausgehen, werden über die lokale Ebene hinaus öffentlich sichtbar.
19 Diese Stufe charakterisiert sich meistens durch die Entstehung eines manifesten sozial-ökologischen Konflikts und durch die Thematisierung der Kontaminierung in den öffentlichen Medien sowie durch zivilgesellschaftliche oder politische Akteure. Für die breitere Sichtbarkeit auf dieser Stufe sind wissenschaftliche Untersuchungen, die das Problem belegen, zwar häufig ausschlaggebend, aber nicht notwendigerweise bedingend oder alleinständig hinreichend.
20 Auf dieser Stufe besteht unter allen beteiligten AkteurInnen aber zumindest das Wissen über die Tailings als potenzielles Risiko für die Umwelt und/oder die Gesundheit der anliegenden Bevölkerung. Wenn ein Fall die lokale Ebene verlassen hat, wie es etwa in Chañaral geschehen ist, dann folgt darauf meist ein symbolischer und öffentlich medialer
Aushandlungsprozess um die „Wahrheit“, wobei dieser in der Regel zwischen nationalen NGO, anderen anerkannten zivilgesellschaftlichen Akteuren und unabhängigen WissenschaftlerInnen einerseits und dem Unternehmen und dem Staat auf der anderen Seite, geführt wird,
21 Dabei entsteht ein regelrechter Informations- und Datenkrieg, in dem vor allem die Machtressourcen, -beziehungen und -positionen der einzelnen Akteure ausschlaggebend für die Durchsetzung ihrer Interessen sind. Die Zivilgesellschaft, die unabhängige Wissenschaft und besonders die Betroffenen sind in dieser Hinsicht klar im Nachteil, denn sie besitzen im Vergleich nur wenige Werkzeuge und eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten, um dem Unternehmen und teilweise auch dem Staat zu begegnen. Dies ist auch der Hauptgrund, warum die öffentliche Sichtbarkeit der Tailings als gesellschaftliches Problem nur selten über einen längeren Zeitraum anhält. Dies hat auch der Fall von Tierra Amarilla gezeigt.
Die aktive Produktion von Ungewissheit und Unsichtbarkeit durch Staat und Unternehmen
In Chañaral bestand ab Beginn der Tailingproduktion der Bergwerke Potrerillos und El Salvador Ende der 1930er Jahre – die seit 1971 zum staatlichen Unternehmen Codelco gehören – eine Gefahrenwahrnehmung seitens der Betroffenen. Sie ergab sich in diesem Fall aus den sichtbaren Veränderungen der Umgebung, also der materiellen Sichtbarkeit und der daraus resultierenden Wirkungskraft der Tailings (Kärger et al. 2017:99). Das lokale Wissen der BewohnerInnen über ihre Umwelt und die in ihr bestehenden Ökosysteme sowie die berufliche Erfahrung besonders der FischerInnen haben diese Wahrnehmung bestätigt. Dieses Wissen wurde im Laufe der Jahre auch durch wissenschaftliche Untersuchungen zu den physischen Veränderungen der Bucht und dem starken Rückgang der Biodiversität ergänzt. Das wissenschaftlich generierte Wissen reichte über lange Zeit allerdings nicht aus, um die ökologischen Veränderungen auf die Tailings der Bergbauindustrie zurückzuführen und die Risikowahrnehmung der Betroffenen zu bestätigen. Diese Tatsache und weitere Faktoren wie die ökonomischen Vorteile die manche Betroffenen – besonders die FischerInnen, die durch die Verseuchung der Bucht ihre ökonomische Grundlage verloren hatten – aus der handwerklichen Wiederaufarbeitung der Tailings aus dem Fluss ziehen konnten, führte plötzlich zu Interessenkonflikten unter den BewohnerInnen, was im Zusammenspiel mit der repressiven Politik der Militärdiktatur ab 1973 dazu führte, dass der lange Zeit bestehende offene Konflikt erstmals wieder latent wurde und sich für fast zwei Jahrzehnte erneut auf der zweiten (Un-)Sichtbarkeitsstufe befand. Erst als Untersuchungen zur chemischen Zusammensetzung des Strandes und der Präsenz von Schwermetallen und Chemikalien in diesem nachgewiesen wurden, konnten die Betroffenen handeln und der Konflikt wurde nach jahrelangem Ruhen wieder manifest. Ihre langjährige Gefahrenwahrnehmung wurde nun erstmals auch von nationalen NGO und sogar internationalen Organisationen (etwa der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik –CEPAL– der UNO) geteilt. Das wissenschaftliche Wissen änderte also nichts an der ursprünglichen Wahrnehmung der lokalen Bevölkerung und verschaffte ihnen auch kein komplett neues Wissen. Es war aber ein zentrales Handlungswerkzeug, das letztendlich sogar zur Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens gegen Codelco führte (siehe hierzu mehr auf Stufe IV). Offiziell anerkanntes wissenschaftliches Wissen und besonders der Zugang zu diesem sind demnach ein zentrales Element, um den Handlungsspielraum und die Handlungsmöglichkeiten der Betroffenen zu erweitern.
Chañaral ist durch den Ende der 1980er Jahre gewonnen Rechtsstreit zwar eine Ausnahmeerscheinung, was eine erfolgreiche
action der Betroffenen gegenüber der Umweltverschmutzung eines Bergbauunternehmens angeht. Die über Jahrzehnte angehäuften Tailings kontaminieren allerdings weiterhin ungehindert die Bucht und die Bevölkerung der Stadt.
22 Statt einer Lösung der bestehenden Umweltverschmutzung war das Urteil vielmehr der Startschuss für die darauffolgenden Aushandlungsprozesse um die „Wahrheit“ und für die aktive
symbolische Unsichtbarmachung der Tailings. Seitens des verursachenden Unternehmens und des Staates
23 konnten also auch auf dieser Stufe kaum
actions beobachtet werden, die zur Lösung des Problems angedacht waren, sondern viel mehr der
Produktion von Ungewissheit und der
aktiven Unsichtbarmachung der Umweltverschmutzung dienten. Gleichzeitig besitzen diese beiden Akteure das „Wahrheits- und Wissensgenerierungsmonopol“ und besonders der Staat steht, was die Ergebnisse anbelangt, ganz oben auf der „Gültigkeitshierarchie“ unter den wissensgenerierenden Akteuren. Ziel ihrer Handlungen und der Aushandlungen um die „Wahrheit“ ist es aus der Sicht staatlicher Behörden, das Problem in der öffentlichen Wahrnehmung als gelöst darzustellen und dadurch die Fortführung der Produktion des staatlichen Bergbauunternehmens zu gewährleisten. Die
actions der Unternehmen und des Großteils der staatlichen Behörden lassen sich in diesem Fall folgendermaßen charakterisieren: Erstens als Wissensproduktion und vor allem Wissensverbreitung, die der Delegitimierung von Widerstand sowie zur Widerlegung der Kontaminationsvorwürfe – kurz zur
Produktion von Ungewissheit – dient; zweitens lassen sich symbolische – nicht wissensbasierte – Handlungen feststellen, die die Abwesenheit oder Lösung des Problems nahe legen und sich als
symbolische Unsichtbarmachung bezeichnen lassen; drittens erfolgt die Legitimierung der Umweltverschmutzung und der daraus folgenden Kosten für die Betroffenen durch die Abwägung dieser Kosten mit den Nutzen des Sektors, durch Heranziehen des hegemonialen (Fortschritts-)Diskurses, der die Notwendigkeit der Produktion der Tailings für das gesamtgesellschaftliche Allgemeinwohl darlegt – kurz:
die öffentliche Rechtfertigung. Dabei wurden in den untersuchten Fällen auch Manipulation und Falschaussagen eingesetzt oder Ergebnisse bestehender wissenschaftlicher Studien, die den unternehmerischen und staatlichen Interessen widersprachen, nicht anerkannt und gleichzeitig auch nicht offiziell überprüft, wodurch eine scheinbar unüberwindbare „Wissensleere“ entstand. Diese intendierte
inaction gegenüber der Tailings, die vorwiegend seitens staatlicher Behörden eingesetzt wurde, ist die Hauptform der
passiven Komplizenschaft dieser mit den Bergbauunternehmen. Das bestehende Wissen wurde als „unbrauchbar“ deklariert, allerdings gleichzeitig auch kein neues „brauchbares“ hergestellt. Diese gezielte Form der staatlichen
inaction, zusammen mit der materiellen Unsichtbarkeit der Schadstoffe, den symbolischen unternehmerischen und staatlichen
actions zur Unsichtbarmachung und der Produktion und Verbreitung von Ungewissheit unter der Bevölkerung bzw. die Darstellung der Tailings als dekontaminierter Strand waren in Chañaral so effektiv, dass nicht nur der Konflikt aufgehoben, sondern auch die Gefahrenwahrnehmung der Bevölkerung über einen langen Zeitraum von fast zwanzig Jahren dadurch ausgesetzt wurde. Der einzige Unterschied, der in dieser Zeit zum Fall in Pabellón bestand, lag darin, dass über die Kontamination und den Widerstand der Bevölkerung in Chañaral weiterhin historische Aufzeichnungen vorhanden waren. Dennoch befanden sich die Tailings in diesem Zeitraum zum ersten Mal in ihrer Geschichte wieder auf der ersten (Un-)Sichtbarkeitsstufe. Dies zeigt deutlich, wie stark sich die
actions von einem mächtigen Akteur auf die Wahrnehmung, das Wissen und die
actions anderer Akteure auswirken können. Während in den ersten beiden Stufen vorwiegend Elemente vorzufinden sind, die die Tailings vor der öffentlichen Wahrnehmung unsichtbar halten, kommen auf dieser Stufe auch jene Faktoren und
actions zum Vorschein, die ein bereits sichtbar gewordenes Phänomen aktiv wieder unsichtbar machen. Der Fall von Chañaral zeigt durch die häufigen Wechsel zwischen den Stufen zudem deutlich die Instabilität der (Un-)Sichtbarkeit bei
slow violence-Phänomenen auf.
Erst die Recherchen und die Zusammenarbeit einer lokalen Umwelt-NGO (Chadenatur) mit nationalen Umwelt-NGO und die Erscheinung einer Reihe neuer wissenschaftlicher Studien über die gesundheitlichen Folgen der Tailings bei Kindern in Chañaral haben das Thema der Tailings in der jüngeren Zeit langsam unter der Bevölkerung wieder sichtbar gemacht. Auf diese Weise konnte das eingetretene
kollektive Vergessen über die Jahre wieder überwunden und durch eine ganze Reihe wissenschaftlich generierter Daten ersetzt werden. Sobald das
slow violence-Phänomen und vor allem seine Folgen einmal sichtbar waren, wurde der Fall plötzlich auch vermehrt zum Untersuchungsgegenstand der Wissenschaft. Während zu den Tailings auf den ersten beiden (Un-)Sichtbarkeitsstufen meistens weder von staatlichen noch von unabhängigen WissenschaftlerInnen Wissen generiert wird,
24 häufen sich zu den wenigen öffentlich sichtbaren Fällen die (natur-)wissenschaftlichen Studien. Ab dieser Stufe werden die Tailings also auch wissenschaftlich als Problem (an)erkannt und untersucht.
Das wiedergewonnene und neue Wissen über die möglichen Risiken der Tailings wurde in Chañaral anfangs nur auf lokaler Ebene beschränkt verbreitet und in wenig beachteten wissenschaftlichen Studien veröffentlicht. Durch die katastrophalen Überschwemmungen im Jahr 2015 war Chañaral plötzlich aber in allen öffentlichen Medien präsent. Während bis dahin vor allem die staatliche Version bezüglich der (De-)Kontamination der Bucht vermittelt wurde, ließen die öffentlichen Medien nun erstmals auch die unabhängigen WissenschaftlerInnen zu Wort kommen. In dieser Hinsicht hat die Wirkungskraft (Kärger et al. 2017:99) der Überschwemmungen zur Wissensverbreitung über die Risiken der Tailings und zur öffentlichen Wahrnehmung des Problems beigetragen. Worüber allerdings seitens der Betroffenen weiterhin ein großes Maß an Nichtwissen besteht, sind die politischen Aushandlungsprozesse und vor allem die quiet politics (Culpepper 2011) zwischen staatlichen und politischen Akteuren und dem Unternehmen, zu denen oft kein Zugang für die Betroffenen oder die Öffentlichkeit existiert.
Was die staatlichen Behörden angeht ist auf Stufe III – wie auch schon auf Stufe II – eine toxische Institutionalität zu beobachten. Dabei setzen sich die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten der zuständigen Behörden hinsichtlich der Tailings beim Umgang mit chemischen Schadstoffen und Schwermetallen aus der Gouvernance des Nichtwissens (Wehling 2011) und den fehlenden finanziellen Mitteln zusammen. So lässt sich in dieser Hinsicht einerseits eine generelle, größtenteils nichtintendierte, staatliche inaction bezüglich der Lösung des Umweltproblems beobachten, wobei der Staat gleichzeitig auch hier auf lokaler Ebene, wie in den anderen beiden Fällen, vorwiegend abwesend ist. Auf Stufe III sind staatliche Behörden andererseits gleichzeitig Treiber der aktiven Unsichtbarmachung, die sich aus einem Zusammenspiel aus passiver Komplizenschaft sowie symbolischer Unsichtbarmachung und der Produktion von Ungewissheit zusammensetzt.
Ungleiche Machtressourcen der Wahrheitsproduktion
Wie sich in den Fällen von Tierra Amarilla und besonders Chañaral zeigte, ist eine kurze Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit kein Garant für die permanente Sichtbarkeit eines Umweltproblems. In Betrachtung der Forschungsergebnisse und der wenigen anderen bisher öffentlich sichtbaren Fälle, in denen Tailings die Hauptursache eines Umweltproblems dargestellt haben, scheint es als sei besonders die Anzahl der involvierten Akteure auf nationaler Ebene, die versuchen das Problem sichtbar zu halten sowie deren (Macht-)Position innerhalb der Gesellschaft, ausschlaggebend für eine anhaltende gesellschaftliche Sichtbarkeit des Problems. Die lokale Bevölkerung hängt in dieser Hinsicht stark von der nationalen Zivilgesellschaft und besonders von den großen Umwelt-NGO und unabhängigen WissenschaftlerInnen ab, um das Problem sichtbar zu machen und gegen dieses vorgehen zu können. Letztere sind in Chile allerdings sehr prekär aufgestellt und ihrerseits auf private und öffentliche Finanzierung angewiesen. Sowohl die Wissenschaft als auch die Zivilgesellschaft werden zudem meistens themengebunden finanziert. Es lassen sich allerdings nur selten Geldgeber finden, die ein Interesse daran haben, die Schadstoffbelastung durch Tailings und deren Auswirkungen zu untersuchen. Auch die staatlichen fondos concursables werden hierfür nicht vergeben. Forschungen, die den staatlichen und unternehmerischen Interessen widersprechen, verfügen demnach selten über ausreichend finanzielle Mittel, um aussagekräftige Untersuchungen durchzuführen und müssen zur Wissensverbreitung meistens auf soziale Medien zurückgreifen. Die Reichweite der Verbreitung des Wissens und der damit einhergehenden Risikoeinschätzung hängt somit direkt vom Bekanntheitsgrad und der gesellschaftlichen Position der einzelnen NGO ab, da sie oftmals nur ihre eigenen Follower direkt erreichen können. Je nach Brisanz des Themas werden diese Inhalte dann in seltenen Fällen auch von unabhängigen öffentlichen Medien (meist online) aufgenommen und geteilt. Bei Tailings war dies bisher allerdings nur dann der Fall, wenn ein Unfall, eine Umweltkatastrophe oder ein Korruptionsskandal diese sichtbar gemacht hatte oder es einem Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin gelungen ist, schwerwiegende Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung nachzuweisen. Chañaral ist wiederum einer der einzigen Fälle in Chile, bei dem gleich mehrere dieser Faktoren zugetroffen haben und der deshalb wiederholt medial präsent war.
Während es den oben beschriebenen Akteuren also äußerst schwerfällt, unabhängiges anerkanntes Wissen zu generieren und mit ihren Anliegen ein größeres Publikum zu erreichen, trifft dies auf die chilenischen Großunternehmen und staatliche Behörden nicht zu. Die Bergbauunternehmen investieren große Geldmengen in Untersuchungen, die die Sicherheit und Harmlosigkeit der Tailings bestätigen. Staatliche Autoritäten und chilenische Großunternehmen haben gleichzeitig einen direkten medialen Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung und Meinung. Große Bergbauunternehmen wie Candelaria und Codelco sind in Chile gut miteinander vernetzt und organisieren sich unter anderem in Unternehmensverbänden wie dem Consejo Minero, der allein 95 Prozent der Kupferproduktion (sowie 56 Prozent der nationalen Goldproduktion, 78 Prozent des Silbers, 99 Prozent des Molybdäns und 99 Prozent des Eisens
25) der chilenischen Bergbauproduktion vereint und vertritt. Auf diese Weise bedienen sich auch international operierende Unternehmen der Machtressourcen der nationalen besitzenden Klasse und können durch die starke Lobby des Sektors Einfluss auf politische Entscheidungsträger und somit die chilenische Wirtschaft als ganze ausüben. Die besitzende Klasse kontrolliert wiederum sowohl die großen öffentlichen privaten und staatlichen Fernseh- und Radiosender sowie Tageszeitungen und die einflussreichen Print- und Onlinemedien. Sie nutzen diese unter anderem für große Medienkampagnen, die die Möglichkeit eines sozial und ökologisch verträglichen
green mining propagieren. Dabei ist zu beachten, dass im Gegensatz zu anderen Umweltproblemen sozial-ökologische
slow violence-Phänomene besonders schwer nachzuweisen sind, weshalb die
Aushandlungsprozesse um die „Wahrheit“ und dementsprechend auch der Einfluss auf die offiziellen „Wahrheitsproduzenten“ ausschlaggebend für deren Sichtbarkeit sind. Auch hier stehen die Unternehmen und der Staat gegenüber den anderen Akteuren klar im Vorteil, da sie sowohl wissenschaftliche Einrichtungen und Universitäten direkt als auch eine große Anzahl an Think Tanks und teilweise sogar die großen (Umwelt-)NGO selbst finanzieren. Daraus resultiert wiederum eine starke
hegemoniale Macht des Bergbausektors in der chilenischen Gesellschaft – nicht nur im Vergleich zu den anderen in dieser Forschung beteiligten Akteuren – sondern auch zu anderen Wirtschaftssektoren.
Ein besonderer Machtfaktor ist zudem die informelle Macht der Unternehmen und ihre enge Beziehung zur politischen Klasse, die es ihnen ermöglicht, auf wichtige politische Akteure und Entscheidungsträger hinter verschlossenen Türen Einfluss zu nehmen. Auf diese Weise können einerseits politische Entscheidungen direkt beeinflusst werden, wie etwa bei der Verlängerung der Abbaugenehmigung im Fall von Tierra Amarilla, der Errichtung von groß angelegten Tourismusprojekten in Chañaral, die den weiterhin kontaminierten Strand als harmlose Tourismusoase framen sollten oder der Fortführung des dortigen Kontaminierungsplans trotz wiederholter Warnung der zuständigen Behörde (CONAF) über seine Nutzlosigkeit. Andererseits ermöglicht es auch die Anwendung symbolischer Macht durch den Einsatz gesellschaftlich anerkannter Persönlichkeiten als Nachweis der von ihnen projizierten „Wahrheit“, wie es etwa die medial inszenierte Einweihung des Strandes von Chañaral durch das Bad des Präsidenten Ricardo Lagos zur Bestätigung der (vermeintlich) erfolgreichen Dekontaminierung war. Der Aushandlungsprozess wird in diesen Fällen ohne die Beteiligung der anderen Akteure geführt. Dabei geht es weniger um die Bestimmung und Inanspruchnahme der „Wahrheit“ an sich als um die Schaffung von Tatsachen und Evidenzen und somit die Herstellung von „Wahrheiten“, die über die reine Produktion von Ungewissheit hinaus gehen.
Die quiet politics (Culpepper 2011) werden besonders in den Fällen eingesetzt, in denen das von unabhängigen WissenschaftlerInnen generierte Wissen nicht eindeutig widerlegt oder zumindest infrage gestellt werden oder ein sozial-ökologischer Konflikt nicht durch andere Mechanismen latent gehalten werden kann. Die Anwendung der informellen Macht im Zusammenspiel mit der hegemonialen Macht bedingt und ermöglicht die zentralen Mechanismen der Unsichtbarmachung auf dieser (Un-)Sichtbarkeitsstufe – wie etwa die symbolische und diskursive Unsichtbarmachung des Problems. Beim untersuchten staatlichen Unternehmen Codelco kommt es dabei durch die Interessenkonvergenz zwischen Staat und Unternehmen zu einer besonders starken Machtkonzentration. Zudem besteht eine strukturelle Unterfinanzierung sowie Zuständigkeitslücken unter den für durch Tailings verursachte Umweltverschmutzung zuständigen staatlichen Behörden in Chile. Auch das Umweltministerium selbst verfügt nur über wenige finanzielle Mittel und hängt für die Finanzierung der einzelnen Themenbereiche direkt vom Finanzministerium ab, welches wiederum eine enge Beziehung zum Bergbauministerium und den großen Unternehmen pflegt.
Auf der dritten Stufe sind – wie wir gesehen haben – Netzwerke und Beziehungen ausschlaggebend zur Durchsetzung der Interessen der jeweiligen Konfliktparteien. Während die Unternehmen – wie schon beschrieben – gut vernetzt sind, pflegen die Betroffenen in der Regel keine oder nur einen sporadischen Austausch zu anderen Betroffenengruppen. Die Unternehmen agieren als geschlossener Block, während die betroffenen Gemeinden meistens vereinzelt und allein dem jeweiligen Unternehmen entgegentreten.
26 Die Bevölkerung von Chañaral befindet sich derzeit sowohl was ihre prekären Lebensumstände – die durch die Überschwemmungen noch erheblich verschlechtert wurden – als auch was ihre Ohnmacht und
toxische Frustration gegenüber der Umweltbelastung durch die Tailings und ihrer sozialen, ökonomischen und gesundheitlichen Folgen angeht in einer ähnlichen Lage wie die Bevölkerung von Tierra Amarilla. Die Ausnahme stellt in Chañaral eine aktive Gruppe von UmweltaktivistInnen dar, die einerseits den Konflikt von Zeit zu Zeit wieder aufflammen lässt und andererseits in engem Kontakt zu nationalen NGO und WissenschaftlerInnen stehen. Der Konflikt um Tailings in Chañaral schwankt demnach zwischen latent und manifest, genauso wie die Sichtbarkeit der Tailings, die in den letzten zehn Jahren immer wieder zwischen der lokalen und der nationalen Ebene gewechselt hat. Der Fall zeigt somit besonders deutlich die Fluktuation der Tailings zwischen den (Un-)Sichtbarkeitsstufen auf. Er zeigt zudem, dass die (Un-)Sichtbarkeit von
slow violence-Phänomenen weniger ein permanenter Zustand, als ein stetiger und kontinuierlicher Prozess ist.
9.1.4 Vierte Stufe der (Un-)Sichtbarkeit
Der Kampf um öffentliche Anerkennung der durch Tailings verursachten Umweltprobleme
Auf dieser letzten Stufe der Pyramide der (Un-)Sichtbarkeit wird das Umweltproblem der Tailings öffentlich als zu lösendes gesellschaftliches Problem anerkannt.
27 Im Unterschied zur vorherigen Stufe geht es dabei nicht allein um die Präsenz des Problems in der öffentlichen Wahrnehmung, sondern seine institutionelle bzw. politische Anerkennung. Diese Anerkennung erfolgt in Chile typischerweise entweder durch ein Gerichtsurteil, das die Umweltverschmutzung bestätigt und das verantwortliche Unternehmen zur Rechenschaft zieht, oder durch die Anerkennung des Ortes als
zona de sacrificio (Opferzone).
28 Letztere werden zwar meistens erstmals von AktivistInnen und NGO als solche identifiziert, anschließend dann in manchen Fällen allerdings auch von staatlichen Behörden prioritär behandelt. Der Status der Opferzone ist somit eine Form der öffentlichen, staatlichen und chileweiten Anerkennung einer besonders starken Umweltbelastung. Von den 127 derzeit manifesten sozial-ökologischen Konflikten in Chile
29 trifft dieser Status allerdings derzeit nur auf fünf Orte zu.
30 Da ein Rechtsstreit gegen ein großes Bergbauunternehmen bei
slow violence-Phänomenen wie den Tailings für die Betroffenen und die Zivilgesellschaft besonders schwer zu gewinnen ist, ist die Anerkennung als
zona de sacrifico ein Versuch, den Staat auch ohne Gerichtsurteil in die Verantwortung zu nehmen bzw. ihn zur Intervention und Anwendung der bestehenden Regulierungen aufzufordern. Auch in den zwei untersuchten Fällen Tierra Amarilla und Chañaral wird dieser Status deshalb von den Betroffenen angestrebt.
Auf dieser Stufe stoßen alle bisher aufgeführten handelnden Akteure auf die institutionellen und strukturellen Rahmenbedingungen, die wiederum erheblichen Einfluss auf die langfristige Sichtbarkeit der Tailings als zu lösendes Umweltproblem und dem gesellschaftlichen Umgang mit ihnen haben.
31 Von den in dieser Forschung untersuchten Fällen hat nur Chañaral die vierte Stufe zeitweise erreicht und stellt diesbezüglich gleichzeitig eine einmalige Ausnahme unter den von Tailings ausgehenden Umweltproblemen in Chile dar. Obwohl in dem letzten Jahrzehnt generell in Chile ein starker Anstieg erfolgreicher Gerichtsverfahren gegen extraktive Großunternehmen zu beobachten ist, geschieht diese Form der Anerkennung eines Umweltproblems verglichen mit der großen Anzahl manifester sozial-ökologischer Konflikte dennoch selten und betrifft so gut wie nie
slow violence-Phänomene, wie sie etwa von Tailings hervorgerufen werden.
Die inaction nach der Anerkennung des Umweltproblems und einem kurzzeitigen Wissenskonsens
Die vierte Stufe baut direkt auf der vorangegangenen auf. Deshalb ergeben sich insbesondere bezüglich des Wissens kaum Änderungen gegenüber der dritten Stufe. Eine Ausnahme bildet die Tatsache, dass offiziell generiertes und anerkanntes wissenschaftliches Wissen nun von besonderer Bedeutung für den Erfolg im Falle eines Gerichtsstreites als auch zur Anerkennung als Opferzone ist. Spätestens wenn diese Anerkennung erfolgt, besteht ein – meist kurzweiliger – Wissenskonsens unter allen beteiligten Akteuren, der vorwiegend auf dem wissenschaftlichen „Beweismaterial“ beruht, das zu dieser Anerkennung geführt hat. Dieser Konsens löst sich allerdings, wie der Fall Chañaral gezeigt hat, schon in dem Moment wieder auf, in dem das Unternehmen die gerichtlichen Auflagen erfüllt, um unter dem Deckmantel der künftigen „Problembehebung“ den Fortbestand der Extraktions- und Produktionsstätte aufrecht zu halten. Der Fall von Chañaral zeigt, dass sich sowohl das Wissen als auch die Wahrnehmung der einzelnen Akteure in Bezug auf eine mögliche Lösung des Konflikts oder gar des Problems wesentlich voneinander unterscheiden und sie sich nach dem Gerichtsurteil und der öffentlichen Anerkennung des Problems wieder in einen neuen Aushandlungsprozess, um die „Wahrheit“ begeben, der die Dauer der gesellschaftlichen Anerkennung des Problems bestimmt.
Diese maximale Form der Sichtbarkeit hat nicht unbedingt
actions zur Lösung des Problems seitens der Unternehmen oder des Staates zur Folge. In den untersuchten Fällen wurden die Bergbauprojekte bis zur Erfüllung der Auflagen zwar stillgelegt, es kam landesweit bisher allerdings noch nie zu einer endgültigen Schließung nach einem Gerichtsstreit. Welche Art der
actions der öffentlichen Anerkennung des Problems folgen und wie ausgeprägt diese sind, hängt direkt von dem bestehenden institutionellen und juristischen Rahmen ab. Während die Umweltregulierungen in Chile generell sehr flexibel in ihrer Auslegung und Anwendung sind, ist die erst seit 2012 bestehende Regulierung der Tailings lückenhaft, in ihrem Anwendungsbereich beschränkt und für die Mehrzahl der Tailings – alle inaktiven und verlassenen – ungültig. All diese Tailings sind somit
juristisch inexistent. Der Fall von Chañaral zeigt, dass durch einen Rechtsstreit zwar erreicht werden kann, dass ein Unternehmen eine illegale Praktik unterlässt,
32 dennoch ist es laut damaliger und heutiger Rechtslage kaum möglich, ein Unternehmen darüber hinaus zur Restaurierung, Sanierung oder Dekontaminierung der belasteten Gebiete zu verpflichten. Dennoch gilt in der Öffentlichkeit „das Problem“ nach Erfüllung der gerichtlichen Auflagen als „gelöst“, wodurch die weiterhin bestehende Schadstoffbelastung danach erneut ihre öffentliche Anerkennung verliert.
Im Fall von Chañaral bestanden die Auflagen für Codelco lediglich in der Unterlassung der weiteren Einleitung ihrer Tailings in den Fluss El Salado und der Errichtung einer Tailingdeponie. Die 350 Millionen Tonnen an Tailings, die sich bis dahin am Fuße des Flusses in der Bucht von Chañaral akkumuliert hatten, waren von den Auflagen nicht betroffen. Wie oben bereits dargestellt, zeigte die darauffolgende symbolisch und diskursiv inszenierte „Lösung des Problems“ seitens des Staates und des Unternehmens seine Wirksamkeit sogar bei den Betroffenen selbst, und „löste“ damit nicht nur den bestehenden Konflikt, sondern beseitigte sowohl das bis dahin bestehende Wissen über die potenziellen Risiken der Tailings als auch die Gefahrenwahrnehmung unter den Betroffenen über einen längeren Zeitraum, obwohl die Probleme vor Ort weiterhin unverändert bestehen. Der Fall ist ohne jegliche Veränderung am bestehenden Umweltproblem von der öffentlichen Anerkennung in wenigen Jahren auf die I. Stufe der allgemeinen Unsichtbarkeit zurückgekehrt.
Während die gesellschaftliche Anerkennung also tendenziell zu
actions seitens des Unternehmens und des Staates führte, die sich allerdings auf die Unsichtbarmachung des Problems richteten, anstatt zu seiner Lösung beizutragen, trug das Gerichtsurteil besonders unter den Betroffenen zur allgemeinen
inaction bei. Auch die anderen beteiligten Akteure – darunter auch WissenschaftlerInnen, Medien und nationale Zivilgesellschaft – zogen sich nach dem Gerichtsurteil teilweise ganz aus der Angelegenheit zurück und stellten ihre bisherigen
actions ein. Die wenigen bisher öffentlich als Umweltproblem sichtbar gewordenen Tailings haben auch zu symbolisch wirksamen staatlich-privaten Projekten wie
adopta un relave (siehe Kapitel
7 zu Tierra Amarilla) geführt. Dabei wird die ökonomisch rentable Wiederaufarbeitung vereinzelter historischer Tailings medial als freiwillige Dekontaminierung durch große Bergbauunternehmen von Tailings, die rechtlich nicht in ihrer Zuständigkeit stehen, dargestellt.
Lähmende institutionelle Rahmenbedingungen, strukturelle sozial-ökologische Ungleichheiten und environmental injustice als gesamtgesellschaftliche Probleme
Die bestehenden Institutionen und Strukturen, die sich hinter den dargestellten „Kämpfen um Anerkennung“ befinden, sind keineswegs neutral und begünstigen einige Akteure in der Durchsetzung ihrer Interessen weit mehr als andere. Diese „strukturellen Selektivitäten“ (Offe 1972: 74ff) lassen sich in Chile als Kombination aus einem vielerorts
abwesenden Staat und einer hohen Machtkonzentration bei den großen Unternehmen kennzeichnen. Wie in Kapitel
5 ausführlich dargestellt, profitieren im chilenischen extraktivistisch neoliberalen Modell besonders die großen (Bergbau-)Unternehmen von ihnen (siehe Kontextkapitel sowie Fischer 2011: 125; Pizarro 2020: 340; Machado 2010: 11; Correa 2016: 27ff). Zur starken Vermögens- und Einkommenskonzentration kommt in Chile eine juristisch abgesicherte Land- und Ressourcenkonzentration in den Händen einer kleinen, aber mächtigen besitzenden Klasse, die mit der politisch herrschenden Klasse eng verbunden ist, hinzu (Matamala 2015:27f; Fischer 2011:150ff; Landherr & Graf 2017, 2021). Einige wenige Familienunternehmen und
Grupos Económicos (Unternehmensgruppen) dominieren die chilenische Wirtschaft
33 und kontrollieren die relevanten Märkte in Form von Oligopolen und Monopolen, wobei die gleichen Unternehmensgruppen zeitgleich in mehreren Wirtschaftssektoren operieren. Dieser
hierarchische Kapitalismus (Schneider 2013) geht mit einer starken sozialen Ungleichheit und der Machtkonzentration bzw. einer hohen strukturellen Macht weniger Akteure einher. Die extreme Kommodifizierung, Privatisierung und ungleiche Verteilung der Ressourcen in Chile hat nicht nur zur Zuspitzung sozial-ökologischer Probleme beigetragen, sondern gleichzeitig die politischen Handlungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Der Staat überträgt auf diese Weise nicht nur die Kontrolle über einen Großteil der industriellen Produktion und der grundlegenden sozialen Dienstleistungen, sondern auch über strategische Ressourcen und Gebiete an private Unternehmen und besitzt in Folge kaum direkte oder juristische Interventionsmöglichkeiten (Landherr, Graf & Puk 2019). Er nimmt die Form eines schlanken
Estado Subsidiario an (Pizarro 2020: 343; Gudynas, 2011: 386): ein größtenteils
abwesender Staat, der lediglich in den Bereichen eingreift, in denen private Akteure nicht investieren und demnach eine Regulierung durch den Markt ausbleibt. Auf diese Weise können wenige große Bergbauunternehmen nicht nur einen Großteil des Ressourcenabbaus auf sich konzentrieren, sondern auch den Großteil der Explorations- und Abbaukonzessionen sowie andere für den Sektor strategische Ressourcen. Die starke
territoriale Macht der Unternehmen in Kombination mit dem
abwesenden Staat haben eine
Beschlagnahme der Demokratie (captura de la democracia) zur Folge (Oxfam 2016a), die zur Unterbindung demokratischer Prozesse und dem Kontrollverlust staatlicher Institutionen über Land und Ressourcen führen. Wie sich ab der zweiten Stufe der (Un-)Sichtbarkeit gezeigt hat, können aufflammende Konflikte durch die Unternehmen auf diese Weise „Enklaven-Intern“ gehalten bzw. gelöst werden, ohne dass sie die Öffentlichkeit erreichen (Landherr & Graf 2021). Die schon beschriebene hohe Organisationsmacht der großen Bergbauunternehmen u. a. durch Unternehmensverbände wie den Consejo Minero ermöglicht den einzelnen Unternehmen Zugriff auf die stärkste Lobby des Landes und direkte Beziehungen zur politischen Klasse, um die Wettbewerbsfähigkeit des Sektors auf dem Weltmarkt und seine Legitimität innerhalb Chiles durchzusetzen (Skoknic 2014). Neben der daraus resultierenden
informellen und
hegemonialen Macht konnten die Unternehmen auf diese Weise gleichzeitig ihre Interessen institutionalisieren, indem sie diese in der heute noch gültigen Verfassung und der Bergbau- und Umweltgesetzgebung verankerten (Machado 2011; Fischer 2011), wodurch bisher jegliche Reformversuche verhindert wurden.
Der institutionelle Rahmen Chiles dient somit vorwiegend der Förderung der wirtschaftlichen Interessen der „besitzenden Klasse“ (Landherr & Graf 2017) und der großen Unternehmen und sichert deren Zugang zu- und Kontrolle über die zentralen Rohstoffe und Gebiete ab. Der Staat fördert den Bergbau aktiv auf nationaler Ebene, während er sich auf regionaler und lokaler zurückzieht. Unter den Investitionsanreizen für die Unternehmen befinden sich auch niedrige Steuerabgaben sowie flexible und teils inexistente Arbeits- und Umweltregulierungen (für die detaillierte Darstellung siehe Kontextkapitel
5). Sowohl das bestehende Bergbaugesetz und der Wasserkodex als auch die Verfassung selbst, ermöglichen die private und teils unwiderrufliche Aneignung des Untergrunds und des Wassers – zwei der zentralen Ressourcen des Bergbausektors – und schützen die Unternehmen vor staatlichen Interventionen (Landherr, Graf & Puk 2019). Das starke, in der Verfassung festgeschriebene Eigentumsrecht gewährt den Unternehmen auch jegliche Befugnisse bezüglich des Zugriffes auf ihre Altlasten und somit auch ihrer Tailings.
34 Gleichzeitig ist die bestehende Regulierung der Tailings lückenhaft, betrifft nur die kleine Gruppe der aktiven Tailingdeponien direkt und beschränkt sich auf deren „sichere Lagerung“ bei Schließung des Bergwerks (siehe Toro Araos 2017; Yurisch Toledo 2016). Dabei werden weder Tailings, Altlasten noch die sicheren Lagerungsform als solche definiert. Aufgrund dieser Rechtslage können juristische Maßnahmen seitens der Betroffenen oder der Zivilgesellschaft auch erst dann ergriffen werden, wenn die Umweltschäden schon eingetreten sind (Medvinsky-Roa, Caroca & Vallejo 2015). Für die 641 inaktiven und verlassenen Tailings – also einen Großteil der chilenischen Tailings – genauso wie für die Restaurierung, Sanierung oder Dekontaminierung der Altlasten besteht bisher weder eine Regulierung noch eine zuständige staatliche Behörde. Sie sind in Folge
juristisch inexistent. Am schwerwiegendsten ist allerdings die Tatsache, dass es keine festgelegten Normen und Richtwerte für die Schadstoffbelastung durch Chemikalien und Schwermetalle gibt, die eine Risikoeinstufung von Untersuchungsergebnissen erst möglich machen würde (Yurisch Toledo 2016:23 ff). Durch das Ausbleiben dieser Richtwerte können sogar staatliche Behörden offiziell keine Schadstoffbelastung feststellen und müssen sich dafür auf internationale Richtwerte berufen, die dann allerdings weder verbindlich noch rechtskräftig sind. Das generierte Wissen hat dadurch also schlichtweg keine Aussagekraft, was eine Risiko- oder Gefahrendefinition anbelangt.
Der institutionelle Rahmen, der in Bezug auf Tailings von einer toxischen Institutionalität begleitet wird und mit der juristischen Inexistenz eines Großteils der Tailings einhergeht, schützt folglich einerseits die Bergbauaktivitäten vor jeglicher – auch staatlicher – externer Intervention. Andererseits verhindert er sowohl eine offiziell anerkannte Problemdiagnose als auch die Regulierung der Tailings vor ihrer Schließung sowie die Identifikation der Verantwortungsträger der durch Tailings entstandenen Umweltbelastungen. Er wirkt sich in dieser Hinsicht einschränkend auf das vorhandene Wissen und lähmend auf die actions staatlicher, zivilgesellschaftlicher und betroffener Akteure aus. Wenn ein sozial-ökologischer Konflikt also die vierte Stufe der Sichtbarkeit beispielsweise durch die Anerkennung des auslösenden Umweltproblems der Tailings durch einen gewonnenen Gerichtsstreit erreicht, dient dieses Urteil meistens vorwiegend nur ebendieser zeitlich begrenzten Anerkennung, da das Unternehmen bei heutiger Rechtslage nicht zu actions zur Problemlösung gezwungen werden kann. Wenn die Anerkennung wiederum durch die Definition als „Opferzone“ resultiert, kann auf diese Weise der Staat zwar durch äußeren Druck zur Rechenschaft gezogen werden, er bleibt allerdings in seinen möglichen actions stark eingeschränkt. Eine ausbleibende offizielle Problemdefinition und Regulierung des Umgangs bzw. der Behebung dieser Art von Umweltproblemen ermöglicht es den Unternehmen zudem, das Problem anschließend durch die auf Stufe III beschriebenen Strategien und Mechanismen in der öffentlichen Wahrnehmung, als gelöst darzustellen.
Die in allen Fällen beobachtete und in Chile weit verbreitete
environmental injustice (Pulido 1996, 2015; Newton 2009) trägt ebenfalls zur Unsichtbarkeit der mit den Tailings verbundenen Probleme bei. Die strukturelle soziale Ungleichheit des Landes kombiniert mit der derzeitigen Häufung dringlicher, unmittelbarer und immer sichtbarer werdender Umweltprobleme – allen voran der landesweite Wassermangel – führen einerseits dazu, dass gerade
slow violence-Phänomene besonders weit hinten in der Prioritätenliste der – oftmals nicht wissentlich – direkt betroffenen ChilenInnen stehen.
35 Andererseits fördert die gleichzeitige Überlappung mehrerer Ungleichheiten und Umweltbelastungen das Gefühl der Machtlosigkeit bei den Betroffenen und begünstigt – besonders dann, wenn nach einem gewonnenen Rechtsstreit das Problem nicht behoben wird – bei vielen der wissentlich Betroffenen einen Zustand der
toxischen Frustration (Singer 2011). Die sehr kleine und mächtige besitzende Klasse, die einerseits selbst einen Großteil der extraktiven Sektoren kontrolliert, mit den großen transnationalen Unternehmen kooperiert und mit der politischen Elite eng vernetzt ist, sieht ihre Position durch eine große Kluft gesichert, die zwischen den (Macht-)Positionen der zwei antagonistischen Hauptakteure – den extraktiven Unternehmen und der lokalen Bevölkerung – klafft. Dies hat besonders für deren jeweilige Handlungsmöglichkeiten und ihren Handlungsspielraum große Auswirkungen und erscheint für die Betroffenen eine unüberwindbare Hürde zur Durchsetzung ihrer Interessen gegenüber so mächtigen Gegenspielern.
Trotz der institutionellen und strukturellen Rahmenbedingungen, die der gesellschaftlichen Sichtbarwerdung und Anerkennung von Umweltproblemen und im Besonderen von
slow violence-Phänomenen wie den Tailings, derzeit im Weg stehen, ist in den letzten Jahren ein Erstarken sozial-ökologischer Kämpfe zu beobachten. Diese stehen in enger Verbindung mit der allgemeinen Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem extraktivistisch neoliberalen chilenischen Wirtschaftsmodell, die im Oktober 2019 auch zum
estallido social (siehe Kontextkapitel
5) geführt haben. Neben den hohen Lebenserhaltungskosten, den prekären Arbeitsverhältnissen, teuren und schlechten Gesundheits-, Bildungs- und Rentensystemen sowie kaum existierenden sozialen Aufstiegschancen und der hohen Verschuldung der Mehrheit der ChilenInnen, waren auch die sozialen und ökologischen Kosten der extraktiven Industrien, die zur Zerstörung der Lebens-, Produktions- und Subsistenzgrundlagen der Bevölkerung führen, ein zentraler Auslöser der Protestbewegungen. Die bröckelnde gesellschaftliche Legitimität des neoliberal extraktivistischen Wirtschaftsmodell betrifft sowohl ihre extraktivistische Grundlage als auch die Umverteilung der Erträge und der daraus resultierenden Ungleichheit. Dies und die starke Krise des Sektors nach Ende des Rohstoffbooms ab 2014 sowie die dadurch sichtbar gewordene Abhängigkeit des Sektors von den Weltmarktpreisen und die im Land hinterlassenen sozialen und ökologischen Kosten haben die Legitimität des Bergbausektors als zentralem Wirtschaftsmotor des Landes gesellschaftlich in Frage gestellt. Auf diese Weise stößt der Sektor nicht nur auf seine ökologischen Grenzen (siehe Abschnitt
5.2.3), sondern auch auf sozialen Widerstand, der sich in den letzten Jahren u. a. durch eine Reihe teilweise erfolgreicher Gerichtsverfahren gegen große Bergbauunternehmen geäußert hat.
Neuere Entwicklungen und Veränderungen der Rahmenbedingungen für die (Un-)Sichtbarkeit von und die Konflikte um Tailings in Chile
Obwohl bis heute Tailings als solche und besonders als Quelle von Umweltbelastungen in Chile weitgehend gesellschaftlich unsichtbar sind und eine generelle Tatenlosigkeit seitens aller Akteure bezüglich einer Problemlösung zu beobachten ist, wirken sich derzeit zwei Aspekte begünstigend auf die Entstehung und den Erfolg sozial-ökologischer Konflikte im Allgemeinen aus und öffnen somit auch ein Möglichkeitsfenster für die Sichtbarkeit der mit Tailings verbundenen Gesundheits- und Umweltprobleme. Es handelt sich dabei einerseits um die von Maristella Svampa (2020) beschriebene allgemeine
ambientalización (Ökologisierung) der sozialen Bewegungen und Kämpfe in Lateinamerika sowie die
ökoterritoriale Wende, als eine besondere Form des
environmentalism of the poor (Martinez-Alier 2002) und der
environmental justice-Bewegungen (Pulido 1996), die die Entstehung von sozial-ökologischen Konflikten sowohl begünstigen als auch eine gesellschaftliche Legitimität ihrer Anliegen geschaffen haben. Auf der anderen Seite haben die bisher gewonnenen Gerichtsverfahren zwar selten zu einer langfristigen Lösung der Umweltprobleme geführt, sie stehen allerdings als Präzedenzfälle zur öffentlichen Anerkennung anderer Umweltverschmutzungsfälle zur Verfügung. Wie das Gerichtsurteil Ende der 1980er Jahre im Fall von Chañaral und die spätere Sichtbarkeit der Tailings von Las Palmas durch einen Dammbruch gezeigt haben und wie auch anhand anderer medial präsenter Umweltprobleme beobachtet werden kann,
36 reicht manchmal bereits die gesellschaftliche Anerkennung vereinzelter emblematischer Fälle aus, um sowohl das verfügbare Wissen über das Problem zu verbreiten, bisher unbeteiligte Akteure miteinzubeziehen und die Handlungsmöglichkeiten aller beteiligten Akteure zu erweitern. Die oben beschriebenen Kontextveränderungen könnten eine Häufung solcher Fälle begünstigen und auf diese Weise auch bezüglich der Schadstoffbelastungen durch Tailings ein anhaltendes Problembewusstsein in der öffentlichen Wahrnehmung hervorrufen. Letzteres wiederum würde auch die Kräfteverhältnisse bei den Aushandlungsprozessen um die „Wahrheit“ bezüglich der Umweltverschmutzung durch Tailings und ihren möglichen Auswirkungen auf die Bevölkerung verändern. Insbesondere aber öffnet dieser Kontext neue Diskussionsfenster und alternative gegenhegemoniale Diskurse und Entwicklungswege, in denen der Bergbau nicht mehr als unantastbarer Sektor und als „Erlöser aus der Unterentwicklung“, sondern als „Verursacher von Problemen“ verstanden wird. Dies würde auch einen Platz zur Auseinandersetzung mit den Tailings und dem gesellschaftlichen Umgang mit ihnen ermöglichen.
Zu diesen diskursiven Veränderungen in Chile selbst kommt auch der immer größer werdende Konsens bezüglich der Notwendigkeit einer globalen Bekämpfung des Klimawandels, in dem mittlerweile – zumindest vereinzelt – auch
slow violence-Phänomene berücksichtigt werden. Dabei hat sich allerdings ein neuer hegemonialer Diskurs eines
green capitalism durchgesetzt, dessen Lösungsansätze vorwiegend im Einsatz erneuerbarer Energien und technologischer Innovationen bestehen. Dieser Diskurs wird auch vom chilenischen Staat
37 und den großen Bergbauunternehmen
38, aber auch von internationalen Organisationen und Staaten des
globalen Nordens dazu genutzt,
39 die Notwendigkeit der Fortführung oder gar des Ausbaus des Rohstoffabbaus in Chile zu rechtfertigen. Besonders das chilenische Kupfer und Lithium werden als unabdingbar für eine globale sozial-ökologische Transformation dargestellt. Ökologische Krisenbearbeitung bedeutet in der Folge weniger gegen die durch den Bergbau verursachten Schäden vorzugehen, als vielmehr deren Förderung eher zu intensivieren und die Produktion von Tailings in Chile zu steigern. Ein Blick auf die internationalen Abkommen, die Großzahl der bestehenden asiatischen und europäischen „technischen“ Kooperationsprojekte oder sogar auf die Rohstoffsicherungspolitik der Bundesregierung zeigt auch in diesem Kontext die internationale Relevanz des chilenischen Bergbausektors (siehe Kontextkapitel
5). Mit dem globalen Druck zur Intensivierung des Bergbaus und der Vertiefung des Extraktivismus geht auch ein allgemeines (exogenes und endogenes) Interesse einher, jegliche Faktoren, die die Bergbauaktivitäten behindern – darunter auch sozial-ökologische Konflikte oder die Sichtbarkeit von schwerwiegenden Umweltproblemen wie sie von Tailings hervorgerufen werden – zu unterbinden. Umweltbewegungen und -aktivistInnen, die sich den „fortschrittsbringenden“ Sektoren widersetzten, werden nicht nur von den Unternehmen und in den öffentlichen Medien wiederholt als „Fortschrittsgegner“ dargestellt, sondern erfahren diese Beschuldigungen auch auf lokaler Ebene innerhalb der eigenen Gemeinde (siehe Kapitel
8 zu Chañaral). Die (trans-)nationalen Unternehmen und die besitzende Klasse Chiles wenden zudem eine ganze Palette unterschiedlicher Mechanismen an, um die Internalisierung externer Kosten im Land und vor allem in den regionalen Peripherien zu legitimieren (Landherr & Graf 2019, 2021). Als Resultat der internationalen Macht- und Herrschaftsverhältnisse wird der Platz Chiles in der internationalen Arbeitsteilung und im kapitalistischen Weltsystem auf diese Weise gewährleistet und verfestigt.
40 Insgesamt wird deutlich, dass auf der vierten Stufe gesamtgesellschaftliche „Kämpfe um Anerkennung“ der Tailings als Gesundheitsrisiken und Umweltprobleme durch die institutionellen Rahmenbedingungen und die Machtkonzentration bei der besitzenden Klasse und den transnationalen Unternehmen sowie durch die Überlagerung einer Vielzahl von ökologischen und sozialen Problemen bei der lokalen Bevölkerung weitgehend behindert werden. Gesteigert wird diese Problematik durch die internationalen Abhängigkeiten und Interessen an der chilenischen Rohstoffförderung, die aktuell im Rahmen der ökologischen Krisenpolitik eher verstärkt als abgeschwächt werden. Lediglich die in den letzten Jahren aufkommenden sozial-ökologischen Proteste verstärken die Sichtbarkeit der enormen sozialen und ökologischen Kosten der extraktivistischen Ausrichtung der chilenischen Ökonomie, was langfristig auch die Sichtbarkeit der Schadstoffbelastung durch Tailings begünstigen könnte.
Die Tabelle
9.1 dient zur Veranschaulichung einiger zentraler Ergebnisse meiner Forschung entlang der vier Stufen der (Un-)Sichtbarkeitspyramide (eine detaillierte Tabelle mit allen Ergebnissen ist im Anhang im elektronischen Zusatzmaterial einsehbar). Wie bereits beschrieben, ist die (Un-)Sichtbarkeit dabei kein konstanter Zustand der Tailings, sondern vielmehr ein Prozess. So, wie jeder Fall zwischen den Stufen fluktuiert, können dies im Einzelfall auch einzelne Kategorien und Ergebnisse tun.
Tabelle 9.1
Übersicht zentraler Ergebnisse entlang der (Un-)Sichtbarkeitsstufen. (Eigene Darstellung)
Allgemeine
Unsichtbarkeit
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Materielle Unsichtbarkeit, allgemeine Ungewissheit/Nichtwissen (Roberts & Langston 2008; Wehling 2006) und ausbleibende kollektive Gefahrenwahrnehmung
Kein Zugang zu anerkanntem Wissen, keine kollektiven actions und ausbleibender Konflikt
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Environmental injustice (Pulido 1996), toxische Ungewissheit (Auyero & Swistun 2008a,b) und toxische Frustration (Singer 2011)
Toxische Institutionalität und wissenschaftliche Produktion von Unbestimmtheit
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Lokale
Sichtbarkeit
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Überwindung materieller Unsichtbarkeit, kollektive Gefahrenwahrnehmung trotz allgemeiner Ungewissheit
Kollektive actions der Betroffenen (latenter Konflikt) und erste (re)actions des Unternehmens
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Abwesender Staat und Territoriale Macht des Unternehmens (Landherr & Graf 2021)
Abhängigkeit und Interessenskonflikte unter den Betroffenen
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Öffentliche Sichtbarkeit
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Öffentliche Sichtbarkeit durch manifesten Konflikt, anerkanntes wissenschaftliches Wissen
Aktive Produktion von Ungewissheit und Dominanz der actions zur Unsichtbarmachung
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Aushandlungsprozess um die „Wahrheit“
Bildung von Allianzen mit sehr unterschiedlichen Machtressourcen (Landherr & Graf 2017)
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Öffentliche Anerkennung
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Gesellschaftliche Anerkennung des Problems, erfolgreicher Konflikt, ausbleibende Lösung des Problems
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Institutionelle und strukturelle Rahmenbedingungen fördern Unsichtbarkeit
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