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Erschienen in: Österreichische Wasser- und Abfallwirtschaft 7-8/2018

Open Access 26.07.2018 | Praxisthema

Sauberer Verkehr per Gesetz: Nachhaltige Mobilitätsentwicklung als Herausforderung

verfasst von: Univ.-Ass. Mag. Dominik Geringer

Erschienen in: Österreichische Wasser- und Abfallwirtschaft | Ausgabe 7-8/2018

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Hinweise
Zu diesem Beitrag ist ein Erratum online unter https://​doi.​org/​10.​1007/​s00506-018-0516-2 verfügbar.

1 Einleitung

Seit 31. Mai 2018 ist das erste Diesel-Fahrverbot Deutschlands in Kraft, das die Befahrung bestimmter Straßenabschnitte der Hamburger Innenstadt mit älteren Selbstzündermotoren unter Strafe stellt. Auch hierzulande werden ähnliche verkehrspolitische Maßnahmen diskutiert, die zu sauberer Luft in den Städten beitragen sollen – zuletzt sorgte etwa der Vorschlag einer „Pendler-Maut“ in Wien für Diskussion. Was von Autofahrerclubs kategorisch abgelehnt wird und KlimaschützerInnen doch nicht weit genug geht, ist im Kern freilich mehr als die von beiden Seiten so bezeichnete Symbolpolitik. Tatsächlich ist es das erste Austesten – wenn man so möchte, der Grundstein – eines notwendigen Umdenkens, mit dem der Umweltgedanke Einzug in die Mobilität erhält. Zwar eignet sich die deutsche Fahrverbotszone ob ihrer kleinräumigen Ausgestaltung kaum als Vorzeigemaßnahme, dennoch ist absehbar, dass weitere europäische Städte ihrer Intention folgen werden. Ob dies auch auf Österreich zutrifft, wird durch die jüngste Absichtserklärung der Bundesregierung in ihrer Klima- und Energiestrategie 2018, wonach sie eine „umwelt- und innovationsfreundliche Mobilitätswende“ forciert, zumindest nicht ausgeschlossen.
Grund für diese Stoßrichtung geben die aktuellen statistischen Erhebungen, denen zufolge der Verkehrssektor regelmäßig die ihm gesetzten Klimaziele verfehlt. Seit 1990 ist eine Zunahme um rund 67 % der Treibhausgas-Emissionen zu verzeichnen.1 Insgesamt entfällt hierbei auf den Verkehr ein Anteil von ca 25 % der Treibhausgas-Emissionen der EU und ca 28 % jener Österreichs. Es erscheint daher nur folgerichtig, dass die EU ihren Mitgliedstaaten strikte Höchstgrenzen setzt. Um die Erfüllung dieser rechtsverbindlichen Zielvorgaben sicherzustellen, sind die jeweiligen Regierungen angehalten, in ihrem Gestaltungsspielraum entsprechend tätig zu werden.
Gleichzeitig ist es allerdings auch der EU-Binnenmarkt, der mitunter die größte Hürde für die Implementierung wirkmächtiger verkehrsrechtlicher Maßnahmen, die auf eine nachhaltige klimaneutrale Entwicklung abzielen, darstellt. Für den österreichischen Gesetzgeber bedeutet dies, neben den sozialen und ökonomischen Herausforderungen, die Einschnitte im Verkehr mit sich bringen, insbesondere auf die Verhältnismäßigkeit seiner Handlungsoptionen zu achten.

2 Verkehrspolitische Entwicklung

Um ein Verständnis für die (rechtlichen) Hürden eines auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Verkehrssystems zu entwickeln, bedarf es zu allererst eines historischen Rückblicks. Der Mobilitätsbegriff steht hierbei vorrangig im Fokus, er bildet die Ursache aber auch das Ziel der nachstehenden Darstellung.
Mobilität ist ein Grundbedürfnis der Menschen, sie ist das Lebenselixier des Wirtschaftsraumes und steht für individuelle Freiheit sowie ökonomisches Wohl gleichermaßen. Bekanntlich nahm daher die Errichtung eines gemeinsamen Verkehrsraums ohne Schranken eine tragende Rolle im Integrationsprozess der EU ein. Nur der freie Handel – der Binnenmarkt – ist in der Lage, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt der Staaten zu sichern. Die Verwirklichung des Binnenmarktes und seiner Grundfreiheiten – freier Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital – ist nach wie vor das wesentliche Fundament der EU, zuletzt verankert im Vertrag von Lissabon. Protektionistische Verkehrsbestimmungen aus einer Zeit, als die Kontrolle und Regulierung des grenzüberschreitenden Verkehrs traditionell noch ausschließlich bei den Nationalstaaten lag, wurden auf diese Weise für die Zukunft verunmöglicht.
Die Entwicklung und Entfaltung einer gemeinsamen Verkehrspolitik ist nunmehr mit anderen Herausforderungen konfrontiert: Aus der Verwirklichung des Binnenmarktes, der wirtschaftlichen Freiheit und des Wachstums resultiert(e) die Zunahme von grenzüberschreitenden Transportvolumina auf dem Straßennetz der EU und damit einhergehend die Zunahme der Belastungen für Umwelt und Menschen. Alleine in den Jahren 1990 bis 2005 haben sich die Transportleistungen bei PKW in Österreich um 30 %, die des Güterverkehrs um 58 % erhöht – Tendenz steigend. Neben den umweltrechtlichen Folgen wie Lärmemissionen, Flächenverbrauch und Segmentierung der Landschaft kommt es im Besonderen auch zur klimarelevanten Belastung der Luftqualität durch Schadstoffe und Treibhausgase. Die Ursache dafür liegt in der Abhängigkeit des (Straßen‑)Verkehrs von Energie aus fossilen Treibstoffen – einem Verkehrssystem also, das sich, trotz technischer Fortschritte, des Potenzials für kostenwirksame Energieeffizienzsteigerungen und politischer Anstrengungen, seit 40 Jahren nicht grundlegend geändert hat.
Mit den ökologischen Auswirkungen einhergehend begründete sich ein neues Verständnis von der Bedeutung einer nachhaltigen Entwicklung, der Rücksichtnahme auf Bedürfnisse der heutigen sowie zukünftigen Generationen. Dieses Nachhaltigkeitsprinzip ist in den vergangenen Jahren nunmehr verstärkt Gegenstand rechtlicher und planerischer Maßnahmen geworden. Sowohl das Unionsrecht als auch das österreichische Bundes- und das Landesrecht kennen entsprechende Zielbestimmungen, die Verbindung von umweltrelevanten Aspekten mit denen einer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu fördern. Konkrete Handlungsverpflichtungen den Verkehr betreffend lassen sich daraus explizit nicht ableiten.

3 Normative Konzepte als Lösungen

Ambitionierte Zielvorgaben und Berücksichtigungsgebote sind notwendige Instrumente, um ein nachhaltiges Verkehrssystem auf den Weg zu bringen. Sie alleine schaffen jedoch noch keine Wende im Verkehrssektor. Das ausschlaggebende Schlüsselelement ist die Transformation in geltendes Recht. Sowohl im föderalen Mehrebenensystem der Union und der Rechtsordnungen ihrer Mitgliedstaaten sind entsprechende normative Akte nach Maßgabe der Kompetenzverteilung zu setzen. Da es sich beim (Straßen‑)Verkehr um eine multisektorale Materie handelt und es kein einheitliches „Verkehrsgesetz“ gibt, müssen diese Anpassungen überall dort stattfinden, wo das Recht auf Schadstoffemissionen einwirken kann.
Bereits 1994 formulierte etwa die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags eine grundlegende und zutreffende Zieltriade, nämlich die Verlagerung des Straßenverkehrs auf umweltverträglichere Transportsysteme, die ökologische (insbesondere technische) Optimierung aller Verkehrsträger sowie die Vermeidung des überflüssigen Verkehrs.2 Die Verfolgung dieser Ziele ist ob der gleichbleibenden Belastungen durch den Straßenverkehr aktueller denn je. Denkmöglich sind zumindest drei grundsätzliche Handlungsstrategien, die eine Implementierung in geltendes Recht ermöglichen:
a)
Mit der Absicht, den Straßenverkehr auf ein emissionsneutrales Transportsystem umzustellen, ist in erster Linie die Verlagerung auf den Schienenverkehr gemeint. Besonders in Gebieten, in denen sich aufgrund geografischer Verhältnisse der Transitverkehr von Gütern besonders konzentriert – aber auch in urbanen Gebieten – bedarf es normativer Maßnahmen. Eine geeignete Infrastruktur sowie die Transportfähigkeit der Güter per Bahn vorausgesetzt, kann einer Verlagerungsverpflichtung auf die Schiene ein hohes Potenzial zur Emissionseinsparung beigemessen werden.
 
b)
Die Gesetzgeber der EU und ihrer Mitgliedstaaten sind darüber hinaus in der Lage, den Straßenverkehr einer Regulierung zu unterstellen. Angesichts der Liberalisierung und Privatisierung im Verkehrssektor zielen regulierende Maßnahmen darauf ab, durch staatlichen Eingriff direkt auf Mobilitätsprozesse einzuwirken. Abstellend auf die verwendete Technologie oder die tatsächlich emitierten Schadstoffe sind die zu treffenden Schutzmaßnahmen in der Lage, eine Kanalisierung von Verkehrsströmen und die Beeinflussung von Verkehrsträgern sicherzustellen, die geeignet sind, die Verwirklichung der Umweltschutzziele zu gewährleisten. In concreto ist eine Vielzahl an Instrumenten der Verhaltenssteuerung denkbar, bspw. von Fahrleistung oder Schadstoffklasse abhängige Mautsysteme oder aber technologiebezogene Betriebseinschränkungen in sensiblen Gebieten.
 
c)
Neben Regulierungsvorschriften, deren lebensnahe Umsetzung letztlich und notwendigerweise darin besteht, gesetzliche Zwangsvorschriften zu schaffen, besteht eine parallele Steuerungstaktik darin, eine Verkehrsoptimierung mittels Anreizinstrumenten voranzutreiben. Dem Ansatz der Verkehrsoptimierung liegt die Annahme zugrunde, dass insbesondere finanzielle Vorteile, bspw. aus Steuerersparnissen oder Subventionen, einen gewichtigen Einfluss auf das Konsum- und Mobilitätsverhalten zeigen.
 

4 Rechtliche Rahmenbedingungen

Im Sinne eines gemeinsamen europäischen Handelns wäre es von vordergründigem Interesse, einheitliche Regelungen zur Sicherstellung einer nachhaltigen Entwicklung auf Ebene des Europarechts zu erlassen. Die „geteilte“ Zuständigkeit auf dem Verkehrssektor erlaubt es freilich auch den Mitgliedstaaten, den Verkehr auf ihrem Staatsgebiet zu reglementieren, solange sich dadurch kein Widerspruch zum Unionsrecht ergibt (als Beispiele dienen Mautsysteme, Geschwindigkeitsregelungen etc). Da aufgrund dieser geteilten Zuständigkeit einerseits und der schwierigen politischen Konsensfindung andererseits ein umfängliches gemeinsames Handeln vorerst unwahrscheinlich erscheint, liegt es an den Mitgliedstaaten, eigenständig in Richtung umweltfreundlichen Verkehrs tätig zu werden. Unter gewissen Voraussetzungen sind Rechtsakte in Form von sog. „verstärkten Schutzmaßnahmen“ möglich, mit anderen Worten die Verfolgung strengerer Schutzstandards, als sie die Union selbst vorsieht. Diese Praxis wird in Europa bereits gelebt, gestaltet sich allerdings gegenüber unionsrechtlich determinierten Lösungen bzw in Konkurrenz mit den Grundfreiheiten des Binnenmarkts als rechtlich „heikel“. Eine nachhaltige Verkehrspolitik wird regelmäßig dann umsetzbar sein, wenn sie sich innerhalb der Grenzen, die u. a. durch Warenverkehrsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit, die Wettbewerbsbestimmungen und das Gleichheitsgebot vorgegeben sind, bewegt.
Allgemein gilt: Das Interesse am Klima- und Umweltschutz überwiegt die Grundfreiheiten des Binnenmarktes nicht. Sämtliche Maßnahmen müssen sich der Prüfung stellen, ob eine – allenfalls indirekte – Diskriminierung, etwa in Form einer mengenmäßigen Einfuhrbeschränkung, vorliegt. Bei der konkreten Ausgestaltung des rechtlichen Gestaltungsspielraums nationaler Gesetzgeber ist sodann der strenge Maßstab der Verhältnismäßigkeit anzusetzen. Beispielhaft dafür sei das „Sektorale Fahrverbot“ auf der Tiroler Inntalautobahn für Gütertransporte auf LKW genannt, das erst nach mehreren negativen Urteilen des EuGHs in deutlich entschärfter Form Gültigkeit erlangte.

5 Weitere Herausforderungen bei der Umsetzung

Nicht nur auf Ebene des Rechts werden die Hürden für den Gesetzgeber evident. Will man klimaneutrale Maßnahmen implementieren, müssen diese auch sozialen und ökonomischen Gesichtspunkten Rechnung tragen. Insbesondere die soziale Verträglichkeit bzw. Akzeptanz stellt eine große politische Herausforderung dar, bedenkt man nur die fundamentale soziale Funktion von Mobilitätsbedürfnissen im täglichen (Wirtschafts‑)Leben. Dennoch gilt, dass sich die – nicht nur sanfte, sondern auch durchaus mutige – politische Einflussnahme nicht gedanklichen Schranken unterwerfen muss: Während es Ende der 1960er-Jahre unvorstellbar gewesen war, Autos aus der Kärntner Straße in Wien wegen Besorgnis vor einer verödeten Straße zu verbannen, wäre heute eine anderslautende verkehrspolitische Entscheidung nicht mehr zeitgemäß.
Auf der anderen Seite verdeutlicht die nur marginal voranschreitende Verbreitung der alternativen und erneuerbaren Antriebstechniken, dass Überlegungen zur Kosteneffizienz und Praktikabilität sehr wohl wesentliche Auswirkungen, hier etwa auf das Konsumverhalten, haben können. Nur der Einklang mit normativen Anreizmodellen (siehe oben) vermag es folglich, durch eine sorgfältige Bedachtnahme auf alle Verkehrsteilnehmer und die Erhaltung der Mobilität über eine erfolgreiche nachhaltige Entwicklung zu entscheiden.

6 Ausblick

Im Augenblick besticht der Sektor Verkehr zwar durch eine Vielzahl politischer Absichtserklärungen auf mehreren Ebenen, zu einer wirkmächtigen Umsetzung fehlen bislang die notwendigen Initiativen. Tatsächlich hängen viele der von der Bundesregierung in Aussicht gestellten Instrumente, wie bspw. Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel oder der E‑Ladeinfrastruktur, im Wesentlichen vom Konsens über die Finanzierung ab. Jene (noch) theoretischen Maßnahmen, die auf den Personen- und Güterverkehr im Wege einer direkten oder indirekten Steuerung Einfluss nehmen, werfen hingegen eine Bandbreite komplexer rechtlicher Fragen auf. Die rechtsdogmatische Analyse dieser Fragen hat sich der Autor zur Kernaufgabe seiner Dissertation gemacht. Die am Ende vorliegenden Forschungsergebnisse verstehen sich auch als Appell für eine moderne Verkehrspolitik mit ihren immanenten ökologischen, ökonomischen und sozialen Funktionen und letztlich für mehr Entschlossenheit, nachhaltige Maßnahmen im Verkehrsrecht umzusetzen. Es gilt, die Chancen, die sich zweifellos aus einer innovativen und modernen Mobilität ergeben, zu nutzen und rechtsverbindlich vorzuschreiben – dazu muss auch nicht gleich das Rad neu erfunden werden.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Fußnoten
1
Sämtliche verwendeten statistischen Daten sind den Umweltkontrollberichten des Umweltbundesamtes entnommen, abrufbar unter http://​www.​umweltbundesamt.​at/​umweltsituation/​umweltkontrollbe​richt/​ (zuletzt abgerufen am 20.06.2018).
 
2
Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, Schlussbericht „Schutz der Erdatmosphäre“ 12/8600 vom 31.10.1994, 598 ff.
 
Metadaten
Titel
Sauberer Verkehr per Gesetz: Nachhaltige Mobilitätsentwicklung als Herausforderung
verfasst von
Univ.-Ass. Mag. Dominik Geringer
Publikationsdatum
26.07.2018
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Österreichische Wasser- und Abfallwirtschaft / Ausgabe 7-8/2018
Print ISSN: 0945-358X
Elektronische ISSN: 1613-7566
DOI
https://doi.org/10.1007/s00506-018-0511-7

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