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Erschienen in: Organisationsberatung, Supervision, Coaching 4/2022

Open Access 22.11.2022 | Hauptbeiträge

Online-Meetings: Fluch und Segen eines digitalen Kommunikationsformats

verfasst von: Dr. Sebastian Kunert

Erschienen in: Organisationsberatung, Supervision, Coaching | Ausgabe 4/2022

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Zusammenfassung

Dieser Artikel widmet sich virtuellen Konferenzformaten und deren Eigenheiten. Aus verschiedenen psychologischen Perspektiven wird der Frage nachgegangen, was Online-Meetings von Präsenztreffen unterscheidet, wo die Gründe für die vorzeitige Erschöpfung in solchen digitalen Formaten liegen und welchen Risiken man sich bei ihrem Einsatz bewusst sein muss. Der Beitrag endet mit einem Plädoyer für eine integrative Perspektive von Präsenz, asynchronen und synchronen digitalen Kommunikationsformaten.

1 Einleitung

Online-Meetings sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Der Trend zur ortsunabhängigen synchronen Verständigung hat nicht erst mit der Corona-Pandemie angefangen, aber durch diese gesellschaftliche Zäsur einen enormen Aufschwung erfahren. Bereits seit der Erfindung und Verbreitung des Telefons gibt es Forschung zu diesem Themenkomplex. Die wesentlichen Erkenntnisse zur Psychologie medien-gestützter Kommunikation gelten unverändert auch für Online-Meetings. Neu ist dagegen die gesamtgesellschaftliche Bedeutung. War es bis in die 90er-Jahre hinein eher ein Nischenthema, betrifft es heute die breite Masse. Umso wichtiger ist es, Kund:innen und Auftraggeber:innen mit den Besonderheiten virtueller synchroner Kommunikationsformate vertraut zu machen.
In diesem Beitrag möchte ich die wesentlichen Charakteristika von Online-Meetings aus einer psychologischen Sicht darstellen. In der Folge ergeben sich Anhaltspunkte, wo diese Technik geeignet ist und wann man besser auf alternative Austauschformate zurückgreift.

2 Online-Meetings sind (technisch) nichts neues!

Wer denkt, Videokonferenzen seien eine Errungenschaft des 21. Jahrhunderts, hat weit gefehlt. Bereits in den 1870er Jahren schwärmte man unter den Begriff Telephonoscope von den Möglichkeiten einer solchen, damals aber noch nicht umsetzbaren Errungenschaft. 1927 konnte erstmals ein Videotelefonat durch Bell Labs realisiert werden. 1936 präsentierte die Deutschen Reichspost den ersten öffentlichen Bildfernsprechdienst der Welt zwischen Berlin und Leipzig, kurz danach erweitert bis nach München und Österreich. Wenig später experimentierte man auch in den USA, Frankreich und Großbritannien mit solcher Technik. Diese frühen Ansätze waren allerdings noch ortsgebunden und wirtschaftlich nicht rentabel. Das erste Video-Konferenz-System nach heutigem Maßstab präsentierte ab 1970 AT&T mit dem Picturephone, das sich aber wegen der hohen Kosten nicht flächendeckend durchsetzte. Erst mit der Einführung von Microsoft Skype in 2003 waren Videokonferenzen endgültig etabliert.
Aus der Mitte des letzten Jahrhunderts stammt auch eines der ersten Theoriemodelle elektronisch-vermittelter Kommunikation (für eine gelungene Übersicht vgl. Boos und Jonas 2008). Der spätere Nobelpreisträger Claude E. Shannon (1948) nutzte ein Sender-Empfänger-Konzept, um die Wahrscheinlichkeit für störungsfreien Informationsaustausch numerisch darzustellen. Im Kern handelt es sich um einen Codierungs-Übermittlungs-Recodierungsvorgang, bei dem ein Signal (Information) von der Quelle (Sender) zum Ziel (Empfänger) über ein Medium (Kanal) transportiert werden soll. Wichtig war dem Autor die Qualität jenes Kanals sowie dessen Passung zum Signal, um störende Interferenzen (Rauschen) zu minimieren. Das propagierte Ziel war der verlustfreie Transport, sodass die Information auf beiden Seiten möglichst identisch ist.
Dieses Phänomen der Kanalreduktion (Döring 2003) ist von ungebrochener Relevanz. Während man sich in den Anfangsjahren medienvermittelter Kommunikation mit dem technisch-bedingten Verlust an Informationen abfinden musste, ist es heute ein bewusst gewähltes Feature. So berichten Autor:innen über gute Erfahrungen im Coaching (Martens-Schmid 2018), der Organisationsentwicklung (Matthiesen und Spengler 2020) und im Mediationskontext (Barth 2022) vornehmlich durch die Reduktion von Reizen und eine damit einhergehende Konzentration auf das Wesentliche.
Inzwischen hat sich das Problem der Kanalreduktion in ein Problem der Informationsfülle gewandelt. Zum Wesen von Online-Meetings gehört der Anspruch, so reichhaltig wie möglich zu sein, um einem Gespräch in Präsenz so nahe wie möglich zu kommen. Bei Microsoft Teams, Skype, Zoom und anderen Plattformen behilft man sich diesbezüglich mit technischen Features, die neben Bild und Ton einen zweiten oder gar dritten und vierten Kanal eröffnen: Im Chat lassen sich kleine Kommentare machen, durch Emoticons und Piktogramme können Emotionen ausgedrückt werden, geteilte Bildschirme vermitteln einen gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus, und temporäre Kleingruppen sollen Intimität herstellen. So lässt sich zu den verbalen und para-verbalen Informationen ein Teil der non-verbalen Reize ergänzen. Auf diese Weise soll das Kommunikationserleben ganzheitlicher werden. Jedoch trägt die Technik das Manko der separierten Gleichzeitigkeit in sich. Während in einem Präsenztreffen die non-verbalen Signale in das Gesamtgeschehen integriert sind, kommt es in virtuellen Treffen zur getrennten Vermittlung. So zeigen z. B. einige Teilnehmende eines Online-Meetings ihre abnehmende Konzentration durch hörbares Seufzen, andere nutzen eine Symboltaste, schalten den Bildschirm aus oder heben die Empfindung auf die textliche Ebene durch einen Chateintrag. Den Botschaften in den verschiedenen Kanälen mangelt es an gegenseitiger Bezogenheit. Die Kanalreduktion wandelt sich zu einer Kanalparallelität (Kunert 2020).

3 Online-Meetings sind anstrengend!

Diese Separierung von Informationen, vor allem der nonverbalen Signale, ist der wesentliche Grund dafür, warum Online-Meetings als deutlich anstrengender wahrgenommen werden als Präsenztreffen oder technisch anspruchsärmere Kommunikationsformate wie E‑Mails, Chats oder Telefonate (Beldarrain und Diehl 2019). Da der Bildausschnitt sehr begrenzt ist und eine Menge nonverbaler Hinweisreize nicht verfügbar sind, müssen die entsprechenden Botschaften aktiv gesendet bzw. interpretiert werden. In einer Studie des Stanford Professors Jeffrey Hancock wird der daraus resultierende Mehraufwand empirisch bestätigt. Er hat mit einem internationalen Team über 10.000 Probanden auf der ganzen Welt nach ihren Erfahrungen mit Online-Meetings befragt. Hierfür wurde eine eigens entwickelte Zoom Exhaustion & Fatigue Scale (Fauville et al. 2021a) genutzt. Ihr Fazit: „Video Konferenzen erfordern intentionale Aufmerksamkeit, um nonverbale Signale zu erzeugen als auch zu interpretieren, was normalerweise unbewusst und anstrengungslos geschieht. Dies erhöht die kognitive Belastung“ (Fauville et al. 2021b).
Die Autoren postulieren noch drei weitere Faktoren, die zur vorschnellen Ermüdung führen (vgl. auch Bailenson 2021):
  • Physische Gebundenheit: Als Teilnehmer:in ist man vor den Computer „gefesselt“ mit wenig Spielraum für körperliche Aktivität. Hinzu kommt der geringe Abstand zum Bildschirm, was ermüdend für die Augen wirkt.
  • Videofeedback: Das eigene Bild ununterbrochen präsentiert zu bekommen, bindet zum einen unbewusst Aufmerksamkeit, zum anderen fordert es zur ständigen Selbstoptimierung (Sitzposition, Mimik, Reaktivität usw.) auf. Sich dauerhaft präsentiert zu bekommen, verschiebt den eigenen Fokus weg vom Inhalt des Gesprächs hin zur metaperspektivischen Bewertung der Situation (vgl. Miller et al. 2017).
  • Dauerfokus: Als Teilnehmer:in weiß man nie, ob jemand aus der Gruppe gerade auf einen schaut. Alle starren in die Kamera und es ist schwer ersichtlich, worauf die Aufmerksamkeit ruht. Dies führt zu dem Verdacht, dass man selbst immer in irgendjemanden Fokus steht. Da es allen so geht, ist bildlich gesprochen das gesamte Plenum ununterbrochen auf der Bühne. Permanentes Anstarren ist in Präsenzkontexten ein Zeichen von Aggression und löst beim Gegenüber eine erhöhte Stressreaktion aus (Takac et al. 2019).
Interessanterweise sind in den Selbstauskunftsdaten von Fauville et al. (2021b) Frauen signifikant mehr betroffen als Männer. Die Liste der Distraktoren ließe sich auch noch erweitern (Kunert 2020; für erschwerend hinzukommende Interaktionseffekte mit der Corona-Pandemie siehe Bullock et al. 2022):
  • Separierte Orte: In Online-Meetings trifft man sich in so vielen Räumen, wie Teilnehmende anwesend sind. Hineinplatzende Kinder, Baustellenlärm und technische Störungen lassen sowohl einen selbst als auch alle anderen nicht unbeeindruckt.
  • Die Interaktion aus Raum und Tätigkeit: Videokonferenzen produzieren permanente Kontextvermischung. Eine berufliche Videokonferenz, die man von der heimischen Couch aus führt und in der man von weitem die eigenen Kinder streiten hört, lässt drei völlig verschiedene Lebensbereiche (Beruf, Freizeit, Eltern) ineinander verschmelzen (Linville 1985). Die Trigger führen zu unterschiedlichsten Handlungsimpulsen (seinen Job erledigen vs. endlich mal entspannen vs. die Kinder beschwichtigen). Dies erzeugt schnell eine innere kognitive Dissonanz, die ihrerseits wiederum Ressourcen beansprucht.
  • Schweigen: In Präsenz handelt es sich um ein hochgradig kommunikatives Ereignis von Konzentration oder Innehalten, ein Moment großer Bewusstheit und mit Blick auf die Reaktionen der anderen großer Bezogenheit. In Online-Formaten dagegen ist das Ausbleiben von Sprache irritierend, da nonverbale Signale als Substitut kaum verfügbar sind. Anders als bei physischen Begegnungen stellt sich im digitalen Raum die Frage, ob das stille Gegenüber gerade eine Denkpause braucht, es sich um einen Akt der Selbstdisziplinierung handelt oder technische Gründe dafür sorgen, dass der Kommunikationsprozess ungewollt unterbrochen wurde. Dieser Effekt beginnt bereits bei knapp einer Sekunde Verzögerung (Schoenenberg et al. 2014) und lässt sich neurophysiologisch nachweisen (Kohrs et al. 2016). Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch die erschwerte Übergabe des Rederechts (Turn-taking), was in Präsenz ebenfalls primär durch nonverbale Signale erfolgt, vor allem mittels Blickkontakt (Richardson et al. 2007). Die Besonderheit in virtuellen Meetings besteht nun darin, dass die Frequenz solcher Schweigemomente enorm hoch ist, es also kontinuierlich zu einer Meta-Reflexion des Kommunikationsgeschehens kommt. Dies reißt die Beteiligten immer wieder aus dem gemeinsamen Gedankenfluss und erzeugt ein stakkato-artiges Erleben des Gesprächs.
  • Hormonelle Reaktionen: Die körperliche Begegnung mitsamt kleiner Berührung und dem Geruch des Anderen erzeugt im Menschen physiologische Reaktionen. Durch persönlichen Kontakt und räumliche Nähe wird das Hormon Oxytocin ausgeschüttet. Es bewirkt ein Gefühl von sozialer Bindung, von Geborgenheit und Zugehörigkeit. Die Kopplung zur Berührung ist evolutionär angelegt. Bei einer Videokonferenz bleibt dies nahezu aus (Böhme 2019).
Alles in allem binden Online-Meetings allein durch ihren Einsatz eine große Menge kognitiver Energie, die in der Folge nicht mehr für produktive und kreative Prozesse verfügbar ist (Sweller 1994). Für das Phänomen der vorzeitigen Erschöpfung in Online-Meetings hat sich in der Literatur seit April 2020 der Begriff Zoom Fatigue durchgesetzt (für eine ausführliche Definition s. Riedl 2022). Bedenkt man, dass viele Nutzer:innen parallel noch andere Dienste bedienen (z. B. E‑Mails) bzw. Interaktionen bewerkstelligen (z. B. mit anderen Personen vor Ort), ist es wenig verwunderlich, dass die geistigen Ressourcen schnell verbraucht sind. So zeigt sich in aufwändigen Doppel-Studien, dass der kreative Output von Online-Teams signifikant hinter Face-to-Face-Gruppen zurückbleibt (Brucks und Levav 2022) und schlechtere Lösungen bei komplexen Problemen erzeugt werden (Bachmann et al. 2022, in diesem Heft).

4 Online-Meetings sind voraussetzungsvoll!

Zu all diesen Distraktoren kommt noch die Eigenkomplexität des Mediums hinzu. Die verwendete Software will in ihrer Wirkweise und ihrer Handhabung verstanden, geübt und an besondere Anforderungen angepasst werden. Zwar gleichen sich die Anbieter in ihren Funktionen und sogar in der Oberflächengestaltung immer mehr an, dennoch existieren vielerlei Unterschiede, die es schwer machen, auf allen Plattformen gleichermaßen kompetent zu sein. Dies gilt umso mehr, je anspruchsvoller die Nutzung des Tools ist und je tiefer man dementsprechend in die Funktionalitäten eintauchen muss. Spätestens wenn eine sehr große Anzahl an Teilnehmenden bewältigt und ein hoher Anspruch an den Datenschutz gewährleistet werden muss, die Dokumentation mittels Videoaufnahme erfolgen oder ein externes Tool eingebettet werden soll, reichen Basiskenntnisse der Moderator:innen oft nicht aus.
Dies trifft analog auch für die Teilnehmenden zu. In virtuellen Formaten ist es deutlich leichter und sozial akzeptierter, sich aus dem Kommunikationsfluss herauszuziehen. Das Setting hat wenig Aufforderungscharakter zur Teilnahme. Dementsprechend hoch ist die Verantwortung aller Beteiligten, sich aktiv in das Geschehen einzubringen, virtuelle Präsenz aufzubauen (Tietz et al. 2021). Dies geht nur, wenn man sich als teilnehmende Person der technik-bedingten Dynamiken eines Online-Meetings bewusst ist, die Software ausreichend beherrscht und die Eigenverantwortung wahrnimmt (Herrmann et al. 2012).
Auf der sozialen Ebene sind Online-Meetings nicht minder voraussetzungsvoll. Dies hat vor allem mit den bereits erwähnten Kanalreduktionen zu tun. Laut dem zweiten Axiom, wie Paul Watzlawick es 1967 formulierte, „hat Kommunikation einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, wobei Letzterer den Ersteren bestimmt“ (Watzlawick et al. 1967, S. 56). Im ergänzenden vierten Axiom heißt es: „Menschliche Kommunikation bedient sich digitaler und analoger Modalitäten. Digitale Kommunikationen haben eine komplexe und vielseitige logische Syntax, aber eine auf dem Gebiet der Beziehungen unzulängliche Semantik. Analoge Kommunikationen dagegen besitzen dieses semantische Potential, ermangeln aber die für eindeutige Kommunikationen erforderliche logische Syntax“ (ebd., S. 68), wobei „digital“ hier das gesprochene Wort und „analog“ alles Subtextliche meint. In der Folge unterstützen digitale Formate die Sachebene durch die Dominanz der sprachbasierten Informationen und vernachlässigen die Beziehungsebene, die sich eher para- und nonverbaler Kanäle bedient. Der so entstehende Interpretationsspielraum will unweigerlich gefüllt werden. Besonders in Konkurrenz- und Machtumgebungen erhöht sich die Bereitschaft des Empfängers zu negativen Interpretationen (Kielholz 2008).

5 Online-Meetings sind ein Segen!

Online-Meetings sind eine der größten Errungenschaften in der ortsunabhängigen Zusammenarbeit. Laut einer Erhebung des Branchenverbands BITKOM mit über 1000 Unternehmen aus dem Jahre 2022 sind sie nach Telefon und E‑Mails bereits das dritt-häufigste Medium der digitalen Kommunikation, sowohl nach intern als auch nach extern. Die Möglichkeiten zum kollektiven Informationsaustausch, zur Erarbeitung von Inhalten, zur Abstimmung von Prozessschritten oder zum Vermitteln von Schulungsinhalten sind atemberaubend. Der Aufwand ist dagegen vergleichsweise gering, es braucht lediglich einen Termin und eine Plattform. Die Produktion geschriebenen Textes (z. B. E‑Mail) erfordert den vierfachen Zeitaufwand gesprochener Inhalte (Kiesler und Sproull 1992). Aus einer Transaktionskosten-Perspektive (Reid et al. 1996) ist die Schwelle zum Online-Meeting also extrem niedrig, was im Umkehrschluss jedoch häufig zu einer stressinduzierenden Terminverdichtung führt (Bickmeyer 2021).
Hinzu kommt die fortschreitende Integration technischer Features, vom Chat über Visualisierungsmedien und geteilten Dokumenten bis hin zu Abstimmungstools und Software zur Bedienung von Maschinen. Nimmt man asynchrone Medien (Mails, digitale Dokumente, Chats usw.) hinzu, erweitert sich das Spektrum nochmals. Dank immer höherer Bandbreiten und Serverkapazitäten sind zudem Teilnehmendenkreise im Tausenderbereich kaum noch ein Problem. Dies erlaubt eine nahezu grenzenlose und spontane Skalierung eines Meetings.
Besonders in Zeiten, wo die physische Nähe kaum noch möglich ist, sogar zur Gefahr wird, sind solche digitalen Medien der Rettungsanker. Mit ihnen lässt sich die firmeninterne Kommunikation, der Kontakt zum Kunden oder der Zusammenhalt im Verein rudimentär aufrechterhalten. Die Nutzungsdaten des unangefochtenen Branchenführers von Zoom (laut des Internet Analytics Unternehmens SimilarWeb entfielen im Sommer 2021 fast 40 % Marktanteil auf den Anbieter) bilden die Coronawellen mitsamt dem einhergehenden Lockdown mustergültig ab (s. Abb. 1). Darüber hinaus sind Online-Meetings trotz ihres Energiebedarfs enorm ressourcenschonend (O’Brien und Yazdani Aliabadi 2020). So beziffern Ong et al. (2014) die Ersparnis gegenüber einem Präsenztreffen mit insgesamt 90 %.

6 Fazit: Online-Meetings sind kein Allheilmittel!

Trotz ihres Potenzials und ihrer inzwischen weiten Verbreitung sind Online-Meetings nicht die Standardlösung aller Kommunikationsbedarfe in Teams. Der technik-bedingte Fokus auf die Sachebene hat zur Folge, dass eine psychologische Distanz zwischen den Beteiligten entsteht und die Kontaktqualität leidet (Bickmeyer 2021). Dies gilt analog auch für die Gruppe. In digitalen Räumen gibt es nur eine sehr eingeschränkte Emergenz (Csar 2022). Soziale und emotionale Prozesse werden durch das Medium behindert, wodurch es einer Explizierung bedarf. Diese muss entweder durch die Beteiligten aktiv hergestellt werden, oder sie bricht sich durch enthemmte Äußerungen Bahn (vgl. Kielholz 2008).
Online-Meetings sollten für das eingesetzt werden, was sie am besten können: sachorientierte Kommunikation in sozial sicheren Gruppen. So lange der ortsungebundene Informationsaustausch, das kollektive Erarbeiten von Inhalten, die Abstimmung von Arbeitsschritten oder das Demonstrieren von Standardlösungen im Mittelpunkt stehen, schöpfen solche Formate ihr volles Potenzial aus. Dies gilt umso mehr, wenn die Gruppe entweder bereits sehr gefestigt ist oder die Teilnehmenden nur lose aneinandergekoppelt sind, was das Medium von dem Anspruch befreit, soziale bzw. emotionale Kommunikation zu ermöglichen. Zum anderen haben Online-Meetings ihre spezifischen Herausforderungen in der Moderation, von den technischen Voraussetzungen bis zur angepassten Agenda. Konzepte der Gestaltung von Präsenzmeetings lassen sich nicht ohne weiteres auf den digitalen Kontext übertragen. Hier gilt es, dem Medium Tribut zu zollen durch kürzere Taktung, ausreichend technische Ausstattung sowie zur Aufgabe passende Tools (zu den Besonderheiten der Online-Moderation vgl. Waible 2019).
Das Geheimnis gelungener Online-Meetings besteht darin, sie nicht isoliert zu verwenden, sondern eingebettet in eine Kommunikationslandschaft. Wenn man Präsenztreffen, asynchrone Medien und Videokonferenzen als sich gegenseitig unterstützende Formate betrachtet, die innerhalb einer Organisation integriert sind, lassen sich die jeweiligen Stärken nutzen und zugleich vor Überforderung bewahren. Dies gilt umso mehr angesichts der Vermutung, dass Online-Meetings nicht wieder verschwinden werden, sondern zukünftig als ein dauerhafter Bestandteil zum Spektrum an Kommunikationsformaten in Organisationen gehören.
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Literatur
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Metadaten
Titel
Online-Meetings: Fluch und Segen eines digitalen Kommunikationsformats
verfasst von
Dr. Sebastian Kunert
Publikationsdatum
22.11.2022
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Erschienen in
Organisationsberatung, Supervision, Coaching / Ausgabe 4/2022
Print ISSN: 1618-808X
Elektronische ISSN: 1862-2577
DOI
https://doi.org/10.1007/s11613-022-00789-w

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