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20.10.2022 | Mobilitätskonzepte | Schwerpunkt | Online-Artikel

Warum sich Seilbahnen als Alternative im Stadtverkehr lohnen

verfasst von: Christiane Köllner

6:30 Min. Lesedauer

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Seilbahnen können eine günstige und umweltfreundliche Verkehrsmittel-Alternative in Städten sein. Das zeigt eine aktuelle Studie. Sie zeigt jedoch auch: Bürger stehen Seilbahn-Projekten oft skeptisch gegenüber. 

Städte leiden unter Staus, dichtem Pendlerverkehr, Emissionen und Lärm. Gefragt sind daher intelligente Lösungen für einen optimierten Stadtverkehr. Eine solche Lösung könnten urbane Seilbahnen sein. Sie haben das Potenzial, den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in Europa und Deutschland als umweltfreundliches und wirtschaftliches Verkehrsmittel zu ergänzen, wie das Beratungsunternehmen PwC Deutschland in einer Studie ermittelt hat. Sie schneiden bei Investitionskosten, Betrieb und Instandhaltung besser ab als andere Verkehrsmittel, so die Studie, die den Nutzen von Seilbahnen als Verkehrsmittel sowohl in technischer als auch wirtschaftlicher Hinsicht untersucht hat. 

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upBUS – Nahtlose Mobilität zwischen Bus und Seilbahn am Beispiel des Düsseldorfer Medienhafens

Die zunehmende Massenmotorisierung und ansteigender Wohlstand standen jahrelang in einem kausalen Zusammenhang, sodass erstere überwiegend positiv konnotiert wurde. Inzwischen geht die umfangreiche Nutzung privater Personenkraftwagen im städtischen Kontext jedoch mit mannigfaltigen Problemen einher. Die verkehrsinduzierten Belastungen umfassen bspw. Lärm- und Schadstoffemissionen oder Kapazitätsengpässe. Diese Belastungen führen zu wirtschaftlichen Verlusten und zu einer Verringerung der Lebensqualität in Ballungszentren.

Bisher vor allem in Lateinamerika erfolgreich

Seilbahnen galten hierzulande bislang nicht als ernst zu nehmendes Verkehrsmittel in Städten. Verkehrsplaner setzten eher auf Bewährtes wie Bus, Straßenbahn und U-Bahn. Dabei sind Seilbahnen ein Verkehrsmittel mit Tradition: "Schon seit dem 15. Jahrhundert halfen an Seilen befestigte Körbe den Menschen über Flüsse und Schluchten hinweg", erklärt PwC. Waren sie im 20. Jahrhundert noch überwiegend touristische Attraktionen, sind sie seit der Jahrtausendwende immer häufiger als städtisches Verkehrsmittel im Einsatz. 

Erfolgreich ist das Konzept bisher vor allem in Lateinamerika, wie Springer-Autor Eberhard Buhl im Kapitel Urbane Mobilität im Wandel – Wie sich Mobilität im urbanen Raum entwickeln kann (Seite 120) des Buchs Mobilität der Zukunft beschreibt. Seilbahnen sind dort als städtisches Verkehrsmittel bereits Normalität – etwa in Mexico City oder in den kolumbianischen Städten Cali und Manizales. "In den ineinander übergehenden bolivianischen Metropolen La Paz und El Alto ist das rund 33 km umfassende, weltweit größte städtische Seilbahnnetz des Betreibers Mi Teleférico mit seinen kuppelbaren Gondelbahnen mittlerweile das Hauptverkehrsmittel für die Einwohner", so die Autoren.

Auch für Europa und Deutschland geraten Seilbahnen aktuell wieder verstärkt in den Fokus von Stadtplanern. Dies gelte, so PwC, vor allem für Luftseilbahnen beziehungsweise Seilschwebebahnen gegenüber Standseilbahnen, die eher Zahnradbahnen ähneln.

Vergleichsweise geringe Investitionskosten

Sowohl technisch als auch wirtschaftlich bieten Seilbahnen zahlreiche Vorteile. "Luftseilbahnen haben eine hohe maximale Taktdichte, die Unfallwahrscheinlichkeit ist sehr gering, was sie zu einem sehr pünktlichen Verkehrsmittel macht", sagt Maximilian Rohs, Senior Manager Infrastructure & Mobility bei PwC Deutschland. Seilbahnen transportieren nach PwC-Angaben rund 6.000 Fahrgäste pro Stunde. Das entspreche etwa einer Metro. Demgegenüber könnten Straßenbahnen etwa 2.000 bis 3.000 Personen pro Stunde bewegen, Busse 600 bis 1.000.

Allerdings fahren Seilbahnen recht langsam und eignen sich daher weniger für längere Strecken. Zudem sind sie auch wetterabhängig, starker Wind beeinträchtigt ihren Betrieb. "Ihr größter Vorteil ist sicherlich der geringe Bauaufwand. Tunnel und Brücken sind nicht erforderlich – und sie bieten natürlich ein attraktives Fahrerlebnis", sagt PwC-Verkehrsexperte Rohs. Zentrales technisches Merkmal sei neben dem Seilsystem und der Antriebsart die Kabinengröße beziehungsweise ihr Fassungsvermögen zwischen 6 und 200 Personen. Um mit Seilbahnen den ÖPNV sinnvoll zu ergänzen, sollten die Fahrgäste Fahrräder, Kinderwagen und Rollstühle mitnehmen können.

Förderrichtlinie macht Seilbahnen attraktiv 

Wirtschaftlich attraktiv macht die Seilbahn in Deutschland, neben den genannten Vorteilen, auch eine Förderrichtlinie. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) rechnet nämlich Seilbahnen seit 2020 dem förderfähigen Teil des ÖPNV zu. Das Land Nordrhein-Westfalen fördert die Investition beispielsweise mit bis zu 90 %. Nach Angaben von PwC betragen die Kosten für Seilbahnsysteme pro Kilometer etwa 10 bis 20 Millionen Euro – etwa so viel wie bei Straßenbahnen. Dadurch, dass kein Betriebshof und keine Signal- und Verkehrsleittechnik erforderlich seien, sind die gesamten Investitionskosten im Verkehrsmittelvergleich laut Studie gering. Ein weiterer Vorteil: Seilbahnen erforderten zwar ein Planfeststellungsverfahren, doch sei ihre Bauzeit mit nur 12 bis 18 Monaten kurz. U-Bahn-Projekte etwa seien meist erst nach fünf bis zehn Jahren abgeschlossen.

Betrieb und Instandhaltung sind günstig

Noch größer sollen laut Studie die wirtschaftlichen Vorteile von Seilbahnen bei den Betriebskosten sein. Maximilian Rohs erklärt: "Sowohl die Personalkosten als auch die Energiekosten sind niedriger als bei allen anderen Systemen. Das liegt vor allem am hohen Automatisierungsgrad. Menschen müssen lediglich den Betrieb überwachen."

Zudem verbrauchen Seilbahnen relativ wenig Energie: durchschnittlich 5,8 kWh pro 100 Passagierkilometer; bei U-Bahnen seien es 11,6 kWh, bei Straßenbahnen mit 12,5 kWh mehr als doppelt so viel, so PWC. Da Seilbahnen wenig Verschleißteile haben, seien auch die Instandhaltungskosten niedrig. "Müssen jedoch einzelne Komponenten gewartet werden, müssen Betreiber in der Regel das gesamte System zeitweise stoppen", gibt PwC-Experte Maximilian Rohs zu bedenken.

Sicher und umweltfreundlich

Auch sprechen Umwelt- und Sicherheitsaspekte für Seilbahnen. "Seilbahnen lassen sich äußerst ressourcensparend herstellen und mit geringen Auswirkungen auf die natürliche Umwelt und den lokalen Lebensraum betreiben. So fallen keine lokalen Emissionen an", erklären die Springer-Autoren Torsten Ambs und Kathrin Pipahl im Kapitel Urbane Mobilität (Seite 104) des Buchs Urbane Mobilität als Schlüssel für eine neue Gesellschaft. Lärmemissionen seien minimal und punktuell. Auch in der Energieeffzienz seien Seilbahnen bei gleicher Förderleistung anderen Verkehrsmitteln überlegen. Für Seilbahnanlagen spreche auch ihr geringer Platzverbrauch.

Darüber hinaus punkten Seilbahnen bei der Sicherheit. Nach dem Flugzeug stellen Seilbahnen die zweitsicherste Beförderungsvariante dar, wie die Springer-Autoren um Harry Wagner im Kapitel Seilbahnen als innovatives Beförderungsmittel im urbanen Bereich (Seite 89) des Buchs Mobilität 4.0 – neue Geschäftsmodelle für Produkt- und Dienstleistungsinnovationen betonen. Rechnerisch verunfallen laut PwC Straßenbahnen beispielsweise alle 225.000 Betriebskilometer und Busse alle 616.000 km. Bei Seilbahnen geschieht ein Unfall hingegen statistisch nach rund 17 Millionen Betriebskilometern.

Aktuelle Seilbahnprojekte

Inzwischen gibt es zahlreiche Seilbahnprojekte in ganz Europa, Planung und Umsetzung sind unterschiedlich weit fortgeschritten. Für Deutschland beispielhaft zu nennen sind Projekte in Koblenz (im Einsatz, bisher ohne tarifliche Integration), in Bonn (in Planung), in Stuttgart (Pilottrasse in Planung) sowie Überlegungen in Berlin und Köln. In Toulouse ergänzt seit diesem Sommer Europas längste städtische Seilbahn den Nahverkehr mit Bus und Metro. 

An der RWTH Aachen University wird am Projekt upBUS gearbeitet. "upBUS bezeichnet dabei ein Hybridvehikel, dessen Kabine je nach Stadt- und Verkehrslage als elektrisch angetriebener Minibus oder als urbane Seilbahn fungiert", so die Aachener Forschenden im Kapitel upBUS – Nahtlose Mobilität zwischen Bus und Seilbahn am Beispiel des Düsseldorfer Medienhafens (Seite 297) des Buchs Making Connected Mobility Work. Die Vorteile dieses Systems verdeutlichen die Autoren am Beispiel des Medienhafens Düsseldorf. Auf einem Testgelände des österreichischen Seilbahnherstellers Doppelmayr wurden mit einem an der RWTH gebauten Prototypen bereits Praxiserfahrungen gesammelt.

Einzelfall entscheidet

Werden Seilbahnen also auch hierzulande wie in den Großstädten Südamerikas selbstverständlicher Teil des Nahverkehrs? Laut PwC gibt es darauf keine pauschale Antwort. "Ob Seilbahnen, bei allen Vorteilen, das Verkehrsmittel der Wahl sind, lässt sich nur im Einzelfall beantworten", kommentiert PwC-Experte Maximilian Rohs. Denn es bleibt noch eine Hürde: Seilbahnen bekommen von den Menschen, die an der Strecke wohnen, wenig Applaus. Das weiß auch Rohs: "Mitunter lehnen Bürger:innen solche Projekte ab, auch weil Seilbahnen das Stadt- bzw. Landschaftsbild recht stark verändern." Doch er nennt abschließend noch ein Argument für das schwebende Fortbewegungsmittel: Zweifelsohne könne es nicht zuletzt für Logistikunternehmen sehr interessant sein, wenn die Bahnen für den Personen- und den Gütertransport im Einsatz sind.

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