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04.08.2015 | Fahrzeugtechnik | Schwerpunkt | Online-Artikel

Vom Autobauer zum Mobilitätsanbieter

verfasst von: Christiane Brünglinghaus

7 Min. Lesedauer

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Autos alleine sind nicht genug: Wollen die Autobauer künftig bestehen, müssen sie nicht nur konkurrenzfähige Pkw, sondern auch Mobilitätskonzepte anbieten. Das Ziel: Ein passgenaues Reiseangebot für Kunden, das die verschiedenen Verkehrsmittel intelligent und nutzerfreundlich in der Smart City kombiniert.

Anfang dieses Jahres hat das BMW-Kompetenzzentrum "Urbane Mobilität" seine Arbeit aufgenommen. In der neuen Denkfabrik des Unternehmens kommt ein Expertenteam mit Vertretern von Städten und verschiedenen Interessensgruppen zusammen. Vergleichbar mit der Audi Urban Future Initiative will das Team nach Lösungen und nachhaltigen Konzepten für zukünftige Mobilität in urbanen Räumen suchen.

BMW will sich so den sich ändernden Herausforderungen an die Mobilität stellen. Denn die Welt des Automobils und die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen wandeln sich rasant. Nach Angaben der Vereinten Nationen sollen im Jahr 2050 66 Prozent der Bevölkerung in urbanen Gebieten leben. Als Lebensräume für Menschen gewinnen Städte, Metropolen und Megastädte mit mehreren Millionen Einwohnern damit eine immer größere Bedeutung. So soll es auf der Welt 42 Megastädte mit 10 Millionen Einwohnern und mehr im Jahr 2030 geben.

Mobilitätsbedürfnisse wandeln sich

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Doch mit dem Wachstum dieser Städte mehren sich auch die Herausforderungen. Ein Kernpunkt ist dabei die Infrastruktur - hier insbesondere die Belastungen durch das Verkehrswesen. Durch ein zunehmend rigides Verkehrsmanagement in den Städten von der City Maut bis zu Einfahrverboten versuchen Stadt- und Verkehrsplaner die Luftverschmutzung und Staus in den Städten in den Griff zu bekommen. Zudem verspricht der Trend zur Elektromobilität und das bereits beschlossene Elektromobilitätsgesetz Entlastung für Infrastruktur und Umwelt.

Daneben ist schon heute ist in vielen Großstädten ein Trend zum Autoverzicht erkennbar. Aktuelle Studien zeigen: Immer häufiger nutzen Menschen unterschiedliche Verkehrsmittel, Jüngere haben seltener einen eigenen Pkw als Senioren, das Fahrrad wird als Verkehrsmittel immer beliebter. Der Besitz eines eigenen Pkw verliert bei jungen Menschen an Bedeutung. Wenn jüngere Kunden noch ein Auto kaufen, dann läuft ohne entsprechende Konnektivität im Fahrzeug nichts. Daher verwundert es nicht, wenn Autobauer über den reinen Verkauf von Autos hinausgehen und ihren Kunden ein umfassendes Produkt- und Dienstleistungspaket anbieten wollen, wie auch die Springer-Autoren Arnold Picot und Rahild Neuburger im Kapitel "Mobilitätskonzepte von morgen - Erwartungen der Nutzer und ihre Implikationen für zukünftige Marktstrukturen" (Seite 623) aus dem Buch Markplätze im Umbruch zum Beispiel für BMW und Daimler vermuten.

BMW: Elektrisches Carsharing als Schlüsselkomponente

Dr. Bernhard Blättel, Leiter Mobilitätsdienstleistungen BMW, bestätigt diese Einschätzung: "Innerhalb der BMW Group hat sich bereits ein starker Wandel vollzogen. Gemäß unserer strategischen Zielsetzung wollen wir der weltweit führende Anbieter von Premium-Produkten und Premium-Dienstleistungen für individuelle Mobilität sein. Wir sehen, dass unsere Kunden und die Gesellschaft eine Wende vollziehen, der wir Rechnung tragen", so Blättel. Das Ziel sei die Entwicklung hin zu einer lebenswerteren Stadt mit viel Raum für das urbane Leben.

Für BMW gehören vor allem Elektromobilität und Carsharing zu diesen Konzepten. Insbesondere elektrisches Carsharing ist laut BMW eine wichtige Säule, um urbane Mobilität nachhaltig mitzugestalten, Verkehr zu reduzieren und einen Beitrag zu mehr Lebensqualität in der Stadt zu leisten, wobei es in der Vergangenheit immer wieder auch kritische Stimmen zur Nachhaltigkeit und Effektivität bestimmter Carsharing-Angebote gab.

Weiteres Beispiel für das ganzheitliche Mobilitätskonzept des Unternehmens ist die intermodale Routenführung. Der für die Navigationssysteme von BMW-i-Automobilen entwickelte Routenplaner schlägt dem Fahrer das Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel vor, wenn er sein gewünschtes Ziel dadurch schneller und effizienter erreichen kann. Der intermodale Routenplaner, der nach und nach in alle BMW-Fahrzeuge integriert werden soll, wurde kürzlich mit dem GreenTec Award 2015 ausgezeichnet.

In Städten liegt der größte Markt für Hersteller

Bereits im Jahr 2007 erklärte der damalige Vorsitzende des BMW-Vorstandes, Norbert Reithofer, den bayerischen Autobauer zum Mobilitätsanbieter und formulierte bei der damaligen Vorstellung der Unternehmensstrategie das Ziel: Bis zum Jahr 2020 soll BMW "der weltweit führende Anbieter von Premium-Produkten und Premium-Dienstleistungen für individuelle Mobilität" werden.

Der Grund, warum sich Autobauer wie BMW zunehmend zu Mobilitätsanbietern entwickeln, ist nicht nur der vorherrschende Mobilitätswandel: In Städten liegt auch einfach der größte Markt für die Hersteller. Schätzungsweise 80 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts werden in den städtischen Gebieten generiert, wie aus einer Informationsbroschüre des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hervorgeht. Das hat auch die BMW-Konkurrenz erkannt und setzt auf Mobilitätsdienstleistungen.

Daimler bietet mit der Smartphone-App Moovel einen Service, mit dem der Kunde verschiedene Mobilitätsoptionen wie car2go, Taxi, Mitfahrgelegenheit oder öffentliche Verkehrsmittel hinsichtlich verschiedener Kategorien wie Fahrtdauer und Kosten miteinander vergleichen kann. "Die Kunden von Moovel wollen Mobilität", sagte Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender von Daimler und Leiter Mercedes-Benz Cars, während der Daimler-Hauptversammlung im vergangenen April. "Und das ist unser Kerngeschäft. Wir sind nicht nur Autohersteller, sondern Mobilitätsanbieter", so Zetsche weiter.

Auch aus Wolfsburg ist Ähnliches zu hören: "Auf lange Sicht wollen wir vom Autobauer zum globalen Mobilitätsanbieter, zum Mobilitätsermöglicher Nr. 1 werden. Deshalb sind wir dabei, das Innovationstempo in zentralen Zukunftsfeldern noch einmal zu erhöhen", erklärte Prof. Dr. Martin Winterkorn, Vorsitzender des Volkswagen-Vorstands, anlässlich der Jahrespressekonferenz des Unternehmers im vergangenen März.

Smart City und Smart Car

Ebenso stellt Rupert Stadler, Vorsitzender des Audi-Vorstands, auf der Rede zum Wirtschaftstag des Wirtschaftsrates der Union im vergangenen Juni die Frage, welche Rolle das Auto in der digitalisieren und vernetzten Welt spielen und welchen Mehrwert es versprechen wird. "Das neue Auto im Internet der Dinge ist mehr als Hardware. Es ist die Schnittstelle zwischen dem Fahrer und seinem digitalen Leben. Wenn das Auto mehr als Hardware ist, werden wir auch mehr als Hersteller: Service-Provider, Mobilitäts-Anbieter uvm.", so Stadler.

Die Vision von Audi ist damit klar umrissen: Das Auto wird intelligent in einer Smart City. "Alles ist im Flow und miteinander synchronisiert", wie es Stadler formuliert. Auch Opel möchte in puncto Digitalisierung ein Zeichen setzen, nämlich mit dem Carsharing-Angebot CarUnity und dem Online- und Service-Assistenten Opel OnStar, den Wolfgang Schwenk, General Director GME Vehicle Development bei Opel, im Interview mit Springer für Professionals erläutert. "Es wird in Zukunft immer wichtiger, sich vom reinen Produkthersteller zum Mobilitätsdienstleister mit perfekter Vernetzung zu entwickeln", erklärt Opel-Marketingchefin Tina Müller.

Konkurrenz von Google, Apple und Co.

Der "Paradigmenwechsel", wie es BMW ausdrückt, weg vom individuellen Auto zum Car-Sharing und hin zu intermodalen Verkehrsangeboten, die Auto und Stadt vernetzen, ist wohl nur eine Frage der Zeit. Dabei stellt sich nur die Frage, ob sich die Autohersteller davon überraschen lassen oder aktiv mitgestalten. Denn neue Marktteilnehmer stehen in den Startlöchern: Google, das chinesische Pendant Baidu, Apple, Uber oder andere Quereinsteiger: Das Auto ist für die IT-Branche äußerst attraktiv. "Das Geschäftsmodell Mobilität führt zu einer sehr viel komplexeren Struktur der Akteure im Mobilitätsmarkt", wie es Professor Dr. Willi Diez, Direktor und Initiator des Instituts für Automobilwirtschaft in Geislingen, im Artikel "Geschäftsmodell Mobilität - Vom Autobauer zum Mobilitätsanbieter" (Seite 125) aus der ATZelektronik 2-2012 formuliert.

Die Gründe für das Interesse der IT-Branche bringt Rupert Stadler in seiner bereits erwähnten Rede auf den Punkt: Mit 5000 Computerchips an Bord sei ein Audi heute das größte Mobile Device. Im Jahr 2020 wird die Hälfte der Wertschöpfung im Auto digital sein, gibt Stadler an. Das Auto werde so zum umsatzstarken Point-of-Sale. Weiterer Grund, warum viele IT-Firmen laut Stadler hellhörig werden: Im vernetzten Auto laufen unglaublich viele Daten auf. Wer ist wann, wo und mit welchem Ziel unterwegs? So könnte sich das Profil des Autofahrers vermarkten lassen, wobei Stadler davor warnt, den Kunden zu instrumentalisieren. Der Fahrer solle Herr über seine Daten bleiben.

Nicht nur das Auto, sondern auch künftige Mobilitätsstrukturen werden neu gestaltet. "Die Automobilhersteller stehen dabei vor dem Risiko, dass sie in der Wertschöpfungskette zu bloßen Hardware-Lieferanten für die eigentlichen Mobilitätsanbieter degradiert werden, fasst Professor Diez in seinem bereits erwähnten Artikel zusammen. Damit die Autohersteller ihre Führungsrolle nicht verlieren, müssen sie laut Diez zwei Voraussetzungen erfüllen: Sie müssen die Schnittstelle zum Kunden beherrschen und eine Prozesskompetenz über die Herstellung und den Vertrieb des Fahrzeugs hinaus aufbauen. Dann kann die Transformation vom Autobauer zum Mobilitätsanbieter gelingen.

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