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13.02.2013 | Journalismus | Schwerpunkt | Online-Artikel

"Der, die, das Andere" oder "News is what's different"

verfasst von: Andrea Amerland

4 Min. Lesedauer

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Multiperspektivität ist die neue Schlüsselkompetenz in PR und Journalismus. Denn zu häufig bedient mediale Berichterstattung Klischees und betont, was von der Norm abweicht, so die Journalistin und Medienwissenschaftlerin Bärbel Röben.

Springer für Professionals: In Ihrem Buch "Medienethik und die 'Anderen'“ gehen Sie dem Ethikverständnis der Medien, aber vor allem dem Moralverständnis von Journalismus und PR auf den Grund. Hat sich dieses im Laufe des letzten Jahrzehnts stark verändert?

Bärbel Röben: Ja, verschiedene Umfragen belegen eine Verschlechterung der Berufsmoral. Medienschaffende selbst sind der Meinung und auch in der Öffentlichkeit ist ihr Image nicht besonders positiv.

Für die Berufsethik von Journalismus und PR nennen Sie zwei verschiedene Begriffe: Professionsethik und Branchenethik. Ist dies ein Indiz dafür, dass die jeweiligen Richtlinien grundverschieden sind?

Nein, es gibt durchaus Gemeinsames. Transparenz etwa ist sowohl für PR-Fachleute als auch für JournalistInnen ein wichtiges ethisches Metakriterium, wenn es um die Glaubwürdigkeit im Beruf geht.

Die neuste und unvermeidbare Entwicklung ist, dass Journalismus und PR Hand in Hand gehen. Wo sehen Sie hierbei die Chancen, aber auch die Risiken?

Die Chancen liegen darin, dass PR Informationen zur Verfügung stellt und Journalismus diese kritisch prüft. Ein Risiko besteht darin, dass die Machtfrage ausgeblendet wird, dass es einerseits immer weniger JournalistInnen gibt, die noch Zeit für kritische Überprüfung und eigene Recherche haben und andererseits die Zahl der PR-PraktikerInnen zunimmt – allerdings vor allem im Dienste derjenigen, die Geld für eine strategische Öffentlichkeitsarbeit haben.

Unumstritten sind die Beobachtungen, dass die "klischeebeladenen" und "einseitigen" Meldungen am liebsten und häufigsten konsumiert werden. Muss man dem Publikum geben was es will oder hat man auch eine Erziehungsaufgabe den Konsumenten und Rezipienten gegenüber?

Medienprodukte, die an Klischeebilder anknüpfen, müssen diese nicht unbedingt bedienen, um ein großes Publikum zu erreichen. Sie können diese Klischees auch aufbrechen wie z.B. die erfolgreiche ARD-Serie "Türkisch für Anfänger", die das Zusammenleben verschiedener Kulturen nicht mit dem Zeigefinger, sondern einem Augenzwinkern thematisiert.

Eine Schlüsselkompetenz für Medienschaffende sollte die Fähigkeit sein, multiperspektivisch zu berichten. Liegt es in einer Zeit von Blogs, sozialen Medien und unbegrenzter Nachrichtenfülle nicht viel näher die Inhalte der Zielgruppe anzupassen?

Die Inhalte müssen der Zielgruppe in der Gestaltung angepasst werden. Aber gerade in Zeiten unbegrenzter Nachrichtenfülle kommt es darauf an, sensibel zu sein für die unterschiedlichen Perspektiven, aus denen Ereignisse, Sachverhalte betrachtet werden und dann auch multiperspektivisch zu berichten. Denn diese Perspektiven haben gesellschaftliche Ursachen und sind Folgenreich. Wenn beim Thema Herzinfakt z.B. vor allem Symptome genannt werden, die Männer haben, verweist das auf eine androzentristische Perspektive, d. h. der "Mann" gilt als Norm und die Frau als "Abweichung". Die Folge: Es sterben mehr Frauen am Herzinfakt, obwohl sie seltener einen erleiden.

Ein Kapitel in ihrem Buch heißt "Der, die, das Andere". Wie würden Sie "Der, die, das Andere" definieren und warum spielt das Anderssein eine so große Rolle in den deutschen Medien?

Das "Andere" ist ein Konstrukt, das den Gegensatz zum "Eigenen" bezeichnet. Durch diese Gegensatzkonstruktion werden Menschen, die nicht in den gängigen "Normalitätsrahmen" einer Gesellschaft passen, ausgeschlossen. In der Bundesrepublik dominiert zur Zeit ein neoliberaler Normalitätsrahmen mit dem Leitbild des beruflich Erfolgreichen und Leistungsfähigen, Durchsetzungsstarken – Anforderungen, die z.B. Arbeitslose schwerlich erfüllen können. Die Grenzziehungen zwischen den Menschen einer Gesellschaft verlaufen entlang von Schicht, aber auch Geschlecht, Kultur oder Religion. Mit der Thematisierung der unterschiedlichen Identitäten, Perspektiven, Interessen dieser Menschen – dem "Anderssein" wie Sie es nennen – erfüllen Medien ihre Informationsaufgabe, bedienen sich dabei aber auch der gleichen Gegensatzkonstruktionen, die das Denken in unserer Gesellschaft prägen: "News is what's different". Die professionelle und ethische Qualität ihrer Informationsgebung misst sich nun daran, wie sie mit den Unterschiedlichkeiten in der Gesellschaft umgehen: ob sie die einzelnen Gruppen als gleichwertig darstellen oder hierarchisieren, d. h. z.B. Arbeitslose als "Schmarotzer" oder "Faulenzer" abwerten.

Als Beispiel für eine solche Abwertung lässt sich auch die betont negative und scheinbar nicht enden wollende Berichterstattung über Griechenland aufführen. Wie kann da gegengesteuert werden?

Gegen die abwertenden Klischeebilder von den "faulen Griechen" kann man Fakten setzen, z.B. dass Griechen entgegen vieler Politikerbehauptungen und Medienmeldungen später in Rente gehen als Deutsche. Außerdem kann man andere Perspektiven und Meinungen aufzeigen – wie etwa das NDR-Medienmagazin Zapp. Diese Multiperspektivität erfordert Sensibilität und Zeit, die in Redaktionen immer knapper wird. Unterstützung können Medienschaffende in Sachen Interkulturalität seit November 2012 vom Mediendienst Integration erhalten, der Zahlen, Daten und Kontakte bietet.

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