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30.07.2015 | Telekommunikationstechnik | Interview | Online-Artikel

"Ein digitaler John McClane für jede Megacity"

verfasst von: Andreas Burkert

10 Min. Lesedauer

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Eine Stadt mit mehr als 40 Millionen Einwohner? Natürlich planen dies die Chinesen. Damit das Vorhaben nicht im Chaos endet, muss neben einer intelligenten Verkehrs- vor allem die digitale Infrastruktur aufgebaut werden, berichtet Dr. Chirine Etezadzadeh, Autorin von Smart City 2.0

Springer für Professionals: Frau Dr. Etezadzadeh. Menschen lieben Großstädte – trotz der Hektik, der Umweltbelastung und der ewigen Staus. Können Sie mir erklären, warum der Mensch dennoch so fasziniert ist vom Großstadtleben?

Chirine Etezadzadeh: Große Städte, wie Tokio oder Los Angeles, können allein durch ihre Dimensionen faszinieren. Städte sind Optionsräume, aber auch Orte der Machtkonzentration, an denen Entscheidungen getroffen werden. Innovationen und neue Geschäftsmodelle werden durch das Vorhandensein kritischer Massen in der Regel zunächst in Städten umgesetzt. Daraus resultieren tendenziell mehr Jobs, mehr Angebote, mehr Produkte als im ländlichen Raum.

Doch aufgrund der allgemeinen Verdichtung begegnen wir auch mehr Ungleichheit, mehr Wettbewerb, anspruchsvollen Lebensbedingungen und Einschränkungen. Vor allem aber gibt es in Städten eine hohe Verfügbarkeit sozialer und technischer Infrastrukturen. Oft kann man hier finden, was man sucht. Für viele Menschen sind Städte Hoffnungsorte. Obwohl das Leben insbesondere in den großen Städten so unglaublich hart erscheint .

Ob der allumfassenden Digitalisierung: Ist der moderne Stadtbewohner künftig ein Sklave seines Smartphones?

Das mit der selbst gewählten Versklavung kann ja recht schnell gehen. Das heißt: Natürlich stellt sich die Frage, inwiefern sich die Stadtbewohner von ihren Geräten abhängig machen und sich auf die Technik verlassen werden. Ich war übrigens erstaunt, als die Studierenden in meiner Vorlesung neulich genau diese Form der technischen Dominanz im Bereich Smart Home kritisierten. Auch hätte ich eine so kritische Haltung gegenüber neuen Medien und Diensten nicht erwartet, wie ich sie vorgefunden habe. Das beruhigt ein wenig.

Aber die Skepsis überwiegt?

Machen wir uns einmal Folgendes bewusst: Unsere Lebenswelt wird zunehmend von der Dezentralisierung geprägt: Beziehungen, Familien, Freundeskreise, Lebensläufe, Arbeitsplätze, Teams, Prozessketten, Lieferketten, Unternehmen, Ihre Musiksammlung, Ihr Bücherregal ... alles Mögliche wird dezentralisiert. Unsere Geräte verschaffen uns Zugang und helfen uns, trotz alledem den Überblick zu bewahren und mit unserem Umfeld in Kontakt zu bleiben. Ohne die zukünftig verfügbaren Medien wird unser Alltag in Städten schlechter zu bewältigen sein, sofern wir ein gewisses Maß an Teilhabe suchen.

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Dennoch wird man sich in diesem Zusammenhang fragen müssen, ob wir die Wahl haben werden, wie stark wir uns von unseren technischen Einrichtungen abhängig machen. Das heißt: Es wird sich die Frage nach der Konsumentensouveränität stellen und ob wir glauben werden, die Zeit für die diesbezüglich erforderlich werdenden Entscheidungen zu haben. Schon heute wählen wir häufig zwischen Convenience und Sicherheit.

Das bedeutet konkret?

Ich meine, dass wir die Entwicklungen bis zu einem gewissen Grad beeinflussen können, wenn wir uns heute dafür einsetzen, bewusst wählen und internationale politische Unterstützung beispielsweise im Bereich des Datenschutzes und der digitalen Resilienz einfordern. Damit spreche ich mich übrigens nicht gegen die Nutzung von Big Data aus. Wir sollten Innovationen allerdings einen Rahmen geben und dies geschieht in der Regel nun mal ex post. Das Schöne an der Digitalisierung sind ja auch die Flexibilität und die hohen Reaktionsgeschwindigkeiten der Unternehmen, mit welchen sie auf gesetzliche Veränderungen oder Kundenwünsche reagieren können. Welche Haltung wir auch einnehmen werden: Den technischen Fortschritt werden wir mit Sicherheit nicht aufhalten.

Was zeichnet eine Smart City, wie Sie sie in Ihrem Buch beschreiben, aus?

Eine Smart City 2.0 berücksichtigt zunächst einmal sämtliche Akteure einer Stadt sowie deren verschiedenartigen Ziele und Beiträge. Durch Inklusion wird Partizipation ermöglicht und durch Bildung werden Bewusstsein und Verantwortung geschaffen. Die Stadtgemeinschaft der Smart City 2.0 basiert auf Zusammenhalt, Vertrauen und Resilienz. Diese Prozesse werden durch eine integrierte Stadtverwaltung gefördert und incentiviert und durch den Einsatz von Informationstechnologien gestützt.

Trotz der Vielfalt in der Stadt gibt es eine gemeinschaftliche, stadtindividuelle Vision auf Basis des erweiterten Nachhaltigkeitsbegriffs. Funktionalität und Resilienz bilden die höchsten städtischen Ziele. Um diese zu erreichen, verfügt die Stadt über adäquate Infrastrukturen und hat sich in vielen Bereichen unabhängiger gemacht: Urbane Produktion, Urban Farming und Urban Mining helfen dabei. Ein nachhaltiger Produktprozess, ein erweiterter Produktbegriff und ein verbessertes Produktdesign, werden neue, urbane Produkte hervorbringen. Sie dienen dazu, die Produktion, den Konsum und die Verwertung nachhaltiger zu machen. Die Industrie 4.0 kann dazu wertvolle Beiträge leisten.

In Ihrem Buch sprechen Sie in diesem Zusammenhang von der Smartness 2.0 …

Genau. Den Bewohnern der Smart City 2.0 ist eben klar, dass sie den Herausforderungen und den Bedrohungen ihrer Stadt nur gemeinschaftlich begegnen können. Sie sind dazu bereit, für die Zielerreichung Opportunitätskosten in Kauf zu nehmen. Das klingt ein wenig nach heiler Welt, oder? Dabei sind für diese Zielvorstellung gesellschaftlich nur geringe Veränderungen erforderlich. Das Gesetz des exponentiellen Wachstums und die stadtindividuelle Sozialisierung werden das Übrige tun.

Wer einmal in Köln Karneval gefeiert hat oder das Public Viewing schätzt oder die weltweit zu beobachtenden Reaktionen auf Terror und andere Katastrophen verfolgt, der kann erkennen, was Gemeinschaftssinn bewirken kann und dass er vorhanden ist. Wir müssen ihn nur rekultivieren. Das heißt: pflegen, abrufen und belohnen. Der technische Fortschritt kann diese Entwicklungen stützen. Ich habe ein Konzept entwickelt, das diesen Prozess auf technischer Basis spielerisch fördert und das auf Stadtteilebene implementiert werden kann. Stadtverantwortliche sind herzlich eigeladen, sich bei uns zu melden.

Und was bedeutet die Digitalisierung für eine nachhaltige Stadt?

Ich sehe die Informationstechnologie zunächst einmal als Enabler. Sie befähigt uns, hochkomplexe Prozesse, wie die Verwaltungsarbeiten in Megastädten oder die für alle nachhaltigen Städte obligatorische Energiewende zu bewältigen, und sie kann unsere Lebenswelt, von der Mobilität, über die Arbeit, die Produktion, den Konsum oder den Verbrauch viel effizienter und damit nachhaltiger machen. Ohne die Digitalisierung lassen sich viele unserer Vorhaben nicht realisieren beziehungsweise nicht mit dem Komfort und der Sicherheit, die wir uns wünschen.

Dennoch hat die Digitalisierung ihre Nachteile?

Wir sollten uns vor Augen führen, inwiefern der technische Fortschritt unsere Lebenswelt beeinflusst. Lassen Sie uns hierzu sehr stark vereinfacht auf die Entwicklung des Internets blicken. Zwei Trends zeichnen sich deutlich ab. Zum einen die sich verändernde Rolle des Nutzers, zum anderen die sich verändernde Rolle des Internets. Der Nutzer gelangt von einer aktiven, „lehrenden“ zu einer passiveren, nutzenden Funktion. Das Web wandelt sich aus Nutzersicht von einer Art Mega-Bibliothek zu einer virtuellen Parallelversion der Welt. Maschinen werden im Rahmen dieser Entwicklung von Rechenkästen zu Social Machines.

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Wir erstellen cyber-physische Systeme, die gewisse Prozesse autark absolvieren können und die uns zunehmend mehr Entscheidungen abnehmen werden. Hoch aggregiert formuliert entsteht daraus ein Spannungsfeld zwischen einerseits Zugang, Transparenz und Bequemlichkeit und andererseits Kontrollierbarkeit, einer Kultur des Zwangsvertrauens und drohender Singularität. Verstärkt wird dieser Effekt durch die gesellschaftlichen Megatrends. Wir bewegen uns irgendwo zwischen demokratisierter Teilhabe und technologie-getriebener Entmündigung. Diese Prozesse müssen wir uns bewusst machen.

Das beschriebene Spannungsfeld birgt m. E. zentrale Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte und zwar in einer ganz anderen Qualität, als es in der Vergangenheit der Fall war. Es bildet eine Kernherausforderung für Smart Cities, die auf genau diese Entwicklungen angewiesen sind, und verlangt die zuvor grob umrissene Smartness 2.0 von den Bürgern.

Als Voraussetzung der Digitalisierung haben Sie die Konnektivität identifiziert. Also den Ausbau eines Breitbandnetzes. Haben Sie nicht die Befürchtung, dass gerade die in Deutschland am Willen der Bundesregierung scheitert?

Nein. Ich sehe Deutschland auch in dieser Hinsicht auf einem guten Weg.

Und bestimmt künftig der Systemadministrator statt des Bürgermeisters über das Wohl und Weh der Gemeinschaft?

Es kann als Problem gesehen werden, dass Ihr Smartphonehersteller, Ihr Provider, der Hersteller Ihres Betriebssystems, Ihrer Antivirussoftware und Ihrer Suchmaschine schon heute teilweise mehr über Sie wissen als Ihr Lebenspartner. Die Digitalisierung gewährt Einblicke und Zugriffe auf bislang verborgene Bereiche, nicht nur im privaten Umfeld. Wir sollten uns diese Aspekte bewusst machen und durch Konsumentscheidungen und internationale Regulierungen unerwünschten Entwicklungen entgegenwirken. So kann auch in Zukunft der Bürgermeister der erste Ansprechpartner der Gemeinschaft bleiben.

Brauchen wir die Gesetzgebung, um die Demokratisierung der Digitalisierung voranzutreiben. Oder genügen die Gesetze der freien Marktwirtschaft?

Ja, entsprechend dem Gesagten benötigen wir internationale Gesetze. Auch die keimende Sharing Economy wird die Gesetzgeber vor neue Herausforderungen stellen … Aber Gesetze ohne mündige Nutzer bringen nur bedingt etwas. Nutzer und Konsumenten sollten sich informieren bzw. aufgeklärt werden und im Zweifelsfall selbst entscheiden können, ob sie Angebote wahrnehmen möchten oder nicht. Das gilt natürlich auch für nicht digitale Produkte.

Sie werden hier und da zwischen Komfort und Sicherheit wählen müssen. Das Transparenz erzeugende Netz steckt voller Intransparenz. Man denke an die vielen AGBs, Apps und Downloads, welche häufig gedankenlos akzeptiert und genutzt werden. Im Bereich des Datenschutzes und im Hinblick auf die Rechte des Nutzers kann und sollte durch Gesetze Abhilfe geschaffen werden. Im Bereich seiner Konsumentscheidungen ist der Konsument aber nach wie vor selbst gefordert, sich bewusst zu machen, was er konsumiert.

Vor wenigen Wochen hat sich die Bundeskanzlerin über die Digitale Angst der Deutschen echauffiert. Zeichnet es einen Bewohner einer Smart City aus, dass er furchtlos dem digitalen Fortschritt begegnet?

Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Furchtlosigkeit ist m. E. oft ein Zeichen von Dummheit oder Unwissen. Ich schlage vor, dass wir uns aktiv dem digitalen Fortschritt stellen und ihn bewusst mitgestalten. Dass wir Deutschen für das Thema Datenschutz sensibilisiert sind, ist angesichts unserer Geschichte naheliegend. Aktuelle Ereignisse fördern die Verunsicherung der Bürger. Daraus erwächst die Chance, dass wir uns in einem Land, das in so vielen Bereichen die Technologieführerschaft innehat und anstrebt, eben auch als Know-how Träger im bewussten und adäquaten Umgang mit Technologien positionieren. Denken Sie an den Film Die Hard 4: Wir brauchen neben resilienten Produkten und smarten Konsumenten eine Art digitalen John McClane. Der ist übrigens auch nicht furchtlos, sondern mutig.

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Nun zum ersten Teil Ihrer Frage: Unsere Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel hat darauf hingewiesen, dass Unternehmen, die sich der Digitalisierung verschließen oder deren Tragweite nicht erkennen, im Wettbewerb nicht bestehen werden. Die Digitalisierung bietet nicht nur sehr gute Grundlagen für wirtschaftlichen Erfolg, sondern ist im aktuellen wirtschaftlichen Geschehen weitestgehend als eine notwendige Bedingung für denselben zu verstehen. Auf Basis von Big Data werden neue Lösungen für unsere Städte entstehen, die unser Leben bequemer, nachhaltiger und sicherer machen werden.

Dazu zählt übrigens auch die Energiewende. Daher brauchen wir bezüglich der Bereitstellung und Nutzung von Big Data eine gewisse Offenheit. Außerdem müssen wir die Grundvoraussetzungen dafür schaffen, das positive Potenzial der Daten heben zu können. Mit gut ausgebildeten Menschen, einer geeigneten Infrastruktur, Forschungs- und Gründerförderung, international abgestimmten Regulierungen und dem virtualisierten John McClane können wir die Digitalisierung aktiv und resilient mitgestalten.

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