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08.07.2021 | Wasserstoff | Schwerpunkt | Online-Artikel

Westafrika: Wasserstoff-Powerhouse mit drei Haken

verfasst von: Frank Urbansky

4 Min. Lesedauer

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Bundesforschungsministerin Anja Karliczek will den Sonnenreichtum Westafrikas nutzen, um Wasserstoff für Deutschland zu produzieren. Das Projekt hat nur Chancen bei einer echten Partnerschaft.

Ohne Wasserstoff wird die Energiewende nicht gelingen. "Der Strombedarf wird zu zwei Dritteln direkt durch die Wind- und Solarenergie gedeckt und der Rest aus der Verstromung von Wasserstoff. Aufgrund der Umwandlungsverluste werden für eine Kilowattstunde aus Wasserstoff erzeugten Strom etwa drei Kilowattstunden zusätzlicher Wind- und Solarstrom benötigt", beschreibt Springer-Autor Andreas Luczak in seinem Buchkapitel Wie muss die Energiewende weitergehen? auf Seite 136 diese energetische Zukunft.

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Die Potenziale hierzulande sind jedoch begrenzt. Deswegen sind zwei der neun Milliarden Euro aus der Nationalen Wasserstoffstrategie, die einen Zeitraum bis 2030 abdeckt, für Projekte in sonnenreichen Staaten gedacht.

Elektrolyse in sonnenreichen Gegenden wirtschaftlicher

Das ergibt durchaus Sinn. Die weltgrößte PV-Anlage in Saudi-Arabien produziert Strom für weniger als einen 1 US-Cent je Kilowattstunde. Damit lassen sich Elektrolyseure profitabel betreiben. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek hat nun Westafrika entdeckt und in dem Projekt "Potenzialatlas Grüner Wasserstoff" eine Partnerschaft zwischen Deutschland und der Region beschrieben. Untersucht wurde, welche Länder sich dafür am besten eignen.

Westafrika hat demnach ein Erzeugungs-Potenzial von bis zu 165.000 Terawattstunden (TWh) grünen Wasserstoffs pro Jahr. Das ist etwa das 1500-fache des für 2030 angenommenen Wasserstoffbedarfs Deutschlands. Oder: Der Strombedarf Deutschlands könnte damit 300-mal gedeckt werden.

Drei Viertel der Landesfläche Westafrikas sind für Windenergieanlagen geeignet. Die Stromgestehungskosten betragen nur etwa die Hälfte der vergleichbaren Kosten in Deutschland, also etwa 2 bis 2,5 Eurocent je kWh. Auf einem Drittel der Landesfläche wären Photovoltaikanlagen wirtschaftlich betreibbar. Die Kosten für die Wasserstoff-Elektrolyse lägen bei 2,50 Euro pro Kilogramm. In Deutschland liegen sie derzeit bei 7 bis 10 Euro.

Die Region, so die Ministerin, könne zum globalen Powerhouse werden. Und: Man wolle von dort erst Energie importieren, wenn der lokale Markt gedeckt sei. Noch 2021 sollen ersten Pilotprojekte in Afrika starten. Ein Grüner-Wasserstoff-Gipfel in Togo soll dies begleiten.

Partnerschaft geplant, aber mit Fragen

Geplant ist zudem, Fachpersonal direkt vor Ort auszubilden. "Wir wollen eine Wasserstoffpartnerschaft und strategische Maßnahmen etablieren – durch einen konsequenten wissenschaftlichen Ansatz, beginnend mit dem Atlas für grüne Wasserstofferzeugungspotenziale. Er ebnet den Weg für solide Investitionen in eine klimasichere und grüne Wirtschaft", sieht auch Moumini Savadogo, Geschäftsführer des Klimakompetenzzentrums WASCAL in Ghana, vor allem Vorteile.

Doch die schöne, neue Energiewelt hat zumindest drei Haken:

  1. Politische Instabilität: Ein erstes Projekt, mit dem in Marokko ein Hybridkraftwerk mit Meerwasserentsalzungsanlage und 100-MW-Elektrolyseur für insgesamt 325 Millionen Euro entstehen sollte, liegt derzeit auf Eis. Der Grund liegt in der unterschiedlichen politischen Auffassung des Königreichs und Deutschlands bezüglich der Westsahara, die an Marokko grenzt. Im Mai berief der König deshalb seine Botschafterin aus Berlin ab. Sollte dies Schule machen, ist gerade Potentaten in der Region ein gewisses politisches Erpressungspotenzial gegeben.
  2. Das Wasserproblem: Elektrolyseure benötigen Süßwasser (und zwar neun bis zehn Liter für ein Kilogramm Wasserstoff). Doch das ist in vielen Ländern Westafrikas nicht in ausreichendem Maße vorhanden – nicht mal, um die eigene Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser zu versorgen. Eine ähnliche Konfliktsituation führte, begleitet durch die Tank-Teller-Diskussion, vor Jahren zur starken Regulierung und Reduzierung der Anbaubiomasse für Biokraftstoffe seitens der EU.
  3. Akzeptanz vor Ort: Während hierzulande Windkraftanlagen mitunter von Bürgerinitiativen, aber auch durch gesetzliche Regelungen, etwa bezüglich der Abstände zu Siedlungen, verhindert werden, setzt man für Westafrika voraus, dass diese dort klaglos hingenommen werden. Das kann zwar sein, ist aber doch eher eine neokolonialistische Sicht der Dinge, indem man anderen zumutet, was man selbst nicht akzeptieren würde.

Dennoch kann eine solche Strategie natürlich hilfreich sein und Bildung und Wohlstand vor Ort schaffen. Nur sollte niemand eine schöne neue, weil konfliktfreie Energiewelt gerade in Afrika erwarten. "Durch die Schwerpunktsetzung der neuen Kommission unter Ursula von der Leyen dürften sich Impulse außerhalb der klassischen Themen (Friedensmissionen, Demokratieentwicklung und Migration) ergeben, insbesondere die Themen Umwelt und Energie ("Green Transition and Energy Access") dürften eine größere Rolle spielen", beschreibt Springer-VS-Autor Siegmar Schmidt in seinem Buchkapitel Afrikapolitik auf Seite 40 eine entsprechende Strategie der EU, an der sich auch Deutschland orientieren sollte. Und ohne diesen übergeordneten Rahmen wäre die Wasserstoffherstellung vor Ort, so vorteilhaft sie auch sein mag, nur Stückwerk mit vielen Risiken.

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