Springer Professional: Was sind die Intention und der Leitgedanke für das Land Berlin und die Berliner Wasserbetriebe sich des Regenwassers in der Stadt stärker anzunehmen?
Darla Nickel: Durch die mit den Bautätigkeiten einhergehende Zunahme an Neuversiegelungen gehen immer mehr Grün- und Brachflächen für den natürlichen Wasserhaushalt verloren – das Regenwasser kann dort nicht mehr versickern oder verdunsten. Stattdessen fließt immer mehr Regenwasser von den versiegelten Flächen oberflächlich ab. Bei starken Regenfällen kann die Kanalisation die Wassermassen nicht mehr fassen und es kommt zu Überläufen der Kanalisation in die Gewässer sowie Überflutungen des städtischen Raums. Eine intelligente Bewirtschaftung und Erweiterung des Stauraums im bestehenden Kanalnetz reichen allein nicht aus, um den Herausforderungen der wachsenden Stadt angemessen zu begegnen. Mit einer Abkehr von der Ableitung des Regenwassers in die Kanalisation hin zu einer zunehmenden Bewirtschaftung des Regenwassers vor Ort möchte Berlin sich zudem an die Folgen des Klimawandels anpassen, durch den eine Zunahme von Starkregenereignissen sowie Trocken- und Hitzeperioden wahrscheinlich ist.
Berlin soll längerfristig zur Schwammstadt entwickelt werden. Mit welchen Maßnahmen will man das erreichen, wie können sie umgesetzt werden und welche Vorteile sind für die Metropole sowie die regionalen Gewässer zu prognostizieren?
Maßnahmen zur Verdunstung, Versickerung und Rückhaltung sowie Nutzung des Regenwassers vor Ort wie z. B. Versickerungsmulden und -rigolen, Entsiegelungsmaßnahmen, Zisternen zur Regenwasserspeicherung und -nutzung sowie künstliche Wasserflächen können vielfältige positive Effekte erzielen. Sie entlasten nicht nur die Kanalisation und schützen die Berliner Gewässer, sondern können durch Verdunstungskühlung der Überhitzung Berlins entgegenwirken, einen Lebensraum für Insekten und andere Tiere schaffen sowie das Grundwasser gezielt anreichern. Der „Backofeneffekt“ durch die immer stärkere Versiegelung wiegt übrigens in Berlin mindestens ebenbürtig zum Regen, der mit gerade mal 590 Litern pro Quadratmeter und Jahr vergleichsweise sparsam fällt, was sommerliche Sturzfluten aus den Wolken einschließt. Auch die Bauwerksbegrünung stellt einen zentralen Maßnahmenbaustein der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung auf Gebäudeebene dar. Insbesondere vor dem Hintergrund knapper innerstädtischer Flächenressourcen gilt es Dach- und Fassadenflächen mitzudenken. Zudem verbessert das "blaue Grün" das Stadtbild und die Aufenthaltsqualität. Den meisten Lösungen etwa aus dem im Verbundprojekt KURAS entwickelten Katalog sehen nur Fachleute die dahinter steckende Technik an, für Laien sind sie einfach nur schön.
Welche Aufgaben wird die Regenwasseragentur künftig übernehmen, wie wollen sie aktiv werden und welche Synergieeffekte sehen Sie in der Kooperation mit Fachverbänden, Ingenieurbüros und dem Forschungspotenzial in Berlin?
Die breite Umsetzung der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung in Berlin kann nur gemeinschaftlich vorangebracht werden. Die Regenwasseragentur bringt verschiedene Akteure wie Bezirksverwaltungen, städtische Wohnungsbaugesellschaften, private Investoren und Grundstückseigentümer, Planungs- und Ingenieurbüros, Interessenvertreter und Forschung zusammen, aktiviert und vernetzt sie und unterstützt den Erfahrungsaustausch. Bestehende Informationsgrundlagen werden gebündelt, erweitert sowie auf einer Internetseite bereitgestellt und erprobte Lösungen weitergetragen. Zudem sensibilisiert die Regenwasseragentur die Berliner für die Notwendigkeit und Vorteile einer dezentralen Regenwasserbewirtschaftung und regt durch gezielte Interaktion mit den Akteuren die Maßnahmenumsetzung an. Mit der Gründung der Berliner Regenwasseragentur will das Land Berlin gemeinsam mit den Berliner Wasserbetrieben dazu beitragen, die wertvollen Chancen zu nutzen, die der intelligente Umgang mit dem Regen mit sich bringt.
Bevölkerungszuwachs, ein stark ansteigender Flächenverbrauch für Wohnungsbau und städtische Infrastruktur und die damit verbundene Versiegelung wertvoller Grün- und Brachflächen begrenzen die Möglichkeiten für eine dezentrale urbane Regenwasserbewirtschaftung weiter. Welchen Handlungsspielraum sehen Sie für die Regenwasseragentur?
Die Regenwasseragentur setzt sich dafür ein, dass die zentrale Regenwasserbewirtschaftung in städtischen Planungsprozessen bereits frühzeitig Berücksichtigung findet und entwickelt gemeinsam mit städtischen Akteuren die Planungs- und Genehmigungspraxis weiter. Bei der Abwägung diverser Nutzungsansprüche an knappe Flächenressourcen ist die Mehrfachnutzung von Flächen etwa für die Regenentwässerung und Erholung mitzudenken, um integrierte ökologische Gesamtkonzepte zu entwickeln. Neben der Begleitung neuer Stadtquartiere diskutiert die Regenwasseragentur gemeinsam mit Schlüsselakteuren Umsetzungspotenziale und –strategien der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung auch in Bestandsquartieren. Nur so kann Berlin trotz Nachverdichtung als lebenswerte, blau-grüne Metropole erhalten werden.
Müssen Vorschriften "entrümpelt" werden, um Maßnahmen für ein dezentrales Regenwassermanagement einfacher und schneller implementieren zu können?
Berlin hat ja im Zusammenhang mit der Bewirtschaftung von Regenwasser bereits einige gute Regelungen getroffen. So fordert das Berliner Wassergesetz die Versickerung von Regenwasser, sofern nachteilige Auswirkungen auf den Zustand der Gewässer nicht zu erwarten sind. Oder das neue Hinweisblatt des Senats, das die Ableitung von Regenwasser bei Bauvorhaben auf ein natürliches Maß beschränkt und Bauherren faktisch zur Bewirtschaftung des Regenwassers an Ort und Stelle zwingt. Andererseits können sich existierende und fehlende Regelungen durchaus als Umsetzungshindernisse herausstellen. Es gehört zu den Aufgaben der Regenwasseragentur, sich mit rechtlichen Rahmenbedingungen auseinander zu setzen und fachlich gesicherte Vorschläge zur deren Weiterentwicklung zu machen.