Skip to main content

01.12.2016 | Automatisiertes Fahren | Schwerpunkt | Online-Artikel

Automatisiert den Fahrer überfordern

verfasst von: Stefan Schlott

4:30 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
print
DRUCKEN
insite
SUCHEN
loading …

Die Automatisierung der Fahrzeugführung verändert die Anforderungen an das kognitive System des Autofahrers grundlegend. Um daraus keine Gefahren entstehen zu lassen, sind noch zahlreiche Fragen offen.

Eine Dissertation mit dem Titel "Driving automation interface design: supporting drivers‘ changing role" kommt zu dem Schluss, dass autonom fahrende Autos zwar praktisch sind, aber auch gefährlich sein können. Autor Arie Paul van den Beukel, der seine Doktorarbeit an der University of Twente im niederländischen Enschede geschrieben und mit dem Autohersteller Ford zusammengearbeitet hat, begründet diese These damit, dass ein Fahrzeugführer häufig nur wenige Sekunden oder gar Bruchteile einer Sekunde Zeit habe, um auf eine Gefahrensituation zu reagieren. Und da sei es einfach vorteilhafter, wenn er die Lage nicht erst einschätzen und seine Füße und Hände positionieren müsse. Van den Beukel: "Bis er diese Schritte ausgeführt hat, kann es schon zu spät sein." 

Empfehlung der Redaktion

2016 | OriginalPaper | Buchkapitel

Der Mensch als Überwacher

Die Aufgaben des manuellen Fahrers, die in Kapitel 2 als Aufnahme und Interpretation von Informationen sowie die Ausführung einer nötigen Handlung zusammengefasst wurden, verändern sich bei der Interaktion mit einem teilautomatisierten System. Die …


Gleichzeitig untersuchte van den Beukel, wie der Fahrer in seiner veränderten Rolle in einem autonomen Fahrzeug optimal unterstützt werden kann. Bei sich derzeit auf dem Markt befindlichen Fahrzeugen unterstütze ihn das System mit Informationen, die häufig über ein Display in der Mittelkonsole oder hinter dem Lenkrad übermittelt werden. "Tesla zeigt dem Fahrer über das Display beispielsweise an, was die Sensoren erkennen. Das sind nützliche Informationen, hat aber gleichzeitig zur Folge, dass sich der Fahrer darauf und nicht auf den realen Straßenverkehr konzentriert", nennt der Dozent für Industrial Design und Creative Technology an der University of Twente einen weiteren Punkt.

Die Reaktionsgeschwindigkeit des Fahrers nimmt ab

Van den Beukels Thesen decken sich mit Bedenken, die Peter Rößger in seinem Artikel Autonomes Fahren: Wie viel Autonomie das Autofahren verträgt für die ATZelektronik 2-2015 artikuliert. Eine zentrale Frage in diesem Zusammenhang ist für Rößger, wie lange es dauert und dauern darf, bis der Fahrer die volle Kontrolle wieder übernommen hat. "Wenn er nur geringfügig abgelenkt ist, wird der Fahrer schnell wieder in der Fahraufgabe sein. Ein dösender oder eingeschlafener Fahrer wird deutlich länger brauchen – zumal das reine Aufwachen noch nicht ausreicht, um richtige Entscheidungen zu fällen", so der Autor. Es werde eine gewisse Zeit dauern, bis der Fahrer voll und ganz versteht, was eigentlich los ist und sich orientiert hat.

Unter diesen Rahmenbedingungen ist es für Rößger "zweifelhaft, ob die oft diskutierten 20 s für das Rückholen des Fahrers überhaupt ausreichend sind". Langfristig werde es bei hohen Automatisierungsgraden zu einem Kompetenzverlust des Fahrers kommen. Grund: Durch die Übernahme auch einfacher Fahraufgaben in unkritischen Situationen geht dem Fahrer die Übung im Umgang mit dem Fahrzeug verloren. Hier komme hinzu, dass gerade in den Momenten, in denen die Maschine nicht in der Lage ist, Entscheidungen zu fällen, schnell und richtig in komplexen Situationen reagiert werden muss.

Nutzerorientierte Anzeigekonzepte sollen es richten

Um dem entgegenzuwirken, spricht sich Ina Othersen für überarbeitete Anzeigekonzepte aus. Im Kapitel Der Mensch als Überwacher des Fachbuchs Vom Fahrer zum Denker und Teilzeitlenker schreibt sie:

Um möglichen Verhaltenseinbußen aufgrund der Veränderung der Mensch-Maschine-Interaktion entgegenzuwirken, ist ein nutzerorientiertes Anzeigekonzept für die teilautomatisierte Fahrt unabdingbar."

Die visuelle Kontrolle der Situation, das Verstehen und Antizipieren der Informationen sowie die Detektion eines Übernahmebedarfs im Falle von Systemgrenzen und -fehlern seien dabei Hauptaufgaben des Fahrers und spielten eine entscheidende Rolle.

Für die Sicherheit und die Akzeptanz von autonomen Fahrzeugen wird es von entscheidender Bedeutung sein, die neuen Rollen des Menschen im autonomen Fahrzeug so zu definieren, dass sie sowohl den Fähigkeiten des menschlichen Informationsverarbeitungssystems entsprechen, als auch den Erwartungen und Bedürfnissen der Menschen gerecht werden. Davon ist Ingo Wolf überzeugt. Im Kapitel Wechselwirkung Mensch und autonomer Agent des Fachbuchs Autonomes Fahren berichtet Wolf von Problemen wie unangemessenem Vertrauen und reduziertem Situationsbewusstsein bereits bei den heute verfügbaren teilautomatisierten Systemen. "Welche Auswirkungen höhere Automatisierungsgrade und die damit verbundene, länger währende mentale Entkoppelung langfristig auf die kognitiven und motorischen Fähigkeiten des Fahrers haben werden, ist noch weitestgehend unbekannt." Die diesbezüglich festgestellten Effekte bei hochtrainierten und erfahrenen Flugzeugpiloten sind Wolf zufolge jedoch alarmierend. Training und die regelmäßige manuelle Ausführung automatisierbarer Fahrtätigkeiten scheinen für den Autor deshalb ein wichtiges Instrument zu sein, um die benötigten und erwünschten Kompetenzen der Fahrer aufrechtzuhalten.

Die Auseinandersetzung mit dem Menschen als Rückfallebene für die technischen Systeme zum autonomen Fahren ist schon deshalb von hoher Relevanz, weil Technik immer auch einmal ausfallen oder kaputt gehen kann. In seinem Kapitel Prädiktion von maschineller Wahrnehmungsleistung beim automatisierten Fahren im Fachbuch Autonomes Fahren warnt beispielsweise Klaus Dietmayer, "dass ein Ausfall der maschinellen Wahrnehmung umgehend zu so großen Unsicherheiten in der Situationsbewertung führen würde, dass eine sichere Handlungsplanung und Handlungsausführung nicht mehr gewährleistet werden kann." Spätestens in solchen Situationen ist dann ein routinierter Eingriff des Menschen unabdingbar.

print
DRUCKEN

Weiterführende Themen

Die Hintergründe zu diesem Inhalt

Das könnte Sie auch interessieren

    Premium Partner