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2022 | Buch

Digitaler Journalismus in der Praxis

Grundlagen von Onlinerecherche, Storytelling und Datenjournalismus

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Über dieses Buch

Dieses Lehrbuch vermittelt die besonderen Möglichkeiten des digitalen Journalismus. Es erklärt mit großem Praxisbezug und vielen Beispielen digitales Storytelling, zeigt Techniken des Datenjournalismus und liefert Tipps und Tools für die Recherche im Internet. Um einer digitalisierten Welt gerecht werden zu können, müssen Journalist*innen sich dieses Handwerk aneignen – und es intuitiv einsetzen können, da im hektischen Alltag einer Online-Redaktion nicht viel Zeit bleibt. Wer Open Data richtig nutzen, Geschichten multimedial erzählen und Fakten zügig überprüfen kann, hebt sich im Internet und den sozialen Medien entscheidend ab.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Digitales Storytelling

Frontmatter
1. Einleitung
Zusammenfassung
Geschichten zu erzählen ist für Journalist*innen essenziell. Weil es für Menschen essenziell ist. Wir alle erinnern Geschichten, wir hören ihnen zu, wir lesen sie vor und erzählen sie. Der Mensch als solcher definiert sich darüber, wie Jacques Chlopczyk (2017, S. 2) schreibt: „Durch Geschichten entsteht Sinn und Bedeutung aus dem kontinuierlichen Strom von Ereignissen und Erfahrungen. Durch Geschichten werden Werte, Wissen und Normen vermittelt. Geschichten sind Träger und Ausdruck von Kultur. Der Homo sapiens ist ein Homo narrans.“
Tim Osing
2. Definition & Geschichte
Zusammenfassung
Nachdem der Journalismus Anfang der 2000er-Jahre die Besonderheiten des Internets komplett verschlief, konnte in den 2010er-Jahren nichts „multimedial“ genug sein. Der Begriff wurde mit viel Bedeutung aufgeladen und häufig falsch verwendet, deshalb soll in diesem Kapitel eine Unterscheidung zwischen Multimedia, Crossmedia und Transmedia erfolgen.
Die Geschichte des digitalen Storytellings ist noch recht kurz, seit Anfang der 2010er-Jahre nahm es dank einer Vielzahl an technischen wie erzählerischen Möglichkeiten eine rasante Entwicklung. Angestoßen durch das „Snow Fall“-Projekt der „New York Times“, probierten sich fast alle Redaktionen mit aufwendig produzierten digitalen Geschichten aus. Ebenso zügig veränderte sich das Nutzungsverhalten der User*innen vom Surfen am Desktop-PC zum ständigen Online-Sein am Smartphone, entsprechend müssen Redaktionen vor allem an mobile Ausspielgeräte ihrer digitalen Geschichten denken.
Tim Osing
3. Recherche & Konzeption
Zusammenfassung
Damit eine Geschichte am Ende funktioniert, muss sie von Beginn an als solche gedacht und geplant werden. Die Recherche sollte bereits darauf ausgelegt sein, die einzelnen Teile der Story zusammenzusammeln. Gleichzeitig darf sie nicht zu engstirnig nur das suchen, was sie gerne erzählen möchte.
Wo wird ein Video gebraucht, was sollte fotografiert werden, für was funktioniert ein geschriebener Text am besten? Die Vorteile der einzelnen Medienarten und die Entwicklung eines Konzepts sind Themen dieses Kapitels.
Tim Osing
4. Arbeitsweisen des digitalen Storytellings
Zusammenfassung
Was Journalist*innen brauchen, um eine Story spannend zu erzählen, sind Protagonist*innen. Eine gute Geschichte wird oft personalisiert erzählt, mit einem Charakter, der beispielhaft für das Thema steht oder eine eigene, große Geschichte zu erzählen hat. Der*die Protagonist*in macht eine Entwicklung durch, muss Hindernisse überwinden und Konflikte lösen. Dieses erfolgreiche Prinzip hat sich als „Heldenreise“ etabliert.
Die Suche nach der richtigen Geschichte ist die nach dem besonderen Konflikt, nach einem Gegensatz oder einer Aufgabe. Journalist*innen möchten diese Geschichten finden und für ihre Zielgruppe bestmöglich erzählen. Die Möglichkeiten dazu sind online groß, da Beiträge multimedial aufgebaut und untereinander vernetzt sein können, auch die Nutzenden können Einfluss nehmen.
Um qualitativ hochwertige journalistische Geschichten, verschiedene Erzählstrukturen und besonders die Dramaturgie erfolgreichen Storytellings soll es in diesem Kapitel gehen.
Tim Osing
5. Arten des digitalen Storytellings
Zusammenfassung
Die ersten journalistischen Online-Angebote bestanden im Grunde aus den Texten und Zeitungsseiten, die schlicht digitalisiert wurden. Seitdem haben sich zahlreiche moderne Arten des digitalen Storytellings entwickelt. Egal ob mit ausführlichen Lesestücken im Digital Longform Journalism, multimedialen Web-Dokumentationen, visuell ansprechenden Slideshows oder Podcasts für die Ohren – die Möglichkeiten sind groß, lassen sich miteinander verknüpfen und werden von vielen Redaktionen kreativ eingesetzt. Die gängigsten Arten und ihre Vor- und Nachteile werden in diesem Kapitel vorgestellt.
Tim Osing
6. Mobiles Storytelling
Zusammenfassung
Medien werden online mittlerweile zu einem Großteil über das Smartphone genutzt. Für Entwickler*innen und Redakteur*innen ist als Erstes wichtig, ob die Website und der Beitrag auf mobilen Geräten funktionieren, die Desktop-Varianten sind zweitrangig geworden. Das bedeutet zum Beispiel auch, Dateiformate klein zu halten, um das mobile Datenvolumen nicht auszureizen. Oder Videos zu untertiteln, damit Nutzende diese unterwegs und ohne Ton hören können.
Gleichzeitig bieten Smartphones eigene, weitere Möglichkeiten fürs Storytelling. Durch die besondere Steuerung (Gesten & Wischen) und Merkmale wie die ständige Erreichbarkeit können Geschichten teils spielerischer, teils personalisierter werden.
Besonders das Social-Media-Storytelling ist für Journalist*innen interessant, da mit wenig Mitteln interessante Geschichten für potenziell viele Nutzende möglich sind, auch neue Zielgruppen erschlossen werden können. Die sind dabei entscheidend: Seine Follower*innen zu kennen, ihre Wünsche zu befriedigen, eine eigene Community zu pflegen, ist für Social-Media-Redakteur*innen essenziell für den Erfolg der eigenen Posts.
Tim Osing
7. Nutzung und Wirkung von digitalem Storytelling
Zusammenfassung
Ausführlich erzählte Geschichten stehen in keinem Widerspruch zum aktuellen Nachrichtengeschehen, sondern ergänzen dieses und können für eine höhere Glaubwürdigkeit sorgen, Fake News bekämpfen. Geschichten nach journalistischen Qualitätsmerkmalen werden von Nutzenden intuitiv besser bewertet, ihnen ist zudem die Selektivität wichtig, also die einzelnen Medienarten auswählen oder auch ablehnen zu können. An vorderster Stelle steht online jedoch immer, dass die Seite rasch lädt und funktioniert.
Tim Osing

Datenjournalismus

Frontmatter
8. Einleitung
Zusammenfassung
Es gibt Menschen, die Angst haben vor Daten. Computer? Zahlen? Mathematik? Da kommen einigen Journalist*innen schlechte Erfahrungen der Schulzeit in den Kopf. Datenjournalismus weckt oft falsche Assoziationen, dabei begegnet er uns jeden Tag und erleichtert den Alltag. Tatsächlich unterscheidet sich die Arbeit von Datenjournalist*innen kaum von der von den Kolleg*innen. Sie recherchieren, bewerten ihre Quellen, prüfen die Aussagen und bereiten die Rechercheergebnisse auf. Der wesentliche Unterschied: Ihre Quellen sind Daten. Sie befragen sie wie einen Zeugen, prüfen widersprüchliche Aussagen oder schätzen ihren Wahrheitsgehalt ein.
Tim Osing
9. Definition & Geschichte
Zusammenfassung
Auch wenn Datenjournalismus als eine junge Disziplin gilt, wurde das Handwerk bereits häufig im 20. Jahrhundert angewandt. Besonders bei Wahl-Umfragen waren Daten-Aufbereitungen und -Visualisierungen beliebt. Aber Datenjournalist*innen arbeiten mit mehr als nur Prozentzahlen, letztlich können Daten alles sein, was mess- und zählbar ist. Wie hat sich die Sprache im Parlament im Lauf der Jahrzehnte verändert? Welche Sportart wird im Norden häufiger ausgeübt als im Süden? In welchem Wohngebiet der Stadt passieren die meisten Unfälle?
Datenjournalismus meint im Wesentlichen, dass journalistisch mit Daten gearbeitet wird. Im Englischen ist auch vom „Daten getriebenen Journalismus“ (Data Driven Journalism) die Rede. Es werden Informationen recherchiert, gegengecheckt, sortiert und aufbereitet. Die Hauptquelle, quasi die Ansprechpartner*innen, die kritisch befragt werden, sind aber keine Personen, sondern Datensätze.
Um richtig mit ihnen umgehen zu können, müssen Datenjournalist*innen den Umgang mit verschiedenen Dateiformaten und Grundlagen der Statistik kennen. Auch darum geht es in diesem Kapitel.
Tim Osing
10. Recherche
Zusammenfassung
Die Hauptquelle von Datenjournalist*innen sind Daten, logisch. Es kann sogar sein, dass der Datensatz der einzige Protagonist der Geschichte ist (Weinacht und Spiller. Datenjournalismus in Deutschland. Eine explorative Untersuchung zu Rollenbildern von Datenjournalisten. Publizistik, 59(4):411–433, 2014, S. 419). Deshalb ist es umso wichtiger, dass er gut recherchiert ist – das kostet Zeit. Matzat (10 Jahre Datenjournalismus: Gemischte Gefühle. Online: https://​www.​datenjournalist.​de/​10-jahre-datenjournalismu​s-gemischte-gefuehle/​, zuletzt am 1. Mai 2022, 2018, S. 40) nennt als Faustregel, dass „mindestens die Hälfte (eher zwei Drittel) des Aufwandes eines datenjournalistischen Werks in die Datenarbeit fließt: Beschaffung, Erschließung, Sichtung und Säuberung.“
Besonders wichtig ist, dass es sich um den richtigen Protagonisten bzw. den richtigen Datensatz handelt. So wie einem*r Journalist*in der*die Pressesprecher*in als Interviewpartner*in nicht genügen sollte, sollten auch die Datensätze hinterfragt werden, die mit einer Pressemitteilung herausgegeben wurden. Sie sind nur die oberste Schicht einer Zwiebel, um im Bild von Andreas Grieß zu bleiben (siehe Abb. 10.1).
Daten können auf verschiedene Arten erlangt werden, die jeweilige Quelle ist dabei auch immer kritisch zu betrachten. Und zwar ihr konkreter Ursprung, nicht nur die spätere Pressemitteilung dazu. Denn Zahlen sind nur scheinbar objektiv. Dass ein Datensatz existiert oder bislang gerade nicht erhoben wurde, kann immer am jeweiligen Interesse der Urheber*innen liegen.
Tim Osing
11. Arbeitsweisen des Datenjournalismus
Zusammenfassung
Für den einen sind es fünf Cs, für die anderen drei Ds – letztlich beschreiben sie dasselbe: die Arbeitsschritte von Datenjournalisten*innen. Bradshaws (2018, S. 254) fünf Cs lauten „Compile“, „Clean“, „Context“, „Combine“ und „Communicate“. Weinacht & Spiller (Datenjournalismus in Deutschland. Eine explorative Untersuchung zu Rollenbildern von Datenjournalisten. Publizistik, 59(4):411–433, 2014, S. 418) haben die Datenerhebung, die Datenauswertung und die Datenaufbereitung als zentrale Arbeitsstufen festgestellt – drei Ds also. In beiden Fällen hat das vorangegangene Kap. 10 den ersten Arbeitsschritt betrachtet: die Recherche, bzw. Compile oder Datenerhebung.
Bei den weiteren Arbeitsweisen folgt dieses Buch Bradshaws Definition, da die Unterteilung in kleinere Schritte gerade für Einsteiger*innen in den Datenjournalismus sinnvoller erscheint. Nach der Recherche geht es also um „Clean“, das Säubern von Daten. Denn häufig liegen die Datensätze noch fehlerhaft oder unstrukturiert vor. Von strukturierten Daten spricht man, wenn ein Datensatz nach einem bestimmten Muster gleichmäßig aufgebaut ist und jeder Ausprägung gleichartige Eigenschaften zugewiesen sind (Haarkötter. Journalismus.Online. Das Handbuch zum Online-Journalismus. Herbert von Halem Verlag, Köln, 2019, S. 388).
Durch eine klare Struktur werden die Datensätze maschinell lesbar. Die Struktur richtet sich deshalb auch nach dem Programm, mit dem die Daten ausgewertet werden sollen. Verbreitet ist einfache Software wie Excel oder Google Tabellen, Profis nutzen SPSS oder R (Oswald 2019, S. 71; Weinacht und Spiller. Datenjournalismus in Deutschland. Eine explorative Untersuchung zu Rollenbildern von Datenjournalisten. Publizistik, 59(4):411–433, 2014, S. 418).
Tim Osing
12. Fazit und Beispiele
Zusammenfassung
Datenjournalismus mag eine der jüngeren Disziplinen des Journalismus sein, anspruchsvoll ist er auch – und trotzdem mittlerweile fest etabliert. Man kann sogar sagen: Jede*r Journalist*in sollte dieses Handwerk kennen, um es als Recherche- und Arbeitstool nutzen zu können. Je digitalisierter die Welt wird, desto mehr Daten gibt es, und desto wichtiger wird der Datenjournalismus.
Tim Osing

Onlinejournalismus

Frontmatter
13. Einleitung
Zusammenfassung
Was ist da eigentlich passiert? Warum fiel dem Journalismus der Start ins digitale Zeitalter so schwer? Das größte Problem ist das offensichtlichste: Geld. Abonnements wurden unnötiger, Auflagen sanken, Anzeigenkunden strichen ihre Werbung. Es ist aber noch mehr geschehen: Neuberger (2018, S. 11) diagnostiziert dem Journalismus im Internet einerseits eine ökonomische Krise, dazu aber auch eine „Qualitätskrise“ („Lügenpresse“-Vorwürfe) und eine „Identitätskrise“ („Entgrenzung“ nach innen und außen). In diesem Teil soll es aber um Möglichkeiten und Perspektiven des Onlinejournalismus gehen, mit besonderem Fokus auf die Recherche im Internet.
Tim Osing
14. Definition & Geschichte
Zusammenfassung
Onlinejournalismus lässt sich zunächst über seine technischen Möglichkeiten definieren, die ihn klar von den „klassischen“ Medien wie Zeitung, Fernsehen oder Radio abgrenzen. Journalistische Angebote sind dank des Internets immer und überall verfügbar, sie können aktualisiert und überarbeitet werden und deutlich ausführlicher sein als etwa ein geschriebener Text in der Zeitschrift.
Eine Besonderheit der weltweiten Vernetzung ist aber auch, dass Journalist*innen nicht mehr den exklusiven Zugriff auf Quellen haben, Prominente oder Politiker*innen ihre Inhalte ohne den „Umweg“ des journalistischen Kanals an ihr Publikum bringen können. Journalist*innen haben dadurch ihre Rolle als „Gatekeeper“ etwas verloren.
Dass der Journalismus mit diesen Änderungen lange kaum zurechtkam oder sich zu wenig auf sie einließ, lässt sich an der Historie des Onlinejournalismus gut ablesen: Zunächst wurden einfach dieselben Inhalte auf eine Website gestellt, erst später die tatsächlichen Potenziale des Internets bestmöglich genutzt. Multimediales Erzählen, Beteiligung der Zielgruppen oder innovative digitale Formate entwickelten sich erst mit der Zeit, Anfang der 2020er-Jahre sind aber zumindest alle Redaktionen mindestens in einem Wandlungsprozess hin zu einem modernen digitalen Medien-Angebot.
Tim Osing
15. Online-Recherche
Zusammenfassung
Durch das Internet haben Journalist*innen Recherchemöglichkeiten, die heute alltäglich sind: Die Suche nach Themen oder Protagonist*innen in den sozialen Medien, nach Dokumenten oder Bildmaterial in Datenbanken oder Suchmaschinen, das Überprüfen von Fakten und dem Wahrheitsgehalt einzelner Aussagen.
Grundlegende Techniken der Online-Recherche kennen Sie bestimmt schon, indem Sie Google vielleicht schon mal mit Hilfe von Operatoren oder dessen Bilder-Rückwärtssuche genutzt haben. Aber wussten Sie auch, dass Google eine eigene Datenbank für Patente hat oder Snapchat in Echtzeit Bild- und Video-Eindrücke aus der ganzen Welt liefert?
Sich alle Tools zu merken, ist angesichts immer neuer Anwendungen kaum möglich und auch gar nicht nötig. Stattdessen sollten Sie als Journalist*in die grundsätzlichen Möglichkeiten im Kopf haben und immer darüber nachdenken, welche Information auf welchem Wege zu finden sein könnte. Oftmals können dafür auch Anwendungen genutzt werden, die gar nicht für diese Art der Recherche gedacht wurden.
Natürlich müssen Grundsätze der Recherche wie etwa das Zwei-Quellen-Prinzip (Eine Information sollte von einer zweiten, unabhängigen Quelle bestätigt werden, bevor sie veröffentlicht wird (vgl. Kaiser. Recherchieren. Klassisch – online – crossmedial. Springer VS, Wiesbaden, 2015, S. 22)) gewahrt bleiben, auch wenn online Zeitdruck gegenüber der Konkurrenz herrschen sollte. Gerade da die Urheber*innen einer Information im Internet unklar sein können, ist besondere Vorsicht geboten. Die digitalen Anwendungen erleichtern die Recherche – die digitalen Möglichkeiten, Fälschungen zu produzieren, sind jedoch ebenso groß.
Tim Osing
16. Arbeitsweisen im Onlinejournalismus
Zusammenfassung
Den klassischen Redaktionsschluss gibt es nicht mehr: Von einer Website werden stetig Neuigkeiten erwartet, Texte können ergänzt oder überarbeitet werden. Trotzdem orientiert sich der Workflow einer Redaktion noch weitgehend an gewohnten Arbeitszeiten, was auch an den User*innen liegt: Sie besuchen Nachrichtenseiten am häufigsten morgens, außerdem in ihrer Mittagspause und nach Feierabend.
In den Redaktionsgebäuden haben sich „Newsdesks“ etabliert, quasi ein Gruppentisch der wichtigsten Entscheidungsträger*innen. Sie besprechen die Themen des Tages, wählen Nachrichten aus oder „steuern“ die Website, also entscheiden über Platzierung und eine ansprechende Darstellung der einzelnen Beiträge, etwa durch die Wahl des Fotos oder der Überschrift.
In diesem Kapitel soll es außerdem darum gehen, was Online-Journalist*innen können sollten. Einen wichtigen Punkt, die Recherche im Internet, haben Sie bereits kennengelernt. Nun geht es noch um produktionelle, kommunikative und auch rechtliche Kompetenzen. Zur Produktion gehört, wie eine gute Überschrift und ein Teaser aussehen, wie ein Text gut von Suchmaschinen gefunden werden kann und Links richtig gesetzt werden. Kommunikation bezieht sich hier auf das Verhältnis zu den Nutzenden, die in den sozialen Medien oder direkt auf der Website mitreden wollen und kommentieren. Als Online-Journalist*in sind Sie in der Regel auch Verkäufer*in und Moderator*in.
Tim Osing
17. Arten des Onlinejournalismus
Zusammenfassung
Zahlreiche Darstellungsformen aus dem Print- oder Rundfunk-Journalismus wurden ins Internet übertragen: Nachrichten, Analysen, Interviews. Online haben sich aber auch weitere Formen etabliert, etwa Live-Ticker oder kuratierte Geschichten, Web-Dossiers ermöglichen non-lineares Erzählen.
Besonders die Darbietung der Inhalte hat sich gewandelt: Artikel werden so angeteasert, dass sie von den Nutzenden angeklickt werden. Texte und Medien werden speziell für mobile Endgeräte angepasst, zum Teil wird der Journalismus selbst durch Smartphones und passendem Zubehör produziert.
Außerdem machen sich Redaktionen das technische Kommunikationspotenzial des Internets zunutze und greifen auf Inhalte von Bürger*innen zurück oder lassen die Computer selbst Formulierungen erstellen. Besonders bei standardisierten Texten wie in der Sportberichterstattung ist sogenannter „Roboterjournalismus“ präsent, die Möglichkeiten scheinen hier noch längst nicht ausgeschöpft.
Idealerweise können sich Journalist*innen auf das konzentrieren, was keine Maschine und kein Laie ihnen abnehmen kann: Gründliche Recherchen, Gespräche, außergewöhnliches Geschichten-erzählen.
Tim Osing
18. Perspektiven des Onlinejournalismus
Zusammenfassung
Das Internet hat dem Journalismus nicht nur Probleme bereitet, sondern auch Chancen aufgetan: Medien können über diverse Kanäle und ein breites Angebot ein größeres Publikum erreichen als je zuvor. Über kein Medium informieren sich heutzutage mehr Menschen in Deutschland, für viele sind sogar die sozialen Medien die einzige Plattform, auf der sie mit Nachrichten in Berührung kommen.
Der Journalismus befindet sich in einem Wettkampf um Aufmerksamkeit und bestreitet diesen längst nicht mehr nur mit der Konkurrenz anderer Medien. Es gilt, die richtige Balance zu finden zwischen gesellschaftlich relevanten Recherchen und Klicks-bringenden Boulevardthemen. Barbara Hans, ehemalige Chefredakteurin von „Spiegel Online“, sagte zu diesem Thema auf der re:publica 2018: „Wer Aufmerksamkeit um jeden Preis will, verliert am Ende seine Glaubwürdigkeit“ (Jacobsen. Spiegel Online-Chefin Barbara Hans: „Journalismus macht sich überflüssig, wenn er nur über das berichtet, was dem Nutzer gefällt“. Online: https://​meedia.​de/​2018/​05/​03/​spiegel-online-chefin-barbara-hans-journalismus-macht-sich-ueberfluessig-wenn-er-nur-ueber-das-berichtet-was-dem-nutzer-gefaellt/​, zuletzt am 1. Mai 2022, 2018, 3. Mai). Denn: „Wenn Journalismus die Leute anschreit, wenden sie sich ab – genau wie im normalen Leben“.
Die leichteren, „bunten“ Themen sind auch eher selten jene, die dem Medium zahlende Kund*innen bringen. Redaktionen sollten eher, so die Ansicht von Expert*innen der Branche, auf außergewöhnliche Geschichten setzen, die Alleinstellungsmerkmale schaffen. Außerdem könnte dem Lokaljournalismus – auch in Zusammenarbeit mit den Lesenden – eine größere Bedeutung zukommen.
Die Bereitschaft, für nachrichtliche Inhalte im Internet Geld auszugeben, wächst zumindest etwas – das sollte Hoffnung machen.
Tim Osing
Metadaten
Titel
Digitaler Journalismus in der Praxis
verfasst von
Tim Osing
Copyright-Jahr
2022
Electronic ISBN
978-3-658-39105-8
Print ISBN
978-3-658-39104-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-39105-8