Einsame Figuren sind aus der Filmgeschichte nicht wegzudenken: Das Kino stellt seine einsamen Helden in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zwischen Kulisse und Requisite, Narrativ und Dramaturgie. Sie werden zur Inkarnation der Einsamkeiten ihrer Welt, zur Verkörperung der sonst kalten, distanzierten und seelenlosen Facetten des modernen Lebens. Auch in Fernsehserien sind sie nicht einfach nur notwendige Handlungsträger, die die erzählten Einsamkeiten austragen, sondern sie ermöglichen als menschenähnliche Identifikationsfiguren ein empathisches Hineinversetzen in die innerseelischen Konflikte und Entscheidungsdilemmata und die von den Einsamkeiten ausgehenden emotionalen Lasten und Härten. Das Kapitel widmet sich den einsamen Serienfiguren, ihren Typen und Biografien als verkörperte Arikulationen moderner Einsamkeiten.
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Das eigenständige medienpsychologische Thema parasozialer Beziehungen soll hier nicht interessieren und nicht weiter ausgeführt werden. Nur erwähnt seien die wichtigen Arbeiten von Horton und Wohl (1956) sowie die bemerkenswerte Arbeit zur Einsamkeit, die nach der letzten Folge einer Fernsehserie einsetzt (Eyal und Cohen 2006). Zu den gemeinschaftsbildenden Funktionen der Fernsehserie vgl. Newiak 2021.
Auf die hochproblematische, sich – methodisch wie inhaltlich – selbst disqualifizierende Kernaussage „autism, in all its contingent and constructed rhetorical glory, is the new white“ (Matthews 2019, S. 71) soll hier nicht weiter eingegangen werden, genauso wenig wie auf Strattons sehr seltsame Herleitung, Sheldons als potentiell am Asperger-Syndrom erkrankte Figur würde durch ihren „lack of empathy“ zu einem Ausdruck einer wettbewerbsorientierten neoliberalen Ordnung werden, da in dieser (wie vom Kranken) soziale Beziehungen geringgeschätzt würden (Stratton 2016, S. 170). Hierin drückt sich nicht nur eine beklemmende Geringschätzung von Menschen mit psychischen Leiden aus, sondern auch ein erstaunlich geringes Maß an Selbstreflektion, da die kritisierten vermeintlich rassistisch-sexistischen Implikationen mit entgegengesetztem Vorzeichen nur reproduziert werden.
Im Interview mit Vulture formuliert Smith von der Syracuse University: „Many times, the best characters are the worst people on the planet. Sheldon is constantly insulting the people that he loves and we just accept it gleefully, because he doesn’t understand. He’s an innocent.“ (Raymond, 22. September 2014, o. A.).
Das Miss Watson Sex Tape wurde im Vorfeld der 2. Staffel durch den Sender A&E über „Social Media“ und Youtube ausgespielt und streut starke Zweifel daran, dass tatsächlich Norman der Mörder von Blaire Watson sei, denn das Video zeigt die Lehrerin, wenige Stunde vor dem verhängnisvollen Schulball, beim Verkehr mit Kyle, der offensichtlich in der Wohnung zurückblieb und aus Eifersucht auf die erotische Begegnung mit Norman reagiert haben könnte. Er wird dann auch später für den Mord zur Rechenschaft gezogen und inhaftiert.
So wie die Jugendlichen in 13 Reasons Why durch Hannahs Kassettenserie wieder zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen, erlebt auch das Publikum vor den Bildschirmen die vergemeinschaftende Wirkung serieller Fiktionalisierung und erlebt sich als Teil einer unsichtbaren Bedeutungsgemeinschaft, die von der Fernsehserie gestiftet wird. Zum selbstreflexiven Spiel der Fernsehserie mit den vergemeinschaftenden Funktionen von Fernsehserien vgl. Newiak (2021).