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1980 | Buch

Folgen reduzierten Wachstums für Politikfelder

herausgegeben von: Peter Grottian

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

Buchreihe : Politische Vierteljahresschrift Sonderhefte

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Staat und Wirtschaft unter bürgerlichen und sozialdemokratischen Regierungen
Ein Beitrag zur vergleichenden Analyse des Steuerstaates, des Wohlfahrtsstaates und der Lage auf dem Arbeitsmarkt
Zusammenfassung
Wenn man nach den politischen Folgen reduzierten Wachstums — oder allgemeiner: nach den Zusammenhängen zwischen unterschiedlichen wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen — frägt, dann empfiehlt es sich, der Beobachtung Rechnung zu tragen, daß das Verhältnis zwischen Politik und Ökonomie in den demokratischen kapitalistischen Ländern erheblich variiert. Zum Beispiel gibt es enorme Unterschiede in der Art und Weise der staatlichen Regulierung, dem Ausmaß, der Flächendeckung, der Lasten-Nutzen-Verteilung und der Treffsicherheit politischer Eingriffe. Man vergegenwärtige sich zum Beispiel die Differenz zwischen der Regulierung des amerikanischen Kapitalismus und der weitaus stärker sozialstaatlich abgesicherten Ökonomie in Schweden. Man denke auch an die politische Diskussion über die heimlichen Schritte zum Sozialismus, die laut konservativer Meinung von sozialdemokratischen Regierungen vorangetrieben würden. Man denke zum Beispiel auch an den Umstand, daß die Wirtschaftskrise in den 70er Jahren nicht in allen Ländern unmittelbar auf den Arbeitsmarkt durchschlug und die Arbeitslosenraten stark anstiegen ließ; in einer ganzen Reihe von Ländern wurde durch aktive arbeitsmarkt- und konjunkturpolitische Maßnahmen derjenige Automatismus zwischen reduziertem Wachstum und steigender Arbeitslosigkeit, der uns von den metropolitanen westeuropäischen und nordamerikanischen Ländern her so vertraut ist, unterbunden (z. B. in Schweden, Österreich, Neuseeland). Woran liegt das? Inwieweit ist hierfür die Politik von Regierungen mit ganz unterschiedlicher politischer Zusammensetzung von Belang? Gibt es systematische Unterschiede zwischen der Politik von sozialdemokratischen und bürgerlichen (liberalen, christdemokratischen, konservativen) Regierungen?
Manfred G. Schmidt
‚Neue‘ Arbeitszeitpolitik im ‚alten‘ System der Interessenvertretung
Zusammenfassung
Es bedarf kaum eines Hinweises auf den Stellenwert, den Arbeitszeitverkürzungen im Hinblick auf die politische Bearbeitung der Folgen des reduzierten ökonomischen Wachstums einnehmen. Doch was zunächst als einheitliches Konzept einer ‚Verteilung der Arbeit auf mehr Schultern‘ erscheint, erweist sich bei näherem Hinsehen als zweigleisig und unverbunden geführte Diskussion. Neben den gewerkschaftlichen Forderungen nach Arbeitszeitverkürzungen — deren wichtigster Bestandteil der Einstieg in die 35-Stunden-Woche darstellt — ist eine ‚Neue Arbeitszeitpolitik‘ getreten. Ihr geht es, ganz im Gegensatz zu tariflich-kollektiven Politiken um eine flexiblere Gestaltung von Arbeitszeiten durch die Individualisierung von Arbeitszeitvereinbarungen. Die Diskussion um flexible Arbeitszeitsysteme nimmt jetzt auch in der Bundesrepublik im Anschluß an insbesondere in den USA geführte Debatten und eingeleitete Reformen deutliche Konturen an.1 Damit wird die Abkehr von traditionellen, kollektiven und starren Lösungsmustern der Systemprobleme westlicher Industrienationen signalisiert. Denn: Mit Hilfe einer höheren Elastizität von Angebot und Nachfrage des Arbeitszeitvolumens lassen sich — so die Protagonisten der Neuen Arbeitszeitpolitik — die bestehenden politischen Barrieren aufbrechen und tarifpolitische Restriktionen vermeiden. Die Strategie der Arbeitszeitflexibilisierung versteht sich also als Alternative zu den als bislang unwirksam eingeschätzten gewerkschaftlichen Bemühungen um eine kollektive Arbeitszeitreduktion. Dabei wird ein bisher den Gewerkschaften nahezu exklusiv vorbehaltener Regelungsgegenstand streitig gemacht und auf tarifpolitikfernen Verhandlungsebenen forciert.
Rolf G. Heinze, H.-Willy Hohn, Thomas Olk
Forcierte Arbeitszeitverkürzung = mehr Beschäftigung = weniger Arbeitslosigkeit?
Ein kritisches Plädoyer
Zusammenfassung
Das facettenreiche Bild der ökonomischen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland zu Beginn der 80er Jahre wird von einem erbitterten Streit der Politiker und Ökonomen um die „richtige“ Wirtschaftspolitik begleitet. Bestenfalls ist man sich über einige empirische Tatbestände einig, wobei deren analytische Bewertung bereits tiefliegende Differenzen offenbart. Übereinstimmung besteht darüber, daß erneut eine Epoche der Nachkriegsentwicklung zu Ende geht und veränderte Rahmenbedingungen und der Funktionswandel der ökonomischen Kernbereiche neue Strategien erfordern. Die Explosion der Rohstoffpreise und die zunehmende Unsicherheit in der Ölversorgung, das steigende Ökologiebewußtsein und die ökonomische Bedeutung des Umweltschutzes sowie die anhaltende Dauerarbeitslosigkeit bei abflachendem zyklischem Wirtschaftswachstum können als Schlaglichter benannt werden. Wir wollen uns hier lediglich mit dem zuletzt genannten Zusammenhang befassen und dabei auch lediglich einen, wenn auch sehr populären (und damit auch kontroversen) Therapievorschlag behandeln. Es geht um die analytischen Voraussetzungen und Möglichkeiten von Beschäftigungswirkungen forcierter Arbeitszeitverkürzungen. Mit dieser Betonung auf die analytische Behandlung des Problems soll angedeutet werden, daß die Herausarbeitung von Funktionszusammenhängen im Vordergrund steht und damit Handlungsspielräume aufgezeigt werden, deren Ausfüllung im Kräftefeld der ökonomisch und politisch Handelnden entschieden wird. Daß in diesem Kräftefeld allerdings ökonomische Sachrationalitäten kapitalistisch organisierter Marktwirtschaften Grenzen steckt, wird wohl kaum ein Ökonom — gleich welcher Provenienz — bestreiten. Das Credo wirtschaftspolitischer Beratung — sei es des offiziösen Sachverständigenrates, der informellen Bremer „Memorandumgruppe“ oder der ungebundenen und gebundenen Forschungsinstitute — macht ja gerade aus, qua wissenschaftlicher Autorität ökonomisch „zwingende“ Logiken anzubieten, die dann natürlich interessengebunden verwendet werden.
Michael Bolle, Rüdiger Dragendorf, Dieter Isensee, Peter Salfer
Die präventive Wendung der staatlichen Sozialpolitik — Formen des Unterlaufens und der Verkehrung auf Betriebsebene
Zusammenfassung
Die Reformpolitik in den späten 60er und frühen 70er Jahren läßt sich auf dem Felde der Sozialpolitik unter dem Gesichtspunkt zusammenfassen, diese mit einer programmatisch wie real als Modernisierung der Volkswirtschaft betriebenen Wirtschaftspolitik möglichst eng zu verzahnen: Auf das Beschäftigungssystem bezogene Sozialpolitik soll sowohl die Voraussetzungen für diesen Modernisierungsprozeß schaffen (etwa durch Veränderung der Qualifikation und durch Mobilität der Beschäftigten) als auch — prophylaktisch und vorausschauend — die Folgeerscheinungen eher beschleunigter ökonomischer und gesellschaftlicher Wandlungsprozesse abfedern helfen (etwa durch Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen).
Ulrich Jürgens, Knuth Dohse, Harald Russig
Reduziertes Wachstum und soziale Sicherungssysteme
Zusammenfassung
Ich will das Thema in zwei Schritten bearbeiten. Der erste soll den Zusammenhang der unterschiedlichen Systeme der sozialen Sicherung idealtypisch aufzeigen. Im zweiten soll dann dargesttellt werden, wie sich darauf die Bedingungen reduzierten Wachstums auswirken.
Wolf Wagner
Reduziertes Wachstum als Chance für Steuerreformen?
Zusammenfassung
Die Fragestellung, ob reduziertes Wachstum mehr Chancen für Steuerreformen i. S. von Steuerumverteilung, Steuervereinfachung und Steuertransparenz bietet, provoziert zunächst nichts, allenfalls ein wissenschaftlich wie politisches zynisches Gelächter. Die Antwort scheint angesichts der Zeitdekade 1969–1979 festzustehen. Sie lautet: Wenn es überhaupt eine gewisse Chance für Steuerreformen gegeben hat, dann unter den gesellschaftlichen Bedingungen der Jahre 1968–1971/72, aber seitdem sind diese Chancen rapide gesunken und es spricht wenig dafür, daß sie sich in absehbarer Zeit verbessern könnten. Das Referat verfolgt die Absicht, anhand einer empirischen Staatstätigkeitsanalyse zu belegen, daß entgegen diesen weit verbreiteten Annahmen, nicht die Konflikt- und Einklagungspotentiale 1968–1972 die Chancen oder die Realisierung von minimalen Steuerreformen bewirkt haben, sondern primär konjunktur- bzw. arbeitsmarktpolitische Verursachungszusammenhänge reduzierten Wachstums dafür verantwortlich zu machen sind. Daraus folgt die Arbeitshypothese, daß sich die Chancen für Steuerreformen seit 1973/74 und insbesondere im Vergleich zur sog. Reformperiode 1968–1972 tendenziell sogar eher leicht verbessert haben. Mit anderen Worten: Das politische Ringen um gerechtere Einkommens- und Verteilungsstrukturen — ob in Steuerreformkommissionen, SPD-Steuerparteitagen oder öffentlichen Kontroversen — bleibt relativ folgenlos, wenn nicht primär konjunktur- und arbeitsmarktpolitische Entwicklungen bzw. Begründungszusammenhänge minimale Steuerreformen durchsetzungsfähig machen. Ich will versuchen das anhand der einzelnen Thematisierungszyklen von Steuerreformen (1969–1972, 1973/74), und den minimalen Realisierungen zu belegen.
Peter Grottian
Zur Theorie des Staatsversagens
Zusammenfassung
Daß die Strukturschwächen des Marktes zunehmend den Staat auf den Plan rufen, die Probleme dort aber nur gleichsam vom Regen in die Traufe geraten, hat nach der Theorie des Marktversagens zur Forderung nach „einer geschlossenen Theorie des Staatsversagensi“1 geführt. Das Thema ist älter als der von Recktenwald ins Spiel gebrachte Begriff. Es hat vor allem mehr Aspekte, als dieser neoklassische Ansatz zur Sprache bringt. Politologisch wären hier krisentheoretische Ansätze ebenso heranzuziehen wie die Thesen zur „Unregierbarkeit“, die Restriktionstheorien oder auch Generalisierungen der Implementationsforschung. Dies soll hier nicht geschehen — es wäre ein gewaltiges Pensum! Stattdessen soll die Kritik am Ansatz Recktenwalds Ausgangspunkt zunächst für empirische Hinweise auf das Ausmaß staatlicher Ineffizienz und in der Folge für eine Begründung dieser Ineffizienz sein. Diese Begründung kann nicht erschöpfend sein (und wurde anderswo ausführlicher versucht)2. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die zentralen Punkte zur Sprache kämen.
Martin Jänicke
Strategien der Energieeinsparung
Zusammenfassung
Politikwissenschaft kann sich nicht mit der Beschreibung gesellschaftlicher Entwicklungen auf der Erscheinungsebene begnügen. Dies gilt ganz besonders in der Energiepolitik und spezieller noch beim Thema: Energieeinsparung. Politikwissenschaftliche Analyse — zumal in entwickelten Industriegesellschaften wie z. B. der Bundesrepublik Deutschland — sieht sich von daher mindestens vor einer doppelten Aufgabe. Sie hat als Fachwissenschaft das Thema, wie hier z. B. Energieeinsparung, in seinen Begründungen, Zielsätzen und seinen vor allem staatlich formulierten Ansätzen sozusagen als „Basismaterial“ zu begreifen, um es dann als Integrationswissenschaft im übergreifenden Kontext von ökonomischen Wachstumszwängen, marktökonomischen Bedingungen und der vorhandenen großtechnisch-industriellen Produktionsweise zu diskutieren. Erst diese Projektion der Fachpolitik in die vorgegebene Dynamik entwickelter Industriegesellschaften macht es möglich, Anhaltspunkte dafür zu formulieren, wieweit industriell-konkurrenzwirtschaftlich strukturierte Systeme mit ihren notwendigerweise wachstumskonformen Lösungen die u. a. sichtbarer werdenden ökologischen Herausforderungen bearbeiten können.
Otto Ulrich
Energiealternativen und Öffentlichkeit
Zusammenfassung
Es wäre falsch, die Hartnäckigkeit, mit der sich die Energiepolitik unter den aktuellen gesellschaftlichen Problemen behauptet, allein auf die Nachwirkungen der Ölkrise zurückzuführen. Vielmehr bündeln sich in Sachen Energie wie unter einem Brennglas die Desorientierung, das Unbehagen, die Malaise im Verhältnis zwischen Öffentlichkeit und gesellschaftlichen Institutionen, die die 70er Jahre plagen. Da ist zunächst die immer stärkere Verknüpfung der Energie-Diskussion mit der etwas älteren, aber in ihrer Intensität ungebrochenen Umweltdebatte: Die Verbrennung fossiler Energieträger ist die wohl wichtigste Quelle der Umweltverschmutzung wie auch die Abwärmeprobleme. Man denke auch an die Veränderung des Landschaftsbildes durch Kraftwerke und Überlandleitungen und schließlich an die Kontroverse um die Sicherheit der Kernenergie. Da ist weiterhin der Autoritätsschwund der Technik. Die entscheidende Rolle bei energiepolitischen Entscheidungen ist traditionell technisch orientierten Fachleuten vorbehalten gewesen. Jetzt muß sich die extrem komplexe Kernkrafttechnik mit massiver Kritik an ihrer Daseinsberechtigung auseinandersetzen; Kritik, die immer wieder nachdrücklich von Nicht-Fachleuten vorgebracht wird. Da ist drittens der Zweifel daran, ob das materialintensive Wachstum der Nachkriegszeit eine Zukunft hat. Die kostspieligsten und symbolträchtigsten Konsumgüter erfordern für ihre Herstellung und Unterhaltung überproportional hohe Anteile an Energie. Extraktion von Rohstoffen, Be- und Verarbeitung, Konsum materialintensiver Güter, die verbindenden Transportleistungen beruhen sämtlich auf dem Medium des Energiesatzes, das somit zu einer Art Generalnenner des gleichen Wachstums wird, dessen Begleiterscheinungen ins Gerede gekommen sind.
Burkhard Strümpel
Umweltpolitik
Zur Reichweite und Behandlung eines politischen Themas
Zusammenfassung
Der umweltpolitische Elan auf Bundesebene, der die frühen siebziger Jahre prägte und zu einer Reihe von problemlos verabschiedeten Gesetzen führte (zur Übersicht siehe: BMI 1976), kam kurz vor der Jahrzehntmitte wieder ins Stocken. Wie immer man Qualität und Wirkung der einzelnen Gesetze auch beurteilen mag (siehe etwa Sachverständigenrat 1974, 1978; besonders kritisch Jänicke 1979), was nach der ersten Phase begonnen wurde, weist geringere umweltpolitische Schärfe auf und kam oder kommt schwer von der Stelle. Bezeichnenderweise deuten die Schwierigkeiten beim Vollzug der frühen Gesetze in die gleiche Richtung. Die Formel vom ‚Vollzugsdefizit‘ (Sachverständigenrat 1974) meint zwar zum einen die üblichen Reibungsverluste und Zielverschiebungen im administrativen Implementationsprozeß, sie weist jedoch gleichzeitig auf eine Rücknahme von Vorgaben im Verlauf von Interessenauseinandersetzungen hin, bei denen der Umweltschutz Einbußen erlitt.
Jürgen Feick, Jochen Hucke
Backmatter
Metadaten
Titel
Folgen reduzierten Wachstums für Politikfelder
herausgegeben von
Peter Grottian
Copyright-Jahr
1980
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-88632-3
Print ISBN
978-3-531-11535-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-88632-3