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1992 | Buch

Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland

herausgegeben von: Dr. Uwe Andersen, Dr. Wichard Woyke

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Über dieses Buch

Der Ursprung dieses Handwörterbuches liegt in dem bei den Herausgebern seit langem vorhandenen und stetig wachsenden Empfinden eines gravierenden Mangels. Unseres Erachtens fehlt in der Literatur zum politischen System der Bundesrepublik Deutsch­ land ein Handwörterbuch, das einen schnellen und kompakten Zugriff auf alle relevan­ ten Aspekte dieses spezifischen Systems ermöglicht. Ein solches Handbuch ist ver­ dienstvollerweise von Kun Sontheimer und Hans H. Röhring in den siebziger Jahren herausgegeben, aber später nicht mehr an die weitere politische Entwicklung angepaßt worden. Die zumindest zeitlich extrem überraschende politische Vereinigung Deutsch­ lands im Kontext einer internationalen "Zeitenwende" bedeutet auch für das politische System der Bundesrepublik Deutschland eine grundlegende Zäsur. Ungeachtet der Tht­ sache, daß die neu konstituierten Länder der ehemaligen DDR der alten Bundesrepublik Deutschland beigetreten sind und die formale Struktur des alten politischen Systems bis­ her nur eng begrenzte Veränderungen erfahren hat, sind damit die politischen Tiefen­ strukturen vor eine Herausforderung ganz neuer Dimension gestellt. Die Aufgabe der Integration bietet zugleich die Chance einer Generalüberprüfung aller Elemente des po­ litischen Systems, inwieweit diese der neuen Ausgangslage und den zukünftigen Aufga­ ben einschließlich der sich abzeichnenden konkreten Möglichkeit eines europäischen Bundesstaates angemessen sind, wo Stärken und Schwächen liegen. Dabei scheint sich allerdings einmal mehr zu erweisen, daß das Gesetz der Schwerkraft des Status quo in "normalen" Zeiten ein kaum zu überschätzender Faktor ist.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Stichwörter

Frontmatter
Abgeordneter

Abgeordnete sind die nach den Vorschriften der Verfassung von den Bürgern gewählten Mitglieder eines Parlaments. Von den Deputierten der Ständeversammlungen unterscheiden sie sich dadurch, daß sie nicht den Interessen eines Standes oder einer Region, sondern dem Wohle des ganzen Volkes verpflichtet und keinen Weisungen unterworfen sind. Bindungsfreiheit und Weisungsunabhängigkeit sind wesentliche Merkmale des Abgeordnetenmandats. Die Legitimation der Abgeordneten wird durch demokratische Wahlen herbeigeführt. Dem jeweiligen → Wahlsystem kommt dabei ein starker Einfluß auf diesen Legitimationsvorgang und dadurch auf die Stellung des Abgeordneten zu. Während das Verhältniswahlrecht die Abgeordneten über die Kandidatenlisten stark an die → Parteien bindet, stellt das Mehrheitswahlrecht eher die Person des einzelnen Abgeordneten in den Mittelpunkt des Wahlvorgangs. Dennoch ist der Abgeordnete nicht Vertreter eines Wahlbezirkes, sondern Repräsentant der gesamten staatsbürgerlichen Gesellschaft.

Paul Kevenhörster
Ämterpatronage

Ämterpatronage ist ein Begriff der politischen Umgangssprache, meist moralisch abwertend benutzt, wie der politischen Soziologie. Er bezeichnet die Vergabe von beruflichen und politischen Positionen durch Entscheidungsträger an ihnen genehme Personen. Ämterpatronage ist ein zentrales und in der Öffentlichkeit umstrittenes Herrschaftsinstrument. Zwei mögliche Funktionen der Ämterpatronage lassen sich unterscheiden (vgl. Machura 1992).

Wilhelm Bleek, Stefan Machura
Arbeitslosigkeit (Politische Folgen)

Sieht man von den Reaktionen der politischen Entscheidungsträger ab (→ Arbeitsmarktpolitik), können mit Blick auf die politischen Folgen von Arbeitslosigkeit grundsätzlich zwei zentrale Fragestellungen unterschieden werden: 1.Inwieweit führt Arbeitslosigkeit bei den direkt Betroffenen und/oder Dritten zur Entfremdung vom jeweiligen politischen System und/oder zu extremistischen Einstellungen bzw. Verhaltensweisen?2.Inwieweit verfügen Arbeitslose über die Fähigkeit, ihre Interessen wirksam zu vertreten?

Andreas Gallas
Ausländer

Wie andere europäische Verfassungen gewährleistet das Grundgesetz Asyl für politisch Verfolgte. Während der Verfassungsberatungen waren die Erfahrungen der deutschen Verfolgten des Nationalsozialismus gegenwärtig, von denen 800000 im Ausland Zuflucht gefunden hatten, viele andere aber von den Nachbarstaaten zurückgewiesen worden waren, oft mit der Begründung, sie seien Wirtschaftsflüchtlinge. Deshalb wurde bewußt eine Formulierung gewählt, die „generös“ sein sollte, wie der Verfassungsvater C. Schmid es ausdrückte: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ (Art. 16 II 2). In den folgenden Jahrzehnten nahm die BRD großzügig deutsche und ausländische Flüchtlinge aus dem kommunistischen Machtbereich auf — u.a. Ungarn nach dem Aufstand von 1956, Tschechoslowaken nach dem „Prager Frühling“ 1968 und Polen nach der Verhängung des Kriegszustandes 1981.

Bernhard Santel, Dietrich Thränhardt
Auslandsdeutsche

Auslandsdeutsche können nach drei unterschiedlichen Kriterien definiert werden. Als Auslandsdeutsche werden erstens die deutschen Staatsbürger verstanden, die dauerhaft im Ausland leben. Zweitens zählt man zu den Auslandsdeutschen die größere Zahl der Deutschsprachigen, die sich auch im Ausland der deutschen Sprache und Kultur verbunden fiihlen. Drittens werden als Auslandsdeutsche alle Deutschstämmigen bezeichnet, deren Vorfahren einmal aus Deutschland ausgewandert sind.

Wilhelm Bleek
Ausschüsse

Ein Ausschuß stellt ein Gremium dar, das von einer oder mehreren Institutionen mit festgelegtem Aufgaben-und Mitgliederkreis eingesetzt wird. Speziell als parlamentari­sche Ausschüsse werden diejenigen Struktu­ren bezeichnet, die für parlamentarische Zwecke unter Berücksichtigung aller Frak­tionen allein aus Abgeordneten gebildet werden.

Jürgen Plöhn
Außenpolitik

Die Außenpolitik D.s resultiert aus der Einwirkung der internationalen Politik und der eigenen Gesellschaft auf das nationale politische System. Die Außenpolitik D.s wird bestimmt durch a)die normativen Vorgaben des Grundgesetzes (Wahrung des Friedens; Verbot eines Angriffskrieges; Bereitschaft zu offenem, kooperativen Internationalismus);b)die Einbindung in die westeuropäische Integration;c)die Einbindung in das transatlantische Sicherheitssystem mit den USA als Führungsmacht;d)die Notwendigkeit guter Ostverbindungen aufgrund der zentralen Mittellage in Europa;e)seine außenwirtschaftliche Verflechtung, die Integration in den Weltmarkt;f)seine hohe Rohstoff- und Exportabhängigkeit undg)schließlich seine Geschichte, insbesondere die nach wie vor bestehende Verantwortung für die Untaten des NS-Regimes.

Wichard Woyke
Äußere Sicherheit

Die äußere Sicherheit der BRD wurde durch die Bündnispolitik, vor allem NATO und WEU, aber auch durch die Mitgliedschaft in der UNO sowie den Europäischen Gemeinschaften gewährleistet. Die äußere Sicherheit der BRD wurde insbesondere während des Ost West-Konfliks als Sicherheit vor den Staaten des Warschauer Pakts verstanden. Die Bürger der BRD, an der Nahtstelle beider antagonistischer Systeme gelegen, perzipierten mehrheitlich eine Bedrohung durch die Sowjetunion und die Warschauer Pakt-Staaten. Umgekehrt war die DDR in das östliche Bündnissystem des Warschauer Pakts und des RGW integriert und befand sich ebenfalls an der Nahtstelle zum antagonistischen System, so das äußere Sicherheit für die DDR als Sicherheit vor den „imperialistischen NATO-Staaten“ verstanden wurde.

Wichard Woyke
Bauernverband

Im Gegensatz zur Weimarer Republik mit seinen konkurrierenden agrarischen Interessenverbänden werden die Interessen der Landwirtschaft in D organisatorisch von einem Verband vertreten: dem Deutschen Bauernverband (DBV). Der DBV wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Einheitsverband gegründet und kennt als Dach- bzw. Spitzenverband keine individuelle Mitgliedschaff. Ordentliche Mitglieder sind die Landesbauernverbände (inzwischen auch aus den neuen Bundesländern), der Bund der Deutschen Landjugend, der Deutsche Raiffeisenverband und der Bundesverband landwirtschaftlicher Fachschulabsolventen. Erheblich größer ist die Zahl der assoziierten Mitglieder; das Spektrum reicht von der Arbeitsgemeinschaft der Grundbesitzerverbände, dem Bund Deutscher Baumschulen, dem Bundesverband der Maschinenringe, der privaten Milchwirtschaft, dem Deutschen Weinbauernverband bis hin zum Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft. Insgesamt arbeiteten Ende der 80er Jahre rund 40 Fachverbände im DBV mit, wobei ihr Einfluß auf die Verbandspolitik nicht allzu hoch einzuschätzen ist; sie bereiten allerdings die Entscheidungen der Spitzenorgane vor.

Rolf G. Heinze
Beschäftigungspolitik

Arbeitsmarktpolitik im weiteren Sinne — deckungsgleich mit „Beschäftigungspolitik“ — bezeichnet die institutionellen, prozessualen und entscheidungsinhaltlichen Dimensionen globaler politischer Steuerung des Arbeitsangebotes und der Arbeitsnachfrage; im enger definierten Sinne hingegen kennzeichnet sie die selektive — nach Gruppen, Sachbezügen, Raum und Zeit differenzierende — Politik der Arbeitsmarktförderung insbesondere im Sinne der im Arbeitsförderungsgesetz genannten Ziele und Maßnahmen.

Manfred G. Schmidt
Bevölkerung

In den letzten 50 Jahren haben in Deutschland gravierende Bevölkerungsumschichtungen stattgefunden. Die Nazis hatten 1940 mit der Umsiedlung Volksdeutscher aus dem Baltikum begonnen, andere Gruppen folgten. Mit den zurückweichenden Fronten flüchteten Volksdeutsche gegen Ende des Krieges, 1945 floh etwa die Hälfte der 9,5 Mio. Deutschen aus Ostpreußen, Schlesien, Pommern und Ostbrandenburg. 3,5 Mio. wurden nach den Vereinbarungen im Potsdamer Abkommen in den folgenden Jahren ausgesiedelt. Hinzu kamen die Deutschen aus der Tschechoslowakei, Rumänien, Ungarn und Polen. Für das zerstörte Restdeutschland war diese zusätzliche Bevölkerung von 15 Mio., die meist fast ohne jede Habe kam, zunächst eine große Bürde. Nur mit Mühe gelang es, sie unterzubringen und zu ernähren. Auswanderungsprogramme brachten eine gewisse Entlastung. Schon in den ersten Nachkriegsjahren floh zudem eine Mio. Menschen aus der Sowjetzone in die Westzonen. Deswegen wurden in den ersten Jahren der BRD Kontrollregelungen geschaffen, die einen weiteren Zustrom aus Ostdeutschland verhindern sollten.

Dietrich Thränhardt
Bildungswesen

Schon in der frühen Nachkriegszeit fielen in den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands und in der sowjetischen Besatzungszone entgegengesetzte Entscheidungen über die politischen Grundlagen und die Struktur des Bildungswesens. Während sich in den 1946 im Westen gebildeten Ländern — in Anknüpfung an die Verhältnisse im Deutschen Reich vor 1933 und als Reaktion auf den nationalsozialistischen Einheitsstaat — die föderalistische Ordnung etablierte und aus dem Bonner Grundgesetz (1949) die „Kulturhoheit der Länder“ abgeleitet wurde, erhielt in der SBZ schon 1945 die „Deutsche Verwaltung für Volksbildung“ (das spätere Ministerium für Volksbildung der → DDR) das Weisungsrecht gegenüber den noch bis 1952 bestehenden Länderverwaltungen. Der zentralistische Charakter der Bildungspolitik wurde in der Folgezeit weiter verstärkt: erstens, durch den seit 1948/49 offen proklamierten und alsbald auch praktisch durchgesetzten Monopolanspruch der aus der Sowjetunion übernommenen marxistisch-leninistischen Parteiideologie in allen Fragen von Bildung, Erziehung und Wissenschaft, und zweitens durch die enge Verknüpfung der Bildungspolitik mit der zentralen staatlichen Wirtschaftsplanung und -lenkung. Der weltanschauliche und interessengebundene Plumlismus im westdeutschen Bildungs- und Wissenschaftsbereich kontrastierte seit den 50er Jahren scharf zu einem ideologischen Monismus und dem Jugenderziehung, Schule und Ausbildung umfassenden Totalitätsanspruch der SED.

Oskar Anweiler
Bundesanstalt für Arbeit

Die Bundesamstalt für Arbeit (BA) ist die Behörde der Arbeitsverwaltung. Sie wurde 1952 — zunächst und bis 1969 unter dem Namen Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung — nach dem Vorbild der ehemaligen Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung errichtet. Die BA ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Ihre Organe — Vorstand, Verwaltungsrat, Verwaltungsausschüsse der Landesarbeitsämter und Verwaltungsausschüsse der Arbeitsämter — setzen sich drittelparitätisch aus Vertretern der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der öffentlichen Körperschaften (Bund, Länder und Kommunen) zusammen. Vorschlagsberechtigt für die Vertreter der Arbeitgeber sind die Arbeitgeberverbände, für die der Arbeitnehmer die → Gewerkschaften und für die Repräsentanten der öffentlichen Körperschaften je nach Organ die → Bundesregierung, der → Bundesrat, die Spitzenvereinigungen der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften und die obersten Landesbehörden. Berufen werden die Mitglieder des Verwaltungsrates und des Vorstandes vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, die Mitglieder der Verwaltungsausschüsse der Landesarbeitsämter vom Vorstand und die Mitglieder der Verwaltungsausschüsse der Arbeitsämter vom Verwaltungsausschuß des zuständigen Landesarbeitsamtes. Präsident und Vizepräsident der BA sowie Präsidenten und Vizepräsidenten der Landesarbeitsämter werden nach Anhörung des Verwaltungsrates auf Vorschlag der Bundesregierung vom → Bundespräsidenten ernannt.

Manfred G. Schmidt
Bundeskanzler

Die geistige und institutionelle Konzeption des Grundgesetzes ist stark von der Reflexion auf die Defekte und Versäumnisse der Vergangenheit geprägt. Das Bonner Grundgesetz trägt unübersehbar Züge einer „Anti-Verfassung“ (F. K. Fromme) sowohl gegenüber der Weimarer Republik als auch gegenüber der NS-Diktatur. Beide Negativerfahrungen einer gerade überwundenen Vergangenheit wirken nach und wider beide Gefährdungen wollten die Mitglieder des Parlamentarischen Rates Vorsorge treffen. Und so standen an der Wiege des Bonner Grundgesetzes zwei Arten von Besorgnis Pate: zum einen die Angst um den Staat, um seine institutionelle Stabilität und Funktionsfähigkeit, und zum anderen die Angst vor seiner rechtlich und institutionell nicht gebändigten und kontrollierten totalitären Allmacht.

Bernd Guggenberger
Bundesländer

„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“, heißt es in Art. 20 GG. Damit ist eine Bestandsgarantie des → Föderalismus gegeben, allerdings keine Bestandsgarantie über die Anzahl und die Größe der Länder. Gemäß Art. 28 GG muß die verfassungsmäßige Ordnung in den Bundesländern den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaats entsprechen. Die Länder sind Gliedstaaten. Art. 29 GG ermöglicht eine Neugliederung des Bundesgebiets in neue Bundesländer; jedoch besteht kein Anspruch darauf. Art. 79 GG erklärt die bundesstaatliche Ordnung für unantastbar.

Wichard Woyke
Bundespräsident

Die Rolle des Staatsoberhauptes hängt wesentlich von der Struktur des Regierungssystems ab. In parlamentarischen Monarchien (wie in Großbritannien) ist es der durch Erbfolge ins Amt gelangte Monarch, dem eine integrative und — aufgrund der Parlamentarisierung der Monarchie — überwiegend repräsentative Funktion zukommt. In parlamentarischen Republiken wird das Staatsoberhaupt auf Zeit gewählt — sei es indirekt durch ein Wahlgremium (z.B. in Italien), sei es direkt durch das Volk (z.B. in Österreich). In präsidentiellen Systemen wie den Vereinigten Staaten vereinigt der mächtige Präsident die Funktionen des Regierungschefs und des Staatsoberhaupts. Hingegen zeichnen sich semi-präsidentielle Regierungssysteme durch eine zweipolige Exekutive aus (wie in Frankreich): Dem meist einflußreicheren Staatspräsidenten steht der Ministerpräsident gegenüber. Konflikte sind jedenfalls unter einer Konstellation der cohabitation programmiert. In Diktaturen kann der Diktator entweder zugleich auch das Staatsoberhaupt sein oder neben sich ein formelles Staatsoberhaupt dulden.

Eckhard Jesse
Bundesrat

Ein Kennzeichen und Essential des Bundesstaates ist neben der doppelten, aber begrenzten Souveränität von Zentralstaat und Gliedstaaten, der Aufgabenteilung und Aufgabenverflechtung zwischen beiden staatlichen Ebenen, den originären Kompetenzen und der Finanzhoheit der Gliedstaaten deren institutionalisierte Mitwirkung bei der Politikgestaltung des Zentralstaates. Dies kann nach zwei Modellen geschehen: dem Bundesratsmodell oder dem Senatsmodell. Der Parlamentarische Rat hat sich 1949 nach kontroversen Diskussionen prinzipiell für das Bundesratsmodell im föderativen System der BRD entschieden.

Heinz Laufer
Bundesregierung

Die Staatsorgane greifen in immer neue Lebensgebiete ein. Zu den traditionellen öffentlichen Aufgaben wie Außenpolitik, Verteidigung, öffentliche Ordnung, Justiz und Steuerwesen sind umfangreiche neue getreten: Bildung und Wissenschaft, Gesundheitsvorsorge und -wiederherstellung, Arbeitsvermittlung und Arbeitsplatzbeschaffung, Wirtschaft, Landwirtschaft und Umwelt. Äußeres Anzeichen für diese Entwicklung ist die Bildung immer neuer Ministerien. Zu den fünf „klassischen Ressorts“ (Außen-, Innen-, Kriegs-, Justiz- und Finanzministerium) trat schon im Ersten Weltkrieg das Wirtschaftsministerium, in der Weimarer Republik folgten Landwirtscharts- und Arbeitsministerium. Die wachsende Bedeutung des Verkehrs machte ein Ministerium nötig, das Straßen und Straßenbau, Bahn und Luftverkehr verwaltet. Den Rückstand Deutschlands in der Forschung nach dem Zweiten Weltkrieg suchte die BRD mit der Koordination durch Ministerien für Bildung und Wissenschaft und für Forschung und Technologie zu überwinden, auf die Umweltproblematik wurde nach Tschernobyl mit einem Umweltministerium reagiert.

Dietrich Thränhardt
Bundesrepublik Deutschland — Geschichte und Perspektiven

In der unmittelbaren Nachkriegszeit bestand auf der Ebene der Besatzungsmächte und der deutschen Politik ein antifaschistischer Konsens, der die Kommunisten einbezog. Dem Einheitsdenken der unmittelbaren Nachkriegszeit entstammen wesentliche Strukturprinzipien der Parteien- und Verbändelandschaft wie die Einheitsgewerkschaft, der einheitliche Bauernverband, die überkonfessionelle → CDU und → CSU, die Öffnung der → SPD gegenüber neuen Schichten und die Vereinigung der nationalliberalen und linksliberalen Traditionslinien in einer liberalen Partei.

Dietrich Thränhardt
Bundesstaat/Föderalismus

Bundesstaat (Bs) steht begrifflich zwischen den Polen Staatenbund und Einheitstaat. Er versucht das Spannungsverhältnis von Vielfalt und Einheit dadurch produktiv zu bewältigen, daß die staatlichen Funktionen territorial aufgegliedert werden auf zwei selbständige politische Träger, die Gliedstaaten und den Zentralstaat (in D Länder und Bund). Wie die historische Realität zeigt, deckt der Bs-Begriff eine erhebliche Bandbreite unterschiedlicher Gestaltungsmöglichkeiten mit stärkerer Orientierung an einem der beiden Pole (konföderaler bzw. unitarischer Bs). Der bundesstaatliche Gehalt eines konkreten politischen Systems kann nie allein aus den normativen Vorgaben (Verfassung) abgeleitet werden, sondern hängt ab von der faktischen Unterfütterung durch die Entwicklungen insbesondere in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die die Dynamik des Bs als eines schwierigen Balanceaktes prägen Eine Position betrachtet den Bs ohnehin nur als Zwischenstation auf dem Wege zum Einheitsstaat, wobei die bisherigen internationalen Erfahrungen allerdings nicht für die Zwangsläufigkeit einer solchen „Einbahnstraße“ sprechen.

Uwe Andersen
Bundestag

Seitdem am 3.10.1990 144 noch von der Volkskammer gewählte Abgeordnete in den Deutschen Bundestag eingetreten sind, repräsentiert dieser das ganze deutsche Volk. Zuvor schon waren durch die freie Wahl der Volkskammer am 18.3.1990 „Volksdemokratie“ und „sozialistische“ Vertretungskörperschaften historisch erledigt worden. D hat insgesamt endlich Anschluß an den demokratischen Parlamentarismus gefunden und ihn am 2.12.1990 mit der gemeinsamen Wahl aller Abgeordneten zum 12. Bundestag vollendet.

Heinrich Oberreuter
Bundesverfassungsgericht

Rechtsgrundlage des BVerfG, das als letztes der obersten Verfassungsorgane des Bundes erst zwei Jahre nach Gründung der BRD am 7.9.1951 seine Tätigkeit aufnehmen konnte, sind das → GG und — abweichend von der Regelung für die anderen obersten Verfassungsorgane — ein Gesetz, das BVerfGG vom 12.3.1951.

Werner Billing
Bundeswehr/Wehrbeauftragter

Die Unterzeichnung der Pariser Verträge 1954 durch die → Bundesregierung legte den Grundstein für den Aufbau deutscher Streitkräfte. In Art. 87 GG heißt es: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben“. Somit wird der Auftrag der Bundeswehr eindeutig durch die Verfassung festgelegt und sichert dem Parlament ein wichtiges Mitspracherecht hinsichtlich der Zahl, der Organisation und der Struktur der Streitkräfte. Das GG beschränkt die Aufgabe der Streitkräfte auf die Verteidigung. So war und ist es die Aufgabe der Bundeswehr, die Unversehrtheit des Territoriums sowie die Freiheit der Eigenentwicklung des politischen Systems zu gewährleisten. Ein Angriffskrieg ist verboten.

Wichard Woyke
Bündnis 90

Der Widerspruch zwischen außenpolitischer Dialogbereitschaft und innenpolitischer Dialogverweigerung der SED-Führung ließ Ende der 70er Jahre (Einführung des Wehrkundeunterrichts 1978 als Zäsur) und vor allem dann in den 80er Jahren eine staatlich unabhängige Friedens-, Menschenrechts- und Umweltbewegung in der → DDR entstehen (Initiative für Frieden und Menschenrechte seit 1985).

Peter Rummelt
Bürgerinitiativen

Der Begriff Bürgerinitiative kann wohl ob seiner plastischen Aussagekraft als eine besonders gelungene Hervorbringung der jüngeren politischen Semantik gelten. Dabei ist nicht zu übersehen, daß der Wortbestandteil „initiativ“ nicht nur beschreibend, sondern durchaus normativ gemeint ist: Es wird als demokratiepolitisch erwünscht vorausgesetzt, daß der Bürger die Initiative ergreift. In der Praxis allerdings waren — seit Bürgerinitiativen dem Begriff wie der Sache nach in den spät-60er Jahren in der Nachfolge der Wählerinitiativen und gelegentlich auch gestützt auf amerikanische Vorbilder in der BRD aufkamen und in den 70er Jahren rasche Verbreitung fanden — viele „Initiativen“ genauer besehen eher „Reaktiven“; d.h. sie reagierten auf öffentliche Planungen, auf (kommunal-) politische Handlungen oder Unterlassungen. Mehr als auf spezifische Inhalte hebt der Begriff auf das Moment des unmittelbaren Tätigwerdens des Bürgers ab, der sich mit seinem konkreten Anliegen unmittelbar zu Wort meldet und sich nicht mehr von Parteien und Verbänden vertreten läßt.

Bernd Guggenberger
CDU — Christlich Demokratische
Union Deutschlands

Die CDU gilt als Prototyp einer Volkspartei — sie hat sich seit ihrer Gründung in der unmittelbaren Nachkriegszeit so gesehen. Die Partei entstand als Bündnis zwischen dem größeren Teil des politischen Katholizismus sowie protestantischen Liberalen und Konservativen, nachdem die bisherigen (nicht zuletzt konfessionellen) Gegensätze sich durch die Erfahrung mit einem totalitären Regime relativiert und sich in der gemeinsamen Frontstellung gegen dieses Regime bereits Vorformen späterer Kooperation entwickelt hatten.

Peter Haungs
CSU — Christlich Soziale Union

Historische Tradition und aktuelle Situation führten nach 1945 erneut zu einer bayerischen Sonderenwicklung im neu entstehenden westdeutschen Parteiensystem und zu einer gesonderten parlamentarischen Repräsentanz Bayerns im Deutschen → Bundestag. Die CSU schloß auf der Parteiebene mit der → CDU in den Jahren 1947 bis 1949 lediglich eine lockere Arbeitsgemeinschaft und in den Vertretungskörperschaften des entstehenden westdeutschen Teilstaates nur eine Fraktionsgemeinschaft. Als die CDU 1950 ihre Bundesorganisation gründete, war in der CSU die Aufrechterhaltung der Parteiautonomie bereits zur Selbstverständlichkeit geworden. Die bayerischen Raison d’etre, das innerbayerische Ringen um den „richtigen“ bayerischen Kurs in der Nachkriegspolitik, führte 1949 im Deutschen Bundestag lediglich zu einer Fraktionsgemeinschaft der CSU-Landesgruppe mit der CDU, allerdings in einer neuartigen und effektiven Organisation.

Alf Mintzel
Datenschutz

Datenschutz regelt, wie unter den Bedingungen einer computerisierten Gesellschaft Konflikte zwischen Interessen an der Zugänglichkeit und der Geheimhaltung von Informationen ausgeglichen werden können. Mit Datenschutzregelungen werden die Bedingungen festgelegt, unter denen die Verarbeitung personenbezogener Daten mit Informationstechnik für den Bürger akzeptabel und mit der demokratischen Struktur der Gesellschaft vereinbar ist.

Rudolf Wilhelm
DDR — Geschichte

Am 7.10.1949 konstituierte sich nach der BRD der zweite deutsche Staat durch die Inkraftsetzung der „Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik“. Name wie erste Verfassung der DDR gingen auf einen Verfassungsentwurf der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (→ SED) vom 14.11. 1946 zurück, der 1948/49 den Verfassungsberatungen im Rahmen der Volkskongreßbewegung zugrunde lag.

Wilhelm Bleek
Demokratie

Die BRD ist nach der politisch-moralischen und militärisch-materiellen Katastrophe des „Dritten Reiches“ und in der Auseinandersetzung mit dem sowjetischen Kommunismus entstanden. Antitotalitäre Übereinstimmung prägt ihre innere und äußere Verfassung ebenso wie ihre Strukturen und Mentalitäten.

Dietrich Thränhardt
Demonstration

‚Demonstration‘ bezeichnet eine Handlung, die einen Sachverhalt beweist oder auf ihn hinweist. Im politischen Sprachgebrauch werden als Demonstrationen insbesondere öffentliche Versammlungen verstanden, die, meist unter freiem Himmel, als Aufzüge oder Kundgebungen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu wecken und/oder ihre Unterstützung für bestimmte Forderungen unter Beweis zu stellen oder zu erreichen suchen. Im Gegensatz zu staatlich gelenkten Demonstrationen, die z.B. als Massenaufmarsch die Unterstützung für ein politisches System symbolisieren oder als Militärparade dessen Schlagkraft vor Augen führen sollen, ist die Demonstration in pluralistischen Demokratien eher eine oppositionelle Ausdrucksform, ein Ventil und Mittel zur Einflußnahme für diejenigen, die mit Handlungen und Leistungen des politischen Systems oder dem System insgesamt unzufrieden sind und Veränderungen oder Reformen einfordern.

Wilhelm Beckord
Deutsche Bundesbank

Der Verfassungsauftrag des Artikel 88 GG — „Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank“ — ist erst 1957 im Bundesbankgesetz umgesetzt worden. Die Deutsche Bundesbank (Bb) löste das nach dem Zweiten Weltkrieg von den westlichen Siegermächten nach dem Vorbild des US Federal Reserve System begründete, noch stärker foderalistisch akzentuierte zweistufige Zentralbanksystem aus der Bank deutscher Under und rechtlich unabhängiger Landeszentralbanken ab, indem beide Elemente in ihr verschmolzen wurden. Die Bb ist in Form einer bundesunmittelbaren juristischen Person des öffentlichen Rechts Teil der Exekutive mit Sitz in Frankfurt/ M., dem Bankenzentrum D.s.

Uwe Andersen
Deutschland (vor 1945)

Das Bild vom deutschen Nationalstaat ist geprägt von der historischen Erinnerung an das Deutsche Reich, seiner verspäteten Gründung 1871 durch eine „Revolution von oben“, seinem Aufstieg zu einer industriellen Großmacht, seinem Ausgreifen zur Weltpolitik und schließlich seiner Aggressions- und Vernichtungspolitik durch die nationalsozialistische Diktatur. Zu dem ambivalenten Bild vom „ruhelosen Reich“ (M. Stürmer) und seinen Katastrophen von 1933 und 1945 gehören aber auch die Entfaltung einer modernen Industriewirtschaft und -gesellschaft, die nationale Integration einer heterogenen und mobilen Gesellschaft in einen Rechts- und Verwaltungsstaat, die Ausbildung des sozialen Interventions- und Wohlfahrtsstaats und die Ansätze einer parlamentarischen wie sozialen Demokratie, die trotz ihres Scheiterns 1933 die Grundlagen für die Wiederbegründung der zweiten deutschen Demokratie nach 1945 bildeten.

Hans-Ulrich Thamer
Deutschland (und die UNO)

Bedingt durch den Deutschlandkonflikt waren weder die BRD noch die DDR bis 1973 Mitglied in der UNO. Die BRD versuchte die UNO für ihre politischen Ziele — zunächst → Wiedervereinigung, dann Verhinderung der Anerkennung der → DDR — ebenso zu instrumentalisieren wie die DDR, die mit Hilfe der UNO die internationale Anerkennung erreichen wollte. Erst nach Abschluß der ersten erfolgreichen Periode der Ost- und Entspannungspolitik traten die BRD und die DDR 1973 in die Vereinten Nationen ein und wurden vollwertige und gleichberechtigte Mitglieder der Weltorganisation. Die BRD war bereits in den 50er und 60er Jahren Mitglied einiger Sonderorganisationen geworden wie z.B. der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Weltkulturorganisation (UNESCO). Der DDR dagegen gelang es erst 1972, Mitglied einer UNO-Sondemrganisation (UNESCO) zu werden.

Wichard Woyke
Deutschlandpolitik

Die Deutschlandpolitik umfaßte jenen Bereich politischer Konzeptionen und Aktionen, der sich aus der Tatsache der deutschen Teilung und insbesondere der Existenz zweier deutscher Staaten zwischen 1949 und 1990 ergab. Die Deutschlandpolitik war dabei sowohl im programmatischen Anspruch ihrer Akteure als auch in der politischen Wirklichkeit zwischen Außen- und Innenpolitik angesiedelt. Auf der einen Seite war die Deutschlandpolitik stets in die Ost-West-Beziehungen und die Bündnispolitik der beiden Blöcke eingebettet, auf der anderen Seite stand sie in einem engen Bezug zur Innenpolitik des jeweiligen deutschen Staates und insbesondere dessen Legitimationsbedürfnissen. Daher verknüpften sich in der Deutschlandpolitik eine Vielzahl von politischen, juristischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekten.

Wilhelm Bleek
Entwicklungspolitik

Trotz Bedeutungsgewinn und wachsendem Rückhalt in der Bevölkerung hat die EP nur geringes Gewicht in der deutschen Politik. Wegen der nur kurzen Kolonialphase (1894–1918) waren die Beziehungen zur Dritten Welt traditionell kaum entwickelt. Vorrang in der → Außenpolitik hat die Westbindung — seit den 70er Jahren ergänzt durch eine aktive Ostpolitik — sowie z.Z. die Dramatik der Umbrüche in Mittel-/Osteuropa.

Andreas Langmann
Europapolitik

Das Grundgesetz der BRD setzte zwei — sich im Ost-West-Konflikt ausschließende — politische Zielvorstellungen, nämlich die Vollendung der deutschen Einheit und die europäische Einigung. In der Präambel des Grundgesetzes wurde als nationaler Verfassungsauftrag formuliert, „die nationale und staatliche Einheit zu bewahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden in der Welt zu dienen“. Art. 24 GG sieht die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen vor, wobei der Bund in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen kann, „die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern“. Auch in den außenpolitischen Grundsatzverträgen der BRD wie z.B. dem Deutschlandvertrag von 1955 wurde sowohl die europäische Dimension als auch die Einheitsdimension verankert.

Wichard Woyke
Extremismus

Der politische Extremismus (E.) zeichnet sich dadurch aus, daß er den demokratischen Verfassungsstaat ablehnt und beseitigen will. Alle Varianten des E. negieren demzufolge die Pluralität der Interessen, das damit verbundene Mehrparteiensystem und das Recht auf → Opposition. Der E. ist gekennzeichnet durch die Identitätstheorie der Demokratie, durch Freund-Feind-Stereotypen, durch ein hohes Maß an ideologischem Dogmatismus und in der Regel durch ein Missionsbewußtsein: Wer vom Glauben an ein objektiv erkennbares und vorgegebenes Gemeinwohl beseelt ist und sich im Besitz vermeintlich objektiver Gesetzmäßigkeiten wähnt, kann die Legitimität unterschiedlicher Meinungen und Interessen schwerlich dulden. Meistens ist auch die Akzeptanz von Verschwörungstheorien für extremistische Bestrebungen charakteristisch: Der eigene Mißerfolg wird mit der Manipulation finsterer Mächte erklärt. Der Begriff E. ist für antidemokratische Ideologien und Bewegungen besser geeignet — weil weniger konno-tativ vorbelastet — als der des Radikalismus, welcher in der BRD in den ersten zwei Jahrzehnten für extremistische Bestrebungen weite Verbreitung gefunden hat und heute teilweise immer noch synonym gebraucht wird.

Eckhard Jesse
Familienpolitik

Das erklärte Ziel der Familienpolitik ist es, Bedingungen zu schaffen, die eine Entscheidung für das Leben in der Familie, für Kinder und für eine Tätigkeit im Haus und in der Familie nicht länger gegenüber anderen Entscheidungen benachteiligen und zwar in allen Fällen unter Beachtung des Solidaritäts- und → Subsidiaritätsprinzips. Der Familienbegriff ist keineswegs eindeutig, weil er einmal Familie als Verwandtschaft, ein anderes Mal Familie als kleinste Lebensgemeinschaft von Erwachsenen und Kindern meint. Heute haben wir es mit der nicht mehr zu reduzierenden Kernfamilie im Sinne der Zwei-Generationen-Familie zu tun, die sich als relativ stabil erwiesen hat, wenn auch seit Ende der 60er Jahre neue Probleme der Familie deutlich wurden. Sie zeigen sich z.B. an steigenden Ziffern unehelicher Kinder, an wachsenden Scheidungsraten, an alternativen Lebensformen wie etwa der Kommunebewegung und an der Problematisierung der Frauen- und Kinderrolle. Diese Probleme führten zu einer Ausweitung des Familienbegriffs und damit zu einer Ausdehnung des familienpolitischen Objektbereiches, in dem heute nicht mehr nur die vollständige sondern auch die unvollständige Familie anerkannt wird. Diesen Veränderungen in bezug auf die Vorstellung über die Familie trägt im übrigen auch der Dritte Familienbericht der Bundesregierung Rechnung (Familienbericht 1979). Danach wird Familie als eine durch Geburt oder Adoption von Kindern bestehende biologische oder soziale Kleingruppe zusammenlebender Menschen definiert, wobei solche Kleingruppen als „Normalfamilien“ bezeichnet werden (Familienbericht 1979: 13). Von ihnen gibt es natürlich Abweichungen, wie z.B. Familien, die aus alleinerziehenden Müttern bzw. Vätern und ihren Kindern bestehen oder Lebensgemeinschaften unverheirateter Paare.

Viola Gräfin von Bethusy-Huc
FDP — Freie Demokratische Partei

Die FDP wurde im Dezember 1948 als Zusammenschluß von liberalen Landesorganisationen aus den drei westlichen Besatzungszonen und Berlin gegründet. Der Versuch des Jahres 1947, eine gesamtdeutsche Partei (Demokratische Partei Deutschlands) zu gründen, war zuvor, Anfang 1948, gescheitert, weil sich die Liberal-Demokratische Partei (LDP) der Sowjetzone unter ihrem Vorsitzenden W. Külz der von der → SED gesteuerten Volkskongreßbewegung anschloß. Der Heppenheimer Zusammenschluß der Westzonenparteien bedeutete organisatorisch die Überwindung der historischen Spaltung des liberalen Lagers in Deutschland. Gleichwohl besaßen die Landesverbände zunächst ein politisches und programmatisches Eigengewicht, die Bundespartei war ein „Kartell der Landesparteien“ (W. Stephan). Das Gewicht der Landesorganisationen gründete im Südwesten und in den Hansestädten für lange Zeit in einem spezifisch bürgerlich-liberalen Milieu des alten Mittelstandes. Die Landesverbände in Hess., NW und Nds. verstanden sich in der Anfangsphase als rechte Sammlungsparteien mit starken nationalliberalen Einfärbungen. Mit Beginn der sozialliberalen Regierungskoalition im Bund änderte sich das Erscheinungsbild der Partei. Sie wurde eine Regierungs- und Koalitionspartei, Koalitionspolitik und Regierungsteilhabe orientierten sich nahezu ausschließlich am bundespolitischen Muster. Gleichzeitig zeigte die Partei auf Länderebene eine zunehmende elektorale Labilität. Vor allem im Umfeld der Regierungswechsel von 1969 und 1982 wurde eine parlamentarische Schwäche in den Ländern offensichtlich. Ihren absoluten Tiefstand erreichte die Partei in den Jahren 1982–84, in denen die FDP zeitweilig in sechs → Landtagen nicht mehr vertreten war. Herausgehobene Position im Parteiensystem und koalitionspolitische Funktion als Regierungspartei haben der FDP auf bundespolitischer Ebene eine Schlüsselstellung eingeräumt und damit Bedeutung und Einfluß gegeben, die weit über ihre zahlenmäßige Stärke hinausreichen. Solange keine der großen Volksparteien über eine absolute Mehrheit verfügte, war die FDP als Mehrheitsbeschafferin ein notwendiger Koalitionspartner. Diese für die FDP günstige Ausgangsposition wurde nur durch die absolute Mehrheit der → CDU/CSU von 1957 bis 1961 und durch die Große Koalition von CDU/CSU und → SPD im Zeitraum von 1966 bis 1969 durchbrochen. Daraus folgte, daß die FDP seit 1949 mit Ausnahme von zwei Perioden (1956–1961; 1966–1969) an allen Regierungskoalitionen auf Bundesebene beteiligt war. Damit kann die FDP auf eine längere Regierungsbeteiligung zurückblicken als die beiden Volksparteien CDU/CSU und SPD. Erfolg und Existenzgefährdung liegen bei der FDP aber janusköpfig beieinander, weil sie als Wählerpartei weder eine feste sozialstrukturelle Verankerung in einer bestimmten Wählerschicht noch gesellschaftliche Vorfeldorganisationen wie → Gewerkschaften oder → Kirchen besitzt, die ein natürliches Milieu für FDP-Wähler darstellen könnten.

Hans Vorländer
Fraktion

Eine Fraktion stellt den organisatorischen Zusammenschluß einer Gruppe von → Abgeordneten zur gemeinsamen Wahrnehmung parlamentarischer Aufgaben dar. Die Fraktionen sind ein integrierender Bestandteil der parlamentarischen Meinungsbildung und Entscheidungsfindung. Sie beruhen auf dem Grundsatz des freien Mandats und sind ein repräsentatives Element der modernen Parteiendemokratie. Fraktionen sind „Teile der Parteien im Parlament“ (G. Kretschmer) bzw. „Teile des Bundestages“ (→ Bundesverfassungsgericht). Auch wenn Parteien und Fraktionen rechtlich zu trennen sind, so trägt die parlamentarische Praxis ihrer parlamentarischen Verflechtung weitgehend Rechnung.

Paul Kevenhörster
Frauen und Politik

Der Einigungsvertrag zwischen BRD und DDR legt die Aufgabe fest, „die Gesetzgebung zur Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen weiterzuentwickeln“ und „bei der Erwerbstätigkeit von Müttern und Vätern die Rechtslage unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gestalten“ (Art. 31). Damit wird das Ziel anvisiert, der familialen Verantwortung beider Elternteile künftig stärker Rechnung zu tragen und so bessere Voraussetzungen für ein partnerschaftliches Zusammenwirken in allen Lebensbereichen zu schaffen. Zwar hat die BRD mit der Familienrechtsreform von 1977 das offizielle Leitbild der „Hausfrauenehe“ endgültig aufgegeben, doch unzulängliche Rahmenbedingungen und das dadurch begünstigte Festhalten an tradierten Rollenmustern setzen der Gestaltungsfreiheit der Ehegatten bislang enge Grenzen (→W Familienpolitik).

Gisela Helwig
Freiheitlich-demokratische Grundordnung

Die freiheitliche demokratische Grundordnung wird in Art. 18 (Verwirkung von Grundrechten) und in Art. 21 Abs. 2 des → Grundgesetzes ausdrücklich genannt. Wenn ein Einzelner oder eine politische Partei diese Ordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen versuchen, so handeln sie verfassungswidrig. D versteht sich als eine „streitbare Demokratie“. Die Grundlagen seiner Ordnung sollen von ihren Bürgern und vom Staat verteidigt werden. Wer seine → Grundrechte mißbraucht, um gegen diese Ordnung zu kämpfen, verwirkt sie Eine politische Partei kann verboten werden, wenn sie verfassungswidrige Ziele verfolgt.

Ernst Benda
Gemeinden

Die G sind über die Jahrhunderte die Ebene gewesen, in denen der einzelne am unmittelbarsten mit öffentlichen Angelegenheiten konfrontiert wurde. In der Neuzeit gilt die vom Freiherrn vom Stein geprägte preußische Städteordnung von 1808 als wichtiger Einschnitt kommunaler Selbstverwaltung in D, zumal auch in süddeutschen Staaten vergleichbare Regelungen folgten. Damit wurde nach der Niederlage gegen Napoleon versucht, das bürgerschaftliche Engagement für die öffentlichen Aufgaben zu wecken und dem aufstrebenden Bürgertum in den Städten ein begrenzter Handlungsspielraum für die örtlichen Angelegenheiten eingeräumt. Diese Ausgangsposition — eine Art vom Bürgertum dominierter Enklave im monarchischen Obrigkeitsstaat — hat wesentlich zu einer Tradition beigetragen, die die gesellschaftlich geprägten und auf genossenschaftliche Denkfiguren rekurrierenden G und den herrschaftlichen Staat als Gegensätze, kommunale Selbstverwaltung tendenziell als Abwehrinstrument gegenüber der Staatsverwaltung verstand. Zu berücksichtigen ist, daß die kommunale Selbstverwaltung in den Landgemeinden im allgemeinen weit hinter der der Städte zurückblieb und die Bürgerrechts- und Wahlrechtsbestimmungen (z.B. preußisches Dreiklassenwahlrecht) die Mitwirkung an der städtischen Selbstverwaltung auf eine kleine Minderheit der Einwohner beschränkten. Die Ausdehnung der kommunalen Aufgaben im Industrialisierungsprozeß hat auch frühzeitig eine Verstärkung des fachlich vorgebildeten hauptamtlichen Verwaltungsexperten zu Lasten des ehrenamtlichen Elements in der kommunalen Selbstverwaltung bewirkt.

Uwe Andersen
Gerichte

Das → GG unterscheidet in Anlehnung an Montesquieu die drei Grundfunktionen → Gesetzgebung, Vollziehung und Rechtsprechung und ordnet diese Funktionen besonderen Organen zu (Art. 20 II GG). Während Gesetzgebung und Vollziehung in vielfältiger Weise miteinander verwoben sind, ist die Rechtsprechung von den übrigen Funktionen grundsätzlich getrennt; sie obliegt allein den Richtern und wird von Gerichten ausgeübt (Rechtsprechungsmonopol der Richter, Art. 92 GG; Ausnahmen: Art. 10 II, 2 und 84 IV, 1 GG). Zum ersten Mal in der dt. Verfassungsgeschichte und als unmittelbare Reaktion auf das nationalsozialistische Unrechtssystem wurde die rechtsprechende Gewalt im GG in konsequenter Ausgestaltung des Rechtsstaatsprinzips — über Montesquieu hinausgehend — auch zu einer echten dritten Gewalt ausgeformt und trat gleichwertig neben Legislative und Exekutive.

Werner Billing
Geschäftsordnung

Allgemein werden unter Geschäftsordnung (GO) die von einer öffentlich- oder privatrechtlichen Organisation selbst erlassenen Bestimmungen betreffend ihre innere Struktur und ihre interne Willensbildung verstanden. Neben den anderen kollegialen Verfassungsorganen auf Bundesebene besitzt der → Bundestag aufgrund seiner im GG (Art. 40I) verankerten GO-Autonomie das Recht, seine Organisation und das Verfahren selbst festzulegen. Das Recht zur selbständigen und unabhängigen Gestaltung der inneren Ordnung wird begrenzt durch a) allgemeine Verfassungsprinzipien und Wertentscheidungen des GG; b) ausdrückliche Bestimmungen des GG sowie c) gesetzliche Regelungen (sekundäres Verfassungsrecht).

Hartmut Klatt
Gesellschaft

Dem Wortursprung nach bedeutet Gesellschaft die Vereinigung mehrerer Gefährten oder ein freundschaftliches Beisammensein. In der deutschen Sprachentwicklung ist der Begriff mit dem der Gemeinschaft und der Genossenschaft aufs engste verknüpft. Wichtiger war jedoch die griech. und die lat. Begriffsgeschichte, denn seit Plato (428–348) und Aristoteles (384–322) haben die Begriffe Staat und bürgerliche G. (lat. societas civilis) einen bis heute beibehaltenen Sinn: eine größere Gruppe von Menschen (z.B. der griech. Polis), die in einem komplexen Zusammenhang wechselseitig eingebrachter Fähigkeiten, Bedürfnisse und Hilfen stehen (vgl. Plato, Pbliteia, 3, 9c) und auf einem klar definierten Territorium leben, sowohl nach innen wie nach außen als soziale Einheit zu definieren. Hinzuzunehmen ist die anthropologische Bestimmung, „daß der Mensch von Natur ein nach der staatlichen Gemeinschaft strebendes Wesen (Zoón politikón) ist“ (Aristoteles, Politik, 1278 b). In allen Etappen der europäisch-abendländischen Staats- und Gesellschaftstheorie ist dieser ursprüngliche Sinn aufweisbar (vgl. Riedel, 1975).

Bernhard Schäfers
Gesetzgebung

Allgemein gültige Gesetze sind in der Aufklärungszeit in den deutschen Staaten eingefiihrt worden. Damit sollte die Willkürlichkeit der Herrschaftsausübung überwunden und die Verwaltung des Staatsgebiets nach einheitlichen Prinzipien durchgesetzt werden. Mit den ersten Verfassungen, die in den meisten süddeutschen Staaten zwischen 1816 (Weimar) und 1851 (Preußen) eingeführt wurden, wurde die Mitwirkung der Parlamente an der Gesetzgebung festgelegt. Dabei konnte an das ältere ständische Haushaltsrecht angeknüpft werden. Entsprechende Rechte bekam 1871 der Reichstag. Er mußte aber dabei mit dem Bundesrat als Vertreter der Regierungen und dem Monarchen zusammenwirken. Aus dieser Tradition heraus nimmt die Idee der Gewaltenteilung in den deutschen Verfassungen einen wichtigen Platz ein, wenngleich das Spannungsverhältnis zwischen Regierung und Parlament immer mehr vom Parteienkonflikt überlagert wird, in dem die Regierung mit der Parlamentsmehrheit zusammenwirkt.

Dietrich Thränhardt
Gesundheitspolitik

Unter Gesundheitspolitik (G.) versteht man alle Maßnahmen zur Gesundheitsversorgung der Bevölkerung, die sich auf die Gesundheitsvorsorge, die Krankheitsbehandlung und die Krankheitsfolgen beziehen. In ihrer jeweiligen organisatorischen, rechtlichen und finanziellen Ausformung, wie sie hauptsächlich durch die Krankenversicherungsgesetzgebung erfolgt, bestimmen sie die Struktur des Gesundheitswesens. Die Ziele der G. lassen sich nach drei Ebenen unterscheiden. Auf der gesellschaftlichen Ebene steht das Solidaritätsprinzip im Vordergrund. Im Bedarfsfall soll jeder Bürger unabhängig von Einkommen und sozialem Status Anspruch auf die notwendige Gesundheitsversorgung haben. Auf der medizinischen Ebene geht es um die bestmögliche Qualität der Gesundheitsversorgung unter Wahrung der menschlichen Würde und Freiheit. Auf der ökonomischen Ebene geht es um die kostengünstige Versorgung mit Gütern und Diensten. Die verfügbaren finanziellen Mittel sollen nicht nur effektiv, sondern auch effizient verwendet werden. Diese Ziele stehen im Konflikt miteinander. Ihnen wird von den einzelnen Akteuren im Gesundheitssektor aufgrund verschiedener Interessenlagen eine unterschiedliche Priorität eingeräumt. Der Versuch, diese Ziele gleichzeitig zu verwirklichen, bestimmt die Konflikt- und Konsensprozesse der G. Die Ausgestaltung dieser Ziele erfolgt vor allem durch die Bundesgesetzgebung. Daher sind die politisch-parlamentarischen Institutionen auf Bundesebene, insbesondere die jeweiligen → Bundesregierungen, die wichtigsten Adressaten und Entscheidungsträger der G. Sowohl bei der Politikformulierung als auch bei der Durchführung von Gesetzen und Programmen wirken aber noch eine Vielzahl anderer Akteure mit. Sie sind teilweise gleichzeitig Träger und Organe des Gesundheitswesens. Hierzu gehören die → Parteien, die Länder und Kommunen, die gesetzliche und private Krankenversicherung und die freien gemeinnützigen Organisationen; ferner die Interessenverbände, die in der ambulanten und stationären Versorgung, in der Arzneimittelversorgung und bei den sozialen Diensten tätig sind.

Axel Murswieck
Gewaltenteilung

Das Sprachsymbol „Gewaltenteilung“ (G), im Englischen „separation of powers“, im Französischen „separation des pouvoirs“, bezeichnet im Rahmen von Theorie und Praxis des europäischen Konstitutionalismus seit dem ausgehenden 17. Jh. ein Kernstück der Staatslehre: die institutionelle und/oder funktionelle Differenzierung der Staatsgewalt und ihre Verteilung auf mehrere, hinsichtlich ihrer Legitimation und ihrer Kompetenzen verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch mehr oder weniger unabhängige „Gewalten“ (Institutionen). In der Regel unterscheidet man drei „Gewalten“: Die Legislative, die Exekutive und die Judikative.

Theo Stammen
Gewerkschaften

Nach einer Phase des Aufschwunges in den 70er Jahren standen die bundesdeutschen Gewerkschaften, ebenso wie zahlreiche Gewerkschaftsorganisationen entwickelter westlicher Industriestaaten vor zahlreichen Problemen, die sich insbesondere aus dem sozialökonomischen Strukturwandel ergaben. Die Entwicklung von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft und die Tertiarisierung des Produktionssektors veränderten die Zusammensetzung der Arbeitnehmerschaft in einer Richtung, die die Rekrutierung der Gewerkschaftsmitglieder eindeutig verschlechterte. So schrumpften einerseits die Mitgliederpotentiale der Gewerkschaften in den alten Industrien, wie z.B. Bergbau, Eisen und Stahl, Werften und Textil, d.h. in Wirtschaftszweigen mit einem hohen Anteil von Facharbeitern, den „geborenen“ Gewerkschaftsmitgliedern, andererseits wuchs im Dienstleistungssektor und aufgrund der Tertiarisierung des Produktionssektors die Gruppe der Angestellten, die für die Gewerkschaften eindeutig schwieriger zu organisieren ist. Dieser Prozeß war und ist begleitet von einer Zunahme der Zahl der Teilzeitbeschäftigten, der Leih- und Heimarbeiter und der unselbständig Selbständigen usw., mit relativ hohen Anteilen von Frauen, unqualifizierten und ausländischen Arbeitnehmern, die bisher in den Gewerkschaften eindeutig unterrepräsentiert sind. Extreme Mitgliederverluste in zahlreichen Industriestaaten (z.B. Großbritannien, Frankreich, USA, Japan usw.) bzw. stagnierende Mitgliederzahlen, wie z.B. in der BRD, waren die Folge.

Siegfried Mielke
Grundgesetz — Verfassung/ Verfassungsreform

Das Jahr 1989 brachte eine historische Wende in der deutschen Geschichte. Niemand hatte mit ihr gerechnet. Im gleichen Jahr wurde in vielen Veranstaltungen auf den 40jährigen Bestand des Grundgesetzes hingewiesen. Es war 1949 nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Gewaltregimes entstanden. Damals wurde die Teilung Deutschlands als ein vorübergehendes Schicksal empfunden, die auf Dauer keinen Bestand haben konnte. Der Parlamentarische Rat hat nicht vorhersehen können, daß die —Wiedervereinigung über Jahrzehnte nicht möglich sein würde. Dem trug die Verfassung der neuentstandenen BRD schon in ihrer Bezeichnung Rechnung. Mit dem Namen „Grundgesetz“ sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß es sich um ein Provisorium handele, um eine neue Ordnung fier eine Übergangszeit. Das Grundgesetz sollte möglichst bald durch eine vom deutschen Volk in freier Selbstbestimmung beschlossene (gesamt-)deutsche Verfassung abgelöst werden (Art. 146 GG in der damaligen Fassung). Auch die Präambel brachte den Wunsch der Deutschen nach Wiedervereinigung und die Pflicht aller Deutschen, sich hierum nach Kräften zu bemühen, zum Ausdruck.

Ernst Benda
Grundrechte

Generell beschreiben Grundrechte (G.). grundsätzliche Rechtspositionen des einzelnen in der politischen Gemeinschaft: Als Abwehr- oder Freiheitsrechte schützen sie persönliche Freiräume, gar Privilegien, als soziale G. oder Teilhaberechte sichern sie Mitwirkungs-, gegebenenfalls auch Leistungsansprüche. Darin drückt sich zugleich die Doppelrolle des einzelnen aus: mitgestaltendes Subjekt in der Gemeinschaft einerseits, Adressat und Objekt der Gemeinschaftsordnung andererseits. Das (vor)herrschende Staatsverständnis prägt zugleich das generelle bis konkrete G-Verständnis. Wird „Staat“ grundsätzlich als familienartige „natürliche“ oder als vertraglich vereinbarte Gemeinschaft begriffen, die Schutz und Wohlfahrt organisiert, geht es vorrangig um Teilhabe und Mitwirkung. Wird das Staatsdenken von der Ordnungs- und Sicherheitsidee der Herrschaft geprägt, treten persönliche Freiräume einerseits und grundsätzliche Versorgungsansprüche andererseits in den Vordergrund. Als besondere Variante stellte die marxistisch-leninistische Staatslehre „sozialistische Persönlichkeitsrechte“ dem zur Verfügung, der „frei“, also aus Einsicht in die Notwendigkeit, sich in den von der Partei der Arbeiterklasse gesteuerten Geschichtsprozeß zum Fortschritt hin eingliedert (Art. 19 DDV).

Uwe Keßler
Grüne — Die Grünen

Ungeachtet der These vom Einfrieren des westeuropäischen Parteiensystems (Lipset/Rokkan) ist mit den Grünen eine Partei auf der politischen Bühne erschienen, die sich nicht mehr durch Ausdifferenzierung bzw. Reaktionsbildung innerhalb der alten soziopolitischen Konfliktlinien (Cleavages) erklären läßt, deren gesellschaftliche Verankerung und Stabilität dennoch praktisch und theoretisch noch ungesichert sind. Die Partei konnte bis dahin marginalen Themen während der 80er Jahre eine breite Resonanz verschaffen und hat mit ihrer Verbindung unkonventioneller und konventioneller Formen einen neuen Politikstil eingeführt, dessen Ausstrahlung allerdings deutlich begrenzter ist als ihre thematischen Innovationen.

Joachim R. Raschke, Christoph Hohlfeld
Innere Sicherheit

Der Begriff der inneren Sicherheit (i.S.) ist in keinem Gesetz rechtsverbindlich geregelt. Der Staat, nicht nur in D, dessen Verfassung sich zur Konzeption der streitbaren Demokratie bekennt, bedarf des Schutzes vor Kriminalität sowie vor dem politischen → Extremismus. I.S. bezieht sich damit auf diejenigen Maßnahmen, die „1. der Verhütung und Abwehr von Kriminalität, Gewalt und sonstigen Angriffen auf das in der Gemeinschaft geregelte Zusammenleben, also der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, dienen und 2. den Bestand und die Stabilität einer Gemeinschaft, den Schutz des Staates vor Gegnern im Innern und von außen, zum Ziele haben“ (Merk /Werthebach 1986: 11). Das Pendant zur i.S. ist der Terminus der äußeren Sicherheit. Für die Aufrechterhaltung der i.S. ist die Akzeptanz des staatlichen Gewaltmonopols eine conditio sine qua non. Es heißt, daß Prävention im umfassenden Sinne (z.B. Beseitigung der Wohnungsnot) i.S. begünstigt.

Eckhard Jesse
Innerparteiliche Demokratie

Innerparteiliche Demokratie (I.D.), verstanden als Realisierung demokratischer Mindestnormen in der Organisation politischer Parteien, ist in D Verfassungsgebot. Zu den „demokratischen Grundsätzen“, denen die „innere Ordnung“ der →Parteien nach Art. 21 GG entsprechen muß, gehören die in freien Wahlen und Abstimmungen erfolgende Bildung des Parteiwillens durch die Mitglieder oder ihre Delegierten, die Freiheit der innerparteilichen Meinungsäußerung und Diskussion, der Schutz innerparteilicher Minderheiten und die Einhaltung rechtsstaatlicher Normen (Parteiengesetz von 1967).

Bodo Zeuner
Interessengruppen

Schon ein kurzer Blick auf das System der Interessengruppen in D macht deutlich, daß einige Interessen besonders gut organisiert sind, während andere nur unzureichend im organisierten Interessenspektrum vertreten sind. Am ehesten organisieren sich homogene, durch eine gemeinsame ökonomische Lage und ggf. Deprivationen sich auszeichnende Statusgruppen. Dies zeigt sich sowohl an der Entwicklung der → Gewerkschaften als auch bei den → Unternehmerverbänden und den Mittelstandsvereinigungen. Durch diese ökonomische Logik werden allgemeine, außerhalb der Produktionssphäre angesiedelte Interessen strukturell benachteiligt. Hierbei handelt es sich im wesentlichen um allgemeine Interessen und Bedürfnisse aus den Bereichen Umwelt, Verkehr, Freizeit etc. Wenngleich manche dieser Interessen, vor allem durch die zahlreichen Vereine auf kommunaler Ebene, eine organisatorische Interessenvertretung gefunden haben, und der Eindruck entstehen kann, jedem Interesse sei eine Organisation zuzuordnen, so müssen jedoch zugleich die vielfältigen organisatorischen Schwierigkeiten und die oft nur lokale politische Bedeutung dieser Gruppierungen erwähnt werden, die die strukturellen Restriktionen nicht gänzlich außer Kraft setzen können.

Rolf G. Heinze
Jugend und Politik

In der Jugendsoziologie besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß die Verlängerung der Bildungswege und die Individualisierung der Lebensbedingungen in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften sowohl zur Herausbildung eigenständiger Jugendkulturen als auch zu einer stärkeren Betonung von Selbstverwirklichungs- im Verhältnis zu Pflicht und Akzeptanzwerten (H. Klages) geführt haben. In Verbindung mit der vielfach konstatierten Auflösung der traditionellen soziokulturellen Milieus bedeutet dies, daß die Jugendlichen in den hochindustrialisierten Demokratien heute weit weniger als früher in sozialstrukturell vorgegebene Gruppenzugehörigkeiten und politische Loyalitäten hineinwachsen. Dadurch ist der Erwerb politischer Orientierungen sehr viel stärker durch individuelle Erfahrungen und Vorlieben beeinflußt.

Ursula Hoffmann-Lange
Kirchen

Kirchen (K.) sind organisierte Gemeinschaften von Christen. Ihr gemeinsames Merkmal ist der Glaube an Jesus Christus und seine im Neuen Testament enthaltene Botschaft, die weltweite Verkündigung dieser Botschaft, die Feier der Liturgie und der Sakramente, insbesondere der Taufe und der Eucharistie bzw. des Abendmahls sowie die Diakonie, das Handeln gemäß dem Evangelium. Sie unterscheiden sich von → Parteien, Verbänden und → Interessengruppen dadurch, daß sie nicht von Menschen gegründet, sondern auf Gottes Wort hörende Stiftungen Christi sind. Sie erheben einen öffentlichen Anspruch.

Manfred Spieker
Koalition

Unter Koalition (K.) wird im parlamentarischen System D.s der Zusammenschluß zweier oder mehrerer Parteien bzw. ihrer → Fraktionen zum Zwecke der Bildung und Unterstützung einer Regierung verstanden. K.en werden im parlamentarischen System erforderlich, wenn eine Partei allein nicht die notwendige Mehrheit aller Mandate erreicht hat bzw. über eine zu geringe Mehrheit verfügt. K.en sind zeitlich befristete Bündnisse, die in der Regel für eine Legislaturperiode geschlossen werden. In einer K. können die beteiligten Parteien notwendigerweise nicht ihre eigene Programmatik durchsetzen, sondern müssen Kompromisse eingehen. Dabei können die Interessen des kleineren K.partners stärkere Berücksichtigung finden, als es sein Wählervotum aussagt, wenn er für die Bildung der K. unbedingt erforderlich ist. Der K.bildung werden rechtliche Grenzen gesetzt durch das freie Mandat des → Abgeordneten (Art. 38 GG), durch das Vorschlagsrecht → des Bundeskanzlers zur Ernennung von Ministern (Art. 64,1 GG) sowie durch die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers (Art. 65 GG). Diese theoretischen Bestimmungen sind jedoch in der politischen Praxis der BRD immer weniger bedeutsam geworden, so daß die politische Entwicklung diese Rechte zunehmend eingeschränkt hat. Nach erfolgreichen K.verhandlungen werden seit den 60er Jahren schriftliche K.vereinbarungen getroffen, die die politischen Ziele (Gesetzesvorhaben u.a.m.) und personellen Vorstellungen (Aufteilung und Besetzung der Ministerien und Staatssekretäre) der beteiligten Parteien widerspiegeln. In der politischen Praxis bedürfen die K.svereinbarungen der Zustimmung der Fraktionen sowie meist auch der Parteivorstände. K. werden vor allem dann geschlossen, wenn eine Partei keine absolute Mehrheit erreicht. Dennoch kann es auch K.en geben, wenn eine Partei die absolute Mehrheit gewonnen hat. K.en grenzen sich von Allparteienregierungen und von Wahlbündnissen ab. Sie setzen in der Regel auch die Existenz einer → Opposition voraus. Meistens geht die stärkste Parlamentsfraktion mit einer kleinen Fraktion eine sogenannte kleine K. ein. Allerdings ist es auch möglich gegen die stärkste Fraktion eine kleine K. zu bilden. Eine Große K. aus den stärksten Fraktionen gebildet, widerspricht dem parlamentarischen System, das auf dem Grundsatz von stabiler Mehrheitsregierung und starker Opposition beruht. Eine Große Koalition wird daher eigentlich nur in Krisenzeiten (Krieg, nationaler Notstand, dringend erforderliche Reformen) gebildet.

Wichard Woyke
Kulturpolitik

Als Bundesstaat hat Deutschland, mindestes in der Theorie, gerade auf dem Feld der Kulturpolitik eine Arbeitsteilung zwischen gesamtstaatlichen, regionsstaatlichen und kommunalen Instanzen aufgebaut, in der der Bund wenig, die Länder dagegen fast alles zu sagen haben. Über den mißverständlichen Begriff der „Kulturhoheit der Länder“ wird dieses Prinzip von manchen Verwaltungsjuristen zudem besonders vehement verteidigt, und dies nicht etwa nur für die Bildungs- und Wissenschaftspolitik (wo darüber auch gestritten werden kann), sondern auch für die Kulturpolitik im engeren Sinne, mit der wir uns hier befassen wollen.

Andreas J. Wiesand
Land Baden-Württemberg

Bad.-W. existiert erst seit 1952, gebildet aus den damals bestehenden Ländern Württemberg-Baden (Hauptstadt Stuttgart), Württemberg-Hohenzollern (Tübingen) und Baden (Freiburg), die durch die Aufteilung zwischen der amerikanischen und französischen Besatzungsmacht nach 1945 aus den historischen Ländern Baden (Karlsruhe) und Württemberg (Stuttgart) sowie den Hohenzollerischen Landen Preußens (Regierungsbezirk Sigmaringen mit den Kreisen Sigmaringen und Hechingen) entstanden waren. Nach dem Sa. war Bad.-W. damit das jüngste Land der alten BRD. Ermöglicht wurde der Zusammenschluß durch die Sonderregelung des Art. 118 GG, die abweichend von Art. 29 GG ein vereinfachtes Verfahren im Falle einer Südweststaatsgründung vorsah (Regierungsvereinbarung oder, wenn diese nicht zustande kam, ein Bundesgesetz, das „eine Volksbefragung vorsehen“ mußte). Widerstand gab es von Seiten des Landes Baden, Streit dann wegen des Abstimmungsmodus bei der Volksbefragung: Das Bundesgesetz sah eine Abstimmung nach den vier Bezirken Nord- und Südbaden, Nordwürttemberg und Südwürttemberg-Hohenzollern vor, wobei der Zusammenschluß als zustandegekommen galt, wenn drei der vier Bezirke zustimmten. So kam es dann auch, wobei die Verfechter der Wiederherstellung Badens für sich reklamieren konnten, daß bei einer Abstimmung nach den alten Ländern der Zusammenschluß in Baden keine Mehrheit erzielt hätte. Mit einem solchen „Geburtsfehler“ behaftet, trat Bad.-W. am 25.4.1952 ins Leben. Die Hypothek wurde erst am 7.6.1970 abgetragen, als bei einer erneuten Volksabstimmung Baden sich für die Beibehaltung des neuen Staates aussprach.

Hans-Georg Wehling
Land (Freistaat) Bayern

Bayern ist das größte und traditionsreichste Bundesland. Es blickt auf eine mehr als tausendjährige Geschichte zurück. Das ältere Stammesherzogtum unter den Agilolfingern ist als politische Einheit seit dem 6. Jh. bekannt. Es umfaßte das altbayerische Siedlungsgebiet östlich der Alemannen und Franken einschließlich Kärntens, der Steiermark und Tirols. Mit der Absetzung Tassilo III. (788) beendete Karl der Große diese frühe Eigenständigkeit, ohne daß unter fränkischer Verwaltung eigenes Stammesrecht und eigene kirchliche Organisation verlorengegangen wären. Beim Niedergang des karolingischen Großreiches konnte an diese Traditionen angeknüpft werden. Unter den Luitpoldingern entstand das jüngere Stammesherzogtum zu Beginn des 10. Jh., das zeitweise auch die Markgrafschaft Verona und die Marken Istrien und Krain umschloß. Herzog Arnulf erreichte weitgehende Unabhängigkeit vom Sächsischen Königtum, an welches das Land gleichwohl lehensrechtlich gebunden war. Die Bindungen an Königtum und Reich wurden vom 10. –12. Jh. immer enger. 1070 wurde Bayern an die Welfen, 1180 durch Barbarossa an die Wittelsbacher verliehen. Die südlichen und östlichen Besitztümer gingen dabei verloren. Die Herrschaft der Wittelsbacher währte allerdings bis zur Revolution am 7.11.1918.

Heinrich Oberreuter
Land Berlin

„Berlin ist ein deutsches Land und zugleich eine Stadt. Berlin ist ein Land der Bundesrepublik Deutschland.“ In diesen schlichten Sätzen der Berliner Verfassung lassen sich weder die Bedeutung Berlins im Rahmen der deutschen und internationalen Politik noch die Besonderheiten der Stadt erkennen, die sich in vielem von den anderen Ländern D.s unterscheidet. Dazu bedarf es eines kurzen Blicks auf ihre Geschichte.

Peter Massing
Land Brandenburg

Bbg. hat eine mehr als 1 000jährige Geschichte. Name, Landesfarben (rot und weiß) und Landeswappen (der rote märkische Adler auf weißem Feld) des zwischen Elbe und Oder mit der Vereinigung D.s am 3.10.1990 wiedererstandenen Landes gehen zurück auf das erste Herrschergeschlecht in Bbg., die Askanier (1134–1320). Mit Ernennung des Nürnberger Burggrafen Friedrich IV. 1411 zum Verweser und 1415 zum Kurfirsten Bbg.s (Recht auf Beteiligung an der Königswahl) begann die 500jährige Herrschaft der Hohenzollern, unter denen Bbg. Kernprovinz des im 18. Jh. zur Großmacht aufsteigenden Preußen wurde. Als eines der Länder der → DDR wurde Bbg. von der → SED mit der Zentralisierung der DDR 1952 aufgelöst und in die drei Bezirke Potsdam, Frankfurt/O. und Cottbus aufgeteilt.

Frank Reuter
Land (Freie Hansestadt) Bremen

Die Freie Hansestadt Bremen kann auf eine traditionsreiche und stolze Vergangenheit zurückblicken, die wesentlich durch das Streben nach politischer und ökonomischer Autonomie bestimmt wurde. 787 zum Bischofs-sitz erhoben, ausgestattet mit Marktprivileg 965 und Stadtrecht 1186, dauerte es noch mehrere Jahrhunderte, bis Bremen 1646 unmittelbare Reichsstadt wurde. J. Smidt, Bürgermeister von 1821 bis 1857, sicherte die bremische Unabhängigkeit im Deutschen Bund. Zugleich schuf er das Fundament für den Zwei-Städte-Staat, als er 1827 von Hannover einen Weseruferstreifen erwarb, um dort einen Überseehafen anzulegen, wodurch das heutige Bremerhaven entstand. Im Kaiserreich wurde Bremen ein Bundesstaat mit dem verfassungsrechtlich garantierten Namen Freie Hansestadt Bremen. Die eigene Landesverfassung vom 18.5.1920 stärkte zwar weiter die Eigenstaatlichkeit, was aber in der Reichsreformdiskussion der Weimarer Republik nicht unumstritten blieb. Schließlich wurde mit der Gleichschaltung der Länder durch die nationalsozialistische Diktatur Bremen mit Oldenburg zu einer Reichsstatthalterschaft vereinigt. Durch Reichsgesetz von 1939 kam Bremerhaven zum preußischen Wesermünde, wobei jedoch das Bremerhavener Hafengelände stadtbremischer Besitz blieb. Zudem wurde die Stadt Bremen um ihre bisherigen Landesgemeinden und ehemals preußischen Gebiete vergröBert.

Reinhold Roth
Land (Freie und Hansestadt) Hamburg

Nach Art. 1 der Hamburgischen Verfassung vom 6.6.1952 ist die „Freie und Hansestadt Hamburg ein Land der Bundesrepublik Deutschland“, Art. 4 formuliert die Besonderheit dieses „Landes“: Staatliche und gemeindliche Tätigkeit sind nicht getrennt. Hamburg ist ein historisch gewachsener „Stadtstaat“.

Hans-Hermann Hartwich
Land Hessen

Die Gründung des Bundeslandes Hess. aus dem Volksstaat Hessen-Darmstadt (1918–45) und der ehemaligen preußischen Provinz Hessen-Nassau (1868–1944) kann nicht als reines Kunstprodukt der Alliierten angesehen werden. Es war gleichzeitig die Zusammenführung eines historisch verbundenen, aber seit dem 16. Jh. zersplitterten Territoriums, dessen Menschen in ihrer politischen Ge-schichte und in ihren kulturellen Traditionen vielfältige Anknüpfungspunkte für eine landesspezifische Identitätsbildung vorfanden.

Udo Bullmann
Land Mecklenburg-Vorpommern

Im Zuge der frühmittelalterlichen Völkerwanderung Mitte des 1. Jahrhunderts u. Z. wurden die Gebiete zwischen Niederelbe, Saale und Oder von ihren germanischen Bewohnern verlassen und durch die westslawischen Völkerschaften der Abodriten und Luziten besiedelt. Diese wurden unmittelbare östliche Nachbarn des sich seit dem 4. Jh. herausbildenden fränkischen Großreiches, das die germanischen Sachsen unterworfen und sich deren Gebiet angegliedert hatte.

Johannes Kuppe
Land Niedersachsen

Mit der Verordnung Nr. 55 bildete die britische Militärregierung am 1.11.1946 aus den Ländern Hannover (bis zum 23.8. 1946 preußische Provinz), Braunschweig, Oldenburg, Schaumburg-Lippe das Land Nds. im Rahmen der Neugliederung ihrer Zone. Nach der Kapitulation im Mai 1945 gehörte der Oberpräsident von Hannover, H.W Kopfzu den Befürwortern der Bildung eines Landes Nds. Einem entsprechenden Staatsvertrag zur Bildung eines Gemeinschaftsministeriums „Länderregierung fair Reichsaufgaben in Nds.“ vom 29.9.1945 von Hannover, Braunschweig und Oldenburg versagte die britische Militärregierung die Zustimmung, setzte aber im Oktober 1945 den „Gebietsrat Nds.“ (bestehend aus der Provinz Hannover, den Ländern Braunschweig und Oldenburg) ein. Nach dem Scheitern der Pariser Außenministerkonferenz (Juni/Juli 1946) entschlossen sich die Briten zur Bildung des Landes NW, um den frz. Forderungen nach einer Abtrennung des Ruhrgebietes und seiner Internationalisierung entgegenzuwirken. Für die Neugliederung der restlichen britischen Zone werden sechs Vorschläge eingebracht und dem Zonenbeirat zur Begutachtung übersandt. Die Mehrheit erhielt der „Niedersachsenplan“ H.W. Kopfs, dem sich auch der britische Militärgouverneur General B. Robertson anschloß (Schneider 1984: 115f.).

Birgit Pollmann
Land Nordrhein-Westfalen

Nordrhein-Westfalen (NW) entstand als eigenständiges Land 1946 im Zuge der allgemeinen Neubildung der Länder innerhalb der Besatzungszonen im Nachkriegsdeutschland. Es wurde im Rahmen der Zerschlagung Preußens am 23.8.1946 durch Verordnung der britischen Besatzungsmacht aus den beiden preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen geboren. Allerdings wurden die Regierungsbezirke Trier und Koblenz der ehemaligen Rheinprovinz R. P. zugeschlagen, während NW 1947 noch das Land Lippe-Detmold eingegliedert wurde.

Wichard Woyke
Land Rheinland-Pfalz

Das Land R.P. ist — darin nicht unähnlich der Entstehungsweise der übrigen Länder der BRD — das Ergebnis der nach dem Zweiten Weltkrieg ohne Rücksicht auf historisch gewachsene Räume entstandenen Besatzungs- und Zonenstruktur. Aufgrund der „Berliner Erklärung“ vom 5.6.1945 erhielt Frankreich die im wesentlichen westlich des Rheins gelegenen Gebiete als Nordteil seiner außerdem noch (Süd-)Baden, Südwürttemberg-Hohenzollern und den Kreis Lindau (Südteil) umfassenden Besatzungszone zugesprochen. Nach einer anfänglich separatistisch und extrem dezentralistisch angelegten frz. Besatzungspolitik vollzog sich aus wirtschafts-, außen- und sicherheitspolitischen Gründen ein allmählicher politischer Kurswechsel. Eine Folge des politischen Wandels war die Gründung des Landes R.P. am 30.8.1946 durch die frz. Besatzungsmacht.

Werner Billing
Land Saarland

Das Saarland (Sal.) verdankt seine Existenz als eigenständige Region dem Umstand, daß sich um die Kohlevorkommen an der mittleren Saar in der 2. Hälfte des 19. Jh.s ein schwerindustrielles Zentrum herausbildete, das politisch im Grenzbereich zu Frankreich lag. Die Auseinandersetzungen zwischen Franzosen und Deutschen um die Nutzung dieser Industrieregion führten zu politischer Sonderbehandlung und Ausbildung einer regionalen Identität seiner Bewohner.

Wilfried Loth
Land (Freistaat) Sachsen

Die Geschichte des Namens S. beginnt nicht im heutigen S., sondern — an der Unterelbe, in Holstein, wo der germanische Stamm der S. Anfang des 1. Jahrtausend siedelte. Ein Teil von ihnen vertrieb zusammen mit dem Stamm der Angeln die Kelten aus Britannien, sie gelten als Väter der heutigen „Angelsachsen“. Der auf dem Festland verbliebene Teil wurde von Karl dem Großen dem Reich eingegliedert (Sachsenkrieg). Anfang des 10. Jh.s wurde Heinrich I der Löwe erster sächsischer Kaiser des Deutschen Reiches, der in der Mark Meißen die gleichnamige Burg (Albrechtsburg im heutigen Meißen) bauen läßt. Der Name S. lebt zunächst nur im askanischen Herzogtum S.-Wittenberg fort. Zu dieser Zeit hat sich in der Mark Meißen das Grafengeschlecht der Wettiner durchgesetzt. Als 1089 Heinrich I von Wet-tin offiziell die Markgrafschaft Meißen als Reichslehen übertragen erhält, beginnt die mehr als 800jährige Herrschaft der Wettiner in diesem Land. Für die Geschichte S. im engeren Sinne ist 1423 das entscheidende Datum: Nach dem Aussterben der Askanier wird Markgraf Friedrich der Streitbare von Wettin auch mit dem Herzogtum S.-Wittenberg belehnt und erhält auch die Kurfürsten-würde. Nun herrschen die Wettiner, die sich zuvor schon die Landgrafenschaft (Nord-) Thüringen einverleibt hatten, über Teile → Niedersachsens, ganz Thüringen und einige mainfränkische Gebiete. In der Folgezeit erlebte das Land zwar eine erste kulturelle Blüte, wird aber auch durch Erbfolgestreitigkeiten und Teilungen schwer erschüttert (Hussitenkriege, sächsische Bruderkrieg). Besonders folgenreich wurde die sogenannte Leipziger Teilung 1485 zwischen den Brüdern Kurfürst Ernst dem Frommen und Herzog Albrecht dem Beherzten Die ernestinische Linie herrschte fortan in Wittenberg, Torgau, Mittel- und Südthüringen sowie in Coburg und im Vogtland. Seitdem lebt der Name S. in dem zahlreicher thüringischer (Klein-)Fürstentümer (z.B. Goethes S.-Weimar) fort. Der albertinischen Linie bleibt dagegen zunächst nur die Mark Meißen und Nordthüringen. Sie setzt sich jedoch schließlich durch, nicht zuletzt, weil die Ernestiner die Reformation entschieden förderten, jedoch im Schmalkaldischen Krieg gegen die katholischen Reichstruppen Kaiser Karl V verloren und in der Wittenberger Kapitulation auch auf die Kurwürde verzichten mußten. Sie fiel 1547 an den mit dem Reich verbündeten Albertiner Herzog Moritz von Sachsen Mit ihm beginnt der Aufbau einer Verwaltung in Kur-S., er reformiert die Leipziger Universität und gründet die sogenannten Fürstenschulen Schulpforta, Meißen und Grimm.

Johannes Kuppe
Land Sachsen-Anhalt

S.-A. hat eigentlich keine eigene politische Geschichte, denn sie ist zugleich die Geschichte → Thüringens und → Sachsens. Selbständiges Land war es lediglich von 1947 bis 1952. Der Siedlungsraum des heutigen S.-A. gewinnt historische Konturen, als auch er lin 8. Jh. — damals der nördliche Teil des ehemaligen Thüringer Konigreiches — endgültig von Karl dem Großen dem Fränkischen Großreich einverleibt wird. Von da an werden zunächst für diese Gebiete sächsische Herrscherhäuser bestimmend. Von dem Nachfolger des von Karl geschlagenen Sachsenkönigs Heinrich I. dem Löwen, dem Stammvater der sächsischen Ottonen auf dem Thron des ostfränkischen deutschen Kaiserreiches, Kaiser Otto I.,wurden zunächst im Zuge der Ostsiedlung zahlreiche Grenzmarken (Elbmark, Lausitz, Merseburg, Meißen) zum Schutze des Reiches errichtet. Zur Ostausdehnung gehörte aber auch immer die Christianisierung der ansässigen Slawen. So stiftete Ono I. 968 das Erzbistum Magdeburg, die Stadt wird zugleich Kaiserresidenz. 220 Jahre später erhielt sie das Stadtrecht, das Vorbild für zahllose ostdeutsche, polnische, ukrainische und russische Städte wurde.

Johannes Kuppe
Land Schleswig-Holstein

Das „Bindestrich“ -Land S H hat eine lange und äußerst komplexe gemeinsame Geschichte und ist über die Jahrhunderte sowohl Brücken- und Bindeglied zwischen D und Skandinavien als auch Kampfplatz und Streitobjekt insbesondere im Verhältnis zu Dänemark gewesen. Fixpunkt war die anläßlich der Wahl des Königs von Dänemark zugleich zum Herzog von Schleswig und Graf von Holstein im Ripener Freiheitsbrief (1460) enthaltene Zusicherung: „Dat se bliven ewich tosamende ungedelt“. Im Zusammenhang mit den nationalen Bewegungen im 19. Jh. kam es sowohl zu dem dänischen Expansionsversuch, Schleswig stärker in den dänischen Gesamtstaat zu integrieren („Eiderdänen“) als auch im Zuge der deutschen Revolution 1848 zur niedergeschlagenen Erhebung in S.H., mit der vergeblich versucht wusle, aus den drei Herzogtümern Schleswig sowie den dem Deutschen Bund angehörenden Holstein und Lauenburg ein vereintes deutsches S.H. zu schaffen. Nach der Niederlage Dänemarks gegen Preußen und Österreich 1864 und dem Sieg Preußens gegen Österreich 1866 wurde S.H. zwar staatlich vereint, aber gegen den Willen weiter Mile der Bevölkerung nicht selbständig, sondern als Provinz in Preußen eingegliedert.

Uwe Andersen
Land Thüringen

Von einem Land T. kann eigentlich erst seit 1920 gesprochen werden, als sieben Fürsten ihre Kleinstaaten zu einem Land vereinigten. Trotz nur kurzer politischer Geschichte nimmt aber der geographische Raum T. geistes- und kulturgeschichtlich einen bedeutenden Platz in D ein. Im Zuge der Völkerwanderung bildete sich aus den germanischen Völkerschaften der Hermunduren und Angeln ein Stamm, den die Römer „toringi“ nannten. Diese schufen Mitte des 1. Jahrtausend ein Königreich, das jedoch nur etwa 120 Jahre bestand und im B. Jh. endgültig durch Eroberung an das fränkische Reich fiel, dessen östliche Grenzprovinz es bis ins 12. Jh. blieb. In dieser Zeit erfolgte auch die Christianisierung von T. durch den Benediktinermönch Bonifatius, der das Erzbistum Erfurt gründete (742). Die Ludowinger Landgrafen machten von Anfang des 12.

Johannes Kuppe
Landtage

Das parlamentarische System in den Ländern entspricht weitgehend dem Parlamentarismus auf der Bundesebene. Die Landesparlamente in D stellen die gewählten Repräsentativorgane der 16 Bundesländer dar, wobei die Bezeichnung Landtag auf die 13 Flächenstaaten zutrifft. In den Stadtstaaten → HH und → HB werden die Parlamente Bürgerschaft genannt. In → B heißt das Parlament Abgeordnetenhaus. Lediglich → Bay. verfügt über ein Zweikammerparlament, da neben dem Bayerischen Landtag noch ein Senat, mit allerdings stark eingeschränkten Befugnissen, existiert.

Wichard Woyke
Massenmedien

Mit „Massenmedien“ (MM) bezeichnet man die Gesamtheit der technischen Träger für „Signale“ zwischen einem „Sender“ (individueller oder kollektiver Kommunikator) und einem „Empfänger“, in der Regel ein anonymes, heterogenes, räumlich verstreutes (disperses) Publikum Die wichtigsten Arten von MM sind 1.Druckmedien wie z.B. Türges- und Wochenpresse, Bücher, Broschüren, Flugblätter;2.auditive Medien wie z.B. Schallplatten, CD, Tbnbänder/Audio-Kassetòen oder auch der Hörfunk in seinen verschiedenen Verbreitungsformen und3.audio-visuelle Medien wie Fernsehen, Video-Kassetten, Bildplatten, Bildschirmtext (Btx), Kabel- und Videotext usw.

Heribert Schatz
Meinungsforschung

Meinungsforschung bezeichnet umgangssprachlich den Teil der Empirischen Sozialforschung, der sich ganz allgemein mit der Einschätzung von unterschiedlichen Objekten durch Angehörige einer Gesellschaft befaßt. In den Sozialwissenschaften haben Meinungen, im Gegensatz zu Einstellungen, keinen theoretisch eindeutig verankerten Stellenwert. Vielmehr definieren sie sich in der Regel ex negativo zu Einstellungen in dem Sinne, daß ihnen, anders als Einstellungen mit ihrer potentiell verhaltenssteuernden Kraft, etwas Flüchtiges, Belangloses und Folgenloses innewohnt. Betrachtet man jedoch die Gegenstände der Meinungsforschung näher, so stellt sich schnell heraus, daß sich hinter diesem Begriff eine Vielzahl von Sachverhalten verbirgt, die über die Erhebung flüchtiger Eindrücke weit hinaus bis hin zur Messung von „harten“ Daten wie vergangenem Verhalten bzw. Verhaltensabsichten reichen. Aus diesem Grunde trifft Umfrageforschung (survey research) den angesprochenen Sachverhalt auch wesentlich genauer, der vor allem die Methode der Informationsbeschaffung bezeichnet, nämlich durch Befragung der gewünschten Zielgruppe bzw. einer repräsentativen Stichprobe deren Mitglieder. Während die der Meinungsforschung zugrundeliegende Idee, Informationen über in der Bevölkerung vorhandene Meinungen und Vorstellungen zu sammeln, keine zeitgenössische Erscheinung darstellt, sind die systematischen wissenschaftlichen Voraussetzungen für das, was heute als Meinungs- oder Umfrageforschung bezeichnet wird, erst in diesem Jahrhundert geschaffen worden.

Max Kaase
Ministerialbürokratie

Die Ministerialbürokratie umfaßt die in den Ministerien des Bundes sowie der Länder Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung und deren vielfältige Funktionen. Im umfassenden Sinne sind das jene 287000 Vollzeitbeschäftigten, die nach der Statistik des → öffentlichen Dienstes im Aufgabenbereich „politische Führung und zentrale Verwaltung“ tätig sind, davon 71000 beim Bund und 216000 bei den Ländern (Angaben für das frühere Bundesgebiet zum Stichdatum 30.6.89). Im Hinblick auf die zentralen Funktionen der Ministerialbürokratie im politischen System können aber auch lediglich die im höheren Dienst in den Ministerien beschäftigten Beamten und Angestellten zur Gruppe der Ministerialbürokraten gezählt und die übrigen Mitglieder des gehobenen, mittleren und einfachen Dienstes als deren Hilfspersonal verstanden werden. In diesem engeren Sinne zählt die Ministerialbürokratie dann auf Bundesebene etwa 20000 und auf Länderebene etwa 50000 Mitglieder. Diese Ministerialbürokraten sind, bildlich gesprochen, das Zwischenglied zwischen politischer Führung und Verwaltung.

Wilhelm Bleek, Stefan Machura
Ministerium für Staatssicherheit (MfS)

Das im Jahre 1950 gegründete Ministerium für Staatssicherheit (MfS) war der geheime Nachrichtendienst in der → DDR, der über exekutive Befugnisse verfügte und im Laufe der Jahre durch ein weitverzweigtes Zuträgersystem für eine gleichsam flächendeckende Überwachung der → Bevölkerung sorgte. Das MfS, das eng mit dem sowjetischen Geheimdienst, dem KGB, zusammenarbeitete und sich in der Tradition der Tscheka sah, der bolschewistischen Geheimpolizei der Jahre 1917–1922, verstand sich als „Schild und Schwert“ der Partei, der → SED. Insofern ist die inzwischen weit verbreitete Charakterisierung der DDR als „Stasi-Staat“ zumindest oberflächlich. Die weisungsgebundene Staatssicherheit war ein Werkzeug der Partei. Dem muß nicht widersprechen, daß MfS-Chef E. Mielke an der Ablösung Ulbrichts und Honeckers führend beteiligt war.

Eckhard Jesse
Mitbestimmung

Obwohl der Begriff Mitbestimmung (Mb) im Hinblick auf Träger und Objektbereich offen ist, wird er meist auf Mb der Arbeitnehmer in der Wirtschaft eingeengt. Mit Blick auf die unterschiedliche Intensität von Partizipationsrechten — z.B. Rangfolge: Informations-, Anhörungs-, Initiativ-, Beratungs-, Mitentscheidungsrecht — wird in der Literatur teilweise dafür plädiert, Mb nur dann zu verwenden, wenn eine gleichgewichtige Einflußnahme bzw. ein Vetorecht in Entscheidungsprozessen garantiert ist. Eine derartige Eingrenzung erscheint jedoch unpraktisch, so daß im folgenden die vorherrschende weitergefaßte Begriffsauslegung übernommen und unter Mb jede institutionalisierte Teilhabe der Arbeitnehmer an der Leitung und Gestaltung des Wirtschaftsprozesses verstanden wird. Die von den Gewerkschaften propagierte „paritätische“ Mb erscheint daher nur als eine spezielle, nämlich gleichgewichtige Form.

Uwe Andersen
Nachrichtendienste

Wie andere Staaten auch verfügt D über geheime Nachrichtendienste (N.). Die drei N. sind der Bundesnachrichtendienst (BND), der Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst (MAD). Sie agieren im Vorfeld der Gefahrenabwehr, sammeln und werten Informationen aus, nehmen aber keine exekutiven Funktionen wahr. Diese stehen ausschließlich den Polizeibehörden zu. Im Gegensatz zu diesen ist die Arbeit der N. nicht an das Legalitätsprinzip gebunden, sondern am Opportunitätsprinzip orientiert. Die N. dienen der Wahrung der → inneren Sicherheit und verstehen sich als Frühwarnsystem.

Eckhard Jesse
Nationalsozialismus

Nationalsozialismus, völkisch-antisemitischnationalrevolutionäre Bewegung in der Zwischenkriegszeit, die sich in Deutschland als Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) organisierte und die unter der Führung Hitlers in Deutschland von 1933–45 eine totalitäre Diktatur errichtete. Der Nationalsozialismus gehört überdies in den Zusammenhang der europäischen faschistischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit, die außer in Deutschland nur in Italien aus eigener Kraft und ohne ausländische militärische Unterstützung an die Macht gekommen sind. Der Nationalsozialismus stellt innerhalb der europäischen Faschismen aufgrund seines Rassenantisemitismus und seiner Vernichtungspolitik die radikalste Variante dar. Die Geschichte der NSDAP unterteilt sich in die sogenannte Bewegungsphase (1919–33) und die Regimephase (1933–45). Ihr Weg zur Macht verlief keineswegs geradlinig und folgte auch keinem ausgefeilten politischen Konzept oder einer politischen Zwangsläufigkeit.

Hans-Ulrich Thamer
Neokorporatismus

Mit dem Begriff Neokorporatismus wird die Einbindung („Inkorporierung“) von organisierten Interessen in Politik und ihre Teilhabe an der Formulierung und Ausführung von politischen Entscheidungen bezeichnet. Der Neokorporatismus-Begriff knüpft an den älteren Begriff des „Korporativismus“ an, der sich auf eine nach Ständen gegliederte Gesellschaft bzw. eine ständestaatliche Ordnung der Gesellschaft bezog und die Übertragung öffentlicher Gewalt auf gesellschaftliche Organisationen („Korporationen“) bezeichnete. In der BRD wurde der Begriff in den 70er Jahren in Anlehnung an den angelsächsischen Begriff „Corporatism“ als Neokorporatismus wieder aufgegriffen. Die begriffliche Anbindung wird damit begründet, daß ungeachtet der vielfältigen Unterschiede in der Gesellschaftsordnung den vorstaatlichen Organisationen bzw. den organisierten Interessen in der vor-bürgerlichen Gesellschaft ebenso wie in den entwickelten demokratischen Wohlfahrtsstaaten eine „intermediäre“ Stellung zwischen Individuum und Staat zukommt, in der sie einerseits die Interessen ihrer Mitglieder gegenüber dem Staat repräsentieren, andererseits aber auch politische Vereinbarungen und Zugeständnisse gegenüber ihren Mitgliedern zu vertreten und durchzusetzen haben.

Helmut Voelzkow
Neue Soziale Bewegungen

Der Begriff Neue Soziale Bewegungen (NSB) setzte sich Anfang der 80er Jahre in der BRD durch. Er steht als eine Sammelbezeichnung für diverse politische Protest-gruppen und soziale Bewegungen, die im Gefolge der außerparlamentarischen Opposition und insbesondere der Studentenbewegung ab den späten 60er Jahren aufkamen, deren Wurzeln jedoch teilweise weiter zurückreichen. Das Adjektiv „neu“ markiert eine zeitliche und qualitative Abgrenzung zur Arbeiterbewegung als die klassische „alte” soziale Bewegung. Zwischen dieser und den NSB bildet die Studentenbewegung eine Art Brücke. Einerseits hielt sie an bestimmten Positionen der Arbeiterbewegung fest: dem entschiedenen Antikapitalismus, der zentralen Rolle der Arbeiterklasse als revolutionärem Subjekt und dem Anspruch auf umfassende Demokratisierung. Andererseits distanzierten sich Studentenbewegung wie NSB von Fortschrittskonzepten und Organisationsmodellen der Arbeiterbewegung. Antikapitalistische und vor allem revolutionäre Positionen sind für die NSB nicht mehr konstitutiv. Dagegen teilen die NSB mit der Studentenbewegung die Kritik an hierarchisch-bürokratischen Organisationsstrukturen. Die NSB verbinden radikaldemokratische Forderungen mit dem Ziel solidarischer, selbstbestimmter Lebensweisen und der Verbesserung der Lebensbedingungen vorwiegend in der Reproduktionssphäre. Thematische Brennpunkte für wichtige Einzelbewegungen sind die Emanzipation von Frauen, Ökologie, Frieden und Abrüstung, selbstverwaltete Lebens- und Arbeitsformen, Hunger und Elend in der Dritten Welt sowie Bürger- und Menschenrechte. Zum Umfeld der NSB zählen aber auch Selbsthilfegruppen im Gesundheits- und Sozialbereich, Hausbesetzer und militante „autonome“ Gruppen.

Dieter Rucht
Notstandsverfassung

Das → Grundgesetz enthielt in seiner ursprünglichen Fassung von 1949 keine Vorsorge gegen einen Angriff von außen oder eine Gefährdung der inneren Sicherheit des Staates durch Bestrebungen eines mit gewalttätigen Mitteln versuchten Umsturzes. Erst nach Erlangung der Souveränität im Jahre 1955 wurde zunächst im Rahmen der Wehrverfassung durch Ergänzungen des Grundgesetzes die militärische Verteidigung rechtlich ermöglicht. (→ äußere Sicherheit) Wird die Sicherheit der BRD bedroht, sind rasche Entscheidungen notwendig, und alle verfügbaren Kräfte müssen zusammengefaßt werden. Hierfür ist der normale Prozeß der Staatswillensbildung nicht geeignet. Er ist langsam und umständlich, um Macht zu begrenzen. Nach jahrelanger politischer Auseinandersetzung entstand 1969 die → Notstandsverfassung, die für den Verteidigungsfall oder für den Fall schwerer innerer Unruhen das Grundgesetz änderte und ergänzte.

Ernst Benda
Öffentliche Finanzen

Die Handlungskraft des modernen Staates ist wesentlich bestimmt durch seine Verfügungsgewalt über Geld,denn dieses stellt — neben dem Recht — sein vorrangiges Steuerungsmedium dar. Als „Steuerstaat“ (Gold-scheid) absorbiert er, meist unter Einsatz seiner Hoheitsgewalt, einen erheblichen Teil der volkswirtschaftlichen Kaufkraft ohne direkte Gegenleistung und verwendet diesen für die Produktion von Gütern und Leistungen und für Transferzahlungen an Unternehmen und Haushalte. Gesamtumfang der Staatsquote, Einnahmen- und Ausgabenstruktur sind relevant für die Wohlfahrtsposition der Bürger und damit Themen des politischen Wettbewerbs zwischen konkurrierenden Parteien.

Heinrich Mäding
Öffentliche Meinung

Öffentlich wird eine Angelegenheit nicht nur deshalb genannt, weil sie nicht geheim und allgemein zugänglich ist. Öffentlich ist etwas vor allem dann, wenn es mit der „res publica“ zu tun hat, wenn es alle angeht. Öffentliche Meinung (ö.M.) als politischer Begriff ergibt sich nicht automatisch aus der Addition individueller Meinungen, sondern aus der Wirkung von Meinungen als herrschende Meinung. Die ö.M. ist eine zentrale Kategorie für die Bestimmung der Legitimität demokratischer Herrschaft.

Ulrich Sarcinelli
Öffentliche Unternehmen

Nach der Definition der Finanzstatistik werden Unternehmen als öffentlich bezeichnet, wenn die öffentliche Hand die Kapital- oder Stimmrechtsmehrheit besitzt. Ende 1985 gab es in der BRD 3 758 solcher Unternehmen (1982, einschließlich des VEBA- und VW-Konzerns: 4070), ihr Anteil an den Bruttoanlageinvestitionen betrug 16,8 % (1982: 17,2 %), ihr Anteil an den Beschäftigten 10,2% (1982: 11,3 %) jeweils bezogen auf alle Unternehmen. Je ca. die Hälfte der öffentlichen Unternehmen war 1985 in privaten (AG, KG usw.) und in öffentlichen Rechtsformen (Eigenbetrieb usw.) organisiert. Der Anteil der öffentlichen Hand am Nennkapital betrug 97,6 % von insgesamt 169,4 Mrd. DM. 0,5 % aller Kapitalgesellschaften (AG, GmbH) der BRD waren 1985 öffentlich und hielten 18,6 % des Nennkapitals aller Kapitalgesellschaften. Die öffentlichen Unternehmen haben ihre Schwerpunkte — gemessen am Anteil an der Bruttowertschöpfung der Wirtschaftsbereiche im Jahre 1985 — mit 63,7 % in den Bereichen Versorgung und Verkehr (Post, Bahn, Stadtwerke, Elektrizitäts-Verbundunternehmen), mit 54,7 % bei Kreditinstituten (Sparkassen, Landesbanken, Kreditanstalt für Wiederaufbau) und mit 19,5 % bei Versicherungen. Die übrigen Bereiche wiesen Anteile unter 2,5 % auf. Beachtlich ist der Anteil öffentlicher Wohnungsunternehmen von 9% am Bestand aller Mietwohnungen (Leetz 1987: 30ff.). In den neuen → Bundesländern wird die Ausgliederung von öffentlichen Unternehmen aus dem Treuhandvermögen nicht vor 1993 abgeschlossen sein.

Thomas Lange
Öffentlicher Dienst

Der Begriff „Öffentlicher Dienst“ beinhaltet sowohl die Gesamtheit des Staatspersonals als auch das besondere Arbeitsverhältnis der Staatsbeschäftigten zu ihrem Arbeitgeber. Der Staat tritt dabei in unterschiedlichster Gestalt als Arbeitgeber auf: als Bund, Land, Kommune, als Körperschaft des öffentlichen Rechts oder als Verwaltung im Gewande des Privatrechts (z.B. Stadtwerke GmbH).

Wilhelm Bleek, Stefan Machura
Öffentlichkeitsarbeit/Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Staatliche Öffentlichkeitsarbeit ist seit jeher Instrument der Regierungsmacht, mit zentraler Bedeutung in totalitären Staaten. Ebenso ist sie aber in komplexen, demokratischen Staaten notwendiger, legitimer Bestandteil der Informationsvermittlung. Bereits Friedrich II. betrieb eine systematische Informationspolitik zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Bismarck schuf ein auf ihn zugeschnittenes Preßdezernat und beeinflußte mit Mitteln seines geheimen Reptilienfonds Journalisten durch Druck oder Bestechung. 1915 wurde ein Kriegs-presseamt als Zensurbehörde geschaffen. In der Weimarer Verfassung ist erstmals das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit verankert worden. Ein Reichspressechef stand einer Regierungsabteilung vor. Der NS-Staat setzte die → Grundrechte außer Kraft und schaltete die → Massenmedien gleich. Die Reichspressekammer als Zwangsorganisation wurde Instrument des Ministers für Propaganda und Volksaufklärung. Die → DDR betrieb Öffentlichkeitsarbeit als Mittel des ideologischen Klassenkampfes im Sinne sozialistischer Parteilichkeit und Bewußtseinslenkung. Instrumente der zentralgelenkten Informationspolitik waren zentralisierte Journalistenausbildung, Personalpolitik in den Medien, ein staatliches Lizenzsystem, die Monopolisierung der Vertriebswege, die Zuteilung von Papier, die Einrichtung eines Presseamtes, der Kommitees für Rundfunk und für Fernsehen beim Ministerrat als kontrollierende Institutionen, die tägliche Übermittlung der Vorschriften der Abteilungen Agitation und Propaganda der → SED an Medien. Im Zeitalter grenzüberschreitender Medien gelang die Durchsetzung des Meinungsmonopols der SED aber nicht.

Peter Schwiderowski
Opposition

Institutionalisierte Opposition als ständige legitime Kraft innerhalb des politischen Systems ist eine für die moderne Demokratie wesentliche Einrichtung, die auf den britischen Parlamentarismus zurückgeht. Einer Gruppe von durch Patronage an die Regierung gebundenen Abgeordneten saß dort seit dem 18. Jh. eine Gruppe regierungskritischer → Abgeordneter gegenüber („opposite“), die schließlich als „his majesty’s loyal opposition“ definiert wurde. Im 19. und 20. Jh. ist dieses System vervollkommnet worden und hat andere parlamentarische Systeme beeinflußt. Opposition in diesem Sinne ist die ständige Alternative zur Regierung, die nach konstitutionellen Regeln, insbesondere durch → Wahlen, Mehrheit werden will und kann.

Dietrich Thränhardt
Parlamentarisches Verfahren

Der organisatorische Aufbau des Parlaments läßt sich vom Verfahren unterscheiden, wenn die beiden Aspekte in der politischen Praxis auch nicht voneinander zu trennen sind. Ausgangspunkt für die Ausprägung des parlamentarischen Verfahrens (parl. Verf.) ist die Parlamentsautonomie, d.h. das Recht des → Bundestags, seine Organisation und sein Verfahren im Rahmen des Selbstversammlungsrechts (Art. 3911, III GG) sowie des Selbstorganisationsrechts (Art. 40 I GG) selbständig zu regeln. Die Gestaltung des parl. Verf. orientiert sich an den Aufgaben (Wahl-, Gesetzgebungs-, Kontroll- und Kommunikationsfunktion) sowie an der (parlamentarischen und parteipolitischen) Gliederung des Bundestags.

Hartmut Klatt
Parteien

Nach dem Zweiten Weltkrieg fungierten die Besatzungsmächte und die von ihnen lizenzierten Parteien als Staatsgründer. Da die Nationalsozialisten alle anderen Parteien ausgeschaltet hatten, war ihnen die Versuchung erspart geblieben, mit diesen zu kooperieren, wie dies die Verwaltungseliten getan hatten. Im posttotalitären Vakuum waren deshalb auf deutscher Seite die Parteien die maßgeblichen politischen Akteure: Wie nie zuvor in der deutschen Verfassungsgeschichte konnten sie die führenden Verwaltungspositionen besetzen und die maßgeblichen Verfassungskonzeptionen entwickeln. Daß sie auch ihre eigene Rolle in der Verfassung verankerten, war nur konsequent und beugte der von Kritikern der Weimarer Republik genutzten Möglichkeit vor, Verfassung und (auch damals schon erhebliche) faktische Rolle der Parteien in der modernen Demokratie gegeneinander auszuspielen.

Peter Haungs
Parteiensystem

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren sich die Besatzungsmächte darin einig, nur vier Parteigründungen zuzulassen („Lizenzparteien“): die zwei Parteien der Arbeiterbewegung (KPD und → SPD), eine christlich-konservative (→ CDU bzw. → CSU) und eine liberale (→ FDP) Partei. Diese Politik entsprach den Intentionen der maßgeblichen deutschen Politiker, die ebenfalls eine Zersplitterung des Parteiensystems wie in der Weimarer Republik vermeiden wollten.

Peter Haungs
Parteienfinanzierung

Viele Probleme des vereinten D sind einer empirisch fundierten Erörterung noch nicht zugänglich. Dazu gehört auch die Parteienfinanzierung, weil wesentliche Informationen bislang nicht vorliegen.

Karl-Heinz Naßmacher
PDS — SED (Partei des demokratischen Sozialismus — Sozialistische Einheitspartei Deutschlands)

Sowohl die seit der Jahreswende 1989/90 existierende Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) wie auch die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) als ihre Vorgängerpartei aus den Jahren 1946–89 stehen in der Traditionskette kommunistischer Parteien in Deutschland. Im Januar 1919 wurde unter der Führung R. Luxemburgs und K Liebknechts die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) gegründet, die ihrerseits auf den linken Flügel der Sozialdemokratie der Kaiserzeit und insbesondere auf den Spartakusbund und die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) zurückging. Im Verlauf der Weimarer Republik radikalisierten sich Ideologie und Politik der KPD, wurden ihre Parteistrukturen an das Vorbild der bolschewistischen KPdSU angeglichen und übernahmen Parteigänger Stalins die Parteiführung.

Wilhelm Bleek
Pluralismus

Pluralismus (P) als Begriff der politischen Theorie kennzeichnet die moderne Lebenswelt in den hochindustrialisierten Gesellschaften der 24 (westlichen) OECD-Länder. Im P. konkurrieren eine Vielzahl verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und Organisationen mit- und gegeneinander um gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Macht. Sie versuchen ihren Einfluß in den politischen Prozeß einzubringen und auf die staatliche Gewalt durchzusetzen. Verschiedene intermediäre Gruppen → z.B. → Parteien, → Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, karitative Organisationen, → Kirchen, wissenschaftliche Vereinigungen, → Bürgerinitiativen u.a.m. — verfolgen selbständig und autonom ihre Ziele innerhalb des politischen Systems, wobei sie theoretisch gleichberechtigt sind. Wie im politischen System „Staat“ die Staatsgewalt institutionell zwischen den Organen der Staatsgewalt aufgeteilt ist, so sollen die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen ihre Macht gegenseitig begrenzen, d.h., daß im P.-System einer Organisation immer eine machtvolle Gegenorganisation gegenüberstehen soll (z.B. Arbeitnehmer/Gewerkschaften).

Wichard Woyke
Politikberatung

In den politischen Systemen der Gegenwart hat sich der Umfang der wissenschaftlichen Beratung politischer Entscheider erheblich ausgeweitet. Die Träger der Politikberatung, Experten aus Forschungs- und Beratungsinstituten, verfolgen dabei das Ziel, ihre Adressaten, Fachbeamte und Politiker, über das Umfeld und die Auswirkungen politischer Entscheidungen zu informieren. Dabei nimmt die Politikberatung zwei Funktionen wahr: Information und Legitimation. Im ersten Fall dienen die Gutachten und sonstigen Hinweise der Experten dazu, Informationsdefizite von Verwaltung und Politik zu beseitigen; im zweiten Fall, beabsichtigte politische Entscheidungen durch empirische Analysen zu bestätigen oder bereits vollzogene Handlungen fachlich zu legitimieren.

Paul Kevenhörster
Politikwissenschaft

Die Politikwissenschaft ist keine „reife monoparadigmatische Wissenschaft“ (vgl. Kuhn 51981), auch nicht in Deutschland. In der → DDR offiziell lange Zeit verpönt, hat sie in der BRD nach Abschluß ihrer Institutionalisierungs- und Etablierungsphase Ende der 50er Jahre einen Prozeß der Auflösung ihres ursprünglich liberal-parlamentarisch bestimmten Grundkonsenses durchgemacht. Parallel dazu hat sie einen Prozeß allmählicher Negativetikettierung erfahren. Das gilt sowohl für die Selbst- als auch für die Fremdeinschätzung des Faches. Gleichwohl konnte die Politikwissenschaft in Westdeutschland lange Zeit kräftig expandieren. Mitte der 80er Jahre war sie mit 278 ausgewiesenen Professorenstellen an 39 Universitätsstandorten entweder mit einem Magister- oder mit einem Diplomstudiengang vertreten. Die Zahl der Hauptfächler belief sich auf über 14000, die der Nebenffächler auf knapp 7 500. Hinzu kamen 6132 Lehramtsstudierende.

Rüdiger Robert
Politische Beteiligung/ Politische Partizipation

1. Unter politischer Beteiligung werden in der Regel jene Verhaltensweisen von Bürgern verstanden, die sie alleine der mit anderen freiwillig mit dem Ziel unternehmen, Einfluß auf politische Entscheidungen zu nehmen (Barnes, Kaase u.a. 1979: 42). Diese Einflußnahmen können sich auf eine oder mehrere Ebenen des politischen Systems (Gemeinde, Land, Bund) richten. Der fortlaufende Prozeß der institutionellen internationalen Vernetzung, in Europa vornehmlich im Kontext der EG, fuhrt darüber hinaus auch zur Einbeziehung transnationaler Regime, konkret z.B. in Form von Wahlen zum Europäischen Parlament.

Max Kaase
Politische Bildung

Die Notwendigkeit politischer Bildung (pB) ist heute unbestritten. „Politische Bildung gehört zu den unerläßlichen Elementen einer demokratischen politischen Kultur“ (Sander 1991). Was im einzelnen jedoch unter pB verstanden wird, ist in Wissenschaft und Politik mehr oder minder kontrovers. Eine inhaltliche Begriffsbestimmung von pB zu suchen, die Aussicht hätte, von allen akzeptiert zu werden, macht daher wenig Sinn. Auf einer eher formalen Ebene lassen sich allerdings ein weiter und ein enger Begriff von pB unterscheiden. PB in einem weiten Sinne ist danach ein Sammelbegriff. der alle Prozesse umfaßt, die auf jeden Menschen als Mitglied einer sozialen und politischen Ordnung über unterschiedliche Gruppen, Organisationen, Institutionen und Medien politisch prägend einwirken. PB in einem engeren Sinne ist die Sammelbezeichnung für alle bewußt geplanten und organisierten, kontinuierlichen und zielgerichteten Maßnahmen von Bildungseinrichtungen, um Jugendliche und Erwachsene mit den zur Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen Leben notwendigen Voraussetzungen auszustatten.

Peter Massing
Politische Elite

Die Gestalt der politischen Klasse nach der deutschen Einigung ist das Ergebnis einer zweifachen Eliten Transformation: Eines rapiden Personalwechsels in den zentralen Führungsrängen während der Endphase der → DDR, wo — bereits vor der Einigung — die Spitzenfunktionäre der alten, → SED-dominierten Nomenklatur vollkommen ausgeschaltet worden waren sowie einer weitgehenden Integration neuer Kräfte, sowohl aus Teilen der DDR-Transitions-Elite als auch aus den alten Bundesländern, in das bereits bestehende Machtgefüge D.s. Zwar liegen zur Zeit noch keine umfassenden elitensoziologischen Analysen vor, insbesondere noch nicht über die Führungsgruppen der ostdeutschen → Bundesländer. Erkennbar sind jedoch zwei generelle Merkmale der neuen politischen Elite in D: personelle Regeneration einerseits, strukturelle Kontinuität andererseits. Das jedenfalls trifft auf den Kern der politischen Klasse zu, d.h. auf die gesamtstaatlichen parlamentarisch-gouvernementalen und parteipolitischen Führungsgruppen.

Dietrich Herzog
Politische Kultur

Der Begriff ist amerikanischer Herkunft und wird in der Forschung wertfrei benutzt. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich dagegen in Deutschland eine nur positive Verwendung des Begriffs durchgesetzt. Danach beinhaltet politische Kultur (im folgenden pK genannt) einen besonders stilvollen oder moralischen Umgang mit politischer Macht, den man einander zubilligen oder absprechen kann. Im folgenden wird einzig der wissenschaftliche Wortgebrauch verwandt. Er erlaubt die Bezeichnung pK auch im Zusammenhang mit politischen Regimen, die man verabscheut, in folgendem Sinne:PK bezieht sich auf die subjektive Dimension der Politik und bezeichnet allgemein das Verteilungsmuster aller Orientierungen einer Bevölkerung gegenüber dem politischen System als der Summe aller Institutionen. Zur politischen Orientierung zählen Meinungen, Einstellungen und Werte. Während sich Meinungen rasch ändern können, sind Einstellungen (z.B. Parteipräferenzen) schon stabiler, und Werte (z.B. sittliche Grundüberzeugungen) werden noch weniger gewechselt. (Im Zuge postmoderner Veränderungen spricht man allerdings zunehmend von ‚Wertmoden‘).

Martin, Sylvia Greiffenhagen
Politische Sozialisation

Politische Sozialisation (PS) ist in engem Zusammenhang mit → politischer Kultur und → politischer Bildung zu sehen. Nimmt man die klassische Definition politischer Kultur als die „jeweilige Verteilung von Orientierungsmustern gegenüber politischen Gegenständen“ in einer Gesellschaft, (Almond/Verba 1963), dann bezeichnet PS den Prozeß, in dem diese Orientierungsmuster dem Individuum vermittelt werden.

Ulrich Meyer
Politische Stiftungen

Als politische Stiftungen gelten in D fünf Organisationen, die den fünf großen deutschen, im → Bundestag vertretenen Parteien nahestehen: die → SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung, die → CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung, die CSU-nahe Harms-Seidel-Stiftung, die → F.D.P.-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung und der den → Grünen nahestehende Stiftungsverband Regenbogen.

Roland Kress
Rechnungshof

Rechnungshöfen obliegt die Kontrolle beim Verwaltungshandeln, insbesondere in finanzieller Hinsicht unter Gesichtspunkten der Rechtmäßigkeit, der Ordnungsmäßigkeit, der Sparsamkeit, der Zweckmäßigkeit und der Wirtschaftlichkeit. Das Aufgabenfeld umfaßt die Revision aller Staatsfinanzen und des Finanzgebarens unterhalb der Ebene des Gesetzgebers bzw. der legitimierten politischen Entscheidungsebene. Gegenstand der Finanzkontrolle sind nicht nur die einzelnen finanzwirksamen Verwaltungsakte, sondern auch deren Verknüpfung durch das Verwaltungshandeln.

Nils Diederich
Rechtsstaat

Die Idee des Rechtsstaates ist nicht neu, aber sie hat erst nach den Erfahrungen mit dem Unrechtsregime des Nationalsozialismus im Grundgesetz ihren zeitgemäßen Inhalt erhalten. Der Rechtsstaat des 19. Jh. wollte die bürgerlichen Freiheiten sichern. Daher wurden Eingriffe der Verwaltung von einer gesetzlichen Ermächtigung abhängig gemacht. Dem Betroffenen wurde die Möglichkeit gegeben, Rechtsschutz gegen die Verwaltung durch unabhängige Gerichte in Anspruch zu nehmen. Auch der Grundsatz der → Gewaltenteilung und das Recht auf Entschädigung bei Eingriffen in die private Vermögenssphäre gehörten zum Wesen dieses „formalen“, „bürgerlichen“ Rechtsstaates.

Ernst Benda
Regierungserklärung

Die Regierungserklärung als Absichtserklärung einer neu gebildete Regierung hat eine längere Tradition, die bis in die Zeiten des liberalen Konstitutionalismus des vergangenen Jahrhunderts zurückreicht. Versteht man sie noch allgemeiner als programmatische Eröffnung aus Anlaß des Eintritts in ein öffentliches Amt oder eine bedeutende politische Funktion oder gar als richtungsweisende Rede anläßlich eines einschneidenden Ereignisses, so mag es Herkunftslinien geben, die weit über den Parlamentarismus hinaus bis in die Frühzeiten des Politischen verweisen.

Bernd Guggenberger
Regionen

Abgrenzungen einer Region (R) beziehen sich immer auf die politisch-rechtliche Stellung im jeweiligen politischen System und/oder die Auswahl aus einer Vielzahl möglicher Abgrenzungskriterien. R sind also nicht allgemeingültig definierbar. Grundsätzlich können jedoch — zumindest analytisch — zwei Formen von R unterschieden werden: 1. R als vom Zentralstaat nach funktionalen Kriterien (z.B. Wirtschaftsstruktur, Planung, Raumordnung) abgegrenzte Gebietskörperschaft, die in unterschiedlicher politisch-institutioneller Form mit Eigenkompetenzen ausgestattet sein kann; 2. R als historisch gewachsener, veränderbarer Raum, der durch die territoriale Verdichtung kultureller, sprachlicher, landsmannschaftlicher oder naturräumlicher Eigenarten und v.a. durch ein raumbezogenes Zusammengehörigkeitsgefühl (Identität) der Bevölkerung gekennzeichnet ist.

Andreas Langmann
Republik

Der Begriff der Republik (R.) ist einem fundamentalen Bedeutungswandel unterworfen. N. Machiavelli hatte die aristotelische Dreiteilung (Alleinherrschaft, Herrschaft weniger, Herrschaft viele) auf eine Zweiteilung reduziert und die Staaten der Welt nach R.en und Monarchien unterschieden. In den R.en herrschten vielen, in den Monarchien gehe die Staatsgewalt von einem einzigen aus. Aufgrund der Parlamentarisierung vieler Monarchien hat sich heute der Bedeutungsgehalt gewandelt. Mit R. ist jede Nicht-Monarchie gemeint. Das Staatsoberhaupt wird also nicht durch Erbfolge bestimmt. Die Frage der Staatsform — R. oder Monarchie — ist demnach weitaus weniger wichtig als die Frage nach der Regierungsform — Demokratie oder Diktatur. Schließlich sagt die jeweilige Staatsform noch nichts über die tatsächlichen Herrschaftsträger und über die Legitimität des Staates aus. Die → DDR war ebenso eine R. wie die BRD. In diesem Sinne ist R. ein bloßer Formalbegriff, der eine klare Einteilung der Staaten nach diesem Kriterium ermöglicht.

Eckhard Jesse
Republikaner

Die Gründung der Republikaner als eine neue Partei „rechts der Mitte“ ging im November 1983 von → Bayern aus. Nach parteiinternen Auseinandersetzungen wurde F. Schönhuber 1985 Vorsitzender der Partei. Im Oktober 1986 erreichten die Republikaner bei der bayerischen Landtagswahl überraschende 3,1%. Bis zur Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im Januar 1989 (7,5%) erzielte die Partei in den übrigen drei Landtagswahlen, an denen sie sich beteiligte, nur sehr bescheidene Ergebnisse. Erstmals seit den kurzfristigen Erfolgen der NPD Ende der 60er Jahre gelangte mit den Republikanern in Berlin wieder eine Rechtspartei in ein Landesparlament. Dieser Erfolg fand seine Fortsetzung in der Europawahl vom 18.6.1989, in der die Republikaner bundesweit 7,1% der Stimmen erzielten. Ihre höchsten Stimmenanteile lagen im Süden der BRD (Bayern: 14,6% und Baden-Württemberg (8,7%). Bei den weiteren Landtagswahlen der Jahre 1990 und 1991 und insbesondere bei der Bundestagswahl vom 2.12.1990 mit 2,1% blieben die Republikaner weit hinter ihren eigenen Erwartungen und ihren proklamierten Zielen zurück. Die hohen Erfolge in der Landtagswahl vom April 1992 in Bad.-W. (10,9%) und auch der DVU in → Schleswig-Holstein (6,3%) deuten jedoch darauf hin, daß der Aufschwung rechtspopulistischer Protestparteien unter den besonderen Bedingungen des deutschen Vereinigungsprozesses zwar ins Stocken, nicht aber zum Stillstand gekommen war.

Norbert Lepszy
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

Der 1963 auf der Grundlage eines Bundesgesetzes geschaffene und schon deshalb herausgehobene Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) — in den Medien häufig als die „fünf Weisen“ apostrophiert — bildet das im Hinblick auf Stellung und öffentliche Resonanz prominenteste Beispiel wissenschaftlicher —Politikberatung in der BRD. Vor dem Hintergrund zunehmender Verteilungskämpfe erhofften sich die Protagonisten des Gesetzes, u.a. der damalige Bundeswirtschaftsminister Erhard, v.a. eine „Versachlichung“ der Einkommenspolitik, wenn die Tarifparteien dem öffentlichen Druck des Sachverstandes und der Autorität eines prominenten Wissenschaftlergremiums ausgesetzt würden, konnten dann aber auch die staatliche Wirtschaftspolitik der wissenschaftlichen Kritik nicht entziehen.

Uwe Andersen
Selbständigenverbände

Selbständigenverbände (S.) sind eine Sammelkategorie; insofern läßt sich kein einheitlicher „Typ“ von S. ausmachen. Abgrenzungsprobleme ergeben sich insbesondere gegenüber den Unternehmerverbänden. Ein mögliches Abgrenzungskriterium wäre die Mitgliedschaftseinheit; die Person hier — das Unternehmen/der Betrieb dort. Dann wäre z.B. die Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer (ASU) ein S., der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) ein Unternehmerverband; in der Praxis dagegen ist die Zuordnung gemeinhin umgekehrt. Theoretisch unstrittig dürfte die Zuordnung zu S. nur bei den im Bundesverband der Freien Berufe (BFB) zusammengeschlossenen Verbänden sein.

Heidrun Abromeit
Sonderorganisationen der Parteien

Die Sonderorganisationen der beiden großen Parteien, der → CDU und der → SPD, sind — dies gilt insbesondere für die CDU — Ausdruck ihres Selbstverständnisses als Volkspartei und des in ihr organisierten innerparteilichen Interessenpluralismus. Dabei ist ihre Aufgabe grundsätzlich in einer Doppelfunktion zu sehen: Zum einen artikulieren sie innerhalb der eigenen Partei die Interessen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen; zum zweiten haben sie die Aufgabe, innerhalb der jeweiligen gesellschaftlichen Gruppe für die Ziele und Prinzipien der eigenen Partei intensiver zu werben.

Norbert Lepszy
Soziale Marktwirtschaft/Wirtschaftspolitik

Die totale militärische und politische Niederlage des Dritten Reiches im Zweiten Weltkrieg bedeutete für Deutschland auch eine wirtschaftliche und soziale Katastrophe. Stichworte sind Flüchtlings-, Hungers-, Wohnungsnot. Die Siegermächte betrieben anfänglich eine Politik der Reparationen, der Demontagen und der Fertigungsverbote. Die Kriegsfinanzierung über die Notenpresse hatte einen gewaltigen Geldüberhang zur Folge (→ Währung).

Uwe Andersen
Sozialpolitik

Sozialpolitik im engeren Sinne — die in diesem Beitrag im Zentrum steht — ist die Bezeichnung für institutionelle, politisch-prozessuale und entscheidungsinhaltliche Dimensionen verbindlicher Regelungen der sozialen Sicherheit durch Staat, Verbände, Betriebe und Verwandtschafts- und familiäre Systeme, während zur Sozialpolitik im weiteren Sinne zusätzlich die Gestaltung der Arbeitsordnung zählt.

Manfred G. Schmidt
Sozialstaat

Der Sozialstaat der BRD tritt im Rahmen der dt. Vereinigung an die Stelle sozialistischer Staatlichkeit der → DDR, ein Prozeß, der bereits mit der im Staatsvertrag vereinbarten Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion weit vorangetrieben wurde. Der Einigungsvertrag übertrug die sozialstaatlichen Strukturen der BRD mit den Hauptpfeilern eines kollektiven Arbeitsrechts und der gegliederten Sozialversicherungen auf die DDR bzw. D unter Verzicht auf jede Reform oder Vereinfachung des Sozialrechts — nur unter Hinzufügung von Übergangsregelungen und Sonderregelungen wie insbesondere Alters­übergangsgeld und Sozialzuschlag sowie ei­ner Zweiteilung der Sozialleistungsniveaus entsprechend den jeweiligen Lohnniveaus in Ost und West. Die grundlegende Bedeutung der Sozialstaatlichkeit wird in der Präambel des Einigungsvertrages mit der Formel des „rechtsstaatlich geordneten, demokratischen und sozialen → Bundesstaates“ bekräftigt. Sie löst den „sozialistischen Staat der Arbeiter und Bauern“ (Art. 1 der DDR-Verfassung von 1974) ab. Sozialistisches Ei­gentum an den Produktionsmitteln bot danach die Gewähr für das → Grundrecht und -pflicht auf Arbeit bzw. das „Recht auf einen Arbeitsplatz und dessen freie Wahl entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen und der persönlichen Qualifikation“ (Art. 24,1). Beschäftigungsgarantie und an den Arbeitsplatz geknüpfte Sozialleistungen bildeten den Dreh- und Angelpunkt der sozialen Absicherung in der DDR. Die marktwirtschaftlich-sozialstaatliche Transformation bewirkte den Fortfall dieser rechtlichen wie faktischen Garantie. In D ist der Sozialstaat verfassungsrechtlich in den grundgesetzlichen Formulierungen „sozialer Bundesstaat“ (Art. 20,1) sowie „sozialer → Rechtsstaat“ (Art. 28,1) als allgemeine Staatszielbestimmung normiert, die das Gemeinwesen auf die Förderung sozialer Gerechtigkeit als Richtschnur der Erfüllung öffentlicher Aufgaben verpflichtet.

Frank Nullmeier
SPD — Sozialdemokratische Partei Deutschlands

Die SPD leitet ihren Ursprung von zwei Organisationen her: dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, 1863 in Leipzig von F. Lassalle gegründet, und der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die 1869 in Eisenach auf Initiative von A. Bebel und W. Liebknecht entstand. In beiden → Parteien gehörte die „deutsche Frage“ zu ihren zentralen Themen und war auch ein Grund ihrer Trennung: Die Lassalleaner waren „kleindeutsch“, die Eisenacher „großdeutsch“. Durch die Gründung des Deutschen Reiches verlor der Konflikt seine Relevanz. 1875 schlossen sich die beiden sozialdemokratischen Parteien zusammen.

Susanne Miller
Splitterparteien

Trotz der Konzentration des deutschen Parteiensystems gab es immer auch eine Vielzahl von „nicht-etablierten Kleinparteien“ (Rowold), die im Parteienwettbewerb antraten. Insgesamt sind seit 1945 etwa 150 politische Parteien und Gruppierungen in Erscheinung getreten. Obwohl diese → Parteien und Gruppierungen nicht immer die sehr strengen Definitionskriterien der Parteibegriffs des Parteiengesetzes erfüllen, sind sie doch gleichwohl Zeichen einer bemerkenswerten parteipolitischen Vielfalt im vorparlamentarischen Raum und im „Schatten der Macht“ (Powold 1990: 312).

Norbert Lepszy
Staatliches/öffentliches Vermögen

Öffentliches Vermögen ist nach der Definition des Haushaltsrechts das im öffentlichen Eigentum stehende Vermögen. Es ist der bewertete Bestand an Wirtschaftsgütern, über den Bund, Sozialversicherungen, Länder und → Gemeinden verfügen. Es besteht aus dem Verwaltungs- und dem Finanzvermögen. Das Verwaltungsvermögen setzt sich zusammen aus den unmittelbar der Erfüllung der Staatsaufgaben dienenden Anlagen wie Straßen, Verwaltungsgebäude, Schulen und Krankenhäuser. Das Finanzvermögen setzt sich zusammen aus Betriebsvermögen, Kapitalbeteiligungen und Forderungen gegen Gebietskörperschaften, Unternehmen, Private und das Ausland.

Thomas Lange
Staatsangehörigkeit/Staatsbürgerschaft

Das Institut der Staatsangehörigkeit als eines spezifische Rechte und Pflichten zwischen dem Staat und seinen Bürgern konstituierenden Rechtsverhältnisses ist historisch gekoppelt an die Herausbildung national- und verfassungsstaatlicher Strukturen in Europa im Übergang vom 18. zum 19. Jh. Die mittelalterlichen, polyarchisch zersplitterten Gemeinwesen kannten noch nicht das spezifische, in der Staatsangehörigkeit zum Ausdruck kommende Zuordnungsverhältnis von Person und Staat. Vielmehr existierten persönliche Treueverpflichtungen gegenüber den jeweiligen Lehnsherren. Dieses Zuordnungsprinzip verlor vor dem Hintergrund mehrerer wechselseitig aufeinander-bezogener Modernisierungs- und Transformationsprozesse in Europa an historischer Legitimität. Zum einen verlangte der aufkommende Nationalismus und seine Idee von der Sammlung der Völker in homogene Nationalstaaten nach einem Instrument zur Abgrenzung von der andersstaatlichen und andersnationalen Umwelt. Zum anderen bedingt die Erweiterung demokratischer Parti-zipationsrechte, die Einführung des allgemeinen → Wahlrechts sowie die Entwicklung wohlfahrtsstaatlicher Strukturen eine im Institut der Staatsangehörigkeit zum Ausdruck kommende Festlegung der Personalhoheit der Staaten.

Dietrich Thränhardt, Bernhard Santel
Staatsgebiet

Völkerrechtlich zeichnet sich ein Staat durch die drei folgenden Attribute aus: Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt. Das Staatsgebiet ist der räumliche Bereich, über den der Souverän Gebiets- oder Territorialhoheit besitzt und allein rechtmäßig Staatsgewalt ausüben kann. Alle im Staatsgebiet anwesenden Personen sowie alle befindlichen Sachen und Objekte sind der Staatsgewalt unterworfen. Somit umreißt das Staatsgebiet rechtlich jenen verfassungsrechtlich bestimmten Geltungsbereich, in dem auch ein Volk seine rechtliche und reale Existenz gefunden hat. Zum Staatsgebiet zählen das Landgebiet, eventuelle Enklaven, die inneren Gewässer, die Eigengewässer und das Küstenmeer. Das Staatsgebiet bezieht außerdem den Luftraum senkrecht über und den Raum unter der Erdoberfläche ein. Das Staatsgebiet wird von Staatsgrenzen umgeben, die völkerrechtlich zwischen den angrenzenden Staaten in Form eines Grenzvertrages oder durch multilaterale Verträge festgesetzt werden.

Wichard Woyke
Staatsgewalt

Der Staat als komplexes kulturelles Gebilde hat historisch verschiedene Strukturformen durchlaufen, im modernen Sinne aber definiert sich die Gestaltung des öffentlichen Raumes als herrschaftliche Ordnung. Unabhängig von seiner Definition als Rechtsordnung, Sozialgebilde, Integrationsform o.ä. — also der jeweiligen Staatszwecklehre — war im Kontext der europäischen Dynastien-/ Regionalkonkurrenz seit dem 16. Jh. der evolutive Vorteil geschlossener Machtals Wirtschaftsräume evident.

Sven Papcke
Staatssymbole

Symbole sind sichtbare, klangliche, rituelle oder gedankliche Zeichen, die auf einen sonst nicht wahrnehmbaren Sinngehalt verweisen. Zu den Staatssymbolen werden im Rahmen der politischen Symbolik u.a. Wappen und Siegel, Farben und Flaggen, Hymnen, Hauptstädte und Feiertage gezählt. Als Sinnbilder dienen sie in erster Linie zur Identifikation und Repräsentation eines Staates. Darüber hinaus kommt ihnen die Aufgabe zu, die grundlegenden Traditionen und Werte eines Staatswesens zu veranschaulichen und zu vermitteln. In enger Verbindung hiermit steht die Integrationsfunktion von Staatssymbolen, die zur Herausbildung kollektiver Identität beitragen können, wobei ihre Wirksamkeit von der Kenntnis und Anerkennung des politischen Symbolgehalts abhängt. Aufgrund ihrer Eigenschaft als „geronnene Werte“ und ihrer legitimatorischen Bedeutung spiegeln Staatssymbole die → politische Kultur einer → Gesellschaft wider.

Rainer Bovermann
Staatsverschuldung

Staatsverschuldung (SV) umfaßt die staatliche Kreditaufnahme in der Regel am Kapitalmarkt, die die Finanzierung von Haushaltsdefiziten ermöglicht. Nach den Steuern stellt SV meist die zweitwichtigste Einnahmequelle des Staates dar. Der Begriff wird sowohl für die gesamte, über die Zeit kumulierte SV als auch für die neue, jährliche Kreditaufnahme verwendet. Im letztgenannten Fall ist regelmäßig die Nettokreditaufnahme (Bruttobetrag . / . Tilgung) gemeint, obwohl für bestimmte Analysezwecke (z.B. Schuldenmanagement) auch die Brutto-SV interessiert. Zu beachten ist bei der SV — teilweise auch als öffentliche Verschuldung bezeichnet — die Ausdifferenzierung des Staatsbegriffes und damit die Frage, welche Institutionen einbezogen werden. Dies gilt um so mehr, als die teilweise Verlagerung von Kreditaufnahmen auf „staatsnahe“ Son-dertöpfe erlaubt, die SV optisch zu verschleiern und statistisch zu „schönen“, was u.a. internationale und intertemporale Vergleiche erschwert. Die enge Verbindung zwischen Fiskal- und Geldpolitik zeigt sich u.a. darin, daß die Finanzierung staatlicher Defizite auch direkt über die Notenpresse der Zentralbank — formal über Notenbank-kredite an staatliche Kreditnehmer — erfolgen kann. Wegen der damit verbundenen Mißbrauchsmöglichkeiten sind der → Deutschen Bundesbank nur eng begrenzte Kassenkredite gegenüber Bund und Ländern erlaubt.

Uwe Andersen
Stabilitätsgesetz/Konzertierte Aktion

Mit dem als „prozeßpolitischem Grundgesetz“ eingestuften „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“ (StWG) von 1967 verband sich die Hoffnung auf eine „Globalsteuerung“ der Wirtschaft im Sinne einer systematischen Beeinflussung der gesamtwirtschaftlichen Zielgrößen und damit eine Gewichtsverlagerung von der Ordnungs- zu einer an Keynes orientierten Prozeßpolitik. Der Schwerpunkt des StWG liegt bei der gesamtwirtschaftlichen Ausrichtung und Koordinierung der Einnahmen- und Ausgabenpolitik der verschiedenen Gebietskörperschaften. Abgesichert durch eine Änderung des Artikels 109 GG wird in § 1 das Zielvorgegeben: „Bund und Binder haben bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Die Maßnahmen sind so zu treffen, daß sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen“ Zur Erreichung dieses „magischen Zielvielecks“ wird eine Reihe zusätzlicher Instrumente bereitgestellt, die bei unterschiedlichen Ansatzpunkten vor allem auf eine Beeinflussung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zielen: Information und Planung: Verpflichtung der → Bundesregierung zu Jahreswirtschaftsberichten (jeweils im Januar mit Jahresprojektion in Form der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und Stellungnahme zum Jahresgutachten des → Sachverständigenrates) und fünfjähriger, jährlich fortzuschreibender Finanzplanung sowie Aufstellung mehrjähriger Investitionsprogramme und alle zwei Jahre Vorlage eines Subventionsberichtes;Antizyklische Finanzpolitik: zur Dämpfung kann die Bundesregierung bis zu 3% der im Vorjahr erzielten Steuerein-nahmen von Bund und Ländern als Konjunkturausgleichsrücklage bei der Bundesbank stillegen und die Kreditaufnahme öffentlicher Stellen begrenzen (mit Zustimmung des → Bundesrats und nach Beratung im neugeschaffenen „Konjunkturrat für die öffentliche Hand“), zur Belebung z.B. die aufgestellten Investitionsprogramme unter Rückgriff auf Konjunkturausgleichsrücklage und zusätzliche Kreditaufnahme vorzeitig realisieren;Beeinflussung privater Investitions- und Konsumnachfrage: Investitonsbonus (Abzug von bis zu 7,5% der Investitionskosten von Einkommen- und Körperschaftsteuer) und umgekehrt Kürzung oder Aussetzung von Sonderabschreibungen und degressiver Abschreibung; Möglichkeit der Variation der Einkommen-und Körperschaftsteuer um bis zu 10%, wobei Mehreinnahmen in der Konjunkturausgleichsrücklage bei der Bundesbank stillzulegen sind;Einbindung der Verbände: bei Gefährdung der in § 1 genannten Ziele muß die Bundesregierung „Orientierungsdaten für ein gleichzeitiges aufeinander abgestimmtes Verhalten (konzertierte Aktion) der Gebietskörperschaften, Gewerkschaften und Unternehmerverbände“ zur Verfügung stellen. Der Bundeswirtschaftsminister „hat die Orientierungsdaten auf Verlangen eines der Beteiligten zu erläutern“ (§3).

Uwe Andersen
Statistisches Bundesamt/Statistische Landesämter

Die amtliche Statistik als die von staatlichen Stellen oder auf Veranlassung des Staates betriebene Statistik hat nach dem Gesetz über die Bundesstatistik (vgl. Statistisches Bundesamt 1988) die Aufgabe, laufend Daten über Massenerscheinungen zu erheben, zu sammeln, aufzubereiten und zu analysieren. Sie ist dabei dem Grundsatz der Neutralität, Objektivität und wissenschaftlichen Unabhängigkeit verpflichtet.

Hermann Schmitz
Streik und Aussperrung

Streik (S.) und Aussperrung (A.) sind Mittel des Arbeitskampfes im System der Tarifautonomie. Nach Art. 9/3 GG stehen sie unter einem besonderen Rechtsschutz. Ein eigenes Arbeitskampfgesetz gibt es jedoch nicht. Die Grundsätze des Arbeitskampfrechts haben sich im Rahmen der richterlichen Rechtsprechung herausgebildet (Richterrecht).

Gerhard Himmelmann
Strukturpolitik

Sektorale Strukturpolitik (St.) hat das Ziel, das Wachstum einzelner Sektoren der Volkswirtschaft, oder, innerhalb eines Sektors, das einzelner Branchen zu fördern oder Schrumpfungsprozesse zu verlangsamen. Die Förderung einzelner Branchen der Industrie wird auch als „Industriepolitik“ bezeichnet.

Dieter Grosser
Subsidiarität

Subsidiarität (S.) ist ein Begriff der Sozialphilosophie zur Kennzeichnung einer bestimmten Ordnung im Verhältnis von Staat und Gesellschaft. Er stammt vom lateinischen „subsidium ferre“ (= Hilfestellung leisten) und besagt, daß der Staat im Verhältnis zur Gesellschaft nicht mehr, aber auch nicht weniger tun soll, als Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten.

Manfred Spieker
Subventionen

Die an der Strukturberichterstattung beteiligten fünf Wirtschaftsforschungsinstitute verwenden einen umfassenden Subventionsbegriff, der alle den Unternehmen mit Erwerbscharakter zufließenden Transfereinkommen erfaßt (Finanzhilfen, Steuervergünstigungen, zweckgebundene Zahlungen), die zwar an private Haushalte geleistet werden, aber wie Wohngeld oder Bergmannsprämien indirekt die Unternehmen entlasten. 1987 betrugen danach die Subventionen (S.) 122 Mrd.DM = 6,1 % des BSP. In den Subventionsberichten der → Bundesregierung wird ein engerer Begriff der S. verwendet. Dabei werden Finanzhilfen und Steuervergünstigungen an die Bundesbahn, Post, zur Förderung des Gesundheitswesens oder der Grundlagenforschung nicht als S. gerechnet. Ebenso werden indirekte Transfers ausgeklammert. Nach dieser Abgrenzung betrugen die S. 1987 71 Mrd.DM. Noch enger ist der Subventionsbegriff in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Er beschränkt sich auf die Finanzhilfen für laufende Produktionszwecke (45 Mrd. 1987) (Klodt 1989:185, Rosenschon 1991: 78). Im folgenden wird der Subventionsbegriff der Wirtschaftsforschungsinstitute benutzt.

Dieter Grosser
Tarifautonomie

Die Tarifautonomie (TA) umfaßt das Recht der eigenständigen Regelung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen durch Tarifverträge. Es ist ein spezielles Recht der Verbände des Arbeitsmarktes (Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände) und beruht auf Art. 9, 3 GG. Eine umfassende Gesetzgebung fehlt. Inhalt und Wirkung der TA haben sich aus der richterlichen Rechtsprechung heraus entwickelt (Richterrecht). Lediglich die formalen Zuständigkeiten der Arbeitsmarktverbände sind im Tarifvertragsgesetz festgelegt. Danach können nur solche Vereinigungen „tariffähig“ sein, die den Abschluß von Tarifverträgen als Verbandsziel in ihrer Satzung verankert haben, die auf freiwilligem Beitritt beruhen, die vom Gegner unabhängig und zugleich zum Arbeitskampf bereit und fähig sind.

Gerhard Himmelmann
Terrorismus

Der Terrorismus (T.) ist eine Form des politischen Extremismus. Durch die systematische Anwendung von Gewalt insbesondere auf ausgewählte Repräsentanten des „Systems“ soll die „herrschende Schicht“ verunsichert und die „unterdrückte Klasse“ mobilisiert werden — z.B. dadurch, daß der Staat mit seinen Abwehrmechanismen über-reagiert. In einem demokratischen Verfassungsstaat wie der BRD jedoch solidarisierte sich die Bevölkerung aufgrund der Gewaltakte mit der politischen Führung, nicht mit ihren militanten Gegnern. Der T. ist faktisch ein Ausdruck der politischen Isolation revolutionärer Minderheiten. Obwohl Rechts-und Linksterrorismus unterschiedliche Ziele anstreben, nimmt der Terrorakt eine so dominierende Rolle ein, daß die politischen Vorgaben irrelevant sind. Im Gegensatz zu manchen diktatorisch regierten Staaten speist sich der T. in der BRD nicht aus sozialen Defiziten. Bezeichnenderweise kommt der überwiegende Teil der Terroristen aus einem gehobenen sozialen Milieu. Die Wissenschaft ist sich darin einig, daß monokausale Erklärungsversuche bei einem hochkomplexen Phänomen wie dem T. nicht verfangen. Eine besondere Bedeutung dürfte der biographischen Methode als einer Art Integrationskonzept zuzumessen sein.

Eckhard Jesse
Treuhandanstalt

Am 1. März 1990 beschloß der Ministerrat der → DDR die Gründung der „Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums“. (THA) Nach dem Willen der Regierung Modrow sollte die THA das Volkseigentum wahren und im Interesse der Allgemeinheit verwalten. Wirtschaftsleitende Funktionen sollte die THA nicht ausüben. Privatisierungen waren offenbar nicht beabsichtigt. Seit der Änderung der DDR Verfassung vom 12.1.1990 wären sie zwar in Fin7elfällen möglich gewesen, aber nur auf der Grundlage eines Gesetzes, das es bis zum Juni 1990gar nicht gab. Die Gründung der THA durch die Regierung Modrow war daher kein entschlossener Schritt zum Aufbau einer funktionsfähigen Marktwirtschaft. Sie stellte den Versuch dar, einen möglichst großen Teil des Produktionsapparats der DDR in irgendeiner Form des Gemeineigentums zu erhalten. In Direktorium, Verwaltungsrat und auch in den Außenstellen der THA dominierten Mitglieder der Führungsgruppen, die die DDR bis Ende 1989 beherrscht hatten.

Dieter Grosser
Umweltpolitik

Wie in anderen Industrieländern hat Umweltpolitik in Deutschland eine bis in das vergangene Jahrhundert zurückreichende Tradition. Dies gilt für die Genehmigungspflicht für bestimmte Anlagen nach der allgemeinen preußischen Gewerbeordnung (1845), für frühe Regelungen zum Gewässerschutz oder für den privatrechtlichen Nachbarschaftsschutz. Als neues Politikfeld, das die Problembereiche vor allem des Gewässerschutzes, der Luftreinhaltung, des Lärmschutzes, der Abfallregulierung und des Naturschutzes integriert, entsteht Umweltpolitik in beiden deutschen Staaten jedoch erst Ende der 60er bzw. Anfang der 70er Jahre.

Martin Jänicke, Jürgen Pöschk
Umweltschutzverbände

Mit der wachsenen Bedeutung umweltpolitischer Fragestellungen in den 70er Jahren entstehen an Einzelprojekten orientierte → Bürgerinitiativen. Zur gleichen Zeit bilden sich umweltpolitisch orientierte Verbände, die relativ schnell wachsen und an Bedeutung gewinnen. Einige der vorwiegend am klassischen Naturschutz orientierten Verbände gehen auf teilweise berufsverbandsähnliche Organisationen von z.B. Jägern zurück. Mit einer stärker am Natur- und Umweltschutz orientierten Verbandspolitik haben diese „Naturnutzer“ die Umweltschutzverbände verlassen.

Wolfgang Kiehle
Ungleichheit

Der Begriff (soziale) Ungleichheit bringt zum Ausdruck, daß in einer → Gesellschaft soziale Positionen und sozialer Status (Ränge) wie Ressourcen (z.B. Eigentum und Einkommen, aber auch Macht und Prestige) ungleich verteilt sind, diese Verteilung negativ bewertet wird und daher ein gesellschaftliches Problem darstellt.

Bernhard Schäfers
Unternehmerverbände

Unternehmerverbände U. sind Organisationen zur politischen Vertretung der Interessen der Unternehmenswirtschaft, d.h. ihr primärer Organisationszweck ist die Artikulation und Durchsetzung unternehmerischer Forderungen gegenüber den politischen Entscheidungsträgern. Für Unternehmer ist solche Assoziationsbildung nur eine unter mehreren Optionen der Interessendurchsetzung. In erster Linie erfolgt diese über den Markt, in zweiter Linie über Organisationen wie Kartelle und Trusts, die die bessere ökonomische Interessenrealisierung bezwecken; drittens steht vor allem Großunternehmern die Option informeller bzw. persönlicher Einflußnahme auf politische Entscheidungsprozesse offen. Im Unterschied zu anderen Gruppen ist politische Assoziation für Unternehmer folglich kein entscheidendes Mittel wirtschaftlicher Existenzsicherung. Hinzu kommt für diese Gruppe eine spezifische Ausprägung des allgemein für → Interessengruppen geltenden Organisationsproblems: Das gleiche gemeinsame Interesse am Wohlergehen der eigenen Branche impliziert den Kampf der Einzelunternehmer gegeneinander um Marktanteile innerhalb der Branche.

Heidrun Abromeit
Verkehrspolitik

Für die dt. Verkehrspolitik der 90er Jahre hat die Bundesregierung folgende Ziele aufgestellt (Bundesminister für Verkehr 1990a: 2): „Verkehr soll Wirtschaftswachstum und Mobilität ermöglichen.Es gilt, den EG-Binnenmarkt im Verkehr wirtschafts- und umweltverträglich zu vollenden.Leistungsfähige Ost-West-Verkehrsadern sind zur dauerhaften Überwindung der Teilung Europas zu schaffen.Die vom Verkehr verursachten Belastungen für Mensch und Umwelt müssen auch bei steigender Mobilität abgebaut werden.Der Lebensraum des Bürgers in seiner Stadt und seiner Gemeinde soll bei der verkehrlichen Erschließung lebenswert gestaltet werden.“

Friedrich von Stackelberg
Vermittlungsausschuß

In seinem Abschnitt zur Gesetzgebung des Bundes spricht das → Grundgesetz von einem „aus Mitgliedern des → Bundestages und des → Bundesrates für die gemeinsame Beratung von Vorlagen gebildete(n) Ausschuß“ (Art. 77 Abs. 2 Satz 1), der in seiner Geschäftsordnung als „VermittlungsausschuB“ bezeichnet wird. Diese Institution ist 1949 ohne Vorgänger auf nationaler Ebene in freier Anlehnung an die Verfassungspraxis der USA in das Grundgesetz übernommen worden.

Jürgen Plöhn
Vertrauensfrage

Klassischen Gleichgewichtstheorien des Parlamentarimsus gelten Vertrauensfragen, Mißtrauensvotum und Parlamentsauflösung als komplementäre Instrumente, die gemeinsame Machtbalance und Stabilität im Regierungssystem bewirken: ein Instrumentarium zur Bewältigung von Krisen zwischen Parlament und Regierung, das Mehrheitsbildung sichern soll. Formal gesehen verfügt auch der → Bundeskanzler mit der Vertrauensfrage nach Art. 68 GG über ein Mittel zur Stabilisierung seiner Position oder zur Initiierung von Neuwahlen. Eine Vertrauensfrage kann mit bestimmten Entscheidungen, speziell mit einer Gesetzesvorlage verbunden werden. Findet sie nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des → Bundestages, kann der →, Bundeskanzler dem Bundespräsidenten die Auflösung des Bundestages vorschlagen. Die Auflösungsbefugnis erlischt, wenn der Bundestag im Gegenzug einen anderen Kanzler wählt.

Heinrich Oberreuter
Volkssouveränität

Seit den bürgerlichen Revolutionen in Nordamerika und Frankreich Ende des 18. Jhs. findet das Sprachsymbol „Volkssouveränität“ (V.) als normativer Grundbegriff in der Theorie des modernen demokratischen Verfassungsstaates Verwendung. Auf charakteristische Weise verbindet V. den von Bodin in die neuzeitliche Staatstheorie eingefihrten, vom Lateinischen „superioritas“ abgeleiteten „Souveränitäts“-Begriff mit dem eher politisch unbestimmten „Volks” -Be-griff. V. wird dann im 19. und 20. Jh. zur allgemein anerkannten Bezeichnung für die verfassungsgebende, „konstituierende“ Gewalt (pouvoir constituant) und zur Kurzformel für die demokratische Legitimation des Verfassungsstaates — in deutlicher Kontra-position einmal gegenüber allen noch nachwirkenden Formen monarchischer Legitimation („Monarchisches Prinzip“), zum anderen gegenüber den verschiedenen, durch die Systematik der Gewaltenteilung „konstituierten Gewalten“ (pouvoirs constitués) Legislative, Exekutive und Judikative,die erst durch den Bezug auf die V. als solche konstituiert werden und Legitimation gewinnen. „Konstituierte Gewalten“ in diesem Verständnis sind übrigens auch direktdemokratische oder plebiszitäre Elemente in demokratischen Verfassungssystemen; Einrichtungen wie Volksentscheide, Referenda, Volksabstimmungen etc. können entsprechend nur im Rahmen der vorgegebenen normativen Verfassungsordnung ausgeübt werden; insofern sind sie zwar Ausdruck des Prinzips der V. und durch sie legitimiert; nicht aber die V. selbst. Als konstituierende Gewalt „erschöpft“ sich die V. im Akt der Verfassungsgebung; sie bleibt in der Verfassungsordnung „aufgehoben“, bis es — aus welchen internen oder externen Gründen auch immer — zu einer Erneuerung des verfassungsgebenden Aktes kommen wird. In den sprachlichen Formeln „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, „Alle Macht kommt vom Volke“ etc. hat dieses V.Prinzip inzwischen Eingang in alle geltenden, auch in die neuesten osteuropäischen Verfassungen gefunden und gehört damit zu den tragenden Legitimationsgrundlagen des demokratischen Verfassungsstaates der Gegenwart.

Theo Stammen
Wählerinitiativen

Der Begriff der Wählerinitiativen (WI) umfaßt alle Arten von Gruppen von nicht parteipolitisch-Engagierten, die versuchen, Einfluß auf die politische Willensbildung zu nehmen, u.a. auch Aktionen wie ,Rock gegen Rechts‘, ,Künstler für den Frieden‘, etc.. Im engeren Sinne verweist der Begriff vor allem aber auf Personenkreise, „die sich außerhalb der politischen → Parteien um Mandate in kommunalen Vertretungskörperschaften bewerben“ (Becker/Rather 1976: 280). Im Sprachgebrauch hat sich, alternativ zum Begriff der WI, auch der der kommunalen Wählergemeinschaften eingebürgert. WI weisen Gemeinsamkeiten mit, aber auch Unterschiede zu anderen Formen kommunaler Interessenorganisation (z.B. Parteien, → Bürgerinitiativen) auf. Mit und in Konkurrenz zu Parteien haben WI einerseits gemein, daß sie Interessen bündeln, sich mit Kandidatenvorschlägen an → Wahlen beteiligen, die Übernahme politischer Verantwortung anstreben; im Unterschied zu Parteien ihre Aktivitäten vorrangig aber auf die kommunale Ebene abzielen. Von Bürgerinitiativen scheidet sie andererseits, daß sie innerhalb der bestehenden kommunalen Institutionen operieren, ihre politischen Anliegen etwa nicht zeitlich und sachlich begrenzt sind. Ihrem Selbstverständnis zufolge sehen sich WI von daher als bewußte personelle und progranunatische Alternative zu den Parteien und optieren nicht für parteipolitische, sondern für sachlich-verwaltungsbezogene Entscheidungen in der Kommunalpolitik (Haller 1979: 336).

Rainer Olaf Schutze, Frank W. Semrau
Wählerverhalten

In D geben Bürger und Bürgerinnen auf verschiedenen politischen Ebenen in turnusmäßigen Abständen ihre Wahlstimmen ab. Diese Abstimmungen über Parteien, Sachprogramme und Personen finden im repräsentativ-demokratischen System, abgesehen von wenigen Ausnahmen auf Länderebene, wo Referenda möglich sind, durch Parlamentswahlen zum Europaparlament, zum Bundestag, zu den Landtagen sowie kommunalen Vertretungskörperschaften statt. Politisch am bedeutsamsten (im übrigen auch durch die Einschätzung des Wählers) sind dabei unverändert die Wahlen zum nationalen Parlament, in D also die Wahlen zum Bundestag.

Rainer-O. Schultze, Frank W. Semrau
Währung/Währungsreformen

Spätestens seit Bodin gilt die Währungshoheit als ein wesentliches Souveränitätsmerkmal von Staaten. Der korrespondierende Grundsatz „ein Staat — eine Währung“ läßt sich auch in der Entwicklung in Deutschland verfolgen. Erst mit der Bildung des Deutschen Reiches 1871 kam es auch zur Einführung einer einheitlichen deutschen Währung, deren Bindung an Goldreserven 1914 aufgehoben wurde. Die deutschen Erfahrungen belegen auch nachdrücklich die mit der Währungshoheit verbundenen staatlichen MiBbrauchsmöglichkeiten. Die Finanzierung des Ersten Weltkrieges und der aus der Niederlage resultierenden unmittelbaren Nachkriegsbelastungen führten zu einer der schlimmsten Inflationen, die die Welt gesehen hat. Die notwendig gewordene erste Währungsreform 1923 (Einführung der Rentenmark auf der Basis i Rentenmark = 1 Billion alte Reichsmark) entwertete vor allem das Geldvermögen der Mittelschichten und entfremdete diese der Weimarer Republik.

Uwe Andersen
Wahlen/Wahlfunktionen

Ihrer technischen Funktion nach ist die Wahl ein Mittel zur Bildung von Körperschaften oder zur Bestellung einer Person in ein Amt. Diese funktionale Bestimmung unterscheidet die Wahl allerdings nicht von anderen Bestellungstechniken, die — anders als die gewaltsamen Methoden der Machterlangung wie Kampf, Putsch oder Krieg — ebenfalls auf Vereinbarung beruhen können: Bestellung nach Geburtsrecht, aufgrund Amtsstellung (ex officio), durch Losentscheid, durch Ernennung und durch Akklamation. Von diesen Bestellungstechniken ist die Wahl durch nur ihr eigene Verfahren unterschieden. Bei der Wahl werden von einer wohl abgegrenzten Wählerschaft (im Sinne der Wahl-Berechtigten) individuell Stimmen abgegeben; die Stimmen werden ausgezählt und mittels eines vorher festgelegten Entscheidungsmaßstabes und gegebenenfalls unter Zuhilfenahme eines bestimmten Verrechnungsverfahrens (→ Wahlsysteme) in Mandate übertragen. Freilich sind die Übergänge zwischen Wahl, Ernennung und Akklamation teilweise fließend, namentlich wenn auf die soziale Bedeutung dieser Phänomene abgehoben wird.

Dieter Nohlen
Wahlforschung

Wahlforschung (WF) beschäftigt sich unter verschiedensten Aspekten mit dem Phänomen der Wahl, der allgemeinsten und einfachsten Form politischer Partizipation und einer der Grundvoraussetzungen moderner Demokratie. Schwerpunkte der WF sind heute: (1) Analysen des Wahlrechts, des Wahlprozesses, des Wahlsystems aus der Sicht der Rechts- und → Politikwissenschaft. Dabei geht es um die Ausgestaltung der Wahlrechtsgrundsätze, um Probleme des Parteienwettbewerbs, des → Wahlkampfes, der Finanzierung und Kosten des Wahlprozesses, um das → Wahlsystem und seine Auswirkungen auf die politische Machtverteilung (vgl. Nohlen 1990; Schreiber 1990). (2) Untersuchungen der Bestimmungsgründe individueller Partizipation bei Wahlen durch Politische/Wahl-Soziologie und Politische Psychologie. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses dieses Zweiges der WF steht die Frage: Wer wählte wen/was warum? Es geht um die Analyse von Einstellungen, Verhaltensmustern und Motiven des einzelnen Wählers und darum, welchen Voraussetzungen, Bedingungen, Einflüssen seine Wahlbeteiligung und Stimmabgabe unterliegen, welche Konsequenzen sie auslösen (vgl. Bürklin 1988; Schultze 1991). (3) Analysen von Wahlen aus der Sicht von Kommunikationswissenschaft und Sozialisationsforschung. Dabei geht es nicht allein um die Rolle der Medien im Wahlprozeß, sondern um die Bedeutung von Wahlen als Akt der Kommunikation und Politikvermittlung, um den Stellenwert von Wahlen im Prozeß lebenslangen Lernens, um Wahlen als Ritual und um Symbolische Politik (vgl. Sarcinelli 1987 a, 1987b). WF in einem solchen umfassenden Verständnis ist multidisziplinär und wird unter Verwendung der je spezifischen Methoden und Theorien von der Mehrzahl, wenn nicht dem gesamten Spektrum der Sozialwissenschaften betrieben. Erkenntnisinteressen und Forschungsziele variieren dementsprechend stark.

Rainer-Olaf Schultze
Wahlkampf

Als Wahlkampf bezeichnet man die im Kontext von → Wahlen auf der Bundes-, Landes-, kommunalen oder europäischen Ebene zu ergreifenden programmatischen, parteiorganisatorischen und publizistisch-kommunikativen Maßnahmen von (in der Regel) → Parteien, mit denen das Wahlvolk informiert und in seiner Stimmabgabe beeinflußt werden sollen.

Ulrich Sarcinelli
Wahlrecht/Wahlsystem/Wahlprüfung

Das Wahlrecht im umfassenden Sinne des Begriffs enthält alle rechtlich fixierten Regelungen, die die Wahl von Körperschaften oder von Amtsträgern betreffen. Das Wahlrecht im engeren Sinne definiert das Recht, an der Wahl von Körperschaften oder Amtsträgern teilzunehmen, und zwar aktiv als Wahlberechtigter und passiv als wählbare Person. Das engere Wahlrecht, worauf im folgenden abgehoben wird, bezeichnet, ob das Wahlrecht beschränkt oder allgemein, ungleich oder gleich, indirekt oder direkt, offen (öffentlich) oder geheim sein soll.

Dieter Nohlen
Wertewandel

Wenngleich die Frage nach der Wertorientierung menschlichen Handelns schon für Klassiker sozialwissenschaftlicher Theoriebildung wie M. Weber, E. Durkheim oder T. Parsons zentralen Stellenwert hatte, wird ihr v.a. seit Beginn der 70er Jahre mit der Hinwendung zu handlungstheoretischen Erklärungsansätzen und subjektiv ausgerichteten Forschungsmodellen in der Diskussion eine breite Aufmerksamkeit gewidmet. Ihren Ausgang nahm die Diskussion bei den Arbeiten von R. Inglehart, der davon ausgeht, daß Menschen Hierarchien von Bedürfnissen und entsprechender Werte entwickeln, in denen zunächst Bedürfnisse physiologischer und physischer Sicherheit (materialistische Werte) zu befriedigen sind und erst danach soziale, kulturelle oder intellektuelle (postmaterialistische Werte). Weiterhin behauptet er, daß fir das Individuum diejenigen Bedürfnisse von besonderer Bedeutung sind, die (noch) nicht erfüllt sind bzw. zu deren Erfillung nur knappe Mittel zur Verfügung stehen (Mangelhypothese). Er verbindet diese Mangelhypothese mit einer Sozialisationshypothese, die wiederum besagt, daß die Werteeinstellungen stabil im Wertsystem einer Person verankert sind, die unter den in der Jugendphase (formative Phase) bestehenden Lebensverhältnissen erlangt wurden. In Verbindung von Mangel- und Sozialisationsthese behauptet er dann, daß diejenigen Kohorten, die ihre formative Phase in einer Zeit materiellen Mangels erlebten, eine lebenslange Hinwendung zu materialistischen Werten zeigen, diejenigen, die sie in materieller Sicherheit erlebten, sich dagegen postmateriellen Werten zuwenden. Diese zentrale Aussage wurde von R. Ingle-hart im Verlauf der 70er und 80er Jahre anhand einer Reihe von Befragungen in ganz Europa überprüft, in denen die Probanden Ranglisten von Items bildeten, die jeweils für materialistische oder postmaterialistische Werte standen. In diesen Untersuchungen schien der Nachweis dafür erbracht worden zu sein, daß es 1. im Verlauf dieser Jahre zu einem Bedeutungsanstieg der postmaterialistischen und einem Bedeutungsverlust der materialistischen Werte gekommen ist und daß sich Zusammenhänge zwischen niedrigem Lebensalter, hoher Bildung und Tätigkeiten im Dienstleistungssektor einerseits und der Bevorzugung postmaterialistischer Werte andererseits nachweisen lassen.

Irene Gerlach
Wettbewerb/Kartellamt

Wettbewerb meint als Bewegungsvorgang ein allgemeines Ordnungsprinzip zur Koordination und Steuerung des Verhältnisses zwischen Individuen und Gruppen, die das gleiche Ziel anstreben. Diese Konstellation taucht in allen Bereichen menschlichen Zusammenlebens auf, also nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik, im Sport, in der Kultur usw. (vgl. Abromeit 1973: 466).

Rüdiger Robert
Wiedervereinigung

In den Jahren der staatlichen Teilung Deutschlands war es üblich, im Hinblick auf das Ziel der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands von der „Wiedervereinigung“ zu sprechen. Allerdings regte sich seit Mitte der 60er Jahre Kritik an diesem Begriff, weil er die Rückkehr zum Deutschen Reich Bismarckscher Provenienz assoziierte. Linke Intellektuelle und Politiker sprachen daher eher vom Ziel einer „Neuvereinigung“. Nachdem sich 1989/90 die Möglichkeit zur Lösung der „deutschen Frage“ eröffnet hat, spricht man heute eher von der „deutschen Vereinigung“. Der Vertrag zwischen BRD und → DDR vom 31.8.1990 regelt die „Herstellung der Einheit Deutschlands“ und wird selbst in Kurzform als „Einigungsvertrag“ bezeichnet. Er beinhaltet aus verfassungsrechtlicher Sicht vor allem den „Beitritt“ der f.inf Länder der ehemaligen DDR zur BRD. Kritiker des deutschen Vereinigungsprozesses verurteilen diesen als „Anschluß“. Die sozialwissenschaftliche Begleitforschung versteht den deutschen VereinigungsprozeB vor allem als ein „Experiment“. Damit wird weniger auf seinen offenen Ausgang abgestellt als vielmehr auf das Feldexperiment einer Angleichung von sozialen und wirtschaftlichen Lebensbedingungen zweier Bevölkerungen, die die letzten 40 Jahren ganz unterschiedlichen politischen und ideologischen Systemen ausgesetzt waren.

Wilhelm Bleek
Wissenschaft, Forschung und Technologie

„Wissenschaft und Forschung bilden auch im vereinten Deutschland wichtige Grundlagen für Staat und Gesellschaft. Der notwendigen Erneuerung von Wissenschaft und Forschung unter Erhaltung leistungsfähiger Einrichtungen ... dient eine Begutachtung von öffentlich getragenen Einrichtungen durch den Wissenschaftsrat... “ Diese zentrale Aussage in Artikel 38 des„Vertrages zwischen der → BRD und der → DDR über die Herstellung der Einheit Deutschlands“ (EV) bildet die rechtliche Grundlage zum Aufbau einer gesamtdeutschen Forschungslandschaft.

Otto Ulrich
Wohnungspolitik

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren in den Westzonen von 10,6 Mio. Wohnungen 2,3 Mio. (entsprechend 21 %) völlig zerstört, weitere 2,3 Mio. schwer beschädigt. In der Ostzone lag die Zerstörung mit etwa 10 % des Vorkriegsbestandes von 5,1 Mio. Wohnungen deutlich niedriger. Der Zuwachs der Wohnbevölkerung durch Ausgewiesene und Flüchtlinge lag in den Westzonen bei 11,5 Mio., entsprechend 25 %. In der Ostzone ist eine Zunahme der → Bevölkerung bis 1948 zu verzeichnen, danach ist die Bevölkerungsentwicklung rückläufig.

Ulrike Heinz, Wolfgang Kiehle
Backmatter
Metadaten
Titel
Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland
herausgegeben von
Dr. Uwe Andersen
Dr. Wichard Woyke
Copyright-Jahr
1992
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-95896-9
Print ISBN
978-3-322-95897-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-95896-9