Skip to main content

2015 | Buch

Horizontale Europäisierung im Feld der Arbeitsbeziehungen

insite
SUCHEN

Über dieses Buch

Die vielfach konstatierte Asymmetrie zwischen ökonomischer und sozialer europäischer Integration hat durch die Eurokrise(n) weiter zugenommen. Neben der wachsenden grenzüberschreitenden Reichweite institutionalisierter Regulationsstrukturen im Feld der europäischen Wirtschaftspolitik ist die sozialpolitische Dimension auf supranationaler Ebene unterentwickelt. Lenkt man die Perspektive von der Ebene der Systemintegration auf Prozesse der europäischen Sozialintegration der BürgerInnen und Organisationen, werden aber zunehmende transnationale Interaktionen, Verflechtungen und Relevanzstrukturen zwischen wirtschaftlichen, politischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren – und somit horizontale Europäisierungsprozesse – sichtbar. Im Fokus dieses Sammelbandes stehen grenzüberschreitende Austauschprozesse und Handlungsorientierungen von kollektiven Akteuren (Gewerkschaften, Euro-Betriebsräte, Unternehmen, etc.) im Feld der Arbeitsbeziehungen und deren möglicher Beitrag, die bestehende Inkongruenz von ökonomischer und sozialer Integration innerhalb der EU zu reduzieren oder zu verstärken. Die Beiträge dieses Sammelbandes orientieren sich an zwei Zielsetzungen: Zum einen wird eine analytische Perspektive auf Prozesse der transnationalen Vergesellschaftung im Bereich der Arbeitsbeziehungen entwickelt, die sich auf neo-institutionalistisch inspirierte feldtheoretische Annahmen stützt. Zum anderen wird die normative Perspektive bearbeitet, dass sich durch eine zunehmende europäische Sozialintegration auch die Möglichkeitsräume für eine vertiefte Systemintegration, das heißt eines gemeinschaftlichen Solidarsystems in der EU, eröffnen könnten

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Einleitung
Zusammenfassung
Im Fokus dieses Sammelbandes stehen grenzüberschreitende Austauschprozesse, Strategien und Handlungsorientierungen von kollektiven Akteuren der Arbeitsbeziehungen, das heißt, der Gewerkschaften, Euro-Betriebsräte, Unternehmen, Arbeitgeberverbände und von staatlichen, nationalen und supranationalen Akteuren. Wir fragen nach deren möglichen Beitrag, die bestehende Inkongruenz von Ökonomie und Sozialintegration innerhalb der Europäischen Union (EU) zu reduzieren oder zu verstärken. Dabei nehmen wir eine Perspektive ein, die es erlaubt, durch Akteure induzierte Entwicklungsmöglichkeiten und Rückschläge europäischer Integrationsprozesse zu analysieren.
Susanne Pernicka
Transnationalisierung und Fragmentierung – Euro-Betriebsratshandeln als multiscalare Praxis
Zusammenfassung
In der Forschung zur Transnationalisierung industrieller Beziehungen wird häufig beklagt, dass die länderübergreifende Vernetzung der ArbeitnehmerInnen und ihrer Gewerkschaftsorganisationen trotz aller positiven Ansätze noch immer am Anfang stünde: Zu oft würden nationale Organisationslogiken, nationale Selbstverständnisse der Akteure und nationale institutionelle Traditionen dominieren und transnationale Verständigung und Vernetzung behindern.
Stefanie Hürtgen
Integration „von unten“? Zum Problem der Handlungskoordination in der „horizontalen Europäisierung“ betrieblicher Interessenvertretung
Zusammenfassung
In der Forschung zur so genannten „europäischen Integration“ wird oft zwischen zwei unterschiedlichen Prinzipien der Europäisierung unterschieden, einem Prinzip vertikaler Europäisierung und einem Prinzip horizontaler Europäisierung. Unter vertikaler Europäisierung werden die Angleichungsprozesse der in den Prozess der europäischen Integration einbezogenen politischen und gesellschaftlichen Institutionen in den Mitgliedsländern verstanden, etwa der regionale Aufbau europäischer Regionen im Gefolge der europäischen Regionalförderung, die europaweit definiert, was eine „Region“ ist und nach welchen Kriterien eine „Region“ gefördert werden kann.
Matthias Klemm, Jan Weyand
Bewegungsfreiheit in einem Ungleichheitsraum: Gewerkschaften und transnationale Arbeitsmobilität in der erweiterten Europäischen Union
Zusammenfassung
Durch die Einführung der EU-Personenfreizügigkeit, „the most open cross-state movement policy worldwide“ , haben die EU-Mitgliedsstaaten die Kontrolle über Zuwanderung zumindest teilweise aufgegeben. Dies ist ein ungewöhnlicher Vorgang, denn bisher war die Regulierung von Grenzübertritten eines der zentralen Vorrechte von Nationalstaaten . Zwar kann der Arbeitsmarktzugang vorübergehend für neue Beitrittsländer eingeschränkt werden, wie zuletzt bei den EU-Osterweiterungen 2004 und 2007 geschehen. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass in der EU ein transnationaler Mobilitätsraum entstanden ist, dem das Prinzip der Bewegungsfreiheit zu Grunde liegt. Spätestens nach Ablauf einer Übergangsfrist sind EU-MigrantInnen bei der Arbeitssuche mit einheimischen ArbeitnehmerInnen gleichgestellt. Aus dieser Perspektive betrachtet gehören „nationale Arbeitsmärkte“ der Vergangenheit an.
Torben Krings
When Does Solidarity End? Transnationales Gewerkschaftshandeln in der Automobilproduktion vor und während der Krise
Zusammenfassung
Die langjährige transnationale Solidarität europäischer ArbeitnehmerInnen bei General Motors Europe (GME) bis zum Beginn der Wirtschaftskrise im Jahr 2008 stellt nicht nur empirisch ein außergewöhnliches Beispiel für grenzüberschreitendes kollektives Handeln dar. Die Vielzahl vorliegender Untersuchungen, welche die Dauer, Nachhaltigkeit und das (behauptete) Ende dieser transnationalen Solidaritätsbeziehungen ergründen, bedient sich eines bemerkenswert umfassenden Repertoires an theoretischen Erklärungsansätzen. Neben institutionellen Erklärungen, die den Europäischen Betriebsrat als förderliche Struktur internationaler Arbeitssolidarität betonen (Turner, 1996; Banyuls und Haipeter, 2010), finden sich rational-choice basierte Interessentheorien, denen zufolge die spezifische Situation der europäischen Automobilindustrie (management-induzierter Standortwettbewerb, Plattform- und Parallelproduktion) und die besondere Akteurskonstellation des Europäischen Betriebsrats (EBR) Anreize für grenzüberschreitende Kooperation bilden (Gajewska, 2009; 2010; Dehnen und Rampeltshammer, 2011). Aus der Kritik an dieser Konzeption des rationalen Akteurs, der sich entsprechend der Olson’schen „Logik kollektiven Handelns“ (1965) nur unter spezifischen Bedingungen (Zwang und selektive Anreize) solidarisiert, entwickeln Greer und Hauptmeier (2008 2012) schließlich einen identitätsbasierten Ansatz, um die Entstehung und Nachhaltigkeit grenzüberschreitender Solidarität in der europäischen Automobilproduktion zu erklären. Identity work (sog. Identitätsarbeit) und regelmäßiger face-to-face Austausch, die durch anerkannte und machtvolle AkteurInnen (Gewerkschaften, EBR, etc.) initiiert werden, konnten aus dieser Perspektive zu nachhaltigen Solidaritäts- und Vertrauensbeziehungen unter dem Motto „sharing the pain“ beitragen. Warum es in den Krisenjahren 2008/2009 zu einem von Bernaciak 2013) konstatierten Ende der grenzüberschreitenden Kooperation im GME Fall kam, erklärt die Autorin erneut aus einer rational-choice Perspektive mit erwarteten materiellen Vorteilen auf der nationalen Ebene, die sich durch Staatsinterventionen in Krisenzeiten (Jacobi et al. 1986) entwickelt haben. Bernaciak sieht mit der Erosion der Kooperation zugunsten partikularistischer Standortinteressen der nationalen Gewerkschaften auch Greer und Hauptmeiers optimistische Einschätzung einer nachhaltigen transnationalen Solidarität widerlegt (Bernaciak, 2013).
Susanne Pernicka, Vera Glassner, Nele Dittmar
Europäisierung als institutionelle Entbettung – Finanzialisierte multinationale Konzerne und die Arbeitsbeziehungen im europäischen Paketsektor
Zusammenfassung
Seitdem die europäische Marktintegration in den späten 1980er Jahren wieder an Fahrt gewann, steht auch die Europäisierung der Arbeitsbeziehungen erneut auf der sozialwissenschaftlichen Agenda. Im Zentrum der meisten Beiträge stehen die Möglichkeiten einer Verlagerung von Aushandlungen und Regulierungskompetenzen auf die europäische Ebene. Da die Marktintegration bislang nicht von einer Sozialintegration flankiert wird, haben die nationalen Arbeitsbeziehungen an Einfluss auf die Regulierung von Arbeit verloren. Verschiedene Studien zeigen, dass die nationalen Standards und Institutionengefüge durch den grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehr sowie die Währungs- und Finanzmarktintegration zum Teil erheblich unter Druck geraten sind. Auf den ersten Blick stellen Versuche einer Europäisierung der Arbeitsbeziehungen durch eine Harmonisierung sozialer Standards oder die Etablierung eines europäischen Sozialen Dialogs eine plausible Antwort auf die einseitige Marktintegration in vielen sozialen Feldern dar.
Hajo Holst
European Economic Governance. Auf dem Weg zu einer erzwungenen Integration nationaler Arbeitsbeziehungen?
Zusammenfassung
Seit der Neubelebung des europäischen Integrationsprozesses durch die Europäische Kommission unter Jacques Delors haben europäische Institutionen den sozialen Dialog und die Entstehung eines europäischen Systems industrieller Beziehungen gefördert. Zwar haben Befürworter eines ‚sozialen Europas‘ wiederholt die Diskrepanzen bedauert, die zwischen den weitreichenden Marktliberalisierungsregeln und den spärlichen sozial- und arbeitspolitischen Regeln der EU besteht. Diese Schlagseite des europäischen Integrationsprozesses konnte jedoch den funktionalistischen Konsens innerhalb der europäischen Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung nicht stören, dem zufolge die von den Marktöffnungsinitiativen der EU ausgelösten Spannungen letztendlich marktkorrigierende Regelungen, Institutionen und Prozesse nach sich ziehen werden.
Roland Erne
Grenzüberschreitende gewerkschaftliche Antworten auf die Krise
Zusammenfassung
Die Europäische Union ist derzeit mit der tiefgreifendsten ökonomischen und sozialen Krise ihrer Geschichte konfrontiert. Die Annahme einiger progressiver (Wirtschafts-) Wissenschaftler_innen, dass die Krise eine Chance für ein wirtschaftspolitisches Umdenken in der EU darstellen könnte, kann zum derzeitigen Stand als widerlegt angesehen werden: Sie wurde vorwiegend dazu genützt, das Ungleichgewicht zwischen wirtschaftlichen und sozialen Interessen in der EU zu verschärfen und das Kräfteverhältnis zwischen Arbeit und Kapital weiter zu Gunsten des Kapitals zu verschieben. Die EU-Mitgliedsstaaten haben, dem neoliberalen wirtschaftspolitischen Paradigma folgend, überwiegend ihre Bankensysteme mit Steuergeldern gerettet, was zu Erhöhungen der nationalen Staatsschulden führte. Dieser Anstieg an Staatsschulden wurde jedoch als hinderlich für den Wettbewerb und die ökonomische Entwicklung der einzelnen Mitgliedsstaaten und der EU insgesamt angesehen.
Julia Hofmann
Metadaten
Titel
Horizontale Europäisierung im Feld der Arbeitsbeziehungen
herausgegeben von
Susanne Pernicka
Copyright-Jahr
2015
Electronic ISBN
978-3-658-07556-9
Print ISBN
978-3-658-07555-2
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-07556-9

Premium Partner