Skip to main content

09.08.2023 | Konfliktmanagement | Interview | Online-Artikel

"Mediation im virtuellen Raum erhöht Effizienz"

verfasst von: Andrea Amerland

5 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
print
DRUCKEN
insite
SUCHEN
loading …

Online-Mediation hat sich als virtuelles Format im Konfliktmanagement etabliert. Für Medianden und Mediatoren bietet das Vor- und Nachteile, erläutert Springer-Autorin Anne Rickert im Gespräch.

Springer Professional: Online-Mediation hat durch die Pandemie einen Boom erlebt. Ist es dabei geblieben?

Anne Rickert: Es ist schwierig an verlässliches Zahlenmaterial zu kommen. Meine persönliche Wahrnehmung und die der Online-Coaching-Community ist jedoch, dass viele Mediatoren fallspezifisch entscheiden, ob sie on- oder offline beziehungsweise in einem Mix aus beiden Formaten arbeiten. Ich selbst erlebe nach wie vor gezielte Anfragen nach Online-Mediation in Fällen, in denen die Vorteile auf der Hand liegen, etwa Entfernung, und die verstärkte Nachfrage nach einer Mischung von virtueller und physischer Präsenz - selbst bei zumutbaren Fahrzeiten. Diese Flexibilität gab es so vor der Pandemie nicht - da wurde selbstverständlich von einem Vor-Ort-Termin ausgegangen und Medianden waren in der Regel nur mit Erläuterung bereit, Online-Mediation zu testen. Durch die Pandemie ist die Option, Mediationssitzungen online durchzuführen, im Bewusstsein der breiten Masse angekommen und wird sowohl von Mediatoren als auch von Konfliktparteien als Bereicherung des Portfolios empfunden. 

Empfehlung der Redaktion

2023 | Buch

Online-Mediation

Konfliktklärung im virtuellen Raum

Dieses Buch legt dar, wie Mediation und andere konfliktklärende Gesprächsformate unter den besonderen Bedingungen der Kommunikation im virtuellen Raum gelingen können.

Was gilt es bei der praktischen Umsetzung eines Mediationsverfahrens im virtuellen Raum zu beachten?

Die allgemeine Mediationskompetenz als Handwerkszeug ist die wesentliche Grundlage - egal ob on- oder offline. Alles, was Mediatoren rund um empathische Gesprächsführung, Fragetechniken, Visualisierung und Kreativitätstechniken gelernt haben, können sie genauso online einsetzen. Aber bei der Technikkompetenz hat durch die Corona-Pandemie ein enormer gesamt-gesellschaftlicher Lernprozess stattgefunden. Die allermeisten Menschen haben inzwischen Erfahrungen mit Online-Sitzungen gemacht. Dennoch kommen technische Störungen vor. Online-Mediatoren sollten sich hier zu helfen wissen, indem sie den Medianden anleiten, die übertragene Datenmenge so gut als möglich zu reduzieren, und bereits mit der Einladung Hinweise für gute Tonqualität und optimale Ausleuchtung in der Webcam geben. 

Und was, wenn die Technik doch einmal versagt?

Generell empfiehlt sich bei Auftragsklärung einen Plan B zu vereinbaren, beispielsweise eine Telefonkonferenz oder ein alternatives Webkonferenz-Tool. Der Mediator selbst sollte sich ausreichend Zeit nehmen, sich mit der Bedienung der gewählten Video-Konferenz-Software und weiterer Kollaborations-Tools vertraut zu machen, denn jegliche Unsicherheit würde sich ablenkend auf den Gesprächsverlauf auswirken. Für klassische Zweier-Mediation kommt man bei der Visualisierung mit den gängigen MS Office-Programmen schon sehr weit; für komplexe Mehrpersonen-Mediationen empfiehlt sich für aufwendige Visualisierungs- und Kollaborationsprozesse gegebenenfalls die Arbeit mit Co-Mediatorin. Die zweite große Herausforderung im virtuellen Raum ist der Beziehungs- und Vertrauensaufbau beziehungsweise -erhalt.

Mediation lebt ja eigentlich vom persönlichen Gegenüber, von Gestik und Mimik. Wie verhält es sich damit online?

Die Sorge, auf Grund der eingeschränkt wahrnehmbaren non-verbalen Signale, andere Personen nicht ausreichend wahrnehmen und einschätzen zu können, betrifft sowohl die Mediatorin als auch die Parteien. Die Mediatorin kann mit Vorbereitung für eine optimale Online-Präsenz sorgen, um authentisch, vertrauenswürdig und einschätzbar zu wirken. Voraussetzung ist eine perfekte technische Ausstattung, damit die Stimme in allen Nuancen übertragen wird und die Webcam wirklich Blick, Mimik und Oberkörpersprache zeigt. Idealerweise ist auch der Raum, in dem sie sitzt, zu sehen, um persönliche Informationen und eine angenehme Atmosphäre durch Wandfarbe, Bilder oder Blumen im virtuellen Raum zu übertragen. Darüber hinaus geschieht Vertrauensaufbau durch eine empathische Stimmführung, eine innere zugewandte Haltung, die Schulung des Gehörs auf Zwischentöne und professionelle Online-Moderation, das heißt Verlässlichkeit und Stringenz in der Durchführung der Sitzung. 

Welche Vor- und Nachteile hat Online-Mediation?

Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Es hängt es vom Fall und den Beteiligten ab, ob die Rahmenbedingungen von Online-Mediation einen Mehrwert oder Nachteil darstellen. So kann beispielsweise die räumliche Distanz für den einen ein Negativ-Aspekt sein, für den anderen jedoch eine Riesen-Chance, da andernfalls die Teilnahme an der Mediation überhaupt nicht möglich wäre. Die eingeschränkte Sichtbarkeit non-verbaler Signale führt sicherlich zu einem langsameren Vertrauensaufbau und erschwert, die emotionale Gestimmtheit der Parteien einzuschätzen. Das erfordert im Zusammenspeil mit der Technik und Kommunikation eine erhöhte Aufmerksamkeit, was zu schnellerer Ermüdung führen kann. Die ständige Spiegelung des eigenen Bildes in der Video-Kachel lenkt einige Personen ab und das Fehlen eines gemeinsamen physischen Raumes kann zu weniger Verbindlichkeit und Engagement führen. Auf Seiten der Mediatorin erfordert Online-Mediation einen besonders konzentrierte Einsatz von Stimme und Sprache sowie eine aktive, energievolle Haltung von der Kamera.

Und über welche Vorteile können Sie berichten? 

Die höhere zeitliche Flexibilität, die leichtere Terminfindung, ein niederschwelliger Zugang und damit auch die Teilhabe für Menschen mit körperlichen Einschränkungen oder häuslichen Verpflichtungen sind positiv. Auch die digitalen Visualisierungs-, Kollaborations- und Dokumentationsmöglichkeiten und im Sinne der Nachhaltigkeit eine geringere Reiseaktivität sind zu begrüßen. Auf Kommunikations- und Beziehungsebene bietet die Mediation im virtuellen Raum Chancen auf höhere Effizienz durch konsequente Online-Moderation und disziplinierteres Redeverhalten. Die Möglichkeit, auf die physische Konfrontation zu verzichten, ist bei einem Täter-Opfer-Ausgleich, Mobbing-Problemen, starkem Hierarchiegefälle, Wiedereingliederung nach langer Krankheit günstiger. Oft entsteht in den eigenen vier Wänden ein geschütztes Gefühl, das Selbst wird gestärkt, die Eigenverantwortung und Klarheit im Selbstausdruck erhöht. Auch negative Trigger wie Augenrollen oder abwertende Gesten kommen weniger zum Tragen kommen, was zur Deeskalation beiträgt. 

Welche Rolle spielt der Datenschutz und wie kann man ihm in Online-Mediations-Verfahren gerecht werden?

Das Thema Datenschutz wird bei der Auswahl des Video-Konferenz-Anbieters relevant. Es geht um die Speicherung und mögliche Weitergabe personenbezogener Daten, die bei der Nutzung anfallen, wie E-Mail- oder IP-Adresse, Passwörter und so genannte Verkehrs- und automatisch getrackte Diagnosedaten. Das Problem: Viele amerikanische Anbieter haben haben zwar Serverstandorte in Europa und richten sich freiwillig nach der DSGVO, allerdings ändert das nichts daran, dass sie als amerikanische Mutterhäuser dem so genannten Cloud Act unterliegen. Dieses Gesetz ermöglicht US-Behörden auch ohne richterliche Anordnung Daten auf amerikanischen Servern abzugreifen. Die Nutzung einer amerikanischen Software ist datenschutzrechtlich nicht hundertprozentig sicher. Hier gilt es im Einzelfall abzuwägen, welche Relevanz diese Tatsache für die Beteiligten hat und beispielsweise auf  kleinere deutsche Anbieter wie Big Blue Button, Alfaview oder Vitero zurückzugreifen, die selbstverständlich der DSGBO beziehungsweisen dem Bundesdatenschutzgesetz verpflichtet sind.

print
DRUCKEN

Weiterführende Themen

Die Hintergründe zu diesem Inhalt

2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

Online-Mediation – was ist das?

Von der unbekannten Nischendienstleistung zur neuen Normalität
Quelle:
Online-Mediation

2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

Online-Mediation in der Praxis

Das Mediationsverfahren im virtuellen Raum umsetzen
Quelle:
Online-Mediation

Das könnte Sie auch interessieren

20.08.2020 | Leadership | Kolumne | Online-Artikel

Veränderung braucht Mediatoren

25.09.2020 | Konfliktmanagement | Gastbeitrag | Online-Artikel

Konflikte durch Mediation lösen

02.04.2020 | Mentoring | Interview | Online-Artikel

"Achtsamkeit ist ein Teil der Mediatorenrolle"

Premium Partner