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22.04.2014 | Krisenkommunikation | Schwerpunkt | Online-Artikel

Warum es manchmal gut ist, böse zu sein

4:30 Min. Lesedauer

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Das Mode-Label Abercrombie & Fitch hat es getan: Es hat den Shitstorm selbst inszeniert. Was die Krisen-PR daraus lernen kann, beschreibt Springer-Autor Lorenz Steinke in einem Gastbeitrag.

Während viele Unternehmen aus Angst vor Shitstorms oder schlechtem Kunden-Feedback den Social Media fernbleiben, gehen andere nicht nur das Risiko der öffentlichen Empörung ein: Sie provozieren es sogar. So hat der Unternehmensberater und Blogger Philipp Gensel die Social-Media-Strategie des immer wieder durch Skandale aufgefallenen Mode-Labels Abercrombie & Fitch (A&F) untersucht. Der Konzern ist in den USA nicht unumstritten. Einst erklärte Unternehmenschef Mike Jeffries, er wolle keine unattraktiven Kunden in seinen Läden. Auch Mitarbeiter sollen "makellos“ sein. Eine Verkäuferin mit Unterarmprothese musste deshalb eine langärmelige Strickjacke tragen. Und wegen Benachteiligung farbiger Bewerber wurde das Unternehmen 2005 zu einer Geldstrafe verurteilt.

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Immer wieder kam es deswegen auch zu Shitstorms. Gensel ist überzeugt, dass diese Shitstorms vom Unternehmen gewünscht und vielleicht sogar mitgetragen werden: "A&F beherrscht das Spiel mit der Provokation. Die Marke war mehrfach kritischen Situationen ausgesetzt. Von Rassismus bis zu CEO-Geständnissen war alles dabei. Man hat gelernt, sich in Szene zu setzen und scheinbare Schwächen in Stärken zu verwandeln. Ein inszenierter Shitstorm ist da nur zeitgemäß.“

Rüpel-Image als Alleinstellungsmerkmal

Aus Sicht des Brand Managements klingt diese Strategie zuerst einmal plausibel. Wo viele Modelabel auf thematisch engstem Raum konkurrieren, ist das gezielt aufgebaute Rüpel-Image ein Alleinstellungsmerkmal. Andere Unternehmen sind diesen Weg bereits gegangen, allerdings mit entgegengesetzten Vorzeichen. So wandelten die Motorräder der US-Marke Harley Davidson ihr Image vom Zweirad für den einfachen Arbeiter hin zum Outlaw- und Rebellenvehikel, um schließlich als Kultgefährt reicher und meist betagter Anwälte und Zahnärzte zu reüssieren. Motor des lukrativen Imagewandels in der Prä-Internet-Ära war der anfangs vom Harley-Davidson-Management wenig geliebte Kinofilm "Easy Rider" mit Dennis Hopper und Peter Fonda.

Geradezu ein Automatismus ist der Weg durch das Fegefeuer des Rüpelhaften in der Jugendkultur und dort besonders bei der Musik. Fast alle großen Musikstile der letzten Jahrzehnte vom Beat über Rock’n’Roll, Punk und Hip Hop verdanken ihren Erfolg provokativer Abgrenzung. Jede empörte Reaktion auf den neuen Stil – vom elterlichen Hörverbot bis hin zur Geißelung durch konservative Medien – war ungewollt förderlich für die Markenpflege.

Der Skandal zur Markeninszenierung

Doch wo die Abgrenzung nicht von einer authentischen und gewachsenen Kultur umrahmt, sondern vom Marketing strategisch geplant wird, bleibt sie artifiziell. Sie wird nicht von einer leidensfähigen Fan-Gemeinde getragen, die der Skandal sogar noch zusammenschmeißt, sondern kann schnell ins Negative kippen. Wo sich die Gegner der Jugendkultur in früheren Jahrzehnten eher berechenbar empörten, wenden die Kritiker von A&F deshalb erfolgreich Guerilla-Taktiken an. Zuletzt verschenkten Aktivisten A&F-Kleidung in den USA an Obdachlose um der Marke so den Nimbus der Hochpreisigkeit zu nehmen. Zuletzt ging der A&F-Aktienkurs kräftig in die Knie und fiel seit seinem Höchststand 2011 um die Hälfte. Was bei Harley Davidson funktionierte, wird bei A&F zum Problem.

Die Angst vor dem Shitstorm

Die meisten Unternehmen gehen mit Shitstorms deshalb vorsichtiger um als A&G und verzichten auf Provokation als Mittel der Markenbildung. Erst jüngst zogen LEGO und Haribo die Shitstorm-Notbremse und änderten Produkte ab, um Vertreter von Religionsgemeinschaften und Ethnien nicht zu verletzen. Und auch Amazon, das sich aufgrund seiner fast konkurrenzlos starken Stellung auf dem Online-Buchmarkt vor einem Shitstorm vergleichsweise wenig fürchten muss, reagierte auf die 2013 erhobenen Vorwürfe bezüglich der Bezahlung und Unterbringung von Aushilfsarbeitskräften.

Aus der Perspektive des Kommunikationsberater, der zahlreiche Shitstorms untersucht hat, gibt es in dem Buchkapitel "Online ist alles anders – oder doch nicht?" drei einfache Tipps, wie Sie Empörungswellen aufgreifen und im Idealfall mäßigen können:

  1. Seien Sie ein lernendes Unternehmen. Wenn Sie sich in einer Krise falsch verhalten haben und deswegen einen Shitstorm erleben, nehmen Sie die Forderungen Ihrer Kritiker ernst. Antworten Sie zeitnah, offen und direkt. In der Regel ist eine schnelle Entschuldigung besser als falscher Stolz und Festhalten an unnötigen Traditionen oder gar eisiges Schweigen.
  2. Führen Sie einen Dialog mit Ihren Kritikern. Wer Sie offen kritisiert, sagt Ihnen damit auch, warum er nicht mehr Ihr Kunde sein möchte. So verrät er Ihnen mehr über Ihr Geschäftsmodell und seine Außenwirkung als jene Kunden, die wortlos zur Konkurrenz wechseln.
  3. Überprüfen Sie regelmäßig Ihr Wertesystem. Die Gesellschaft wandelt sich im Internetzeitalter schnell. Was heute noch akzeptiert wird, kann morgen ein Verstoß gegen gute Sitten sein und einen Shitstorm provozieren. Denken Sie interkulturell und verhalten Sie sich so. Das Internet macht es vor.
Zur Person

Der Journalist und Kommunikationsberater Lorenz Steinke hat viele Jahre als Leitender Redakteur bei Axel Springer gearbeitet und war zuletzt Pressesprecher eines DAX-Konzerns. Jetzt ist er Inhaber einer Kommunikationsagentur und Springer-Autor. Sein Buch "Kommunizieren in der Krise – Nachhaltige PR-Werkzeuge für schwierige Zeiten" ist im Jahr 2014 bei Springer Gabler erschienen.

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